Die Boomphase der deutschen Wirtschaft setzt sich fort. Allerdings wird die Luft dünner: Die noch verfügbaren gesamtwirtschaftlichen Kapazitäten werden allmählich knapper, sodass die Konjunktur etwas an Schwung verliert. Dennoch bleibt das Tempo hoch: Der Aufschwung der Weltwirtschaft wird die Exporte weiter anregen; auch die Binnenwirtschaft dürfte bei der außerordentlich günstigen Lage auf dem Arbeitsmarkt schwungvoll bleiben. Zusätzlich dürfte die neue Bundesregierung durch die im Koalitionsvertrag vereinbarten fiskalischen Maßnahmen die Nachfrage stimulieren.
Die deutsche Wirtschaft befindet sich im Frühjahr 2018 in einem Boom. Die Kapazitätsauslastung ist hoch und bis zuletzt gestiegen. Das Expansionstempo dürfte nach einer Delle zum Jahresauftakt wieder höher ausfallen. Damit setzt sich der Boom in diesem und im kommenden Jahr fort, allerdings wird die Luft dünner: Die noch verfügbaren gesamtwirtschaftlichen Kapazitäten werden allmählich knapper, so dass die Konjunktur im Vergleich zum vergangenen Jahr etwas an Schwung verliert. Dennoch bleibt das Tempo hoch: Der Aufschwung der Weltwirtschaft verliert nur allmählich an Kraft und wird die Exporte weiter anregen; auch die Binnenwirtschaft dürfte bei außerordentlich günstiger Lage auf dem Arbeitsmarkt schwungvoll bleiben. Zusätzlich dürfte die neue Bundesregierung durch die im Koalitionsvertrag vereinbarten Ausgabenausweitungen und Abgabenentlastungen die Nachfrage stimulieren.
Im ersten Quartal 2018 dürfte die deutsche Wirtschaft vorübergehend an Schwung verloren haben. Darauf weist der abrupte Rückgang der Produktion im Produzierenden Gewerbe im Februar hin, und auch die zuletzt verhaltenen Exporte passen ins Bild. Allerdings dürften vor allem Sondereffekte – wie ein vergleichsweise hoher Krankenstand, eine außergewöhnlich hohe Zahl an Streiktagen und überdurchschnittlich viele Ferientage – zu der Abschwächung beigetragen haben. Die jüngsten Produktionsbeurteilungen der Unternehmen lassen aber erwarten, dass der Einbruch im März wieder wettgemacht wird. Hierauf deuten auch die Angaben zur Pkw-Produktion hin.
Für den weiteren Verlauf ist eine kräftigere Dynamik als zum Jahresauftakt angelegt. Der Auftragsbestand im Verarbeitenden Gewerbe ist hoch, und auch die Stimmungsindikatoren zur Lagebeurteilung signalisieren trotz leichter Eintrübungen am aktuellen Rand eine kräftige Expansion im zweiten Quartal. Für die zweite Jahreshälfte legen die Geschäftserwartungen ein etwas schwächeres Expansionstempo nahe; zu den eingetrübten Erwartungen dürfte auch die Verunsicherung über das außen- und insbesondere handelspolitische Umfeld beigetragen haben.
Prognose wird leicht angehoben
Im Jahresdurchschnitt dürfte die Wirtschaftsleistung 2018 um 2,2 % expandieren. Damit heben die Institute ihre Einschätzung für den Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im laufenden Jahr um 0,2 Prozentpunkte gegenüber ihrer Herbstdiagnose 2017 an. Im kommenden Jahr dürfte die deutsche Wirtschaft – auch gestützt durch die im Koalitionsvertrag vereinbarten finanzpolitischen Maßnahmen – um 2,0 % zulegen, ebenfalls etwas kräftiger als noch im Herbst von den Instituten erwartet (vgl. Tabelle 1).
