Seit der Wiedervereinigung war die Zahl der Selbständigen in Deutschland über gut zwei Jahrzehnte von rund 3 Mio. auf über 4 Mio. gestiegen. Dieser Trend ist zuletzt gebrochen. Von 2012 bis 2014 gab es einen Rückgang um 123 000 Personen. Dieser setzte sich auch nach dem hier betrachteten Zeitraum fort. Dieser Artikel analysiert, wie diese Entwicklung zu Zeiten eines großen Erwerbstätigkeitsaufschwungs zu erklären ist.
Zunächst schauen wir näher darauf, welche Gruppen in der Selbständigkeit hinter dem Sinken der Zahlen stehen. Abbildung 1 zeigt, dass der Rückgang fast ausschließlich auf die Soloselbständigen zurückgeht. Dabei handelt es sich um Unternehmer, die keine Angestellten beschäftigen. Ihr Anteil an allen Selbständigen lag zuletzt bei 56%.
Abbildung 1
Selbständigkeit und Soloselbständigkeit
Quelle: destatis.
Trendbruch bei der Soloselbständigkeit
Also stellt sich die Frage, wie der Trendbruch bei der Soloselbständigkeit zu erklären ist. Dafür kommen verschiedene Gründe infrage. So könnte die Entwicklung einerseits mit der Aufhebung von Freizügigkeitsbeschränkungen für Personen aus neuen EU-Mitgliedstaaten wie Bulgarien und Rumänien zusammenhängen. Bevor der deutsche Arbeitsmarkt für diese Personen geöffnet wurde, blieb ihnen als legale Beschäftigungsmöglichkeit in Deutschland üblicherweise nur die Selbständigkeit. In diesen Fällen ging es also eigentlich um einen Ersatz für abhängige Beschäftigung. Aus diesem Grund ist zu erwarten, dass vorwiegend Soloselbständigkeit auftritt.
Mit der Öffnung des Arbeitsmarkts könnten sich die Betroffenen also gegen die Selbständigkeit entschieden und stattdessen eine abhängige Beschäftigung aufgenommen haben. Soll dies einen relevanten Erklärungsbeitrag liefern, wäre ein Rückgang bei der Selbständigkeit ausländischer Staatsbürger zu erwarten. Abbildung 2 zeigt allerdings, dass die Selbständigkeit der deutschen Staatsbürger sinkt, nicht die der ausländischen. Das macht es unwahrscheinlich, dass die Freizügigkeit einen wesentlichen Bestimmungsgrund der Entwicklung darstellt.
Abbildung 2
Selbständigkeit von Deutschen und Ausländern
Quelle: destatis
Ich-AG durch Gründungszuschuss abgelöst
Andererseits ist für die Aufnahme von Soloselbständigkeit die öffentliche Förderung ein wichtiger Bestimmungsfaktor. Die Zahl der Geförderten hatte im Jahr 2005 mit über 300 000 ihren Höhepunkt erreicht (vgl. Abbildung 3). Damals spielte vor allem die sogenannte Ich-AG eine wichtige Rolle. Angedacht war sie im Zuge der Arbeitsmarktreformen als eines der Instrumente, um der Massenarbeitslosigkeit Herr zu werden.
Abbildung 3
Geförderte Selbständigkeit
Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit.
Die Ich-AG wurde nach und nach durch den Gründungszuschuss abgelöst. In zwei Stufen, von 2006 bis 2009 und von 2011 bis 2013, ging die Zahl der Geförderten auf weniger als ein Zehntel des Ausgangswertes zurück. Bei den Geförderten handelt es sich meistens um typische Existenzgründer mit einem hohen Anteil an Soloselbständigen.
Unter der Annahme, dass die Förderung tatsächlich die Selbständigkeit erhöht, wäre ein starker Rückgang der Förderung also auch ein plausibler Grund für den Trendknick bei der Selbständigkeit. Es bleibt allerdings die Frage, warum die Selbständigkeit auch ab 2013 weiter sinkt, als die Förderzahlen bereits ein Plateau erreicht hatten.
In der Tat wurde zuletzt darauf hingewiesen, dass nach der geförderten nun auch die ungeförderte Selbständigkeit zurückgeht.1 Die Bezeichnung „ungefördert“ bezieht sich dabei allerdings auf alle Selbständigen, die aktuell keine Förderung erhalten, selbst wenn ihre Selbständigkeit ursprünglich einmal gefördert worden war. Abbildung 4 zeigt die auf Basis des Sozio-Oekonomischen Panels (SOEP) berechnete Entwicklung der Zahl der Soloselbständigen, die irgendwann während ihrer laufenden Beschäftigungsphase ab 2005 gefördert worden waren.2 Zudem ist die Zahl derjenigen abgetragen, deren aktuelle Selbständigkeit nie gefördert worden ist. Offensichtlich sinkt ab dem Jahr 2012 ausschließlich die Zahl der ursprünglich Geförderten.
