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Mit der Erholung aus der Coronakrise zog die Industrieproduktion in Deutschland wieder deutlich an. Über das Jahr 2021 machten sich aber Lieferengpässe bei Rohmaterialien und Zwischenprodukten wie Halbleitern mehr und mehr bemerkbar. Mit dem Urkaine-Krieg verschärft sich die Situation noch einmal. Diese Hemmnisse wirken sich auch auf die Arbeitsmarktentwicklung aus.

Zur Bestimmung des Ausmaßes der Materialengpässe verwenden wir Daten aus den ifo-Konjunkturumfragen.1 Hier wird vierteljährlich2 gefragt, ob die Produktionstätigkeit der Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe zurzeit durch Mangel an Rohstoffen bzw. Vormaterialien behindert wird (Wohlrabe, 2021). Die Daten beinhalten neben dem aggregierten Wirtschaftsabschnitt C der Wirtschaftszweigklassifikation (WZ) 2008 auch 22 darin enthaltene Abteilungen des Verarbeitenden Gewerbes. Außerdem greifen wir noch auf Daten aus der monatlichen Erhebung des ifo-Instituts zum Bauhauptgewerbe (aufgegliedert in Hoch- und Tiefbau) zurück, in der nach Behinderung der Bautätigkeit durch Materialknappheit bzw. unzureichende technische Ausstattung gefragt wird. Insgesamt stehen uns somit Daten für 24 Wirtschaftsabteilungen zur Verfügung. In Tabelle 1 werden für den Zeitraum von April 2021 bis Januar 2022 die durchschnittlichen Anteile der Betriebe, die von Materialengpässen betroffen sind, getrennt nach Wirtschaftsabteilungen abgebildet. Demnach waren in dem Zeitraum insbesondere die Branchen Mineralölverarbeitung, Herstellung von elektrischen Ausrüstungen sowie infolgedessen die Bereiche Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen und der sonstige Fahrzeugbau vom Materialmangel betroffen.

Tabelle 1
Anteil von Betrieben mit Materialengpässen nach Branchen
in %, Durchschnitt April 2021 bis Januar 2022
Verarbeitendes Gewerbe 61,6
darunter:  
Herstellung von Nahrungs- und Futtermittel 37,3
Getränkeherstellung 17,0
Herstellung von Textilien 49,6
Herstellung von Bekleidung 41,4
Herstellung von Leder, Lederwaren und Schuhen 46,1
Herstellung von Holz-, Flecht-, Korb- und Korkwaren 44,5
Herstellung von Papier, Pappe und Waren daraus 50,8
Herstellung von Druckerzeugnissen; Vervielfältigung von bespielten Ton-, Bild- und Datenträgern 57,3
Mineralölverarbeitung 93,5
Herstellung von chemischen Erzeugnissen 53,5
Herstellung von pharmazeutischen Erzeugnissen 30,3
Herstellung von Gummi- und Kunststoffwaren 73,6
Herstellung von Glas und Glaswaren, Keramik, Verarbeitung von Steinen und Erden 36,3
Metallerzeugung und -bearbeitung 33,8
Herstellung von Metallerzeugnissen 61,8
Herstellung von DV-Geräten, elektronischen und optischen Einrichtungen 72,8
Herstellung von elektrischen Ausrüstungen 81,8
Maschinenbau 68,6
Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen 78,6
Sonstiger Fahrzeugbau 80,5
Herstellung von Möbeln 67,3
Herstellung von sonstigen Waren 40,5
Bauhauptgewerbe insgesamt 32,9
darunter:  
Hochbau 37,1
Tiefbau insgesamt 27,3

Quelle: ifo Konjunkturumfragen und eigene Berechnungen.

Abbildung 1 zeigt, wie sich die Materialengpässe über die Zeit entwickelt haben. Es wird deutlich, dass eine derartige Engpasssituation in den vergangenen 30 Jahren ihresgleichen sucht. Der Anteil der Betriebe im Verarbeitenden Gewerbe, die unter Materialengpässen leiden, hat im Oktober 2021 einen historischen Höchststand erreicht und verharrt seitdem bei ca. 70 %. Lediglich im Bauhauptgewerbe ist seit dem Höchststand im Juni 2021 eine teilweise Entspannung festzustellen. Insgesamt befindet sich der Anteil betroffener Betriebe aber immer noch auf außergewöhnlich hohem Niveau.

Abbildung 1
Anteil von Betrieben mit Materialengpässen

in %

Abbildung 1

Quelle: ifo Konjunkturumfragen.