Angesichts des anhaltend hohen Expansionstempos der deutschen Wirtschaft wird auch die Beschäftigung weiter spürbar steigen. Da in vielen Segmenten des Arbeitsmarktes Knappheit an geeigneten Arbeitskräften besteht und es Unternehmen zunehmend schwerfällt, offene Stellen zu besetzen, schwächt sich der Beschäftigungsaufbau allerdings ab. Für 2018 wird eine Zunahme der Zahl der Erwerbstätigen um 585 000 Personen erwartet, 2019 werden wohl weitere rund 420 000 Stellen entstehen. Die Arbeitslosenquote sinkt auf 5,2 % in diesem und auf 4,8 % im kommenden Jahr. Der überwiegende Teil des Beschäftigungsaufbaus wird allerdings weiterhin durch die steigende Erwerbsbeteiligung von Frauen und Älteren sowie die Zuwanderung gedeckt.
Tabelle 1
Eckdaten der Prognose für Deutschland
2016 | 2017 | 2018 | 2019 | |
---|---|---|---|---|
Reales BIP (Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %) | 1,9 | 2,2 | 2,2 | 2,0 |
Erwerbstätige im Inland in 1000 Personen | 43 638 | 44 291 | 44 876 | 45 298 |
Arbeitslose in 1000 Personen | 2 691 | 2 533 | 2 324 | 2 172 |
Arbeitslosenquote der Bundesagentur für Arbeit1 in % | 6,1 | 5,7 | 5,2 | 4,8 |
Verbraucherpreise2 (Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %) | 0,5 | 1,8 | 1,7 | 1,9 |
Lohnstückkosten3 (Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %) | 1,6 | 1,6 | 1,9 | 2,1 |
Finanzierungssaldo des Staates4 | ||||
in Mrd. Euro | 25,7 | 36,6 | 37,8 | 34,7 |
in % des nominalen BIP | 0,8 | 1,1 | 1,1 | 1,0 |
Leistungsbilanzsaldo | ||||
in Mrd. Euro | 268,8 | 262,6 | 277,0 | 284,5 |
in % des nominalen BIP | 8,5 | 8,0 | 8,2 | 8,0 |
1 Arbeitslose in % der zivilen Erwerbspersonen (Definition gemäß der Bundesagentur für Arbeit). 2 Verbraucherpreisindex (2010 = 100). 3 Im Inland entstandene Arbeitnehmerentgelte je Arbeitnehmerstunde bezogen auf das reale Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigenstunde. 4 In der Abgrenzung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (ESVG 2010).
Quellen: Statistisches Bundesamt; Bundesagentur für Arbeit; Deutsche Bundesbank; 2018 bis 2019: Prognose der Institute.
Infolge zunehmender Knappheiten dürften die Bruttolöhne recht spürbar steigen. Je Erwerbstätigen wird für beide Prognosejahre ein Anstieg der Effektivverdienste von rund 3 % erwartet. Zwar zieht auch die Inflation allmählich an; 2018 dürfte sie bei 1,7 % liegen, im kommenden Jahr bei 1,9 %. Dennoch verbleibt den Haushalten ein deutliches Kaufkraftplus, zumal die im Koalitionsvertrag vereinbarten Maßnahmen spürbare Impulse geben dürften: Vor allem dürften die Arbeitnehmer durch die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung zur Jahreswende 2018/2019 entlastet werden, die zumindest kurzfristig einen Anstieg der Nettolöhne und -gehälter von rund 6 Mrd. Euro nach sich ziehen wird. Ins Gewicht fallen aber auch die vorgesehene Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung sowie die Leistungsausweitungen der Gesetzlichen Rentenversicherung. In Summe wird sich im kommenden Jahr ein spürbares Einkommensplus ergeben. Alles in allem dürfte der private Verbrauch – nach einem Durchhänger in der zweiten Jahreshälfte 2017 – im Prognosezeitraum kräftig expandieren.
Auslandsnachfrage und Investitionen geben merkliche Impulse
Da die Auslandsnachfrage im Prognosezeitraum deutlich steigen dürfte, werden von den Exporten weiter merkliche Impulse für die gesamtwirtschaftliche Produktion ausgehen. Da die Produktionskapazitäten mittlerweile in vielen Ländern hoch ausgelastet sind, regt die kräftige internationale Konjunktur die weltweite Nachfrage nach Ausrüstungsgütern an; dies kommt der deutschen Exportwirtschaft in besonderem Maße zugute. Obwohl die Importe im Zuge der dynamischen Wirtschaftsentwicklung in Deutschland ebenfalls merklich zulegen, bleibt der Leistungsbilanzsaldo in Relation zum BIP mit 8,2 % in diesem und 8,0 % im kommenden Jahr hoch.
