Die Weltwirtschaft wächst derzeit langsamer als vor der Pandemie, wobei sich die Unterschiede zwischen den Regionen verringern. Während die konjunkturelle Dynamik in den USA nachgibt, wird die Wirtschaft in China durch strukturelle Probleme gebremst. Europa zeigt nach einer Stagnationsphase erste Anzeichen einer Erholung. Der Dienstleistungssektor treibt die weltwirtschaftliche Expansion an, und auch die Industrieproduktion, insbesondere in Schwellenländern, erholt sich teilweise. Dies zeigt sich im gestiegenen Warenhandel im ersten Halbjahr 2024, doch seit Sommer 2024 lässt die Dynamik wieder nach.
In den USA erwies sich die wirtschaftliche Dynamik im ersten Halbjahr als robust, getrieben vom privaten und staatlichen Konsum und auch von staatlich geförderten Unternehmensinvestitionen. Jedoch zeigt sich nun allmählich eine Verlangsamung. So weist der Arbeitsmarkt erste Schwächen auf, auch die Bauinvestitionen sind zurückgegangen. Im Euroraum und in Großbritannien zog die Wirtschaftsleistung nach anderthalb Jahren der Stagnation im ersten Halbjahr 2024 leicht an. Fortgesetzt kräftige Reallohnzuwächse und steigende Beschäftigung deuten in Europa auf eine Belebung des privaten Konsums hin. Davon profitieren in erster Linie die Dienstleistungen, während die Entwicklung im Verarbeitenden Gewerbe bislang schwach geblieben ist. Die Konjunktur ist tendenziell in Staaten mit hohem Industrieanteil schwächer als in Volkswirtschaften mit hohem Dienstleistungsanteil. In China belastet die Immobilienkrise weiter die Wirtschaft und strahlt auf den privaten Konsum aus.
Die Preise für Industrierohstoffe stiegen im Frühjahr 2024 deutlich, gaben zuletzt aber nach und waren im August nur noch wenig höher als ein Jahr zuvor. Wetterextreme erhöhen das Risiko für steigende Nahrungsmittelpreise. Öl- und Gaspreise sind aufgrund geopolitischer Unsicherheiten volatil. Auch die Seefrachtkosten sind deutlich gestiegen, auch durch längere Routen infolge von Terrorangriffen. Die Inflation zeigt sich zäher als noch vor einigen Monaten angenommen. In den USA sank die Inflation bis August nur auf 2,9 %. Insbesondere die Kerninflation (ohne Energie und Nahrungsmittel) bleibt hoch und sinkt nur allmählich. Besonders im Euroraum stagnierte sie in den vergangenen Monaten. Die Preise für Dienstleistungen steigen weiterhin stark, da Bereiche wie Mieten mit Verzögerung auf den Preisanstieg reagieren. Angesichts rückläufiger Inflationsraten haben inzwischen die meisten Zentralbanken die Zinswende eingeleitet, und der Restriktionsgrad der Geldpolitik dürfte nun auch in den großen Volkswirtschaften langsam abnehmen. Zudem ist zu erwarten, dass die Finanzpolitik in den meisten Volkswirtschaften leicht restriktiv ausgerichtet ist. Während der Wegfall von Unterstützungsmaßnahmen restriktiv wirkt, dürften langfristige Investitionsprogramme in den USA und Europa die Expansion stützen. Das trotz der eingeleiteten Zinswende noch immer hohe Zinsniveau dürfte allerdings den Konsolidierungsdruck der öffentlichen Haushalte erhöhen.
Die Weltwirtschaft wird im Prognosezeitraum, der die Jahre 2024 bis 2026 umfasst, wohl nur moderat expandieren, gestützt vor allem vom Dienstleistungssektor und vom Konsum. Rezessive Tendenzen in den USA werden sich aber wohl nicht verfestigen. Die Investitionen bleiben aufwärtsgerichtet und sollten nach und nach von weiteren Zinssenkungen angeregt werden. Die Expansion der Produktion dürfte in der EU sowie in Großbritannien etwas kräftiger ausfallen, während das Tempo in den USA und in China abnehmen dürfte. Kräftig bleiben wird die Expansion in den asiatischen Industrieländern und vor allem in Indien. Die Inflation wird über den Prognosezeitraum wohl weiter zurückgehen. Hierzu tragen die Energiepreise vor allem in den kommenden Monaten wieder stärker bei, während die Kernrate nur langsam sinkt.
