Der deutsche Arbeitsmarkt befindet sich im Wandel, der von Globalisierung, technischem Fortschritt sowie der Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort geprägt ist. Eine Vermischung von verschiedenen Erwerbsformen oder ein Wechsel zwischen ihnen sind Teil dieses Wandels.1 Dabei tritt immer häufiger das Phänomen der Erwerbshybridisierung auf, das die gleichzeitige Ausübung eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses und einer Selbstständigkeit beschreibt.2 Mit Hilfe des Nationalen Bildungspanels (NEPS) wurde bereits gezeigt, dass sowohl bei Männern als auch bei Frauen die hybride Erwerbstätigkeit zugenommen hat.3 Der Gründungsmonitor der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW-Gründungsmonitor) zeigt zwar einen Rückgang der Gründungen in den letzten Jahren insgesamt, gleichzeitig gab es bei den Gründungen durch Frauen 2018 einen Anstieg.4 Die Determinanten für die Hybridisierung sind vielseitig und reichen von persönlichen Motiven wie z. B. zeitlicher Flexibilität5 oder der Möglichkeit, Familie und Beruf besser zu vereinen,6 bis hin zur generellen Perspektive am Arbeitsmarkt. Außerdem sind branchenspezifische Unterschiede zu beobachten: Im Handel und im Dienstleistungssektor gibt es besonders viele hybride Erwerbstätige.7
Die Datengrundlage bildet der Mikrozensus der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder. Dieser umfasst eine 1 %ige Stichprobe der deutschen Bevölkerung (ca. 830 000 Befragte), wird jährlich durchgeführt und ist für die Teilnehmer verpflichtend. Im Vergleich zum KfW-Gründungsmonitor, der schon mit Daten bis 2018 arbeitet, ist der Mikrozensus dennoch aufgrund der guten Repräsentativität durch die große Zahl von Beobachtungen, der jährlichen Verfügbarkeit und der detaillierten Angaben zu Branchen für die Analyse der Entwicklung der hybriden Erwerbstätigkeit gut geeignet.8
Die Auswertung des Mikrozensus zeigt, dass es zwischen 2011 und 2015 zu einem Anstieg der Hybrid-Selbstständigen auf dem Arbeitsmarkt gekommen ist.9 Frauen sind dabei tendenziell unterrepräsentiert, jedoch scheint sich dies zu verändern. Immer häufiger gründen auch Frauen im Nebenerwerb ein Unternehmen, insbesondere als Soloselbstständige, also ohne Beschäftigte. Vor allem im Dienstleistungssektor ist die Zahl der weiblichen Hybrid-Selbstständigen gestiegen, von 2011 bis 2015 um mehr als 21 %. Die Beschäftigungsfelder, die dabei die größten Wachstumstreiber sind, wie Hausmeisterdienste oder als Dienstleister in privaten Haushalten, werden jedoch im Allgemeinen dem Niedriglohnsektor zugeordnet.10
Der Mirkozensus definiert Hybrid-Erwerbstätige so, dass sie mindestens zwei Erwerbstätigkeiten ausüben, wovon mindestens eine selbstständig ausgeübt wird. Dabei spielt die Reihenfolge der Angabe keine Rolle. Es werden nur Personen im erwerbsfähigen Alter betrachtet, d. h. zwischen 15 und 65 Jahren. Um Aussagen über zeitliche Trends treffen zu können, werden Daten von 2011 bis 2015 ausgewertet und analysiert. Auswertungen zu Erwerbstätigen vor 2011 können nur bedingt mit denen der Folgejahre verglichen werden, da es von 2010 auf 2011 zu einer Änderung bei der Erfassung des Labour-Force-Konzepts der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) im Fragebogen des Mikrozensus und der darin integrierten Arbeitskräfteerhebung kam, die zu einem rein methodisch bedingten Anstieg der Zahl der Erwerbstätigen geführt hat.11
Im Jahr 2015 gab es in Deutschland knapp 850 000 Hybrid-Erwerbstätige. Dies entspricht einem Anteil von 2,1 % der arbeitenden Bevölkerung. Seit 2011 ist jedoch ein Trend zur „Zweigleisigkeit“ erkennbar, denn die Zahl der Hybriden hat sich um fast 5 % erhöht. Zum Vergleich: Die Zahl der Erwerbstätigen stieg im gleichen Zeitraum um 2,7 %. Der Frauenanteil in dieser Erwerbsgruppe liegt mit knapp 345 000 im Jahr 2015 bei ca. 40 % und hat sich seit 2011 um 2 Prozentpunkte erhöht.