Die heimische Investitionstätigkeit dürfte ebenfalls recht kräftig bleiben, denn auch hierzulande sind die Kapazitäten gut ausgelastet und die Unternehmen tätigen mehr Erweiterungsinvestitionen. Zwar werden die Zinsen allmählich anziehen, die Finanzierungsbedingungen bleiben aber günstig. Dies stützt auch die Investitionen in Bauten, zudem bleibt – teilweise beruhend auf den Vereinbarungen des Koalitionsvertrags – die öffentliche Bautätigkeit schwungvoll. Jedoch stößt die Bauwirtschaft mittlerweile an Kapazitätsgrenzen. Dies schlägt sich nicht zuletzt im kräftigen Preisauftrieb nieder, der sich im Prognosezeitraum wohl fortsetzen wird. Alles in allem dürfte die Baukonjunktur rege bleiben.
Trotz der mit dem Koalitionsvertrag angelegten expansiveren Ausrichtung der Finanzpolitik bleibt die Finanzlage des Staates in beiden Jahren günstig. Die staatlichen Einnahmen sprudeln trotz der Entlastungen bei den Sozialabgaben, denn die Beitragseinnahmen sowie die Einkommen- und Verbrauchsteuern erhalten weiteren Auftrieb von der günstigen Arbeitsmarktentwicklung und der Ausgabefreude der privaten Haushalte. Auf der Ausgabenseite machen sich zwar die Leistungsausweitungen der Gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung sowie die Erhöhung des Kindergelds bemerkbar. Dennoch verbleibt ein deutlicher Überschuss der öffentlichen Haushalte von jeweils etwa 1 % in Relation zum BIP in beiden Prognosejahren; in struktureller, also um konjunkturelle Einflüsse sowie um Einmaleffekte bereinigter Rechnung geht er allerdings von 0,5 % in diesem auf 0,4 % im kommenden Jahr zurück. Hier werden bereits die mit der expansiven Ausrichtung der Finanzpolitik verbundenen Wirkungen sichtbar, die sich im späteren Verlauf der Legislaturperiode noch verstärken dürften.
Handelskonflikt birgt erhebliche konjunkturelle Risiken
Risiken für die Prognose gehen vom weltwirtschaftlichen Umfeld aus. Die Ankündigung der USA zu Beginn dieses Jahres, Zölle auf Stahl und Aluminium zu erheben, bedeutet einen weiteren Schritt hin zu mehr Protektionismus, zumal zusätzliche protektionistische Maßnahmen und Gegenmaßnahmen folgten. Zwar wurden die Zölle für wichtige Lieferländer zunächst nicht in Kraft gesetzt. Sie bleiben aber als Drohung bestehen. Eine weitere Eskalation des Handelskonflikts dürfte den internationalen Güteraustausch empfindlich behindern und letztlich das Wachstum der Weltwirtschaft mittelfristig spürbar beeinträchtigen. Dämpfende Effekte auf Handel und Produktion sind aber nicht erst zu erwarten, wenn neue Handelshemmnisse umgesetzt werden. Bereits die Diskussion von solchen Maßnahmen kann die Unsicherheit über die zukünftige Handelspolitik eines Landes erhöhen und die wirtschaftliche Stimmung belasten. Die Institute halten es zwar für wenig wahrscheinlich, dass die gegenwärtigen handelspolitischen Auseinandersetzungen die starke konjunkturelle Aufwärtstendenz so weit dämpfen, dass der Aufschwung der Weltwirtschaft zum Erliegen kommt. Die Auseinandersetzungen sind aber ein Abwärtsrisiko für die Prognose, vor allem wenn sich der Konflikt ausweiten sollte.