Deutsche Konjunktur
Die deutsche Wirtschaft tritt seit über zwei Jahren auf der Stelle. Die Wirtschaftsleistung legte zu Jahresbeginn zwar etwas zu, schrumpfte im zweiten Quartal allerdings wieder. In den kommenden Quartalen dürfte eine langsame Erholung einsetzen. Aber an den Trend von vor der COVID-19-Pandemie wird das Wirtschaftswachstum auf absehbare Zeit nicht mehr anknüpfen können. Die Dekarbonisierung, die Digitalisierung, der demografische Wandel und wohl auch der stärkere Wettbewerb mit Unternehmen aus China haben strukturelle Anpassungsprozesse in Deutschland ausgelöst, die die langfristigen Wachstumsaussichten für die deutsche Wirtschaft trüben. Seit der Pandemie wurde das Produktionspotenzial wiederholt nach unten revidiert. Der Strukturwandel und die konjunkturelle Flaute belasten besonders das Verarbeitende Gewerbe. Die Wettbewerbsfähigkeit der Investitionsgüterhersteller und der energieintensiven Industriezweige leidet unter den gestiegenen Energiekosten und der zunehmenden Konkurrenz durch hochwertige Industriegüter aus China, die deutsche Exporte auf den Weltmärkten verdrängen.
Die Auswirkungen der strukturellen Anpassungsprozesse sind schwer abzuschätzen, und Indikatoren deuten darauf hin, dass das Verarbeitende Gewerbe vermehrt begleitende Dienstleistungen erbringt, die den Rückgang aus der Industrieproduktion bislang kompensieren. Konjunkturell leidet das Verarbeitende Gewerbe aber auch unter der schwachen globalen Industriekonjunktur und dem damit verbundenen Mangel an neuen Aufträgen. Abgemildert wird die deutliche Unterauslastung im Verarbeitenden Gewerbe durch die teilweise kräftig gestiegene Bruttowertschöpfung in den – insbesondere staatlich geprägten – Dienstleistungsbereichen. Symptomatisch für die Probleme im Verarbeitenden Gewerbe ist die anhaltende Investitionsschwäche für Ausrüstungsgüter. Zudem hat der deutsche Außenhandel zuletzt kaum von der Belebung des Welthandels profitiert. Vor allem die deutschen Ausfuhren von Investitionsgütern entwickelten sich schwach. Konjunkturell dürften in Deutschland vor allem das noch hohe Zinsniveau und die hohe wirtschafts- und geopolitische Unsicherheit die Investitionstätigkeiten der Unternehmen und die Anschaffungsneigung der privaten Haushalte belastet haben. Der private Konsum konnte die Wirtschaft im ersten Halbjahr zwar stützen, die erhoffte Belebung blieb aber trotz kräftig gestiegener real verfügbarer Einkommen aus. Die privaten Haushalte sparten ihre Einkommen vermehrt, statt sie für Konsumgüter auszugeben. So hat sich die Sparquote vier Quartale hintereinander erhöht und verharrt über ihrem langfristigen Niveau. Dies dürfte insbesondere durch die zunehmende Verunsicherung über wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen und vermehrt auch durch Sorgen um den eigenen Arbeitsplatz begründet sein.
Mit einer schwungvollen Erholung ist im Prognosezeitraum nicht zu rechnen. Die strukturellen Anpassungsprozesse werden andauern und die konjunkturellen Hemmnisse dürften sich nur allmählich auflösen. Insgesamt deuten die Frühindikatoren für das dritte Quartal darauf hin, dass die Wirtschaftsleistung noch einmal leicht sinkt. Ab dem Jahresende dürfte eine wenig dynamische Erholung einsetzen. Getragen wird sie vom anziehenden privaten Verbrauch, der von kräftigen Zuwächsen der real verfügbaren Einkommen angeregt wird. Der deutsche Außenhandel dürfte sich wieder etwas beleben, gestützt von der Konjunktur in wichtigen Absatzmärkten, wie den europäischen Nachbarländern. Zusammen mit den sich verbessernden Finanzierungsbedingungen wird dies auch den Anlageinvestitionen zugutekommen. Davon dürfte auch die Wertschöpfung im Verarbeitenden Gewerbe profitieren und zum Ende des Jahres 2026 wohl wieder das vorpandemische Niveau erreichen.
