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Die Zahl der Flüchtlinge ist 2015 drastisch gestiegen und stellt Deutschland vor große Herausforderungen. Erleichterung erhofft man sich dadurch, dass nun auch Albanien, Kosovo und Montenegro auf die Liste der sicheren Herkunftsstaaten gesetzt wurden – wie dies vor einem Jahr für Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien geschah. Ob die Klassifizierung einen deutlichen Einfluss auf die Zahl der gestellten Asylanträge hat, wird von den Autoren untersucht.

Am 24. Oktober wurden mit Inkrafttreten des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes Albanien, Kosovo und Montenegro zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt.1 Ziel dieser Maßnahme ist es, die Zahl der Asylanträge ohne Erfolgsaussicht zu verringern und die Asylverfahren zu beschleunigen. Berechtigte Asylanträge sollen durch dieses Instrument nicht beschränkt werden. Kritiker zweifeln jedoch an der Wirksamkeit der Maßnahme.2 Sie argumentieren, dass sich die Zahl der Anträge aus Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien kaum verändert hat, seitdem diese im Herbst letzten Jahres zu sicheren Herkunftsländern erklärt wurden.3 Dieser Beitrag zeigt, dass es klare Indizien dafür gibt, dass die Klassifizierung in sichere und nicht sichere Herkunftsstaaten einen deutlichen Einfluss auf die Zahl der gestellten Asylanträge hat.

Die Effekte der Klassifizierung in sichere und nicht sichere Herkunftsstaaten sind bislang statistisch nicht eingehend untersucht worden. Allerdings zeigen Studien, dass die Asylpolitik eines potenziellen Aufnahmelandes die Zahl der Asylbewerber beeinflusst. So kommen Vogler und Rotte zu dem Ergebnis, dass die Asylgesetzänderungen der Jahre 1987, 1991 und 1993 die Asylbewerberzahlen in Deutschland verringert haben.4 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine Studie, die die Entwicklung der Asylbewerberzahlen in den 19 größten Aufnahmeländern zwischen 1997 und 2006 untersucht. Diese zeigt, dass eine restriktivere Asylpolitik, zu der auch die Ausweisung von sicheren Herkunftsstaaten zählt, die Asylbewerberzahlen zwischen 2001 und 2006 verringert hat.5

Abbildung 1
Monatliche Asylerstantragszahlen aus den Balkanstaaten
31058.png

Quellen: Eurostat und Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, eigene Darstellung.

Entwicklung der Asylerstantragszahlen im Vergleich zum Vorjahr

Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien wurden im September 2014 zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt. In Kraft trat das Gesetz im November 2014. Seitdem hat sich die Zahl der Asylerstanträge aus diesen Ländern kaum verändert (vgl. Abbildung 1, blaue Linie). In den ersten acht Monaten 2015 stieg die Zahl der Anträge im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sogar um 32% (vgl. Tabelle 1). Diese Zahlen scheinen auf den ersten Blick zu belegen, dass die Klassifizierung in sichere und nicht sichere Herkunftsstaaten keine Effekte auf die Zahl der Asylanträge hat. Allerdings ist ein Vergleich der Zahlen von 2015 und 2014 nur dann aussagekräftig, wenn wir sinnvollerweise annehmen können, dass die Zahl der Asylanträge aus Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien ohne die Gesetzesänderung im November 2014 unverändert geblieben wäre.

Tabelle 1
Asylerstantragszahlen aus den Balkanstaaten in den ersten acht Monaten 2014 und 2015
  Jan.-Aug. 2014 Jan.-Aug. 2015 Veränderung 2015 zu 2014
absolut in %
A: Bosnien, Mazedonien, Serbien 16 855 22 281 5426 32
B: Albanien, Kosovo, Montenegro 8 570 70 637 62 067 724
Differenz A-B 8 285 -48 356 -56 641 -692

Quellen: Eurostat und Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, eigene Darstellung.

Angesichts stark steigender Asylbewerberzahlen aus den übrigen Staaten des Westbalkans erscheint diese Annahme aber wenig plausibel. So stieg die Zahl der Asylerstanträge aus den bislang noch nicht als sicher geltenden Staaten Albanien, Kosovo und Montenegro in den ersten acht Monaten 2015 um 724% im Vergleich zum Vorjahreszeitraum (vgl. Tabelle 1).6 Damit wurden bislang 2015 dreimal so viele Asylanträge aus den bis Oktober noch nicht als sicher geltenden Ländern gestellt wie aus den sicheren Ländern des Westbalkans. Bevor Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt wurden, war das Verhältnis fast umgekehrt (vgl. Tabelle 1).