Abbildung 4
Soloselbständige mit und ohne Förderung in der Vergangenheit
Quelle: SOEP; Statistik der Bundesagentur für Arbeit; eigene Berechnungen.
Liegt es also an der Instabilität der aus Gründungsförderung entstehenden Erwerbstätigkeit, dass die Selbständigkeit sinkt? Das kann man aus den Ergebnissen nicht schließen: Abbildung 5 stellt die Abgänge aus ursprünglich geförderter Selbständigkeit dar. Hier gab es zuletzt keine auffälligen Bewegungen.
Abbildung 5
Abgang aus Selbständigkeit mit Förderung in der Vergangenheit
Quelle: SOEP; eigene Berechnungen.
Übergang in abhängige Beschäftigung
Sieht man sich die Abgänge aus ursprünglich geförderter Selbständigkeit näher an, so zeigt sich zudem, dass es Wechsel eher in abhängige Beschäftigung als zurück in die Arbeitslosigkeit gab. Mit der Beendigung der Selbständigkeit folgte laut SOEP in den Jahren 2012 bis 2014 in 16% der Fälle Arbeitslosigkeit, aber in 67% ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis. Der Boom bei sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung wird das seine zu dieser Entwicklung beitragen: Abbildung 6 zeigt den seit Jahren anhaltenden, immensen Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung, im Gegensatz zur Selbständigkeit in Abbildung 1. Tatsächlich übersteigt das Wachstum der Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten signifikant das der Zahl der Erwerbstätigen insgesamt.3
Abbildung 6
Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte
Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit.
Besondere Dynamik bei der Beendigung von Selbständigkeit zeigt sich also nicht. Dementsprechend muss der Rückgang des Niveaus der Selbständigkeit auf die Zugangsseite zurückzuführen sein. Tatsächlich sind die Neuzugänge in die Förderung von Selbständigkeit stark gesunken. Lagen sie im Jahr 2010 laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit noch bei über 160 000 Fällen, gibt es seit 2012 nur noch deutlich unter 40 000 neue Förderungen pro Jahr.
Die Erklärung für den Rückgang der Selbständigkeit insgesamt ist also folgende: Die Neuzugänge sind mit dem starken Sinken der Zahlen beim Gründungszuschuss gefallen. Aus dem Pool der ursprünglich geförderten Selbständigen gibt es aber weiterhin Abgänge in normalem Umfang, gestützt durch die starke Ausweitung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Somit sinkt der Wasserstand im Pool, also die Zahl der ursprünglich geförderten Selbständigen und mit ihr die gesamte Selbständigkeit. Für die neuen Förderungen gilt das seit 2012 und für den Bestand seit 2013 nicht mehr. Allerdings sind die Abgänge aus Selbständigkeit stärker verzögert als das Auslaufen der Förderung. Somit lässt sich die rückläufige Entwicklung der Selbständigkeit dennoch weiterhin auf das Fördergeschehen zurückführen.
Gesunkene Förderzahlen entscheidend
Ein neues Gleichgewicht wird erreicht, wenn die Abgänge das geringere Niveau der Zugänge erreicht haben. Das ist auch zu erwarten, da der Pool der potenziellen Abgänge, also die Zahl der ursprünglich geförderten Selbständigen, immer kleiner wird (vgl. Abbildung 4). Mittelfristig wird dieser Mechanismus keinen Anlass mehr für sinkende Selbständigkeit geben.
Zu monokausalen Schlüssen soll die Erklärung natürlich nicht verleiten. Faktoren wie der boomende Arbeitsmarkt, die gesellschaftliche Einstellung zum ökonomischen Risiko oder die Alterung des Erwerbspersonenpotenzials können durchaus ihre Effekte auf die Selbständigkeit entfalten. Die zuletzt zu beobachtende Entwicklung ist aber noch immer stark von den Auswirkungen der gesunkenen Förderzahlen geprägt.
- 1 K. Brenke: Selbständige Beschäftigung geht zurück, in: DIW Wochenbericht, 2015, H. 36, S. 790-796; J. Fuchs, B. Gehrke, M. Hummel, C. Hutter, S. Klinger, S. Wanger, E. Weber, R. Weigand, G. Zika: IAB-Prognose 2015/2016: Arbeitsmarkt weiter robust, in: IAB-Kurzbericht, 2015, H. 15.
- 2 Die jährliche Zahl der Neuförderungen wurde anhand der Statistik der Bundesagentur für Arbeit, deren Angaben auf Vollerhebung basieren, hochgerechnet.
- 3 J. Fuchs, M. Hummel, C. Hutter, B. Gehrke, S. Wanger, E. Weber, R. Weigand, G. Zika: IAB-Prognose 2016: Beschäftigung und Arbeitskräfteangebot so hoch wie nie, in: IAB-Kurzbericht, 2016, H. 6.