Die Finanzpolitik ist im laufenden und kommenden Jahr leicht restriktiv ausgerichtet. Von der „Wachstumsinitiative“ der Bundesregierung dürfte im Prognosezeitraum nur ein geringer Impuls ausgehen. In dieser Prognose sind diejenigen der 49 Maßnahmen berücksichtigt, die bereits konkretisiert sind, wie beispielsweise die Korrektur der kalten Progression oder die Erweiterung der Regelungen zur degressiven Abschreibung. Die verbleibenden Maßnahmen enthalten wichtige Vorschläge zur Stärkung des Arbeitsangebots und zur Verbesserung der unternehmerischen Rahmenbedingungen – sie sind aber teilweise noch zu konkretisieren bzw. werden wohl nur mit größerer Verzögerung beschlossen und implementiert werden.
Alles in allem dürfte das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2024 um 0,1 % sinken und dann in den kommenden beiden Jahren um 0,8 % bzw. 1,3 % zunehmen. Damit revidieren die Institute ihre Prognose vom Frühjahr 2024 leicht nach unten, vor allem, weil sich die Erholung in der Industrie nun schwächer darstellt. Das Potenzialwachstum verringert sich aufgrund des abnehmenden Produktivitätswachstums und wegen der schrumpfenden Erwerbsbevölkerung und beträgt im Jahr 2029 nur noch 0,4 %. Im laufenden Jahr nimmt die Unterauslastung noch einmal zu, in den beiden kommenden Jahren wird sich die Produktionslücke allmählich schließen.
Die wirtschaftliche Schwächephase schlägt sich auch in der Arbeitslosenzahl nieder, die zuletzt weiter stieg, und zwar besonders durch Stellenabbau im Verarbeitenden Gewerbe. Insgesamt ist der Arbeitsmarkt allerdings weiterhin robust. Die Beschäftigung nimmt immer noch zu, wenn auch mit geringeren Raten und hauptsächlich im Bereich der öffentlichen und sonstigen Dienstleistungen. Im Rahmen der schleppenden Erholung erwarten die Institute, dass die Arbeitslosenquote im laufenden und im kommenden Jahr bei 6 % liegen wird, bevor sie im Jahr 2026 auf 5,7 % zurückgeht. Die Beschäftigung dürfte im Prognoseverlauf leicht steigen. Die wieder niedrigere Inflation stützt die Kaufkraft der privaten Haushalte. Die Institute erwarten, dass die Inflation im laufenden Jahr mit 2,2 % und 2,0 % in den Jahren 2025 und 2026 wieder in der Nähe der EZB-Zielmarke liegen wird und wohl hauptsächlich von der Teuerung im Dienstleistungsbereich getragen werden wird.
Ein konjunkturelles Risiko stellt ein weiterer deutlicher Anstieg der politischen Unsicherheit dar. Es bleibt die Sorge über eine mögliche Handlungsunfähigkeit der Regierungskoalition, in der die sie tragenden Parteien unterschiedliche Zielsetzungen verfolgen. Dies könnte die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen noch unklarer gestalten, was vor allem die Investitionstätigkeit stärker belasten könnte als in der Prognose angenommen. Zudem gibt es erhebliche Unsicherheit darüber, in welchem Umfang die strukturellen Anpassungsprozesse das gesamtwirtschaftliche Produktionspotenzial belasten. Insbesondere kann die Schwäche des Verarbeitenden Gewerbes am aktuellen Rand nicht eindeutig konjunkturellen oder strukturellen Faktoren zugeordnet werden.
Wie die Wirtschaftspolitik der Wachstumsschwäche begegnen könnte
Die deutsche Wirtschaft hat seit Ausbruch der COVID-19-Pandemie zu Beginn des Jahres 2020 nicht mehr zu ihrer vorherigen Leistungsfähigkeit zurückgefunden. Das Bruttoinlandsprodukt lag im zweiten Quartal 2024 etwa auf dem Niveau von 2019 und damit sehr deutlich unter dem Trend, dem die Produktion im Zeitraum von der Finanzkrise bis zum Jahr 2019 folgte. Die Wachstumsverlangsamung geht konjunkturell mit einem Abschwung einher, der 2022 infolge des massiven Anstiegs der Energiepreise einsetzte. Verwendungsseitig ist die Wachstumsschwäche in Deutschland breit angelegt, vor allem die Bruttoanlageinvestitionen und die Exporte sind betroffen.