Die unterschiedliche Entwicklung der Asylbewerberzahlen aus sicheren und nicht sicheren Herkunftsstaaten legt nahe, dass die Einstufung von Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien als sichere Herkunftsstaaten die Zahl der Asylanträge deutlich verringert hat. Denn hätte die Einstufung keinen Effekt, wäre zu erwarten, dass die Zahl der Asylanträge aus sicheren und nicht sicheren Herkunftsstaaten in der gleichen Region und mit ähnlichen sozioökonomischen Bedingungen auch einen ähnlichen Verlauf nimmt. Der Anstieg der Asylanträge aus Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien fiel aber um 56 641 Anträge oder 692 Prozentpunkte geringer aus als der Anstieg der Anträge aus Albanien, Kosovo und Montenegro (vgl. Tabelle 1). Bei gleichem prozentualen Anstieg der Asylanträge wie in den übrigen Ländern des Westbalkans hätten 2015 bislang 138 925 Menschen aus Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien einen Asylantrag stellen müssen, statt „nur“ 22 281.

Ökonometrische Analyse

Der skizzierte Ansatz, die Veränderung der Antragszahlen in Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien mit der Veränderung der Antragszahlen in Albanien, Kosovo, Montenegro zu vergleichen, wird auch als Differenzen-in-Differenzen-Ansatz bezeichnet. Im Allgemeinen analysiert dieser Ansatz die Wirksamkeit einer politischen Maßnahme, indem die Situation einer von der Maßnahme betroffenen Behandlungsgruppe mit einer nicht betroffenen Vergleichsgruppe verglichen wird (Erste Differenz), und zwar sowohl vor als auch nach der Einführung der Maßnahme (Zweite Differenz). In unserem Fall dienen Albanien, Kosovo und Montenegro als Vergleichsgruppe für die vom Gesetz betroffene Behandlungsgruppe Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien. Der Differenzen-in-Differenzen-Ansatz beruht auf der Annahme, dass sich die Situation der Behandlungsgruppe ohne die betrachtete Maßnahme wie jene der Vergleichsgruppe entwickelt hätte.7

Tabelle 1 illustriert den einfachsten Fall des Differenzen-in-Differenzen-Ansatzes, indem wir Vergleichs- und Kontrollgruppe zu genau zwei Zeitpunkten betrachten, einmal vor und einmal nach der Einstufung von Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien als sichere Herkunftsstaaten. In einer weiterführenden Regressionsanalyse analysieren wir mithilfe des Differenzen-in-Differenzen-Ansatzes die Entwicklung der monatlichen Asylbewerberzahlen aus den sechs betrachteten Westbalkanländern seit Anfang 2013. Die Regressionsanalyse erlaubt es uns, mehr als zwei Zeitpunkte in die Analyse miteinzubeziehen. Des Weiteren können unterschiedliche Trends in der Entwicklung der Asylanträge vor dem Inkrafttreten des Gesetzes berücksichtigt werden.

Wir schätzen die folgende Regressionsgleichung:

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Als abhängige Variable dient die Asylerstantragsrate eines Herkunftslandes s zum Zeitpunkt t. Die Asylerstantragsrate ist definiert als die Zahl der Asylerstanträge, die in Deutschland aus dem Herkunftsland pro 1000 Einwohner des Herkunftslandes gestellt werden.8 Im Gegensatz zur Zahl der Asylerstanträge berücksichtigt die Asyl­erstantragsrate also Bevölkerungsunterschiede zwischen den Herkunftsländern.

Die erklärende Variable „Behandlungsgruppes“ berücksichtigt unbeobachtete Unterschiede zwischen Behandlungs- und Kontrollgruppe, die über die Zeit konstant bleiben. Die Variable nimmt den Wert eins an, wenn das betrachtete Land s Teil der Behandlungsgruppe ist. Für die übrigen Länder der Kontrollgruppe nimmt die Variable den Wert null an. Die Variable „sichert“ gibt an, ob Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien zum Zeitpunkt t bereits als sichere Herkunftsstaaten eingestuft worden sind. Vor November 2014 nimmt „sichert“ also den Wert null an, ab November 2014 den Wert eins. Die Monatsdummyvariablen dt bilden monatliche Schwankungen der Asylerstantragsraten ab, die alle Länder gleichermaßen betreffen.

