Im Jahr 2015 sind so viele Personen wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik aus dem Ausland nach Deutschland gekommen. So erreichte die Nettozuwanderung von ausländischen Staatsangehörigen ein Volumen von 1,04 Mio.,1 was über 1% der deutschen Bevölkerung entspricht. Dabei ist ein bedeutender Teil dieser Zuwanderung auf den starken Zuzug von Flüchtlingen aus Kriegs- und Krisengebieten zurückzuführen. Mit 354 653 entfiel rund ein Drittel der Nettozuwanderung auf die Länder Syrien, Irak und Afghanistan.2 Gleichzeitig haben allerdings auch andere Zuwanderungsformen an Bedeutung gewonnen. So erreichte auch die Nettozuwanderung aus den anderen EU-Ländern mit 355 123 einen bisherigen Höchstwert.
Diese starke Zuwanderung trifft auf hohe Fachkräftebedarfe in Deutschland. So reichen die Zahlen der inländischen Bewerber in einigen Bereichen schon rein rechnerisch nicht aus, um alle offenen Stellen zu besetzen. Dies trifft insbesondere auf viele naturwissenschaftliche und technische Berufe auf akademischem Niveau zu, sowie gewerblich-technische Ausbildungsberufe, wie Industriemechaniker und Elektriker. Auch der Gesundheits- und Pflegebereich ist betroffen.3
Allerdings stellt sich die Ausgangslage auf dem Arbeitsmarkt regional sehr unterschiedlich dar. Während die Arbeitslosenquoten im März 2016 in Baden-Württemberg und Bayern bei jeweils 3,9% lagen, waren sie in Mecklenburg-Vorpommern mit 11,0% und Bremen mit 10,9% rund dreimal so hoch.4 Wird die Arbeitsnachfrageseite in den Blick genommen, lässt sich anhand der offenen Stellen in Deutschland eine räumliche Dreiteilung ausmachen,5 die sich auch bei Zusammenfassung beider Indikatoren findet. Mit einer geringen Zahl an Arbeitslosen je gemeldeter offener Stelle besteht im Süden ein nahezu flächendeckend großer Arbeitskräftebedarf, zu dessen Deckung nicht genügend einheimische Bewerber zur Verfügung stehen. Hier bieten sich Zuwanderern besonders gute Arbeitsmarktperspektiven. Im Osten und in der Metropolregion Rhein-Ruhr existieren hingegen derzeit noch sehr große ungenutzte inländische Arbeitskräftepotenziale, sodass die Chancen für Zuwanderer am Arbeitsmarkt deutlich schlechter sind. Dennoch bestehen zum Teil auch in diesen Regionen in einzelnen Arbeitsmarktsegmenten Fachkräfteengpässe, beispielsweise bei den Medizinern. Zudem sind die ländlicheren Gebiete in Ostdeutschland besonders stark vom demografischen Wandel betroffen, sodass sich mittelfristig auch hier ein größerer Bedarf an Arbeitskräften aus dem Ausland ergeben wird. Das restliche Nord- und Westdeutschland nimmt mit Blick auf die Perspektiven am Arbeitsmarkt eine mittlere Position ein.
Die Lage am Arbeitsmarkt sollte in der Regel großen Einfluss auf die Zielortwahl von Zuwanderern haben, da diese ihre Wanderungsentscheidungen teilweise auch aus wirtschaftlichen Erwägungen treffen. Welches Einkommen Zuwanderer in einer Region erzielen können, hängt maßgeblich vom Lohnniveau und der Wahrscheinlichkeit, eine Arbeit zu finden bzw. arbeitslos zu werden, ab.6 In diesem Kontext spielt auch die soziale Sicherung eine wichtige Rolle, da sich die Ausgangslage etwas anders darstellt, wenn Zuwanderer im Falle einer Erwerbslosigkeit Sozialleistungen beziehen können. Denn in diesem Falle sind die Zuwanderer weniger stark darauf angewiesen, zügig eine Arbeit zu finden, da ihr Einkommen ohnehin gesichert ist.
