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Die Tabaksteuer soll die externen Kosten des Tabakkonsums internalisieren. Mithilfe einer Längsschnittbetrachtung von Querschnittsdaten werden erstmals die extern anfallenden Nettokosten des Rauchens in Deutschland saldiert. Im Ergebnis führt Rauchen netto eher zu einer Entlastung als einer Belastung von Sozialversicherten und Steuerzahlern. Weitere Tabaksteuererhöhungen lassen sich daher aus bloßer Kostenperspektive schwer rechtfertigen.

In Deutschland hat die Tabaksteuer aufgrund ihrer Aufkommensstärke von zuletzt etwa 14 Mrd. Euro im Jahr große fiskalische Bedeutung. Die Tabaksteuer wird freilich nicht nur zu Einnahmezwecken erhoben, sie soll daneben eine gesundheitspolitische Lenkungsfunktion übernehmen. Tabakrauchen führt bekanntermaßen nicht nur zu Krankheiten, sondern auch zu einem vorzeitigen Tod. Beide Effekte lösen Kosten (aber auch Ersparnisse!) in den Sozialversicherungs- und Versorgungssystemen aus, die im Allgemeinen nicht den Rauchern individuell angelastet werden, sondern der Gemeinschaft der Versicherten und den Steuerzahlern. Die Tabaksteuer übernimmt daher auch die Funktion einer Pigou-Steuer. Sie preist die externen Kosten des Tabakkonsums ein, sprich jene Kosten, die nicht von den Rauchern selbst getragen werden.1 Raucher wälzen über die Sozialversicherung und die Beamtenversorgung die fiskalischen Folgekosten erhöhter Morbidität auf die sogenannten Nie-Raucher ab.2 Allerdings entstehen durch die durchschnittlich kürzeren Lebenserwartungen von Rauchern auch Ersparnisse in der Sozialversicherung und der Beamtenversorgung. Die Saldierung dieser Kosten und Ersparnisse ergibt die externen Nettokosten des Rauchens.

Externe Nettokosten des Rauchens

Externe Kosten und Ersparnisse des Rauchens entstehen in den gesetzlichen und privaten Bereichen der Kranken- und Pflegeversicherung sowie in der Gesetzlichen Rentenversicherung und der Beamtenversorgung.3 Die höhere Morbidität von Rauchern führt in den Kranken- und Pflegeversicherungen sowie in der Beihilfe für Beamte zu höheren Ausgaben für medizinische Behandlungen, Krankengeld und Pflegeleistungen, in der Gesetzlichen Rentenversicherung zu höheren Ausgaben für Waisen-, Witwen-, Witwer- und Erwerbsminderungsrenten und in der Beamtenversorgung zu höheren Ausgaben für
Waisen-, Witwen- und Witwergeldern sowie Ruhegehältern wegen Dienstunfähigkeit. Die Frühsterblichkeit von Rauchern führt dagegen zu Ersparnissen in Form von kürzeren Rentenbezugszeiten in der Gesetzlichen Rentenversicherung und kürzeren Ruhegehaltsbezugszeiten in der Beamtenversorgung.

Im Weiteren werden indessen höhere Ausgaben für Pflegeleistungen, Krankengelder sowie Waisenrenten und -gelder nicht berücksichtigt. Hinsichtlich der Pflegeleistungen liegt empirische Evidenz darüber vor, dass Rauchen nicht zu einem erhöhten Pflegefallrisiko führt.4 Hinsichtlich der Krankengelder erlauben die verfügbaren Daten keine diagnosebezogene Aufschlüsselung der Krankengeldfälle. Hinsichtlich der Waisenrenten und -gelder schließlich sind die Fallzahlen, Bezugsdauern und Zahlbeträge so gering, dass die entsprechenden Ausgaben quantitativ keine Rolle spielen.5