Auffällig bei der Analyse von Hybriden ist, dass Ein-Frau- bzw. Ein-Mann-Betriebe deutlich häufiger vorkommen, als Unternehmen mit Beschäftigten (vgl. Abbildung 1). Nur ca. 10 % der Hybriden haben Beschäftigte (3 % Frauen, 7 % Männer); die übrigen 90 % sind soloselbstständig (37 % Frauen, 53 % Männer). Unter den knapp 90 000 Selbstständigen mit Beschäftigten liegt der Frauenanteil bei 32 %, bei den etwa 770 000 Soloselbstständigen bei 42 %. Die Zahl der Soloselbstständigen ist von 2011 bis 2015 um 3,3 % gestiegen (+9,8 % Frauen, -0,8 % Männer), und die Zahl derjenigen mit Beschäftigten um 19,9 % (31,0 % Frauen, 15,3 % Männer). Da die ungewichteten Fallzahlen der Hybrid-Selbstständigen mit Beschäftigten im Mikrozensus mit teilweise unter 50 Beobachtungen sehr gering ausfallen, stützt sich die weitere Analyse ausschließlich auf die Hybrid-Soloselbstständigen.
Abbildung 1
Hybrid-Erwerbstätige
Quelle: Forschungsdatenzentrum der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder: Mikrozensus, 2011-2015; eigene Berechnungen.
Um Unterschiede zwischen den Geschlechtern herauszuarbeiten, werden die nach Beschäftigten größten Branchen, in denen im Nebenerwerb eine soloselbstständige Beschäftigung ausgeübt wird, genauer untersucht.12 Die größten Anteile der Hybrid-Soloselbstständigen finden sich 2015 bei den freiberuflichen und wissenschaftlichen Dienstleistungen, in der Branche Erziehung und Unterricht, im Handel, im Gesundheits- und Sozialwesen, in der Kunst- bzw. Unterhaltungsbranche, im sonstigen Dienstleistungssektor sowie in der Land- und Forstwirtschaft (LuF). Die größte Branchengruppe sind die freiberuflichen und wissenschaftlichen Dienstleistungen mit einem Anteil von 19 %, was ca. 143 000 Beschäftigten entspricht, gefolgt von Erziehung und Unterricht mit einem Anteil von 13 %. In den übrigen Branchen sind jeweils weniger als 10 % der Hybrid-Soloselbstständigen tätig.
Bei zusätzlicher Betrachtung nach Geschlechtern erkennt man, dass Männer häufiger als Frauen in der LuF, im Handel, im freiberuflichen bzw. wissenschaftlichen Dienstleistungssektor sowie in der Kunst- bzw. Unterhaltungsbranche arbeiten. In den Branchen Erziehung und Unterricht, Gesundheits- und Sozialwesen sowie im sonstigen Dienstleistungssektor ist der Frauenanteil mit 54 %, 70 % sowie 64 % größer (vgl. Abbildung 2).
Bezieht man den zeitlichen Aspekt in die Analyse mit ein, lassen sich Trends erkennen. Die mit einem Zuwachs von knapp 10 % wachstumsstärksten Branchen13 sind der sonstige Dienstleistungssektor sowie der Handel. Die verlustreichste Branche ist die LuF mit einem Rückgang von 12 %. Im Gegensatz zu Männern weisen Frauen höhere kumulierte Wachstumsraten in allen Branchen auf, mit Ausnahme des sonstigen Dienstleistungssektors. Dies spiegelt sich auch in der kumulierten Wachstumsrate von 2011 bis 2015 für weibliche Hybrid-Soloselbstständige wider (+9,8 %), die im Vergleich zu Männern (-0,8 %) deutlich höher liegt. Vor allem der freiberufliche Dienstleistungssektor und die Branchen Kunst und Unterhaltung sowie Erziehung und Unterricht haben einen großen Anstieg an weiblichen Hybrid-Soloselbstständigen erfahren. Im Vergleich dazu ist die Zahl der soloselbstständigen Männer in diesen Branchen nur wenig gewachsen. Das größte Wachstum konnten die männlichen Hybrid-Soloselbstständigen im sonstigen Dienstleistungssektor (+11 %), im Handel (+7 %) sowie im freiberuflichen Dienstleistungssektor (+2 %) erzielen. Im Fall der Hybrid-Soloselbstständigen ist den Analysen zufolge der starke Anstieg in den letzten Jahren vor allem auf folgende Tätigkeiten zurückzuführen: Spiel- und Lotteriewesen, Erbringung von Dienstleistungen des Sports, Reparatur- und Hausmeisterarbeiten oder die Erbringung von Dienstleistungen in Privathaushalten. Im Allgemeinen werden diese Tätigkeiten dem Niedriglohnsektor zugeschrieben.14
Abbildung 2
Soloselbstständige nach Branchen und Geschlecht, 2015
Quelle: Forschungsdatenzentrum der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder: Mikrozensus, 2015; eigene Berechnungen.