In der gleichen Abgrenzung nach Branchen stehen uns Kennwerte aus der Statistik der Bundesagentur für Arbeit saisonbereinigt in langen Zeitreihen zur Verfügung. Wir verwenden Daten zu Zugängen aus dem ersten Arbeitsmarkt in Arbeitslosigkeit, Abgängen aus Arbeitslosigkeit in den ersten Arbeitsmarkt und Anzeigen von Personen in Kurzarbeit. Deren zeitlicher Verlauf über alle hier verwendeten Branchen ist Abbildung 2 zu entnehmen.

Abbildung 2
Verlauf saisonbereinigter Arbeitsmarktkennwerte für das Verarbeitende Gewerbe und das Baugewerbe

in Personen

Abbildung 2

Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit und eigene Berechnungen.

Für die Schätzung der Effekte der Materialengpässe auf den Arbeitsmarkt nutzen wir die Paneldimension über verschiedene Branchen. Als abhängige Variablen dienen die Zugänge in Arbeitslosigkeit, die Abgänge aus Arbeitslosigkeit und die Kurzarbeitsanzeigen, alle logarithmiert. Spezifika der Monate, also der generelle Zeitverlauf, werden durch zeitfixe Effekte berücksichtigt. Branchenspezifische Niveaueffekte entfallen durch die Verwendung von orthogonalen Abweichungen (Arellano und Bover, 1995). Es wird ein dynamisches Panel mit einer verzögerten Endogenen per GMM geschätzt. Als erklärende Variable geht der aus den ifo-Befragungen berechnete Knappheitsindex ein, gegebenenfalls mit Verzögerung, wenn dies empirisch bevorzugt wird. Zusätzlich kontrollieren wir für die branchenspezifische Produktion (destatis). Damit wird berücksichtigt, dass sowohl die Knappheitseinschätzung als auch die Arbeitsmarktergebnisse von der Geschäftsaktivität abhängen können. Der Schätzzeitraum beginnt im April 2021 mit Ende des zweiten Lockdowns und endet im Januar 2022. Über die Zeit- und Branchendimensionen stehen somit insgesamt bis zu 240 Beobachtungen zur Verfügung. Tabelle 2 zeigt die geschätzten Effekte des Materialknappheitsindikators auf die drei Arbeitsmarktgrößen.

Tabelle 2
Effekte des Materialknappheitsindikators auf Arbeitsmarktgrößen
in %
Zugänge in
Arbeitslosigkeit
Abgänge aus
Arbeitslosigkeit
Kurzarbeitsanzeigen
0,88 (4,92) -0,73 (-3,33) 3,01 (2,61)

t-Werte in Klammern (White Querschnittscluster Standardfehler).

Quelle: eigene Berechnungen.

Es zeigen sich statistisch signifikante Effekte auf alle betrachteten Arbeitsmarktvariablen. Ein Punkt mehr im Knappheitsindikator erhöht die Zugänge in Arbeitslosigkeit um 0,88 % und senkt die Abgänge aus Arbeitslosigkeit um 0,73 %. Der Effekt auf die Kurzarbeitsanzeigen ist mit 3,01 % größer (vgl. Tabelle 2). Bei Abgängen aus Arbeitslosigkeit und Kurzarbeitsanzeigen zeigen sich die wesentlichen Effekte im selben Monat, bei Zugängen in Arbeitslosigkeit einen Monat verzögert.

Gesamteffekte über den Schätzzeitraum lassen sich in einem kontrafaktischen Szenario ermitteln. Dafür betrachten wir eine hypothetische Entwicklung, in der sich die Materialengpässe seit April 2021 nicht verschärft hätten. Die Unterschiede im Engpassindikator lassen sich auf die geschätzten Arbeitsmarkteffekte (pro Indikatorpunkt) aus Tabelle 2 anwenden. Daraus ergibt sich eine prozentuale Änderung, die wiederum mit dem Niveau der jeweiligen Arbeitsmarktvariable multipliziert wird. Im Ergebnis hätten die Zugänge in Arbeitslosigkeit aus allen betrachteten Branchen ohne die Engpassverschärfung bis Januar 2022 um 47.000 (oder 21 %) niedriger gelegen, die Abgänge aus Arbeitslosigkeit um 29.000 (oder 17 %) höher und die Kurzarbeitsanzeigen um 446.000 (oder 71 %) niedriger.