Unser Interesse in der oben genannten Regressionsgleichung gilt dem Koeffizienten γ der Interaktion aus „Behandlungsgruppes“ und „sichert“. Der Koeffizient misst, inwiefern sich die Differenz in der Asylerstantragsrate zwischen Kontroll- und Behandlungsgruppe vor und nach der Einstufung von Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien als sichere Herkunftsstaaten unterscheidet. Hatte die Einstufung einen negativen Effekt auf die Asylerstantragsrate, dann sollte γ negativ sein.

Tabelle 2
Regressionsergebnisse der Differenzen-in-Differenzen-Analyse1
  (1) (2) (3)
sichert * Behandlungsgruppes -1,012* -1,012* -0,835*
  (0,244) (0,231) (0,265)
Beobachtungen (N) 192 192 192
Bestimmtheitsmaß (R2) 0,431 0,488 0,433

1 Für die sechs Länder des Westbalkans im Zeitraum Januar 2013 bis August 2015. Die abhängige Variable ist die monatliche Asylerstantragsrate. Das Modell in Spalte 1 entspricht dem in Regressionsgleichung (1) dargestellten Modell. Spalte 2 berücksichtigt länderspezifische Dummyvariablen (anstatt einer ländergruppenspezifischen Dummyvariable). Spalte 3 berücksichtigt eine lineare Trendvariable für die Länder der Kontrollgruppe. Robuste Standardfehler der Schätzer in Klammern. Statistisches Signifikanzniveau: * = 1%.

Quelle: Eigene Berechnung.

Tabelle 2 gibt die Regressionsergebnisse wieder. Der Schätzer für γ ist mit -1,01 statistisch signifikant von null verschieden und zeigt auch das erwartete negative Vorzeichen. Die Zahl der Asylanträge aus den nun sicheren Herkunftsstaaten ist also seit November 2014 im Vergleich zu den nicht sicheren Herkunftsstaaten um einen Antrag pro 1000 Einwohner gefallen. Um den Gesamteffekt des neuen Gesetzes auf die Asyl­erstantragszahlen zu erhalten, müssen wir die geschätzte Veränderung der Asylerstantragsrate auf die Gesamtbevölkerung der Herkunftsstaaten beziehen. In Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien leben zusammen etwa 13 Mio. Menschen. Ohne das neue Gesetz würden also monatlich aus den drei sicheren Herkunftsstaaten ca. 13 000 (= 1,01/1000 * 13 Mio.) Asylerstanträge mehr gestellt werden als mit dem neuen Gesetz.

In den Spalten 2 und 3 von Tabelle 2 erweitern wir unsere Regressionsgleichung, um die Robustheit unserer Ergebnisse zu überprüfen. In Spalte 2 fügen wir für jedes Land s eine eigene Dummyvariable ds ein. Dieses erweiterte Regressionsmodell berücksichtigt unbeobachtete länderspezifische Faktoren, die über die Zeit konstant bleiben (während Gleichung (1) lediglich unbeobachtete Unterschiede zwischen den beiden Ländergruppen berücksichtigt). Der Schätzer für γ verändert sich gegenüber dem Ausgangsmodell jedoch nicht. In Spalte 3 nehmen wir einen linearen Trend für die Kontrollgruppe als zusätzliche erklärende Variable auf. Der Schätzer für γ ist in dieser Spezifikation nur geringfügig größer als in der Ausgangsgleichung und ebenfalls signifikant von null verschieden.

Die Ergebnisse der Regressionsanalyse bestätigen also unser Zwischenfazit: Die Einstufung von Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien als sichere Herkunftsstaaten hat die Zahl der Asylanträge aus diesen Ländern offenbar deutlich verringert.