Sofern auch Passiv-Rauchen Morbiditäts- und Mortalitätseffekte auslöst, sollten sich diese ebenfalls in den Ausgaben der sozialen Sicherungssysteme widerspiegeln. Indessen ist die Prävalenz des Passiv-Rauchens sowohl in der Öffentlichkeit als auch im privaten Raum in den letzten Jahren deutlich gesunken.6 Zudem sind die Morbiditäts- und Mortalitätsrisiken im Vergleich zu Rauchern sehr gering. Externe Nettokosten des Passiv-Rauchens haben daher nur eine geringe Bedeutung und werden deshalb hier nicht weiter berücksichtigt. Raucherkrankheiten und tabakkonsumbedingte Frühsterblichkeit führen auch zu Einkommens­ausfällen.7 Dabei handelt es sich aber im Wesentlichen nicht um externe Kosten des Rauchens, weil Raucher diese Einkommensausfälle individuell zu tragen haben. Nur in dem Maße, in dem dadurch das Steueraufkommen negativ betroffen ist, handelt es sich um externe Kosten. Lohndifferenziale zwischen Rauchern und Nie-Rauchern sind aber nur in geringem Ausmaß empirisch beobachtbar.8 Deshalb werden rauchertypbedingte Differenzen im Einkommen und daran gekoppelte Steuern und Beiträge sowie Renten- und Pensionszahlungen nicht berücksichtigt.

Kosten des Rauchens in der Literatur

Kostenrechnungen können in zwei verschiedene konzeptionelle Ansätze untergliedert werden. Beim Bruttokostenkonzept werden unter Nutzung von Querschnittsdaten die in einem bestimmten Jahr auftretenden Kosten ermittelt. Insbesondere auf die unterschiedlichen Lebenserwartungen der Rauchertypen nimmt der Ansatz keinen Bezug. Das Nettokostenkonzept dagegen ermöglicht unter Nutzung von Längsschnittdaten die Bestimmung aller über den individuellen Lebenszyklus auftretenden Neuerkrankungen und die damit verbundenen, bis zum Lebensende anfallenden fiskalischen Effekte. Da dieser Ansatz neben Kosten auch potenzielle Ersparnisse aus Frühsterblichkeit berücksichtigt, ist er zur Bestimmung der externen Nettokosten des Rauchens geeignet.

In der Literatur wurde der Lebenszyklusansatz aufgrund der hohen Ansprüche an die Daten allerdings selten angewandt. Studien mit US-Daten haben positive externe Nettokosten des Rauchens errechnet, die je nach Modellspezifikation die Tabaksteuereinnahmen übersteigen oder nicht.9 In der Literatur, die sich auf Deutschland bezieht, wurden stets die direkten medizinischen Kosten und/oder die indirekten, auf Produktivitätsminderungen bezogenen Kosten berechnet, nicht aber explizit die externen Kosten. Zudem handelt es sich meist um Bruttokostenbetrachtungen. Potenzielle Ersparnisse aufgrund rauchbedingter Frühsterblichkeit wurden bislang allenfalls bei der Kalkulation indirekter Kosten berücksichtigt. Dabei wurde aber kein rauchertypspezifischer Unterschied in der Lebenserwartung gemacht.10

Modellansatz

Um den Lebenszyklusansatz trotz schwieriger Datenlage nutzen zu können, wird der Bevölkerungsquerschnitt des Basisjahres 2011 auf einen Längsschnitt umgelegt und damit ein Lebenszyklus simuliert.11 Der Ansatz impliziert die gängige Annahme, dass die im Referenzjahr geltenden Bedingungen über die Lebenszeit der Individuen extrapoliert werden können. Weil damit zukünftige Entwicklungen ausgeblendet werden, kann es sowohl zu einer Unter- als auch zu einer Überschätzung der Kosten des Rauchens kommen.

Um die zu verschiedenen Zeitpunkten im Lebenszyklus entstehenden externen Kosten und Ersparnisse des Rauchens vergleichbar machen zu können, werden sie auf das Basisjahr 2011 abgezinst. Dabei werden für jedes Altersjahr der gegebenen Realbevölkerung aus Aktiv-, Ex- und Nie-Rauchern (Status-quo-Bevölkerung) sowie der strukturell identischen Modellpopulation aus Nie-Rauchern Einzelbarwerte der jeweils über den Restlebenszyklus anfallenden Ausgaben für medizinische Leistungen, gesetzliche Renten und Beamtenpensionen ermittelt und über alle Alter kumuliert. Die Differenz der Gesamtbarwerte der Status-quo-Bevölkerung und der Nie-Raucher-Bevölkerung ergibt die abgezinsten externen Nettokosten des Rauchens.12 Dabei wird angenommen, dass sich Status-quo-Bevölkerung und Nie-Raucher-Bevölkerung nur im Rauchverhalten unterscheiden. Weil andere mit dem Rauchen korrelierte Faktoren nicht berücksichtigt werden, kommt es zu einer Überschätzung der externen Nettokosten des Rauchens. Raucher unterscheiden sich nämlich von Nie-Rauchern auch in anderen gesundheitsschädlichen Verhaltensweisen, wie beispielsweise erhöhtem Alkoholkonsum und ungesünderem Ess- und Bewegungsverhalten.13

