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In ihrem Frühjahrsgutachten prognostizieren die an der Gemeinschaftsdiagnose teilnehmenden Wirtschaftsforschungsinstitute einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 2,1% im Jahr 2015 und um 1,8% im Jahr 2016 (vgl. Tabelle 1). Die Institute korrigieren damit ihre Prognose vom Herbst 2014 erheblich nach oben; vor einem halben Jahr war für 2015 noch eine Veränderungsrate von 1,2% erwartet worden. Ein großer Teil der Revision geht auf eine seit dem Herbst unerwartet deutliche Verbesserung der Rahmenbedingungen für die deutsche Konjunktur zurück. Vor allem der massive Rückgang des Ölpreises stimuliert die deutsche Wirtschaft, aber auch die deutliche Abwertung des Euro, die mit der Ausweitung der Anleiheankaufprogramme der Europäischen Zentralbank einherging.

Private Konsumnachfrage stützt Aufschwung

Wichtigste Stütze des Aufschwungs ist nach Einschätzung der Institute in diesem Umfeld die private Konsumnachfrage. Sie profitiert vom Ölpreisverfall, der die Kaufkraft der Verbraucher stärkt, die ohnehin von steigenden Löhnen infolge der guten Arbeitsmarktlage angeregt wird. Darüber hinaus entwickeln sich die Exporte recht kräftig; sie werden bis in das kommende Jahr hinein von der deutlich gestiegenen Wettbewerbsfähigkeit stimuliert. Die Institute schätzen, dass der Wechselkurseffekt für sich genommen knapp 1 Prozentpunkt zum Exportzuwachs in diesem und einen ½ Prozentpunkt im nächsten Jahr beiträgt. Aber auch von der konjunkturellen Belebung im Euroraum gehen leicht positive Impulse auf den Export aus. Allerdings werden im Zuge der robusten Binnennachfrage die Importe ebenfalls kräftig zulegen, so dass der Außenhandel per Saldo nur wenig zum Anstieg des BIP beiträgt. Vor allem wegen der gesunkenen Importpreise steigt der Leistungsbilanzüberschuss dennoch deutlich; weiterhin fließt also viel Kapital ins Ausland ab. Allerdings dürften die Unternehmensinvestitionen im Inland nach und nach anziehen. Angesichts der kräftigen Nachfrage der privaten Haushalte, aber auch der robusten Exporte, werden Industrie und Dienstleister ihre Investitionen allmählich ausweiten, zumal die Unternehmensgewinne durch den Ölpreisverfall steigen und die Finanzierungsbedingungen günstig bleiben. Der Wohnungsbau bleibt, gestützt durch die günstige Einkommensentwicklung und geringe Renditen alternativer Vermögensanlagen, aufwärts gerichtet.

Tabelle 1
Eckdaten der Prognose für Deutschland
2011 2012 2013 2014 2015 2016
Reales BIP (Veränderung zum Vorjahr in %) 3,6 0,4 0,1 1,6 2,1 1,8
Erwerbstätige1 (1000 Personen) 41 570 42 033 42 281 42 652 43 007 43 242
Arbeitslose (1000 Personen) 2 976 2 897 2 950 2 898 2 723 2 568
Arbeitslosenquote2 (in %) 7,1 6,8 6,9 6,7 6,3 5,9
Verbraucherpreise3 (Veränderung zum Vorjahr in %) 2,1 2,0 1,5 0,9 0,5 1,3
Lohnstückkosten4 (Veränderung zum Vorjahr in %) 0,4 3,1 2,2 1,6 1,9 1,7
Finanzierungssaldo des Staates5
in Mrd. Euro -23,3 2,6 4,2 18,0 20,7 25,6
in % des nominalen BIP -0,9 0,1 0,1 0,6 0,7 0,8
Leistungsbilanzsaldo
in Mrd. Euro 164,6 187,3 182,0 219,7 256,0 266,0
in % des nominalen BIP 6,1 6,8 6,5 7,6 8,5 8,5

1Im Inland. 2Arbeitslose in % der zivilen Erwerbspersonen (Definition gemäß der Bundesagentur für Arbeit). 3Verbraucherpreisindex (2010 = 100). 4Im Inland entstandene Arbeitnehmerentgelte je Arbeitnehmerstunde bezogen auf das reale Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigenstunde. 5In der Abgrenzung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen.