Tabelle 3
Wirtschaftsdaten und Indikatoren zur politischen Situation in den Herkunftsstaaten und in Deutschland
  Behandlungsgruppe Vergleichsgruppe Deutschland
  Bosnien-Herzegowina Mazedonien Serbien Gesamt1 Albanien Kosovo Montenegro Gesamt1  
Wirtschaftsdaten
Pro-Kopf-Einkommen2 4 805 5 456 6 153 5 646 4 619 3 990 7 371 4 725 47 627
BIP-Wachstum3                  
2013 2,5 2,7 2,6 2,6 1,4 3,4 3,3 2,3 0,2
2014 0,4 3,5 -1,8 -0,3 1,9 2,5 1,5 2,1 1,6
2015 2,0 3,5 -0,5 0,9 3,0 3,0 3,4 3,0 1,6
2016 2,3 3,8 1,5 2,1 3,5 3,5 2,9 3,4 2,3
Arbeitslosigkeit4 28,4 29,0 22,2 25,1 16,0 35,3 19,8 23,0 5,3
Jugendarbeits- losigkeit4 60,4 52,2 48,9 52,8 28,7 55,9 41,3 39,5 7,9
Politische Situation
Korruptionsindex5 -0,28 0,09 -0,19 -0,17 -0,55 -0,45 -0,01 -0,45 1,83
Politische Stabilität5 -0,06 0,25 0,18 0,12 0,47 -0,34 0,24 0,17 0,93
Politische Freiheiten6 4,0 4,0 2,0 2,9 3,0 4,0 3,0 3,3 1,0
Bürgerliche Freiheiten6 3,0 3,0 2,0 2,5 3,0 4,0 2,0 3,2 1,0
Schutzquote7 0,2 0,3 0,2 0,2 2,7 1,7 0,0 2,0 41,6

1 Gewichteter Mittelwert der einzelnen Länder (gewichtet mit der Bevölkerung der jeweiligen Länder). 2 BIP pro Kopf in aktuellen US-$, Daten für 2014 von der Weltbank (World Development Indicators 2015). 3 Global Economic Perspectives (Juni 2015), für Deutschland: Economic Outlook, Nr. 97, Juni 2015 (OECD 2015). 4 Arbeitslosigkeit in % für 2013 von der Weltbank (World Development Indicators 2015), für Kosovo: Kosovo Agency of Statistics. 5 Index für 2014 von World Governance Indicators (WGI), Skala von -2,5 (schlechtester Wert) bis 2,5 (bester Wert). Die WGI stellen einen gewichteten Index aus 30 Einzel-Indizes dar. Zu den Einzel-Indizes gehören unter anderem Daten aus dem Transparency International Global Corruption Barometer Survey und der Bertelsmann Transformation Index. Siehe: www.govindicators.org. 6 Index für 2014: Freedom in the World 2015 (Freedom House 2015), Skala von 1 (sehr frei) bis 7 (unfrei). Die Werte ergeben sich aus Experteneinschätzungen über 24 Fragen zur politischen und rechtlichen Situation in den Ländern. Siehe: https://freedomhouse.org/report/freedom-world-2015/methodology. 7 Schutzquote im Jahr 2014. Daten über die Zahl der Entscheidungen über Asylanträge von Eurostat. Die Schutzquote ist der Anteil der Asylanträge aus den jeweiligen Herkunftsstaaten, die in Deutschland anerkannt worden sind, in %. Der Wert für Deutschland gibt die durchschnittliche Schutzquote von Asylanträgen in Deutschland im Jahr 2014 an.

Vergleichbarkeit von Behandlungs- und Vergleichsgruppe

Wie beschrieben beruht der von uns verwendete Differenzen-in-Differenzen-Ansatz auf der Annahme, dass sich die Situation der Behandlungsgruppe ohne die betrachtete Maßnahme wie jene der Vergleichsgruppe entwickelt hätte. Diese Annahme kann letztlich nicht überprüft werden. Sie erscheint aber umso plausibler, je ähnlicher sich die Länder der Behandlungs- und Vergleichsgruppe sind. Tabelle 3 gibt einen Überblick über verfügbare Daten zur politischen und wirtschaftlichen Lage der beiden Ländergruppen. Zur besseren Einordnung ist ferner der jeweilige Wert für Deutschland aufgeführt.