Weil für die quantitative Analyse keine entsprechenden Individualdaten zur Verfügung standen, wurden, wie in der Literatur üblich, aggregierte durchschnittsbezogene Daten einzelnen Altersjahren zugeschlüsselt.14 In der hier vorgestellten Basisrechnung wurde ein Diskontierungssatz von 3% verwendet.

Einfluss des Rauchens auf die Sterblichkeit

Aus Daten der Mikrozensus-Zusatzbefragung Rauchgewohnheiten der Bevölkerung15 zur Verbreitung des Rauchens in den Jahren 2009 und 2013 werden gewichtete Mittelwerte für die Verbreitung des Aktiv-, Ex- und Nie-Rauchens im Jahr 2011 errechnet. Die Prävalenz des Aktiv-Rauchens geht ab einem Alter von etwa 50 Jahren merklich zurück. Entsprechend steigt die Zahl der Ex-Raucher. Unter Frauen war das Rauchen früher sehr viel weniger verbreitet, so dass die Quote der Nie-Raucher unter den heute über 73-jährigen Frauen mindestens 80% beträgt. Unter den Aktiv- und Ex-Rauchern finden sich in fast allen Altersgruppen mehr Männer als Frauen. 29,8% der männlichen Bevölkerung ab 15 Jahren sind Aktiv-Raucher, 24,4% sind Ex-Raucher und 45,8% haben niemals geraucht. 20,9% der Frauen sind Aktiv-Raucher, 15,0% ehemalige Raucher und 64,1% Nie-Raucher.

Die auf das Rauchen zurückzuführenden Krankheits- und Todesfälle sowie die zugehörigen Kosten werden nach dem prävalenzbasierten Ansatz berechnet. Die Kosten vorhandener Raucherkrankheiten werden für 2011 ermittelt und ein kausaler Zusammenhang zu den Rauchprävalenzen desselben Jahres unterstellt. Die tabakkonsumbedingte Mortalität wird mit dem Konzept der Rauchen-attributablen Fraktion bestimmt, d.h. für jeden Rauchertyp und jedes Alter wird der Anteil der Sterbefälle an der Gesamtzahl der Sterbefälle berechnet.16 Dabei wird berücksichtigt, dass ein erhöhtes Gesundheits- und Todesfallrisiko durch Rauchen erst ab einem Alter von 35 Jahren zu beobachten ist.17 Im Jahr 2011 sind 98 752 Raucher an einer tabakkonsumbedingten Krankheit gestorben. Dies entspricht 11,7% der bei den über 35-Jährigen aufgetretenen Todesfällen. Männliche Raucher weisen mit 18,4% deutlich höhere Sterbeziffernanteile auf als Frauen (5,7%).

Für die Lebenszyklusbetrachtung werden altersspezifische Überlebenswahrscheinlichkeiten je Rauchertyp und Geschlecht benötigt. Diese ergeben sich aus Perioden­sterbetafeln. Solche Tafeln basieren auf einer Momentaufnahme der Sterblichkeitsverhältnisse unterschiedlicher Geburtsjahrgänge. Beispielhaft für die 2011 35-jährigen Männer zeigt Abbildung 1 die kumulierten Überlebenswahrscheinlichkeiten für alle Rauchertypen. Diese beschreiben die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Individuum eines bestimmten Alters mindestens bis zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft überlebt.18

Abbildung 1
Kumulierte Überlebenswahrscheinlichkeiten bei Männern
in %
31422.png

Quellen: Centers for Disease Control and Prevention; Statistisches Bundesamt; eigene Darstellung.