Die Analyse des Mikrozensus zeigt, dass die hybride Selbstständigkeit insbesondere bei Frauen angestiegen ist. Die Zahl weiblicher Hybride nahm sowohl bei Soloselbstständigen (9,8 %) als auch bei solchen mit Beschäftigten (31 %) rascher zu als bei Männern (-0,8 % bzw. 19,9 %). Darüber hinaus ist die Zahl der hybrid-soloselbstständigen Frauen vor allem im freiberuflichen und wissenschaftlichen Dienstleistungssektor sowie in der Branche Kunst und Unterhaltung stark gewachsen (jeweils 21 %), die Zahl der hybrid-soloselbstständigen Männer hingegen im sonstigen Dienstleistungssektor (11 %) sowie im Handel (7 %). Der Großteil des Wachstums geht dabei auf Tätigkeiten zurück, die im Allgemeinen dem Niedriglohnsektor zugeordnet werden. Selbstständige beziehen in diesem Sinne jedoch keinen Lohn, weshalb darüber hinaus keine Schlussfolgerungen zum Einkommen eines Selbstständigen gezogen werden können.
Diese Beobachtungen werfen die Frage auf, weshalb sich insbesondere Frauen dazu entscheiden, im Nebenerwerb eine Soloselbstständigkeit aufzunehmen. Ein möglicher Grund ist, dass Frauen häufiger in Teilzeit arbeiten als Männer.15 Der hybride Zweitjob ist in diesem Fall eine Alternative zum Vollzeitjob, aber auch zum Minijob im Nebenerwerb, da die zeitliche Flexibilität für besonders wichtig gehalten wird. Auch Erwerbsunterbrechungen, beispielsweise nach der Geburt eines Kindes, sind bei Frauen häufiger zu beobachten. Ein Verlust von Humankapital nach Erwerbsunterbrechungen kann ein Grund dafür sein, dass gerade im Niedriglohnsektor das Wachstum ausgeprägter war. Humankapitalverluste haben erhebliche Reduzierungen im Gehalt zur Folge.16
Generell sind selbstständige Tätigkeiten mit erhöhten Risiken verbunden, wie einer schlechten Absicherung im Falle von Krankheit oder im Alter17 sowie dem Risiko von Verdienstausfällen bei einer schlechten Auftragslage.18 Dass viele Frauen dennoch eher eine hybride Erwerbstätigkeit wählen als eine Vollzeitstelle, kann außer mit Beschränkungen der Arbeitsnachfrage auch mit der größeren Flexibilität erklärt werden, die mit einer Selbstständigkeit einhergeht.19 Diese Flexibilität erleichtert nicht nur die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sondern geht auch mit einer größeren Arbeitszufriedenheit einher.20 Allerdings stellt die Kombination aus Teilzeit und Selbstständigkeit ein Problem dar. Wie bei einer sozialversicherungspflichtigen Vollzeitstelle besteht auch bei einer Beschäftigung in Teilzeit eine Krankenversicherung über den Arbeitgeber. Wenn jedoch die Einnahmen aus der hybriden Selbstständigkeit keine zusätzliche finanzielle Absicherung ermöglicht, besteht in Kombination mit einem niedrigeren Gehalt der Teilzeitstelle, und somit niedrigeren Renteneinzahlungen, eine prekäre Lage im Alter.21
Diverse politische Debatten über eine Sicherung der Selbstständigen im Alter werden bereits geführt. Die Möglichkeit einer Erwerbstätigenversicherung statt einer Sozialversicherung steht im Raum,22 aber auch eine Bezuschussung der Sozialversicherungsbeiträge, wie bei Landwirten. Letzteres würde jedoch zu Nachteilen anderer Selbstständiger und zu Verzerrungen des Wettbewerbs führen.23 Wie sich der Trend der Hybriden weiterhin entwickeln wird, lässt sich schwer abschätzen. Handlungsbedarf von der Politik besteht allerdings in jedem Fall.