Mit Blick auf die wirtschaftliche Situation der Herkunftsländer sind nur geringfügige Unterschiede zwischen den Ländern der Behandlungsgruppe und der Vergleichsgruppe festzustellen. Zwar ist das Pro-Kopf-Einkommen der Behandlungsgruppe etwas höher als das der Vergleichsgruppe. Gleichzeitig ist in der Behandlungsgruppe aber auch die Arbeitslosigkeit etwas höher. Grundsätzlich zeichnen sich alle sechs Länder durch ein im europäischen Vergleich sehr niedriges Pro-Kopf-Einkommen und eine hohe Arbeitslosigkeit aus. Letztere erreicht unter jungen Menschen in Bosnien-Herzegowina über 60%. Einzig in Albanien liegt die Arbeitslosigkeit deutlich unter dem Niveau der anderen Länder. Auch mit Blick auf die politische Situation sind die Unterschiede zwischen Behandlungs- und Vergleichsgruppe gering. Insgesamt stellt sich die politische Situation in der Behandlungsgruppe im Schnitt etwas besser dar als in der Vergleichsgruppe. Dies ist auf die recht umfangreichen politischen und bürgerlichen Freiheiten in Serbien zurückzuführen.

Zusätzlich ist in Tabelle 3 die Schutzquote für Asylbewerber aus den jeweiligen Herkunftsstaaten im Jahr 2014 angegeben. Die Schutzquote ist der Anteil der Asylanträge aus den jeweiligen Herkunftsstaaten, die in Deutschland anerkannt worden sind (in %). Außerdem ist in der letzten Spalte die durchschnittliche Schutzquote von Asylanträgen in Deutschland aufgeführt. Es zeigt sich, dass im Jahr 2014 lediglich 0,2% der Asylanträge aus den sicheren Herkunftsstaaten positiv beschieden worden sind. Die Schutzquote für die Staaten der Vergleichsgruppe liegt mit 2,0% zwar höher, ist im Vergleich zur durchschnittlichen Schutzquote (41,6%) aber ebenfalls sehr gering.9

Zusammenfassend sind die Unterschiede in Hinblick auf die politische und wirtschaftliche Lage der Länder des Westbalkans also recht gering. Wie sieht es aber mit der wirtschaftlichen Dynamik, d.h. mit der Veränderung der Lage am aktuellen Rand, aus? Solche Veränderungen sind mit Blick auf unseren ökonometrischen Ansatz von besonderer Bedeutung. Denn grundsätzlich ließe sich die unterschiedliche Entwicklung der Antragszahlen seit November 2014 auch auf unterschiedliche politische oder wirtschaftliche Entwicklungen in den sicheren und nicht sicheren Herkunftsstaaten seit diesem Zeitpunkt zurückführen.

Obwohl wir diese alternative Erklärung nicht ausschließen können, gibt es hierfür wenig Anhaltspunkte. So zeigt Tabelle 3, dass sich das Wirtschaftswachstum in der Behandlungsgruppe seit 2014 deutlich abgekühlt hat, während es in der Vergleichsgruppe leicht angestiegen ist. Auch die Prognosen für die nahe Zukunft sind für die Vergleichsgruppe etwas günstiger als für die Behandlungsgruppe. Unterschiede in der jüngsten wirtschaftlichen Entwicklung können den vergleichsweise starken Anstieg der Asylbewerberzahlen aus den Ländern der Behandlungsgruppe also nicht erklären.

Übertragungseffekte

Eine weitere alternative Erklärung für die unterschiedliche Entwicklung der Antragszahlen seit November 2014 sind sogenannte Übertragungseffekte. Die Einstufung von Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien als sichere Herkunftsstaaten könnte nicht nur die Asylbewerberzahlen aus diesen Ländern, sondern auch die Zahlen aus Albanien, dem Kosovo und Montenegro beeinflusst haben. So könnten nach der Gesetzesänderung potenzielle Asylbewerber aus den zu dieser Zeit noch nicht als sicher geltenden Herkunftsstaaten eine entsprechende Einstufung ihrer Länder in der Zukunft befürchtet haben und dieser Einstufung durch einen frühzeitigen Asylantrag zuvorgekommen sein. Die Ausweitung sicherer Herkunftsstaaten hätte dann zum beobachteten Anstieg der Asylbewerberzahlen in der Vergleichsgruppe beigetragen.