Mit Blick auf die deutsche Wirtschaft besteht erhebliche Unsicherheit hinsichtlich des zeitlichen Profils und des Volumens der im Koalitionsvertrag vereinbarten zusätzlichen Ausgaben und Entlastungen. Weicht das tatsächliche Finanzgebaren der öffentlichen Hand in erheblichem Maße von den hier getroffenen Annahmen hinsichtlich der Verteilung der Ausgaben über die Legislaturperiode ab, so könnte dies die Konjunktur entsprechend in beide Richtungen beeinflussen. Eine weitere Annahme der Prognose ist, dass die gesamtwirtschaftlichen Produktionskapazitäten genügend Raum dafür bieten, dass der Aufschwung sich fortsetzt. Hierfür spricht unter anderem, dass sich der Auslastungsgrad der deutschen Wirtschaft noch unterhalb seiner früheren Spitzenwerte befindet. Sollten die Kapazitätsgrenzen früher bindend werden, so könnte der nächste Abschwung bereits im Prognosezeitraum einsetzen. Schließlich deuten einige Finanzmarktindikatoren darauf hin, dass die Zuwachsraten der Produktion deutlicher zurückgehen könnten als hier prognostiziert. So sind die Kurse deutscher Aktien seit Beginn des Jahres um etwa 10 % gefallen und die in der Kursvolatilität zum Ausdruck kommende Unsicherheit ist gestiegen. In der Vergangenheit haben diese Indikatoren eine gewisse Prognosekraft für die Produktion aufgewiesen. Insgesamt sind diese Signale aber nicht stark genug, um eine stärkere Abkühlung der deutschen Wirtschaft für wahrscheinlich zu halten.
Wirtschaftspolitik schiebt Konjunktur zusätzlich an
Die neue Bundesregierung steht vor einer Reihe von wirtschaftspolitischen Herausforderungen. Die aktuellen Änderungen sowohl in der Handels- als auch in der Steuerpolitik der USA haben internationale Auswirkungen, von denen auch Deutschland betroffen ist. In beiden Bereichen ist internationale Kooperation erforderlich, um die globale Wohlfahrt zu erhöhen. Der internationale Güteraustausch führt umso mehr zu Wohlfahrtsgewinnen, je weniger er durch Handelshemmnisse eingeschränkt wird und je stärker er multilateral nach von möglichst vielen Ländern akzeptierten marktwirtschaftlichen Grundsätzen erfolgt. Bei der Unternehmensbesteuerung stehen nationale Regierungen international operierenden Unternehmen gegenüber, die bei unkoordinierter nationaler Steuerpolitik leichter Regulierungsarbitrage betreiben können, sodass die Nationalstaaten letztlich Schwierigkeiten haben, die Unternehmen angemessen an der Finanzierung der öffentlichen Ausgaben zu beteiligen. In beiden Bereichen, der Handelspolitik und der Unternehmensbesteuerung, empfehlen die Institute daher, international koordiniert vorzugehen.
Auf nationaler Ebene muss die Wirtschaftspolitik die Rahmenbedingungen für einen effizienten Einsatz von Arbeit und Kapital schaffen, um das Produktionspotenzial durch Innovation und Produktivitätsfortschritt langfristig zu steigern. Dazu gehören die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung durch eine verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Integration Langzeitarbeitsloser und Unterbeschäftigter, die Verbesserung der Anreize zur Teilnahme am Erwerbsleben durch eine Senkung der Abgabenlast, sowie eine verbesserte Erwerbsbeteiligung Älterer. Diese längerfristigen Herausforderungen wurden teilweise im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD adressiert.
Die expansiven finanzpolitischen Pläne der neuen Bundesregierung wirken in einer Zeit stimulierend auf die wirtschaftliche Aktivität, in der die deutsche Wirtschaft ohnehin hoch ausgelastet ist und gemäß aktueller Schätzung über Potenzial produziert. Die Finanzpolitik sollte sich zwar nicht an den kurzfristigen Konjunkturschwankungen orientieren – eine solche Feinsteuerung ist praktisch kaum möglich –, aber sie sollte die Konsequenzen für die gesamtwirtschaftliche Stabilität und die Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen im Blick haben. Eine Finanzpolitik nach kurzfristiger Kassenlage sollte vermieden werden. Die im Koalitionsvertrag vereinbarten Leistungsausweitungen und Leistungsversprechen in der Gesetzlichen Rentenversicherung laufen dem Nachhaltigkeitsgedanken zuwider.