Die Differenz in den Überlebenswahrscheinlichkeiten von Aktiv-Rauchern und Nie-Rauchern nimmt mit dem Alter kontinuierlich zu. Heute 35-jährige Aktiv-Raucher weisen im Alter von 50 Jahren mit 96,3% eine Überlebenswahrscheinlichkeit auf, die nur 1,2 Prozentpunkte unter jener der Nie-Raucher liegt. Im Alter von 80 Jahren überleben Aktiv-Raucher dagegen nur noch mit einer Wahrscheinlichkeit von 35,7%, während die Überlebenswahrscheinlichkeit von Nie-Rauchern immer noch 57,5% beträgt. Bei Frauen ist der Unterschied zwischen den Rauchertypen weniger stark ausgeprägt, was vor allem an ihrer durchschnittlich geringeren Rauchprävalenz liegt. Eine Umrechnung der Überlebenswahrscheinlichkeiten in fernere Lebenserwartungen ergibt, dass die Einbuße an Lebensjahren bei 35-jährigen männlichen und weiblichen Aktiv-Rauchern im Vergleich zu Nie-Rauchern 5,6 bzw. 4,4 Jahre beträgt.19

Für die vorliegende Berechnung werden vorhandene Querschnittsdaten der gegenwärtigen Sterblichkeit auf eine synthetische Kohorte von 100 000 Lebendgeborenen umgelegt.20 Für die Berechnung der externen Kosten des Rauchens wird im Basisszenario ein maximaler Lebenszyklus von 89 Jahren unterstellt. Für darüber hinausgehende Altersstufen liegen keine empirisch gesicherten Daten zu Rauchprävalenzen und Sterbewahrscheinlichkeiten vor. Dafür gibt es aber Evidenz, dass die Krankheitskosten des Rauchens für ältere Altersstufen vernachlässigbar sind.21

Medizinische und nicht-medizinische Nettokosten

Medizinische Kosten, die sich aus der tabakkonsumbedingten Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen ergeben, treten bei Erwachsenen in einem Alter zwischen 35 und – modellbedingt – 89 Jahren auf. Es werden 20 Krankheitsgruppen der ICD-10-Nomenklatur berücksichtigt,22 für die ein Zusammenhang mit dem Rauchen nachgewiesen worden ist. Bei einer Bruttobetrachtung der medizinischen Kosten des Rauchens ergeben sich für 2011 im Vergleich mit einer rauchfreien Gesellschaft Kosten von 10,5 Mrd. Euro. Dies entspricht 3,9% der gesamten Krankheitskosten. Mit einer Lebenszyklusbetrachtung kann neben den durchschnittlich höheren jährlichen Krankheitskosten bei Rauchern auch deren geringere Lebenserwartung berücksichtigt werden. Ausgehend von dem Alter, in dem sich ein Individuum ab dem Referenzzeitpunkt befindet, verursacht dieses jährliche Krankheitskosten bis zum Lebensende. Für Individuen der Status-quo-Bevölkerung und der Nie-Raucher-Bevölkerung werden die altersspezifischen Krankheitskosten mit den zugehörigen alters- und rauchertypabhängigen Überlebenswahrscheinlichkeiten gewichtet. Die Differenz der für beide Populationen jeweils über alle Altersgruppen kumulierten Einzelbarwerte ergibt einen erwarteten Gesamtbarwert der kollektiv zu tragenden medizinischen Nettokosten des Rauchens in Höhe von 45,1 Mrd. Euro bei Männern und 20,1 Mrd. Euro bei Frauen.

Die Analyse der Effekte des Rauchens in den öffentlichen Alterssicherungssystemen stellt auf die Neuzugänge in der Rentenversicherung und der Beamtenversorgung ab. Beispielsweise treten aus einer Alterskohorte der 2011 35-Jährigen jedes Jahr einige Individuen der Status-quo-Bevölkerung und einige Nie-Raucher in den Ruhestand ein. Je nach Rentenart erhalten diese dann für eine bestimmte Zeit eine jährliche Rente. Der Anteil der Neuzugänge der Individuen der Status-quo-Bevölkerung und der Nie-Raucher-Bevölkerung in einem bestimmten Alter wird mit der zugehörigen Überlebenswahrscheinlichkeit gewichtet. Die Differenz der über alle Alter kumulierten Barwertsummen zukünftiger Renten- und Pensionszahlungen ergibt die Effekte des Rauchens in den öffentlichen Alterssicherungssystemen.