Die Pandemie und weit verbreitete protektionistische Tendenzen hatten den Welthandel in Mitleidenschaft gezogen, was auch den deutschen Außenhandel beeinträchtigt hat. Die Schwäche des Welthandels ist jedoch mittlerweile weitgehend überwunden. Die deutschen Ausfuhren haben sich indes nicht im gleichen Umfang erholt. Dies kann auf eine Kombination von Faktoren zurückgeführt werden: strukturelle Herausforderungen in wichtigen Märkten, steigende Energiepreise und abnehmende (preisliche) Wettbewerbsfähigkeit. Ein wichtiger Faktor ist die Veränderung der Handelsbeziehungen mit China. So zielt die Initiative „Made in China 2025“ darauf ab, die lokale Industrie zu stärken und die Abhängigkeit von ausländischen Importen zu verringern. Dies betrifft nicht zuletzt die für Deutschland wichtigen Gütergruppen Maschinen und Fahrzeuge und hat zu dem Rückgang der deutschen Exporte nach China seit dem Jahr 2022 wesentlich beigetragen. Darüber hinaus verdrängen chinesische Produzenten deutsche Hersteller auch auf Drittmärkten. Die Energiekrise nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat sich stärker auf die deutschen Exporte als auf diejenigen anderer Länder ausgewirkt. Deutschlands energieintensive Industrien wie die Chemie- und Metallindustrie waren aufgrund der explodierenden Erdgas- und Strompreise besonders betroffen. Obwohl die Regierung Maßnahmen zur Stützung energieintensiver Produzenten einführte, blieben die Kosten wesentlich höher als in Konkurrenzländern wie den USA und in Asien. Zudem sind die nominalen Lohnstückkosten in Deutschland seit Anfang 2022 stärker als im Euroraum und insbesondere als in den anderen großen Ländern des Euroraums gestiegen. Insgesamt hat dies zu einer verminderten Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Hersteller geführt.
Gibt es nun eine Deindustrialisierung in Deutschland? Auch wenn Gas- und Strompreise mittlerweile wieder deutlich gesunken sind, zeichnet sich ab, dass Energie in Deutschland auf absehbare Zeit teurer sein dürfte als vor dem Energiepreisschock und dass dieser Effekt deutsche energieintensive Produktionsstandorte im internationalen Vergleich dauerhaft unattraktiver macht. Die Produktion energieintensiver Industrien liegt etwa 15 % unter dem Niveau des Jahres 2021. Allerdings war die Entwicklung in diesem Bereich schon seit längerem schwach.1 Der Energiepreisschock dürfte die ohnehin seit einiger Zeit zu beobachtende Abnahme des nominalen Anteils der Bruttowertschöpfung im Verarbeitenden Gewerbe an der gesamten Bruttowertschöpfung beschleunigen. Im Gegenzug nimmt der Anteil der Dienstleister zu. Auch innerhalb der Unternehmen, die dem Verarbeitenden Gewerbe zugeordnet sind, hat der Anteil an sonstigen Aktivitäten, die nicht industrielle Produktion, sondern beispielsweise Handelsaktivitäten darstellen, zugenommen. Zudem erhöht eine vermehrte Forschungs- und Entwicklungstätigkeit die Wertschöpfung im Verarbeitenden Gewerbe (Lehmann & Wollmershäuser, 2024). Beides zusammen könnte die seit einiger Zeit zu beobachtende Diskrepanz zwischen der Entwicklung der realen Wertschöpfung und des Produktionsindex für das Verarbeitende Gewerbe erklären. Insgesamt kann die Schwäche der Industrieproduktion am aktuellen Rand nicht eindeutig konjunkturellen oder strukturellen Faktoren zugeordnet werden. Der zu beobachtende beschleunigte Strukturwandel geht allerdings mit erhöhten gesamtwirtschaftlichen Anpassungskosten einher und belastet die wirtschaftliche Dynamik.