Quellen: Statistisches Bundesamt; Bundesagentur für Arbeit; Deutsche Bundesbank; 2015 und 2016: Prognose der Institute.

Der kräftige Aufschwung sorgt für eine weitere Verbesserung der Beschäftigungsperspektiven. Im sozialversicherungspflichtigen Bereich wird die merkliche Ausweitung der Produktion für eine kräftige Beschäftigungsdynamik sorgen. Bei der geringfügigen Beschäftigung hingegen hat die Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns bereits zu deutlichen Rückgängen geführt. Diese dürften sich zunächst fortsetzen, im weiteren Verlauf aber allmählich abebben. Die Arbeitslosigkeit sinkt weiter, obwohl das Erwerbspersonenpotenzial – vor allem migrationsbedingt – deutlich zunimmt; die Arbeitslosenquote geht auf 6,3% in diesem Jahr und 5,9% im kommenden Jahr zurück. Auch die Löhne legen spürbar zu; dank der guten Beschäftigungssituation bleibt der Anstieg der Tarifverdienste kräftig. In diesem Jahr macht sich außerdem die Einführung des Mindestlohns bemerkbar, die die Lohnsumme um ½% erhöhen dürfte. Besonders kräftig steigen die Reallöhne, da die Inflationsraten mit voraussichtlich 0,5% in diesem Jahr und 1,3% im kommenden Jahr niedrig sind. Dabei wirkt in diesem Jahr der Ölpreisrückgang stark dämpfend auf die Verbraucherpreisinflation; aber auch die Kerninflationsrate dürfte mit etwas über 1% niedrig bleiben.

Die öffentlichen Haushalte werden in diesem und im nächsten Jahr wohl mit deutlichen Überschüssen von jeweils über 20 Mrd. Euro abschließen. Der strukturelle, also um konjunkturelle Einflüsse bereinigte Überschuss dürfte sich bei annähernd geschlossener Produktionslücke in derselben Größenordnung bewegen. Die daraus resultierenden Gestaltungsspielräume sollten nach Ansicht der Institute eingesetzt werden, um die Wirtschaftspolitik wachstumsfreundlicher zu gestalten. Aufgrund der im internationalen Vergleich hohen Belastung des Faktors Arbeit sollte insbesondere eine Reform des Steuer- und Abgabensystems angestoßen werden; angesichts der zu erwartenden strukturellen Budgetüberschüsse ist der Zeitpunkt günstiger denn je. In Deutschland gehört der Abgabenkeil zwischen Arbeitskosten und Nettolöhnen, der durch die Beiträge zu den umlagefinanzierten sozialen Sicherungssystemen und durch die Lohnsteuer erzeugt wird, zu den höchsten unter den OECD-Ländern. Deshalb sollte vor allem der Einkommensteuertarif – insbesondere im Bereich kleiner und mittlerer Einkommen – leistungsfreundlicher gestaltet werden, um die Belastung des Faktors Arbeit zu reduzieren und so das Wachstums­potenzial in Deutschland zu steigern.