Diese Ergebnisse sind im Einklang mit aktuell erhobenen Einschätzungen der regionalen Arbeitsagenturen zu den Auswirkungen der Materialengpässe. Die Bundesagentur für Arbeit führt monatlich eine Umfrage unter allen regionalen Arbeitsagenturen durch, die auch Basis für das IAB-Arbeitsmarktbarometer ist. Im Januar 2022 geben nur 21,8 % der Agenturen an, mit keinen Auswirkungen der Materialengpässe zu rechnen, während 78,2 % Effekte in ihrem lokalen Agenturbezirk erwarten. 71,8 % haben den Eindruck gewonnen, dass Auswirkungen in Form zusätzlicher Kurzarbeit eintreten werden, 23,7 % aller Arbeitsagenturen erwarten reduzierte Stellenmeldungen, und nur 5,8 % der Agenturen rechnen mit steigender Arbeitslosigkeit aufgrund von Materialengpässen (Mehrfachnennungen möglich).

Die Wirkungen auf Arbeitslosigkeit sind spürbar, aber noch relativ begrenzt. Das steht im Einklang mit dem Befund, dass die Beschäftigungsentwicklung unabhängiger von wirtschaftlichen Fluktuationen geworden ist (Klinger und Weber, 2020). Dagegen ergibt sich auf die Kurzarbeitsanzeigen ein erheblicher Effekt. Offenbar wird vorwiegend Kurzarbeit genutzt, um sich den Materialengpässen anzupassen. Dies folgt dem generellen Muster aus der Coronakrise (Gehrke und Weber, 2020). Während Kurzarbeit traditionell bei Nachfrageeinbrüchen eingesetzt wird, zeigen unsere Ergebnisse die Nutzung von Kurzarbeit auch im Falle angebotsseitiger Schocks. Im Hinblick auf eine Behinderung des strukturellen Wandels wird dies üblicherweise kritisch gesehen, aber bei exogenen und vorübergehenden Schocks ist Kurzarbeit ein probates Mittel, um Beschäftigung bis zu einem Neustart bzw. einer Neuausrichtung der Geschäftstätigkeit zu stabilisieren.

Wenn sich die coronabedingten Materialengpässe langsam auflösen, wäre eine – allerdings nur moderate – Entlastung der Arbeitslosigkeit zu erwarten. Die Kurzarbeit dürfte dagegen deutlicher sinken. Umgekehrt dürften unsere Ergebnisse auch anwendbar sein, wenn sich Lieferengpässe infolge des Ukraine-Kriegs verschärfen. Kurzarbeit wäre also erneut ein wichtiges Mittel, um den Schock am Arbeitsmarkt aufzufangen (Gartner und Weber, 2022).

  • 1 Wir bedanken uns beim ifo-Institut für die Bereitstellung der Daten.
  • 2 Um eine monatliche Zeitreihe zu erhalten, wird die vierteljährliche Materialengpassvariable mithilfe der mit -1 multiplizierten monatlich verfügbaren Variable zur Einschätzung der Lagerbestände (ebenfalls ifo-Daten) interpoliert (Chow und Lin, 1971).

Literatur

Arellano, M. und O. Bover (1995), Another Look at the Instrumental Variables Estimation of Error-components Models, Journal of Econometrics, 68, 29-51.

Chow, G. und A. Lin (1971), Best Linear Unbiased Interpolation, Distribution, and Extrapolation of Time Series by Related Series, The Review of Economics and Statistics, 53, 372-375.

Gartner, H. und E. Weber (2022), Bedeutung des Ukraine-Kriegs für Wirtschaft und Arbeitsmarkt in Deutschland, IAB-Forum, 2. März 2022.

Gehrke B. und E. Weber (2020), Kurzarbeit, Entlassungen, Neueinstellungen: Wie sich die Corona-Krise von der Finanzkrise 2009 unterscheidet, IAB-Forum, 28. Mai 2020.

Klinger, S. und E. Weber (2020), GDP-Employment Decoupling in Germany, Structural Change and Economic Dynamics, 52, 82-98.

Wohlrabe, K. (2021), Materialengpässe in der Industrie: Wer ist betroffen, und wie reagieren die Unternehmen?, ifo Schnelldienst, 9/2021, 60-65.

 

Title:How Material Shortages are Affecting the Labour Market

Abstract:Although industrial production in Germany picked up again significantly with the recovery from the Corona crisis, supply bottlenecks for raw materials and intermediate products such as semiconductors became increasingly noticeable over 2021. In this article, we examine how these obstacles affect the labor market development. To determine the extent and effects of the material bottlenecks, we use data from the ifo business surveys and from the statistics of the German Federal Employment Agency on manufacturing and construction. The results show that the impact of material shortages on unemployment is noticeable but still relatively limited. In contrast, there is a considerable effect on short-time work announcements. Apparently, short-time work is mainly used to adjust to the material shortages.

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© Der/die Autor:in 2022

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DOI: 10.1007/s10273-022-3161-0