Auch diesen alternativen Erklärungsansatz können wir nicht vollständig ausschließen. Wir gehen aber davon aus, dass sich durch mögliche Übertragungseffekte allenfalls ein Teil des Anstiegs der Asylerstanträge aus den Ländern der Vergleichsgruppe erklären lässt. Dafür spricht, dass die Einstufung von Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien zu sicheren Herkunftsstaaten bereits im April 2014 vom Bundeskabinett beschlossen wurde und trotzdem die Zahl der Asylanträge aus diesen Ländern bis zum endgültigen Inkrafttreten des Gesetzes im November 2014 nur leicht angestiegen ist (vgl. Abbildung 1). Scheinbar haben also, wenn überhaupt, nur recht wenige potenzielle Asylbewerber aus Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien angesichts der bevorstehenden Gesetzesänderung ihren Antrag vorgezogen. Ähnliches lässt sich für Asylbewerber aus Albanien, dem Kosovo und Montenegro vermuten.

Abbildung 2
Bearbeitungsdauer bis zu einer behördlichen Entscheidung
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Quelle: Antworten der Bundesregierung auf die Anfragen der Fraktion Die Linke zu „Ergänzende[n] Informationen zur Asylstatistik“, eigene Darstellung.

Hat sich die Bearbeitungsdauer verringert?

Die Klassifizierung in sichere und nicht sichere Herkunftsstaaten soll nicht nur die Zahl der aussichtslosen Asylanträge verringern, sondern auch das Asylverfahren für Bewerber aus den nun sicheren Herkunftsländern beschleunigen. Ein Blick auf die wenigen verfügbaren Daten legt aber nahe, dass dies bislang nicht gelungen ist.

Daten über die Dauer der Asylverfahren nach Herkunftsland finden sich in den Antworten der Bundesregierung auf entsprechende Anfragen der Fraktion Die Linke im Bundestag. Diese „Ergänzende[n] Informationen zur Asylstatistik“ liefern eine quartalsweise Aufschlüsselung von Kennziffern zur Asylstatistik in Deutschland nach den zehn bzw. 15 wichtigsten Herkunftsländern. Die Entwicklung der durchschnittlichen Bearbeitungsdauer ist in Abbildung 2 dargestellt. Vor der Einstufung als sichere Herkunftsländer (erstes Quartal 2014 bis drittes Quartal 2014) lag die durchschnittliche Bearbeitungsdauer der Asylanträge aus Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien bei 4,0 Monaten. In den ersten zwei Quartalen 2015 ist die Bearbeitungsdauer auf durchschnittlich 4,2 Monate angestiegen. Dagegen ist die Bearbeitungsdauer der Asylanträge aus Albanien und dem Kosovo im selben Zeitraum leicht gesunken (von 4,2 auf 4,1 Monate).10 Der Vergleich von Behandlungs- und Vergleichsgruppe legt also nahe, dass das neue Gesetz bislang keinen nennenswerten Einfluss auf die Bearbeitungsdauer hatte.

Fazit

Die Bundesregierung sieht in der Ausweisung sicherer Herkunftsländer ein geeignetes Instrument, um die Zahl der Asylanträge ohne Erfolgsaussicht zu verringern. Dagegen halten Kritiker eine solche Politik für wirkungslos, da sich die Zahl der Anträge aus Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien kaum verändert hat, seitdem diese im Herbst letzten Jahres zu sicheren Herkunftsländern erklärt wurden. Dieses Argument überzeugt jedoch nicht, unterstellt es doch, dass die Zahl der Asylanträge aus Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien ohne das neue Gesetz unverändert geblieben wäre. Ein Vergleich mit der Entwicklung der Asylbewerberzahlen aus den übrigen Ländern des Westbalkans legt vielmehr nahe, dass das neue Gesetz die Zahl der Asylanträge aus den nun sicheren Herkunftsstaaten wirksam begrenzt hat. Die Bearbeitungsdauer konnte dagegen bislang nicht verkürzt werden.

Grundsätzlich gilt: Um die Wirksamkeit einer politischen Maßnahme (hier: Ausweitung sicherer Herkunftsstaaten) zu beurteilen, reicht es meist nicht aus, eine Zielgröße (hier: Zahl der Anträge aus Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien) vor und nach der Maßnahme zu vergleichen. Vielmehr müssen wir uns fragen, wie sich die Zielgröße ohne die Maßnahme entwickelt hätte – und diese hypothetische Entwicklung dann mit der tatsächlichen Entwicklung vergleichen.