Neben den Einkommensperspektiven haben viele weitere Faktoren, sowohl im Heimatland bzw. Ausgangsort (Push-Faktoren) als auch am Zielort (Pull-Faktoren) Einfluss auf die Wanderungsentscheidung. So hängt die Attraktivität einer Region als Zielort auch von den Freizeitgestaltungsmöglichkeiten und damit unter anderem auch von den kulturellen Angeboten ab, wobei sich die Bedürfnisse je nach Zuwanderergruppe allerdings deutlich unterscheiden. So gestalten etwa Studierende ihre Freizeit in der Regel deutlich anders als Erwerbstätige mit Kindern. In diesem Kontext sind auch die Offenheit der Zielregion gegenüber Zuwanderern, ihr Image allgemein sowie die klimatischen und landschaftlichen Gegebenheiten als weitere Faktoren zu nennen.
Einen besonderen Stellenwert haben Migrantennetzwerke und insbesondere Personen aus derselben Familie oder dem Herkunftsort. Leben bereits viele dieser Personen an einem Zielort, erhöht das die Zuzugswahrscheinlichkeit deutlich.7 Ursächlich hierfür sind vor allem drei Faktoren. So machen Migrantennetzwerke den Zielort bei Zuwanderungsinteressierten bekannt und versorgen diese mit Informationen, die ihnen die Wanderung erleichtern. Zudem ist das Knüpfen sozialer Kontakte und der Aufbau eines Freundeskreises nach der Ankunft deutlich leichter, wenn schon auf ein bestehendes Netzwerk zurückgegriffen werden kann. Auch bieten starke Migranten-Communities den Zuwandernden eine entsprechende migrantische Infrastruktur, angefangen von religiösen Einrichtungen über Kulturvereine bis hin zu speziellen Supermärkten und Restaurants. Besonders wichtig ist dies für Zuwanderer, die die Sprache des Ziellandes nur schlecht oder gar nicht sprechen, da sie innerhalb dieser Communities in der Heimatsprache kommunizieren können.
Insgesamt unterscheidet sich die Bedeutung der genannten Faktoren je nach Zuwanderergruppe deutlich. So spielt etwa die Lage am Arbeitsmarkt für ausländische Studierende nur eine untergeordnete Rolle, da sie ohnehin nicht erwerbstätig werden wollen. In diesem Kontext lässt sich mit Blick auf die fünf wichtigsten Zuwanderungsarten Folgendes zusammenfassen:
- Mobilität innerhalb der Europäischen Union: Für EU-Bürger und diesen Gleichgestellten, das sind Isländer, Liechtensteiner, Norweger und Schweizer, gilt die Arbeitnehmer- und Personenfreizügigkeit. Das bedeutet, dass sie sich, ohne dass weitere Schritte notwendig wären, in Deutschland niederlassen und hier eine Erwerbstätigkeit aufnehmen können. Die einzige Einschränkung betrifft den Bezug von Sozialleistungen. So ist eine Zuwanderung nicht erwerbstätiger Personen, die nicht über genügend finanzielle Mittel zur Sicherung ihres Lebensunterhalts verfügen, nach § 4 FreizügG nicht zulässig. Personen, die aus den anderen EU-Ländern nach Deutschland kommen, lassen sich derzeit sehr häufig in Süddeutschland nieder, wo ein besonders großer Bedarf an ausländischen Fachkräften besteht. Wie Tabelle 1 zeigt, liegen die Anteile Bayerns, Baden-Württembergs und Hessens an den neuzugewanderten EU-Bürgern deutlich höher als an der Gesamtbevölkerung. Dabei ist anzumerken, dass die angegebenen Werte in ihrer Höhe, nicht aber in ihrer Struktur leicht verzerrt sein können, da für Berlin keine konsistenten Angaben vorliegen und aus Plausibilitätsüberlegungen eine Setzung auf 10% vorgenommen wurde.