Die Reallokation von Ressourcen vom Verarbeitenden Gewerbe hin zu den Dienstleistungsbereichen hat Auswirkungen auf den aggregierten Produktivitätsfortschritt, denn in den meisten Dienstleistungsbereichen ist die durchschnittliche Arbeitsproduktivität niedriger. Dieser Prozess setzte schon vor der Pandemie ein, hat sich in den vergangenen Jahren aber verstärkt. Umso wichtiger ist es, die Wirtschaftspolitik nicht einseitig auf die Industrie auszurichten, sondern den Produktivitätsfortschritt in den Dienstleistungsbereichen zu fördern (Holtemöller, 2017). Insgesamt gibt es keine guten ökonomischen Gründe für das Anstreben einer bestimmten Industriequote, auch wenn sich eine Deindustrialisierung im Sinne einer Verringerung des Anteils des Verarbeitenden Gewerbes an der gesamten Wertschöpfung fortsetzen sollte.
Die Wirtschaftspolitik war bislang eher Teil des Problems als Teil der Lösung. Gerade in Zeiten des Strukturwandels ist für die Planungssicherheit der privaten Haushalte und der Unternehmen ein klarer wirtschaftspolitischer Kompass gefragt. Die für den Umbau zu einer weniger energieintensiven und emissionsfreien Wirtschaft erforderlichen Unternehmensinvestitionen und Wohnungssanierungen der privaten Haushalte werden behindert, wenn die Rahmenbedingungen unklar sind oder mehrfache Richtungswechsel die Navigation erschweren. Gemessen am Economic Policy Uncertainty Index ist die wirtschaftspolitische Unsicherheit in Deutschland im internationalen Vergleich seit 2021 besonders hoch. Die aktuelle Bundesregierung ist sich in vielen Punkten nicht einig, so etwa in der Haushaltspolitik. Die Finanzierungsdefizite des Gesamtstaates stehen zunehmend in Konflikt mit nationalen wie auch europäischen Fiskalregeln.
Damit Unternehmen und Haushalte wieder Vertrauen in die wirtschaftliche Stabilität fassen, scheint ein Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik unerlässlich. Ein solcher Kurswechsel sollte zu weniger Detailregelungen, weniger Subventionen für einzelne Unternehmen sowie weniger staatlich geförderter Besitzstandswahrung und zu mehr Raum für marktwirtschaftliche Anpassungsprozesse an veränderte Rahmenbedingungen führen. So lassen sich etwa Emissionsreduktionsziele am besten über marktwirtschaftliche Anpassung an höhere CO2-Preise erreichen (Gropp & Holtemöller, 2024).
Wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Steigerung des Produktionspotenzials sollten an den Ursachen der Schwäche ansetzen. Mit ihrer Wachstumsinitiative bietet die Bundesregierung einige gute Ansätze, z. B. bei den Arbeitsanreizen für Personen jenseits der Regelaltersgrenze. Die Fülle der Maßnahmen und die teilweise lange Implementierungsdauer tragen jedoch nicht dazu bei, dass die Wirtschaftspolitik für die Haushalte und Unternehmen klarer und vorhersehbarer wird. Die von der Bundesregierung an die Wachstumsinitiative geknüpften Erwartungen bezüglich ihres Effekts auf das Potenzialwachstum dürften somit eher hoch angesetzt sein.2
Ohnehin ist zweifelhaft, ob die höheren Wirtschaftswachstumsraten vergangener Jahre wieder erreicht werden können. Die Institute haben in früheren Gutachten mit Simulationsrechnungen mehrfach darauf hingewiesen, dass die gesetzlich geregelten Emissionsreduktionsziele bei der gegenwärtigen Geschwindigkeit des energiesparenden technologischen Fortschritts und der gegenwärtigen Ausbaugeschwindigkeit erneuerbarer Energien kaum ohne materielle Einbußen erreichbar sein dürften (Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose, 2023, S. 82 ff.). Dass die Treibhausgasemissionen in Deutschland im vergangenen Jahr auf dem angestrebten Reduktionspfad lagen, hängt auch mit der Schwäche der energieintensiven Industrie zusammen: Etwa die Hälfte der Minderemissionen im Jahr 2023 gegenüber dem Vorjahr dürfte auf Produktionsrückgänge in energieintensiven Industrien zurückzuführen sein (Holtemöller, 2024, S. 28). Falls es sich dabei lediglich um Verlagerungen in das Ausland handeln sollte, trägt diese Emissionsreduktion in Deutschland jedoch nichts zur Minderung der globalen Erwärmung bei.