Hohe Synchronität des internationalen Konjunkturzyklus
Ein wesentlicher Beitrag zum Aufschwung in Deutschland ging im vergangenen Jahr davon aus, dass die weltwirtschaftliche Expansion in regionaler und sektoraler Hinsicht an Breite gewann. Diese Breite bietet zwar einerseits die Chance auf selbstverstärkende Effekte, birgt aber die Gefahr einer erhöhten Dynamik nach unten, falls alle Länder zeitgleich in einen Abschwung geraten. Aus diesem Grund hat sich die Gemeinschaftsdiagnose systematisch mit der Synchronität des internationalen Konjunkturzyklus befasst.
Abbildung 1
Phasen des Konjunkturzyklus
Quelle: Darstellung der Institute. © GD Frühjahr 2018.
Grundlage dafür bildet ein Schema des Konjunkturzyklus, das die Konjunktur in zwei bzw. vier Phasen zerlegt: Im Zwei-Phasen-Schema stehen Aufschwungphasen, in denen der Auslastungsgrad steigt, im Wechsel mit Abschwungphasen, in denen der Auslastungsgrad sinkt. Zu einem Vier-Phasen-Schema gelangt man, indem man neben der Veränderung des Auslastungsgrades auch dessen Niveau ins Bild nimmt (vgl. Tabelle 2). Dies führt zunächst zu einer weiteren Zweiteilung in Überauslastung und Unterauslastung. In der Überauslastung übersteigt die gesamtwirtschaftliche Produktion (gemessen am realen BIP) das Produktionspotenzial. Das Produktionspotenzial misst jene Produktion, die sich bei Normalauslastung der Produktionskapazitäten ergeben würde. Ist die Normalauslastung überschritten und steigt der Auslastungsgrad, spricht man von einem Boom (vgl. Abbildung 1). In der Abkühlung wird der Abschwung eingeleitet, in dem die tatsächliche Produktion nur noch geringer zunimmt als das Produktionspotenzial. Geht die Volkswirtschaft in eine Phase der Unterauslastung über, gerät sie in eine konjunkturelle Krise. Nach Überwindung der konjunkturellen Krise beginnt die Erholungsphase, in der die Kapazitäten einer Volkswirtschaft noch unterausgelastet sind. Da die wirtschaftliche Aktivität aber stärker steigt als das Produktionspotenzial, nimmt der Auslastungsgrad zu.
Tabelle 2
Konjunkturphasen
Überauslastung | Unterauslastung | |
---|---|---|
steigende Auslastung (Aufschwung) | Boom | Erholung |
sinkende Auslastung (Abschwung) | Abkühlung | Krise |
Quelle: Darstellung der Institute.
Am Beispiel Deutschlands zeigt sich, dass das angewandte Schema insofern zu einer plausiblen Datierung führt, als es überwiegend zu der idealtypischen Abfolge der jeweiligen Phasen kommt (vgl. Abbildung 2). Für die empirische Analyse wird dabei das Produktionspotenzial mithilfe eines Band-Pass-Filters geschätzt, der aus einer Zeitreihe der gesamtwirtschaftlichen Aktivität eine Komponente mit einer Periodendauer zwischen sechs und 32 Quartalen als zyklische Komponente extrahiert. Der sich daraus ergebende Trend der gesamtwirtschaftlichen Aktivität ist daher aber nicht identisch mit dem Produktionspotenzial, das die Gemeinschaftsdiagnose regelmäßig auf Grundlage eines Produktionsfunktionsansatzes schätzt. Entsprechend kann es auch bei der Phaseneinteilung zu einer anderen Klassifikation kommen. Dies ist etwa für das vergangene Jahr zu beobachten: Da der mit dem Band-Pass-Filter ermittelte Trend stärker steigt als das von der Gemeinschaftsdiagnose mithilfe des Produktionsfunktionsansatzes ermittelte Produktionspotenzial, ergibt sich für den aktuellen Rand eine leichte Unterauslastung und mithin eine Charakterisierung der vergangenen Quartale als konjunkturelle Erholung. Auf Grundlage des Produktionsfunktionsansatzes befindet sich die deutsche Wirtschaft dagegen aktuell in einem Boom.