Tabelle 1
Verteilung verschiedener Zuwanderergruppen nach Bundesländern, 2014in %
GesamtbevölkerungNeuzuwanderer aus den anderen EU-Länderna Drittstaatenangehörige mit befristeten
Aufenthaltstiteln nach KategorieAusbildung Erwerbs
tätigkeitHumanitäre Gründe Familien-
nachzugNordrhein-Westfalen 21,7 19,2 20,7 18,9 29,0 26,2 Bayern 15,6 20,8 12,1 19,0 9,2 13,9 Baden-Württemberg 13,2 16,8 15,2 14,6 8,8 14,4 Niedersachsen 9,6 7,5 6,6 5,4 11,0 7,4 Hessen 7,5 10,2 8,0 11,8 8,7 10,4 Sachsen 5,0 1,5 5,1 2,2 2,1 2,0 Rheinland-Pfalz 4,9 4,6 3,1 3,1 3,9 4,1 Berlin 4,3 10,0b 12,4 11,9 9,3 9,4 Schleswig-Holstein 3,5 1,9 1,8 1,6 3,0 2,3 Brandenburg 3,0 1,0 1,3 0,8 1,2 0,9 Sachsen-Anhalt 2,8 0,8 2,9 0,8 1,7 1,0 Thüringen 2,7 1,0 2,2 0,8 1,4 0,8 Hamburg 2,2 1,9 4,8 6,5 5,9 4,1 Mecklenburg-Vorpommern 2,0 0,8 0,9 0,6 1,2 0,6 Saarland 1,2 1,1 1,2 0,7 1,7 0,9 Bremen 0,8 1,2 1,9 1,0 1,9 1,5 a Personen mit einer Aufenthaltsdauer unter vier Jahren. b Da für Berlin keine konsistenten Werte vorliegen, wurde der entsprechende Anteil anhand von Plausibilitätsüberlegungen auf 10% gesetzt.
Quelle: Statistisches Bundesamt, 2016, GENESIS-Online Datenbank, https://www-genesis.destatis.de/genesis/online.
- Bildungsmigration (aus Drittstaaten): Die Bildungsmigration nach Deutschland wird zum größten Teil von ausländischen Studierenden getragen. Ihre Zielortwahl richtet sich vor allem danach, wo entsprechende Hochschulen angesiedelt sind. Da dies vorwiegend in den größeren Städten der Fall ist, konzentriert sich auch die Bildungszuwanderung auf diese.
- Erwerbsmigration (aus Drittstaaten): Die Erwerbsmigration aus Drittstaaten ist von wenigen Ausnahmen abgesehen nur für gut ausgebildete Fachkräfte möglich. Zudem muss bei der Einreise grundsätzlich schon ein Arbeitsvertrag vorliegen, sodass sich die Zielortwahl der Erwerbsmigranten zwangsweise an den Bedarfen des deutschen Arbeitsmarkts orientiert. Wie die Neuzuwanderer aus der EU, konzentrieren sich auch die Erwerbsmigranten aus Drittstaaten sehr stark auf die süddeutschen Bundesländer. Die Anteile der ostdeutschen Flächenländer sind hingegen nur gering.