Neben der Dekarbonisierung lastet der demografische Wandel über ein schrumpfendes Erwerbspersonenpotenzial auf dem Potenzialwachstum. Ansatzpunkte zur Stärkung des Potenzialwachstums gibt es beim Arbeitsvolumen somit am ehesten über die Erwerbsbeteiligung. So dauert es bei Migranten teilweise recht lange, bis sie die durchschnittliche Erwerbsbeteiligung Einheimischer erreichen.3 Auch bei der Erwerbsbeteiligung älterer Beschäftigter besteht noch Spielraum.
Darüber hinaus folgt die durchschnittliche Arbeitszeit der Erwerbstätigen einem langfristigen Abwärtstrend, auch weil mit steigendem Einkommen Freizeit gegenüber Arbeitszeit attraktiver wird. Hier ist nicht damit zu rechnen, dass sich dieser langfristige und internationale Trend in absehbarer Zeit umkehren wird. In dem Umfang, in dem ein niedrigeres Produktionspotenzial lediglich Ausdruck der Freizeitpräferenzen in der Bevölkerung ist (Wanger & Weber, 2023), gibt es keinen Anlass, dem politisch entgegenzuwirken. Allerdings ist die Arbeitszeit je Erwerbstätigen im internationalen Vergleich besonders niedrig.4 Dabei ist zu berücksichtigen, dass die niedrige Arbeitszeit je Erwerbstätigen auch Ausdruck einer hohen Teilzeitquote ist, die wiederum zur Flexibilität am Arbeitsmarkt beiträgt. Sie dürfte allerdings auch auf ungünstige Anreizwirkungen im Transfer- und Einkommensteuersystem zurückgehen, sodass hier Ansatzpunkte für die Stärkung der Erwerbstätigkeit und damit des Produktionspotenzials bestehen (Blömer et al., 2024; Peichl et al., 2023). Das Rentenpaket II geht jedoch in die entgegengesetzte Richtung, unter anderem weil es mittelfristig zu erheblichen Steigerungen des Beitragssatzes zur gesetzlichen Rentenversicherung führen wird (Holtemöller et al., 2024).
Lohnend ist für die Wirtschaftspolitik vor allem, Maßnahmen zur Steigerung der Produktivität zu ergreifen. Denn unabhängig von individuellen Präferenzen ist es gesellschaftlich vorteilhaft, wenn die Produktion von Waren und Dienstleistungen möglichst effizient erfolgt und keine Ressourcen verschwendet werden. Maßnahmen, die auf den Abbau von Produktionshemmnissen (Bürokratie, Regulierung), die Bildung und auf die Investitionen in Forschung und Entwicklung abzielen, haben diesbezüglich das größte Potenzial – zusammen mit einem Umfeld, in dem das Verschwinden nicht mehr rentabler Unternehmen nicht als negativ, sondern als notwendiger Bestandteil schöpferischer Zerstörung à la Schumpeter betrachtet wird. Das deutsche Sozialsystem bietet im Großen und Ganzen eine gute Absicherung gegen die damit verbundenen individuellen Härten. Der Schwerpunkt der Wirtschaftspolitik sollte auf der Verbesserung der Produktivität, der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und der Rahmenbedingungen für alle Unternehmen und Beschäftigten liegen.
- 1 Der Kapitalstock in den energieintensiven Bereichen sinkt bereits seit längerer Zeit, nicht erst seit dem Energiepreisschock (Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose, 2023, S. 81 f.).
- 2 Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz erwartet bereits im ersten Jahr einen Effekt von 0,5 Prozentpunkten (BMWK, 2024, S. 11).