Angesichts der insgesamt robusten binnenwirtschaftlichen Entwicklung erwachsen Risiken für die Prognose in erster Linie aus dem außenwirtschaftlichen Umfeld. Die US-Notenbank wird in diesem Jahr beginnen, ihren Leitzins anzuheben. Sie dürfte dabei zwar sehr vorsichtig vorgehen. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass die realwirtschaftlichen Effekte in den USA, aber auch darüber hinaus, deutlich stärker ausfallen als bei vergangenen Zinserhöhungen; ein Anstieg der US-Renditen könnte insbesondere – wie in der zweiten Jahreshälfte 2013 – Kapitalabflüsse aus Schwellenländern auslösen und die Finanzmarktstabilität dort gefährden. Risiken für die Konjunktur ergeben sich auch aus der Wirtschaftslage in China, wo der Finanzsektor durch den deutlichen Rückgang der Immobilienpreise ernsthaft belastet wird. Eine regelrechte Finanzkrise würde die Realwirtschaft in China und angesichts der großen Bedeutung des Landes für den internationalen Handel wohl auch die internationale Konjunktur beeinträchtigen. Auch die sich erneut verschärfenden Finanzprobleme Griechenlands stellen ein erhebliches Risiko für die Konjunktur dar. Sollten sich die Verhandlungen über die Fortsetzung und den Abschluss des Reformprogramms weiter in die Länge ziehen, könnte die von den Finanzmärkten wahrgenommene Wahrscheinlichkeit eines Austritts steigen und das Vertrauen in den Bestand der Währungsunion sinken. Welche Konsequenzen ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euroraum hätte, ist kaum abschätzbar. Schließlich belasten die anhaltenden Konflikte zwischen Russland und der Ukraine sowie im arabischen Raum die Weltkonjunktur derzeit zwar nur in geringem Maße; es scheint aber jederzeit möglich, dass diese Konflikte erneut eskalieren und – etwa wegen steigender Ölpreise oder erhöhter Verunsicherung an den Finanzmärkten – zu einer schwächeren wirtschaftlichen Entwicklung beitragen.

Unterschiedliche Ursachen des Ölpreisrückgangs

Die Folgen des massiven Ölpreisfalls seit Sommer des vergangenen Jahres sind von den Instituten ausführlich analysiert worden. Der Preis für ein Barrel der Sorte Brent ist seit Mitte 2014 von 110 US-$ auf unter 50 US-$ im Januar 2015 gesunken. Zwar erholte er sich seitdem leicht, er befindet sich jedoch immer noch weit unter dem Niveau der Vorjahre. Für die konjunkturelle Entwicklung nach einem Ölpreisrückgang ist entscheidend, inwieweit der gesunkene Rohölpreis auf eine sich abschwächende weltweite Konjunktur oder auf ölmarktspezifische Faktoren zurückzuführen ist. Im ersten Fall gehen die niedrigeren Ölkosten mit einer schwächeren weltweiten Güternachfrage einher, während im zweiten Fall ein Preisrückgang, z.B. aufgrund eines steigenden Ölangebots, die Güternachfrage in den ölimportierenden Ländern stimuliert. Nach Einschätzung der Institute ging der Preisrückgang zu etwa zwei Dritteln auf ölmarktspezifische Schocks – darunter wohl insbesondere die steigende Förderung sogenannten nichtkonventionellen Öls („Schieferöl“) in den USA – und zu etwa einem Drittel auf die sich im Jahr 2014 abschwächende Weltkonjunktur zurück; die Institute zeigen dies im Rahmen eines strukturellen Vektorautoregressionsmodells à la Peersman und Van Robays1 sowie mit dem Eingleichungsmodell von Hamilton2. Seit Anfang 2014 hat die globale Ölförderung stets den Verbrauch übertroffen; dies hat zu einem Lageraufbau in beträchtlichem Umfang geführt (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1
Globale Förderung, Verbrauch und Lageraufbau von Rohöl
in Mio. Barrel/Tag
31008.png

Quelle: U.S. Energy Information Administration.

Merklicher Ölpreiseffekt auf deutsche Konjunktur

Da die Mehrzahl der ölexportierenden Länder stark von ihren Exporterlösen abhängig ist, können bereits kleine Ölpreisveränderungen deutliche Effekte auf deren realwirtschaftliche Entwicklung haben; so machten in den OPEC-Ländern die Energieexporte 2013 durchschnittlich 84% der Gesamtexporteinnahmen und 40% des BIP aus. Bei der Verwendung dieser Einnahmen, dem sogenannte Petro-Dollar-Recycling, haben Ölexporteure sowohl die Möglichkeit, ihre konsumtiven oder investiven Importe zu steigern als auch Kapital als Investitionen im Ausland anzulegen. Tatsächlich haben die hohen Einnahmen der ölexportierenden Länder von 2012 bis Mitte 2014 zu einem deutlichen Anstieg von deren Auslandsersparnis – in Form von Direkt- und Portfolioinvestitionen – geführt. Falls die Ölpreise dauerhaft niedrig bleiben sollten, dürfte die Bedeutung von Investoren aus ölexportierenden Ländern auf den internationalen Kapitalmärkten zurückgehen. Vor allem aber dürfte ein dauerhafter Rückgang der Ölpreise die Importnachfrage der Ölexporteure dämpfen. Bisher ist zwar in der deutschen Außenhandelsstatistik noch kein Rückgang der Ausfuhren in diese Länder zu erkennen. Hält die Phase niedriger Preise aber an, so sind durchaus gedämpftere Exporte in die ölexportierenden Länder zu erwarten. Diese werden allerdings für die meisten Sektoren von kräftigeren Ausfuhren in die wesentlich bedeutenderen Länder überkompensiert, deren Konjunktur von den niedrigen Ölpreisen stimuliert wird; dies zeigen Simulationen der Institute auf Grundlage eines Fehlerkorrekturmodells. Somit dürfte sich der zu erwartende negative Effekt auf Sektoren beschränken, für die der Handel mit diesen Ländern ein besonders hohes Gewicht hat (z.B. Flugzeugbau, Yachten und Boote), während in der Summe die Exportwirkungen des Ölpreisfalls positiv sein dürften.