- Humanitäre Zuwanderung: Für die regionale Verteilung der im Kontext der humanitären Zuwanderung nach Deutschland gekommenen Flüchtlinge sind zwei Stufen im Verfahren relevant. Zunächst werden sie nach ihrer Ankunft in Deutschland von Amts wegen nach dem Königsteiner Schlüssel, der sich zu zwei Dritteln an den Steuereinnahmen und zu einem Drittel an der Bevölkerungszahl orientiert, auf die Bundesländer verteilt und haben selbst in der Regel kein Mitspracherecht. Wird ihr Asylverfahren positiv beschieden und erhalten sie entsprechend einen Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen, können sie ihren Wohnort frei wählen. Anders als Erwerbs- und Bildungsmigranten, die ihren Lebensunterhalt nach § 5 Abs. 1 AufenthG grundsätzlich selbst sichern müssen, haben anerkannte Flüchtlinge bei Bedarf Anspruch auf Sozialleistungen, sodass die Verfügbarkeit einer passenden Stelle nicht Grundvoraussetzung für die Wahl eines Zielortes ist. Hingegen spielen für sie Migrantennetzwerke eine bedeutende Rolle, da sie häufig nur über geringe Sprachkenntnisse verfügen. Bei Betrachtung der regionalen Verteilung der anerkannten Flüchtlinge wird dies deutlich. So lassen sich anerkannte Flüchtlinge häufig in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen und hier insbesondere in stark migrantisch geprägten Regionen, wie dem Ruhrgebiet, nieder.8 Anders als bei den EU-Zuwanderern und Erwerbsmigranten spiegelt die regionale Verteilung der anerkannten Flüchtlinge damit nicht ihre Perspektiven am Arbeitsmarkt wider.
- Familiennachzug aus Drittstaaten: Deutsche mit und ohne Migrationshintergrund, aber auch Erwerbsmigranten und anerkannte Flüchtlinge können enge Familienangehörige im Kontext des Familiennachzugs nach Deutschland holen. Wo sich die betreffenden Personen in Deutschland ansiedeln, hängt im Wesentlichen davon ab, wo ihre nachholenden Familienangehörigen bereits leben, sodass der Familiennachzug mit Blick auf die Zielortwahl eine Sonderstellung einnimmt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Erwerbs- und EU-Migration vor allem den Regionen in Deutschland zugutekommt, in denen besonders große Fachkräftebedarfe bestehen, und damit einen substanziellen Beitrag zur Fachkräftesicherung in den betreffenden Regionen leistet. Hingegen richtet sich die Zielortwahl anerkannter Flüchtlinge mehr danach, wo entsprechende Migrantennetzwerke bestehen. Damit kann es vor dem Hintergrund der aktuell sehr großen Zahl an Flüchtlingen zu einer Überforderung der betreffenden Kommunen mit ihrer Integration kommen, sodass die geplante Wohnsitzauflage für anerkannte Flüchtlinge, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, sehr sinnvoll ist.
- 1 Statistisches Bundesamt: Ausländische Bevölkerung – Ergebnisse des Ausländerzentralregisters 2015, Fachserie 1 Reihe 2, Wiesbaden 2016.
- 2 Ebenda.
- 3 S. Bußmann: Fachkräfteengpässe in Unternehmen: Der Ausbildungsmarkt für Engpassberufe, Gutachten für das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Studie 3/2015, Köln 2015.
- 4 Bundesagentur für Arbeit: Arbeitslosigkeit und Grundsicherung für Arbeitslose – Deutschland – März 2016, Nürnberg 2016.
- 5 Vgl. W. Geis, A. K. Orth: Regionale Fachkräftesicherung durch Zuwanderung, IW-Report, Nr. 9/2016, Köln 2016.
- 6 Vgl. J. R. Harris, M. P. Todaro: Migration, Unemployment and Development: A Two Sector Analysis, in: American Economic Review, 60. Jg. (1969), Nr. 1, S. 126-142.
- 7 Vgl. K. Munshi: Networks in the Modern Economy: Mexican Migrants in the U.S. Labor Market, in: Quarterly Journal of Economics, 118. Jg. (2003), Nr. 2, S. 549-599.
- 8 Vgl. W. Geis, A. K. Orth: Flüchtlinge regional besser verteilen – Ausgangslage und Ansatzpunkte für einen neuen Verteilungsmechanismus, Gutachten für die Robert Bosch Stiftung, Köln 2016.