Der Gesamtbarwert der mit dem Rauchen assoziierten Zusatzaufwendungen an Erwerbsminderungsrenten, die bis zum jeweiligen Restlebenszyklus anfallen, beträgt über alle Alterskohorten 13,5 Mrd. Euro für Männer und 5,0 Mrd. Euro für Frauen. Für Beamte liegt der Mehraufwand an Ruhegehältern wegen Dienstunfähigkeit bei 4,8 bzw. 2,0 Mrd. Euro. Männer verursachen in allen Altersgruppen höhere Kosten als Frauen, weil das Rauchen unter Männern stärker verbreitet ist und sich Männer eher für eine Erwerbsminderungsrente qualifizieren.

Bei der Berechnung der Effekte des Rauchens bei Witwen- und Witwerrenten und -geldern muss ein bestehender Altersunterschied zum Zugangszeitpunkt des überlebenden Ehepartners berücksichtigt werden. Ein Witwer ist durchschnittlich vier Jahre älter (bzw. null Jahre bei Beamtenwitwern) als seine verstorbene Ehepartnerin, während eine Witwe durchschnittlich fünf Jahre jünger ist als ihr verstorbener Ehemann.23 Stirbt einer der beiden Ehepartner, so erhält der Überlebende einkommensabhängig eine Hinterbliebenenrente oder ein Hinterbliebenengeld bis zum Lebensende. Die Zahlungen über den Lebenszyklus hängen entscheidend von den Überlebenswahrscheinlichkeiten der Rauchertypen ab. Der kumulierte diskontierte Zeitwert der von den verstorbenen Männern verursachten tabakkonsumbedingten Mehraufwendungen an Witwenrenten liegt bei 52,5 Mrd. Euro. Bei Beamten beträgt der Zusatzaufwand an Witwengeld 14,3 Mrd. Euro. Rauchbedingte Aufwendungen an Witwerrente fallen vor allem deshalb nicht ins Gewicht, weil die Hinterbliebenenrentenbezugszeit bei Männern kürzer ist als bei Frauen. Männliche Raucher sterben durchschnittlich früher als Frauen und früher als männliche Nie-Raucher. Zudem sind Witwer beim Zugang durchschnittlich älter als Witwen. Eine höhere Rauchprävalenz bei Männern begünstigt außerdem Witwenrenten. Der Altersunterschied der Ehegatten ist hauptsächlich dafür verantwortlich, dass sich sehr geringe Ersparnisse an Witwergeldern ergeben.

Bei der Altersrente betragen die Barwerte der tabakkonsumbedingten Einsparungen bei Männern 130,7 Mrd. Euro und bei Frauen 27,6 Mrd. Euro. In der Beamtenversorgung betragen die Einsparungen 31,7 Mrd. Euro bei Männern und 3,7 Mrd. Euro bei Frauen. Die großen Unterschiede sind vor allem auf die stärkere Prävalenz des Rauchens bei Männern zurückführen.

Zentrale Ergebnisse und ihre Robustheit

Werden die Teilergebnisse der Kostenberechnung zusammengeführt, ergibt sich ein Bild der gesamten Nettoeffekte des Rauchens. Die Ergebnisse sind indikativ und gelten unter den 2011 herrschenden institutionellen Rahmenbedingungen, den getroffenen Modellannahmen sowie den verfügbaren Daten. Abbildung 2 zeigt für jede Kohorte die erwarteten Barwerte der saldierten externen Nettokosten des Rauchens, die über den jeweiligen Restlebenszyklus der im Jahr 2011 lebenden Bevölkerung anfallen. Der Kurvenverlauf ist sinusförmig. Die Barwerte junger Kohorten sind vergleichsweise gering, da sich die tabakkonsumbedingten Effekte erst im Laufe des Lebens manifestieren und durch die Diskontierung umso stärker abgewertet werden, je weiter sie in der Zukunft liegen. Während die Kohorten der 35- bis 63-jährigen Männer im Laufe ihres jeweiligen Restlebenszyklus hohe Nettoersparnisse generieren, ist die Entwicklung bei Frauen weit weniger ausgeprägt. Die Altersgruppen der Männer, die im Jahr 2011 mindestens 65 Jahre alt sind, generieren netto Kosten. Dagegen ergeben sich bei den Frauen für Altersgruppen ab 65 Jahren netto kaum Effekte des Rauchens.