Abbildung 2
Trendabweichung und Phaseneinteilung für Deutschland
Quelle: Berechnungen der Institute. © GD Frühjahr 2018.
Abbildung 3
Konkordanz mit vier Konjunkturphasen
1 Gleitender 8-Quartals-Durchschnitt.
Quelle: Berechnungen der Institute. © GD Frühjahr 2018.
Für die hier im Vordergrund stehenden internationalen Vergleiche sind diese Unschärfen indes nicht maßgeblich. Entscheidend ist vielmehr die unkomplizierte Anwendbarkeit des Band-Pass-Filters für eine Vielzahl von Ländern (hier: wichtigste OECD-Länder bzw. vier große EU-Länder). Deren konjunkturelle Synchronität kann anhand von Konkordanzmaßen untersucht werden. Diese messen die Korrelation von ordinal skalierten Daten, also etwa den vier Phasen des Konjunkturzyklus, und werden so normiert, dass sie Werte zwischen 0 (maximale Asynchronität) und 1 (maximale Synchronität) annehmen. So nimmt das Konkordanzmaß auf Grundlage eines Vier-Phasen-Schemas den Wert Null an, wenn zwei Volkswirtschaften in unterschiedlichen, nicht aneinander angrenzenden Konjunkturphasen (z. B. Boom und Krise) sind, den Wert 0,5 in angrenzenden Konjunkturphasen (z. B. Boom und Abkühlung), und den Wert Eins, wenn sie sich in der gleichen Konjunkturphase befinden. Bildet man dann einen Durchschnitt über alle möglichen Paare von Volkswirtschaften, so lässt dies Rückschlüsse auf die Synchronität des internationalen Konjunkturzyklus zu.1
Die durchschnittliche Konkordanz über alle Länderpaarungen zeigt, dass die Synchronität in den Konjunkturphasen während der globalen Finanzkrise 2008/2009 am größten war, weil sich keine der betrachteten Volkswirtschaften dem globalen Abschwung entziehen konnte (vgl. Abbildung 3). Die sich anschließende Erholungsphase erfolgte hingegen nicht synchron. Für die Länder des Euroraums ging eine lange Phase des Gleichlaufs seit den 1990er Jahren zu Ende, weil beispielsweise die Erholung in Italien und Spanien später einsetzte als in Deutschland und Frankreich. Für die wesentlich heterogeneren 14 OECD-Länder sind Phasen einer Asynchronität nicht ungewöhnlich. Am aktuellen Rand gleichen sich die zyklischen Positionen wieder einander an; dies gilt insbesondere für die Euroraumländer.
Hohe Synchronität des Aufschwungs birgt Gefahr eines breit angelegten Abschwungs
Nach einer Phase der Heterogenität im Anschluss an die Finanzkrise kam es jüngst zu einer stärkeren Synchronisierung des globalen Aufschwungs. Damit setzt sich eine seit den frühen 1990er Jahren zu beobachtende Tendenz fort, die nur kurzzeitig durch die Finanzkrise unterbrochen wurde. Dies lässt befürchten, dass der nächste Abschwung ebenfalls breit angelegt sein wird. Allerdings könnten einige wichtige Schwellenländer diesen Abschwung abfedern, da sie sich größtenteils noch in einer früheren Konjunkturphase befinden als die hier betrachteten Länder.
- 1 Da in der vorliegenden Analyse die Zahl der Phasen geringer ist als die Zahl der untersuchten Länder, müssen sich immer einige Länder in der gleichen Phase befinden. Somit ist das theoretische Minimum des Konkordanzmaßes größer als Null. Um die Interpretierbarkeit der Ergebnisse zu vereinfachen, wurde das Maß so umskaliert, dass es beim theoretischen Minimum den Wert Null annimmt.