- 3 Bei Geflüchteten dauert es über zehn Jahre, bis die Erwerbstätigenquote Einheimischer erreicht wird, bei anderen Zuwanderern sind es auch mehr als fünf Jahre (Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnos, 2024, S. 73). Insbesondere bei eingewanderten Frauen mit und ohne Kind liegt die Erwerbsbeteiligung in allen Altersklassen deutlich unter derjenigen von Frauen ohne Kind und von Müttern ohne Einwanderungsgeschichte (Keller & Körner, 2024, S. 48).
- 4 Im Durchschnitt der Jahre 2015 bis 2019 betrug die durchschnittliche Arbeitszeit je Erwerbstätigen in Deutschland 1.388 Stunden. Sie lag damit deutlich unter derjenigen in anderen OECD-Ländern; in Frankreich waren es 1.516 Stunden, in Japan 1.693 Stunden und in den USA 1.825 Stunden. Die Zahl der Arbeitsstunden je Erwerbstätigen ist dabei negativ mit der Höhe der Staatseinnahmen in Relation zum Bruttoinlandsprodukt korreliert (Korrelationskoeffizient -0,56, R2=0,31) (Rogerson, 2024).
Literatur
BMWK – Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. (2024, August). Die Wachstumsinitiative der Bundesregierung. Schlaglichter der Wirtschaftspolitik.
Blömer, M., Hansen, E. & Peichl, A. (2024). Die Ausgestaltung des Transferentzugs in der Interdependenz mit dem Bürgergeld, der Kindergrundsicherung und dem Wohngeld. ifo Forschungsberichte, 145.
Gropp, R. & Holtemöller, O. (2024). Sechs Punkte für eine effiziente grüne Transformation. IWH Policy Notes, 2/2024.
Holtemöller, O. (2017). How can we boost competition in the services sector? Nomos.
Holtemöller, O. (2024). Aktuelle Trends: Rückgang der Treibhausgasemissionen im Jahr 2023 etwa zur Hälfte durch Produktionsrückgang bedingt. Wirtschaft im Wandel, 30(2).
Holtemöller, O., Schult, C. & Zeddies, G. (2024). Kosten der Maßnahmen aus dem Rentenpaket II vom März 2024 und Finanzierungsoptionen. IWH Studies, 2/2024.
Keller, M. & Körner, T. (2024). Haushalte, Familien und Lebensformen mit Einwanderungsgeschichte – Auswirkungen auf die Erwerbstätigkeit von Eltern. WISTA – Wirtschaft und Statistik, 4/2024.
Lehmann, R. & Wollmershäuser, T. (2024). Struktureller Wandel im Verarbeitenden Gewerbe: Produktion unterzeichnet Bruttowertschöpfung. ifo Schnelldienst, 77(2), 55–60.
Peichl, A., Bonin, H., Stichnoth, H., Bierbrauer, F., Blömer, M., Dolls, M., Hansen, E., Hebsaker, M., Necker, S., Pannier, M., Petkov, B., Windsteiger, L., Fuest, C., Immervoll, H., Lenze, A., Schöb, R., Siegloch, S. & Werding, M. (2023). Zur Reform der Transferentzugsraten und Verbesserung der Erwerbsanreize. Forschungsbericht 629K. Bundesministerium für Arbeit und Soziales.
Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose. (2023). Inflation im Kern hoch – Angebotskräfte jetzt stärken. Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2023.
Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose. (2024). Deutsche Wirtschaft kränkelt – Schuldenbremse kein Allheilmittel. Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2024.
Rogerson, R. (2024). Why labor supply matters for macroeconomics.Journal of Economic Perspectives, 38(2), 137–158.
Wanger, S. & Weber, E. (2023). Arbeitszeit: Trends, Wunsch und Wirklichkeit. IAB-Forschungsbericht, 16/2023.
Title: German Economy in Transition – Sluggish Cyclical and Potential Growth
Abstract: The German economy has stagnated for over two years, with a slow recovery anticipated in the coming quarters. However, growth is unlikely to reach pre-COVID-19 levels anytime soon. Decarbonisation, digitisation, demographic changes, and heightened competition from China are dampening growth prospects. GDP is projected to decline by 0.1 % in 2024, with increases of 0.8 % and 1.3 % in the subsequent years. Rising private consumption and improving foreign trade are expected to contribute positively to the economic upturn in Germany. Economic policy should prioritise reducing productivity barriers, facilitating structural changes, and lowering political uncertainty to support recovery.