Abbildung 2
Externe Nettokosten des Rauchens je Alterskohorte
in Mrd. Euro
31672.png

Quellen: AOK-Bundesverband; Bundesministerium der Finanzen; Centers for Disease Control and Prevention; Deutsche Rentenversicherung Bund; Deutscher Bundestag; Statistisches Bundesamt; eigene Darstellung.

Der kumulierte Barwert der externen Nettokosten des Rauchens beider Geschlechter beläuft sich auf -36,4 Mrd. Euro (vgl. Tabelle 1). Rauchen führt demnach zu negativen externen Nettokosten, d.h. Einsparungen aus der Perspektive der Steuer- und Beitragszahler. Darin enthalten sind auf der Kostenseite insbesondere medizinische Mehrkosten in Höhe von 65,2 Mrd. Euro, 18,5 Mrd. Euro Zusatzaufwendungen an Erwerbsminderungsrente sowie 53,0 Mrd. Euro an Witwenrenten. Die Nettoersparnisse an Altersrenten und Ruhegehältern belaufen sich auf 158,4 Mrd. Euro bzw. 35,5 Mrd. Euro. Dieser in der englischsprachigen Literatur als „death benefit“ bezeichnete Effekt überkompensiert die Summe aller Kostenkomponenten. Männliche Raucher verursachen unter dem Strich knapp acht Mal höhere Einsparungen als weibliche Raucher.

Tabelle 1
Zusammenfassung der externen Nettokosten
in Mrd. Euro
  Männer Frauen Gesamt
Medizinische Kosten 45,1 20,1 65,2
Nicht-medizinische Kosten      
Erwerbsminderungsrenten 13,5 5,0 18,5
Dienstunfähigkeit (Beamte) 4,8 2,0 6,8
Altersrenten -130,8 -27,6 -158,4
Ruhegehälter (Beamte) -31,7 -3,7 -35,5
Witwen-/Witwerrenten 52,5 0,4 53,0
Witwen-/Witwergelder (Beamte) 14,3 -0,3 14,1
Gesamt -32,2 -4,2 -36,4
Tabaksteuereinnahmen 217,1 158,6 375,7

Quellen: AOK-Bundesverband; Bundesministerium der Finanzen; Centers for Disease Control and Prevention; Deutsche Rentenversicherung Bund; Deutscher Bundestag; Statistisches Bundesamt; eigene Darstellung.

Die Aufsummierung der Tabaksteuerzahlungen, die bis zum jeweiligen Lebensende der im Jahr 2011 lebenden Individuen aufgebracht werden, ergibt die Barwerte der Steuereinnahmen. Der Barwert aller Tabaksteuereinnahmen beträgt 375,7 Mrd. Euro und übersteigt die Summe der externen Nettokosten des Rauchens bei weitem.

Eine Änderung der Diskontierungsrate hat indessen einen recht starken Effekt auf die Ergebnisse des Basisszenarios. Generell fallen die Kosten des Rauchens umso höher aus, je größer die Diskontierungsrate gewählt wird. Bei einer Diskontierungsrate von 5% ergeben sich netto Kosten in Höhe von 25,2 Mrd. Euro (Barwert). Eine Verlängerung der maximalen Lebenszeit führt dagegen zu geringeren Nettokosten. Bei einer unterstellten maximalen Lebenszeit von 94 Jahren (und entsprechend geschätzten Rauchprävalenzen und Sterbewahrscheinlichkeiten) fallen die Nettokosten auf -86,1 Mrd. Euro. Dagegen beeinflusst die Variation weiterer Modellparameter wie der Rückgang der Verbreitung des Rauchens um 10%, die Veränderung des Renteneintrittsalters um drei Jahre oder die Erhöhung der relativen Mortalitätsrisiken das Gesamtergebnis weniger stark bis gar nicht.

Dem bisher unterstellten Verhalten rationaler Raucher unterliegt ein zeitkonsistenter Konsumplan. Raucher, die sich nicht an einen solchen binden können, rauchen stets mehr als geplant. Abhilfe schafft eine Tabaksteuer, die neben den externen Nettokosten auch einen Teil der privaten Kosten internalisiert.24 Der absolute Unterschied zwischen den externen Nettokosten und den Tabaksteuereinnahmen ist jedoch so groß, dass die Einnahmen die Summe aus externen Kosten und den individuellen Schäden, die der zeitinkonsistente Teil der Raucherschaft nicht ins Kalkül zieht, übersteigen dürften.