Positive Impulse für die deutsche Konjunktur ergeben sich außerdem aus den Kaufkraftgewinnen, die mit dem Ölpreisrückgang verbunden sind. Im vergangenen Jahr betrugen allein die Ausgaben für importiertes Rohöl in Deutschland knapp 50 Mrd. Euro. Daneben war die deutsche Wirtschaft Nettoimporteur zubereiteter Ölerzeugnisse (Benzin, Heizöl) sowie von Erdgas, dessen Preis aufgrund von Substitutionsmöglichkeiten eng mit dem Rohölpreis verbunden ist. Insgesamt lagen die Nettoausgaben für im weiteren Sinne vom Rohölpreis abhängige Produkte bei rund 80 Mrd. Euro. In Relation zum nominalen BIP entsprach dies 2,8%. Die Annahmen der Gemeinschaftsdiagnose implizieren einen Rohölpreis von 53 Euro je Barrel für das Jahr 2015 und damit einen Rückgang von knapp 30% gegenüber 2014. Damit liegt die energiepreisbedingte Entlastung – bei unveränderter Importmenge – im Vorjahresvergleich bei 22 Mrd. Euro oder 0,8% in Relation zum BIP. Diese kommt zum einen den Unternehmen in Form höherer Gewinne zugute. Zum anderen profitieren die Verbraucher von den gesunkenen Kosten für die Energieversorgung. Allerdings übersetzen sich Preisrückgänge am Rohölmarkt typischerweise nicht unvermindert in eine vergleichbare prozentuale Preissenkung für Endkunden; in den vergangenen Jahren lag die Rohölpreiselastizität der Energiepreise für private Haushalte bei etwa 0,3. Davon ausgehend dürften die Energiepreise in diesem Jahr um knapp 10% zurückgehen und die privaten Haushalte um etwa 8 Mrd. Euro entlasten, was in erheblichem Maße konsumsteigernd wirken dürfte.

Ein stärkerer als in der Gemeinschaftsdiagnose unterstellter Anstieg der Ölpreise im Prognosezeitraum hätte umgekehrt eine merklich dämpfende Wirkung auf die Konjunktur. Dies zeigen Simulationsergebnisse der Institute auf Grundlage unterschiedlicher gesamtwirtschaftlicher Modelle. Wird davon ausgegangen, dass der Ölpreis bis zum Ende des kommenden Jahres linear auf 100 US-$ ansteigt, so würde das BIP 2016 um 0,2 bis 0,7 Prozentpunkte weniger steigen als unter der Basisannahme realer Konstanz der Ölpreise. Die Inflationsrate läge im kommenden Jahr um 0,4 bis 1,1 Prozentpunkte über ihrem Wert im Basisszenario.

  • 1 G. Peersman, I. Van Robays: Oil and the euro area economy, in: Economic Policy, (2009) 24, S. 603-651.
  • 2 J. D. Hamilton: Demand factors in the collapse of oil prices, in: Econbrowser, 11.1.2015, http://econbrowser.com/archives/2015/01/demand-factors-in-the-collapse-of-oil-prices.

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DOI: 10.1007/s10273-015-1833-8

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