  • 1 Zu sicheren Herkunftsstaaten „[...] können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.“ (§ 16a Abs. 3 GG)
  • 2 Darüber hinaus lehnen manche das Prinzip der sicheren Herkunftsstaaten auch ganz generell ab, da dieses die individuelle Einzelfallprüfung untergrabe und damit das Asylrecht aushöhle. Unser Beitrag lässt diesen weiteren Kritikpunkt ausdrücklich unbeachtet. Vgl. Pro Asyl: Einstufung von Serbien, Mazedonien, Bosnien und Herzegowina als „sichere Herkunftsländer“? Stellungnahme zum „Entwurf eines Gesetzes zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten und zur Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und geduldete Ausländer“, 2014, http://www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/o_Rechtspolitik/PRO_ASYL_Stellungnahmen_
    Gesetzentwurf_Sichere_Herkunftslaender_zweite_Fassung_4_4_2014.pdf (5.10.2015).,
  • 3 Siehe z.B. J. Gaugele, D. F. Sturm: Grüne kritisieren Scholz-Vorstoß zu Balkanstaaten, in: Die Welt, online vom 10.7.2015, http://www.welt.de/politik/deutschland/article143840009/Gruene-kritisieren-Scholz-Vorstoss-zu-Balkanstaaten.html (5.10.2015); oder B. Stuff: Es riecht nach Willkür, in: Der Spiegel, H. 35 vom 22.8.2015, S. 32.
  • 4 Vgl. M. Vogler, R. Rotte: The Effects of Development on Migration: Theoretical Issues and New Empirical Evidence, in: Journal of Population Economics, 13. Jg. (2000), H. 3, S. 485-508.
  • 5 Vgl. T. J. Hatton: The Rise and Fall of Asylum: What Happened and Why?, in: The Economic Journal, 119. Jg. (2009), H. 535, S. 183-213. Hatton kommt allerdings auch zu dem Schluss, dass die Asylpolitik eines Aufnahmelandes einen deutlich geringeren Einfluss auf die Asylbewerberzahlen hat als das Ausmaß von Gewalt und Terror in den Herkunftsländern.
  • 6 Die Ursachen für diesen Anstieg sind bislang nicht zweifelsfrei bekannt. Im Kosovo sollen Gerüchte über eine großzügige Erteilung von Aufenthalts- und Arbeitserlaubnissen in Deutschland die Menschen dazu bewegt haben, nach Deutschland zu kommen. Vermutlich wurden diese Gerüchte gezielt von Schleppern gestreut. Vgl. M. Martens: Gerüchte über Deutschland locken die Kosovaren, in: FAZ, online vom 19.2.2015, http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/der-kosovarische-aussenminister-hashim-thaci-im-gespraech-13436318.html (29.10.2015); oder S. Koelbl, K. Kuntz, W. Mayr: Bloß weg, in: Der Spiegel, H. 35 vom 22.8.2015, S. 82-86.
  • 7 Vgl. z.B. F. Kugler, G. Schwerdt, L. Wößmann: Ökonometrische Methoden zur Evaluierung kausaler Effekte der Wirtschaftspolitik, in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 15. Jg. (2014), H. 2, S. 105-132.
  • 8 Die Daten zu den Asylerstanträgen stammen von Eurostat. Bevölkerungsdaten sind aus den World Development Indicators der Weltbank entnommen. Da noch keine Bevölkerungsdaten für 2015 vorliegen, haben wir diese geschätzt, indem wir den Wachstumstrend von 2014 auf 2015 fortgeschrieben haben.
  • 9 Ohne die sechs Länder des Westbalkans liegt die durchschnittliche Schutzquote sogar bei 51,8%
  • 10 Daten zur Bearbeitungsdauer von Asylanträgen aus Montenegro sind nur für das zweite Quartal 2015 verfügbar. Daher ist Montenegro nicht Teil der Analyse.

Title:Safe Countries of Origin: Effects on the Number of Asylum Applications

Abstract:This article analyses the effect of declaring states to be safe countries of origin on the number and processing time of asylum applications. We use a differences-in-differences approach to compare the number of asylum applications made from Bosnia-Herzegovina, Macedonia and Serbia, which were all declared safe countries in 2014, with the applications received from the neighbouring states of Albania, Kosovo and Montenegro, which are not yet designated safe countries. The comparison indicates that the declaration has substantially reduced the number of asylum applications from Bosnia-Herzegovina, Macedonia and Serbia, but not their processing time.


DOI: 10.1007/s10273-015-1898-4