Fazit

Die vorliegenden Berechnungen haben ergeben, dass die aggregierten externen Nettokosten des Rauchens negativ sind. Tabaksteuern lassen sich demnach aus einer an den externen Nettokosten des Rauchens orientierten Perspektive nur schwer motivieren. Eher dürfte für die Tabaksteuer auch heute noch eine Beobachtung gelten, die Adam Smith bereits vor mehr als 200 Jahren gemacht hat: „Sugar, rum, and tobacco are commodities which are nowhere necessaries of life, which are become objects of almost universal consumption, and which are therefore extremely proper subjects of taxation.“25

Anmerkung: Die quantitativen Ergebnisse dieses Beitrags basieren auf F. Steidl: Die Kosten des Rauchens und die Bemessung der Tabaksteuer in Deutschland, Dissertation am Karlsruher Institut für Technologie 2015. Dort sind das methodische Vorgehen und die genutzten Daten zur Kalkulation der externen Kosten des Rauchens ausführlich dargestellt. Nota bene: Der vorliegende Beitrag wurde unbeeinflusst von Interessen Dritter verfasst.

  • 1 Vgl. B. U. Wigger: Wer profitiert von der weiteren Erhöhung der Tabaksteuer?, in: Wirtschaftsdienst, 85. Jg. (2005), H. 8, S. 518-521, http://www.wirtschaftsdienst.eu/downloads/getfile.php?id=1051 (16.7.2015).
  • 2 Während der Rauchertyp Nie-Raucher niemals aktiv raucht, umfassen (Jemals-)Raucher alle Aktiv- und Ex-Raucher. Aktiv-Raucher rauchen gelegentlich oder regelmäßig. Die Bezeichnung „Raucher“ bezieht sich auf Männer und Frauen.
  • 3 Es ließe sich zwar argumentieren, dass es auch in den privaten Alterssicherungssystemen zu externen Ersparnissen des Rauchens kommt. Immerhin mag die Frühsterblichkeit von Rauchern die Erträge von Nie-Rauchern in diesen Systemen begünstigen. Allerdings sind die privaten Alterssicherungen freiwillig und Raucher mögen ihre Frühsterblichkeit bei der Wahl einer solchen Versicherung berücksichtigen.
  • 4 Vgl. T. Effertz, R. Linder, F. Verheyen: Wieviel kosten uns Alkohol- und Nikotinabusus wirklich?, in: NeuroTransmitter, 25. Jg. (2014), H. 5, S. 46-52.
  • 5 Die geringe Fallzahl rührt daher, dass auch Raucher in der Regel erst in einem Alter versterben, in dem sie keine anspruchsberechtigten Kinder mehr haben. Vgl. Deutsche Rentenversicherung Bund: Rentenzugang 2011, Statistik der Deutschen Rentenversicherung, 188. Bd., Berlin 2012.
  • 6 Daten aus: R. Augustin et al.: Tabakkonsum, Abhängigkeit und Änderungsbereitschaft, Ergebnisse des Epidemiologischen Suchtsurvey 2003, in: Sucht, 51. Jg. (2005), H. 7, S. 40-48; L. Kraus et al.: Kurzbericht Epidemiologischer Suchtsurvey 2009, Institut für Therapieforschung, München 2010.
  • 7 Vgl. S. Smith: Restraining the golden weed: Taxation and regulation of tobacco, in: FinanzArchiv, 64. Jg. (2008), H. 4, S. 476-507.
  • 8 Vgl. S. Anger, M. Kvasnicka: Does smoking really harm your earnings so much? Biases in current estimates of the smoking wage penalty, in: Applied Economics Letters, 17. Jg. (2010), H. 6, S. 561-564.
  • 9 Siehe etwa F. A. Sloan et al.: The price of smoking, Cambridge 2004; W. G. Manning et al.: The taxes of sin: Do smokers and drinkers pay their way?, in: The Journal of the American Medical Association, 261. Jg. (1989), H. 11, S. 1604-1609.