- 1 Vgl. A. D. Bührmann, U. Fachinger, E. M. Welskop-Deffaa: Hybride Erwerbsformen: Digitalisierung, Diversität und sozialpolitische Gestaltungsoptionen, Wiesbaden 2018.
- 2 Vgl. A. Koch, M. Rosemann, J. Späth: Soloselbstständige in Deutschland – Strukturen, Entwicklungen und soziale Sicherung bei Arbeitslosigkeit, WISO Diskurs, Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn, Februar 2011.
- 3 Vgl. R. Kay, S. Schneck, O. Suprinovič: Erwerbshybridisierung – Verbreitung und Entwicklung in Deutschland, in: A. D. Bührmann, U. Fachinger, E. M. Welskop-Deffaa, a. a. O., S. 15-50.
- 4 G. Metzger: Gründungstätigkeit in Deutschland stabilisiert sich 2018 auf niedrigem Niveau, KfW Research, Volkswirtschaft Kompakt, 2019.
- 5 Vgl. R. Kay, S. Schneck, O. Suprinovič: Erwerbsbiografische Einflüsse auf das Gründungsverhalten von Frauen, IfM-Materialien, Nr. 230, Bonn 2014.
- 6 Vgl. KfW Bankengruppe: KfW-Gründungsmonitor 2017, Frankfurt a. M. 2017.
- 7 KfW Bankengruppe: KfW Gründungsmonitor 2018, Frankfurt a. M. 2018.
- 8 Die Einteilung der Tätigkeiten in Branchen erfolgt nach Vorlage des Statistischen Bundesamtes; vgl. Statistisches Bundesamt: Klassifikation der Wirtschaftszweige – mit Erläuterungen, Wiesbaden 2008.
- 9 Forschungsdatenzentrum der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder: Mikrozensus, 2011-2015; eigene Berechnungen.
- 10 Vgl. P. vom Berge et al.: Arbeitsmarktspiegel – Entwicklungen nach Einführung des Mindestlohns, Ausgabe 6, IAB-Forschungsbericht, Nr. 5, 2018.
- 11 Vgl. Statistisches Bundesamt: Methodeninformation – Mikrozensus und Arbeitskräfteerhebung: Ergebnisse zur Erwerbstätigkeit ab dem Jahr 2011, Wiesbaden 2012.
- 12 Der Begriff Geschlechter beinhaltet Frauen und Männer; ein drittes Geschlecht wurde im Mikrozensus zu dem Zeitpunkt nicht abgefragt.
- 13 Hierbei handelt es sich um die Branchen, in denen im Nebenerwerb gearbeitet wird.
- 14 Vgl. P. vom Berge et al., a. a. O.
- 15 Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Zweiter Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, 2017.
- 16 Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Entgeltungleichheit zwischen Frauen und Männern in Deutschland, 2009.
- 17 Vgl. Hans-Böckler-Stiftung: Atlas der Arbeit – Daten und Fakten über Jobs, Einkommen und Beschäftigung, 2018.
- 18 Vgl. M. Fritsch, A. Kritikos, A. Sorgner: Verdienen Selbständige tatsächlich weniger als Angestellte?, DIW Wochenbericht, Nr. 7, 2015.
- 19 Vgl. R. Kay, S. Schneck, S. Suprinovič: Erwerbsbiografische Einflüsse ..., a. a. O.
- 20 Vgl. M. Benz, B. S. Frey: Being Independent is a Great Thing: Subjective Evaluations of Self-Employment and Hierarchy, in: Economica, 75. Jg. (2008), H. 298, S. 362-383.
- 21 Vgl. U. Fachinger: Erwerbshybridisierung: Sozialpolitische (Folge-)Probleme, in: A. D. Bührmann, U. Fachinger, E. M. Welskop-Deffaa, a. a. O., S. 77-106.
- 22 Vgl. R. Schlegel: Hybridisierung der Erwerbsformen – Arbeits- und sozialrechtliche Antworten, in: A. D. Bührmann, U. Fachinger, E. M. Welskop-Deffaa, a. a. O., S. 293-306.
- 23 Vgl. R. Kay, O Suprinovič: Hybride Selbstständigkeit – aktuelle Entwicklung und politischer Handlungsbedarf, Friedrich-Ebert-Stiftung, Wirtschafts- und Sozialpolitik, WISO Direkt, Nr. 6, 2019.