  • 10 Nur in der Studie von Warschburger werden die Ersparnisse an Rentenzahlungen unter Berücksichtigung der rauchertypspezifischen Lebenserwartung quantifiziert: S. Warschburger: Rauchen und Alterssicherung: eine empirische Untersuchung der Auswirkungen des Rauchens auf die Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung in Deutschland, Frankfurt a.M. 2002. Die Bruttokosten des Rauchens in Deutschland werden beispielsweise in folgenden neueren Studien berechnet: M. Adams, T. Effertz: Volkswirtschaftliche Kosten des Alkohol- und Tabakkonsums, in: M.V. Singer, A. Batra, K. Mann (Hrsg.): Alkohol und Tabak. Grundlagen und Folgeerkrankungen, Stuttgart 2010, S. 57-62; M. Wacker et al.: The association of smoking status with health care utilisation, productivity loss and resulting costs: Results from the population-based KORA F4 study, BMC Health Services Research, 13. Jg., 2013; T. Effertz, F. Verheyen, R. Linder: Die medizinischen Kosten schädlichen Alkohol- und Tabakkonsums in Deutschland – eine Analyse mittels GKV-Routinedaten, Sucht, 60. Jg. (2014), H. 4, S. 203-213.
  • 11 Der hier verwendete Ansatz basiert auf M. Pock et al.: Volkswirtschaftliche Effekte des Rauchens: Eine ökonomische Analyse für Österreich, Projektbericht, Wien 2008.
  • 12 Eine Unterscheidung zwischen Aktiv- und Ex-Raucher-Effekten ist dabei nicht möglich.
  • 13 Vgl. A. Schumann et al.: Gesundheitsverhalten von Rauchern – Ergebnisse der TACOS-Studie, in: Das Gesundheitswesen, 62. Jg. (2000), S. 275-281.
  • 14 Datengrundlagen sind insbesondere: Versorgungsstatistik, Mikrozensus, Krankheitskostenstatistik, Todesursachenstatistik, Statistik der durchschnittlichen Bevölkerung und Rentenzugangsstatistik.
  • 15 Statistisches Bundesamt: Mikrozensus – Fragen zur Gesundheit. Rauchgewohnheiten der Bevölkerung 2009 und 2013, Sonderauswertung nach 1-Jahres-Altersstufen, 2014.
  • 16 Zur Methodik siehe auch World Health Organization: Assessment of the economic costs of smoking: Economics of tobacco toolkit, Genf 2011.
  • 17 Siehe etwa A. Prenzler, T. Mittendorf, J. M. von der Schulenberg, a.a.O.
  • 18 Methodische Details hierzu siehe etwa D. M. Parkin, T. Hakulinen: Analysis of survival, in: O. M. Jensen et al. (Hrsg.): Cancer registration: Principles and methods, in: IARC Scientific Publications, Nr. 95 (1991), S. 159-176.
  • 19 Zur Umrechnungsmethodik siehe etwa Statistisches Bundesamt: Berechnung von Periodensterbetafeln, Wiesbaden 2012.
  • 20 Vgl. ebenda.
  • 21 Vgl. S. R. Rasmussen et al.: The total lifetime costs of smoking, in: European Journal of Public Health, 14. Jg. (2004), H. 1, S. 95-100.
  • 22 ICD-10 ist die internationale statistische Klassifikation sämtlicher Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der WHO in der 10. Revision. Sie wird etwa durch das Deutsche Institut für medizinische Dokumentation und Information veröffentlicht. Vgl. Centers for Disease Control and Prevention: Smoking-attributable mortality, morbidity, and economic costs, https://apps.nccd.cdc.gov/sammec (31.1.2015).
  • 23 Daten aus: Deutsche Rentenversicherung Bund: Postrentenzahlbestand zum 30.6.2014, Sonderauswertung, 2015; Deutscher Bundestag: Fünfter Versorgungsbericht der Bundesregierung, Bundestags-Drucksache 17/13590, 2013.
  • 24 Vgl. B. U. Wigger: Kleine Sünden besteuert der Staat sofort, in: FAZ vom 17.1.2011, S. 12.
  • 25 A. Smith: An inquiry into the nature and causes of the wealth of nations, in: S. M. Soares (Hrsg.): MetaLibri Digital Library, 2007, S. 731.

Title:External Costs of Smoking in Germany

Abstract:A longitudinal view of cross­sectional data allows the authors to quantify the external costs and savings of tobacco consumption in Germany. The lower life expectancies of smokers are accounted for. The calculation is expenditure­oriented and considers the given institutional framework of the German social security system. The results show that smokers are actually net contributors to the social security system.


DOI: 10.1007/s10273-015-1867-y

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