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Die unbefriedigenden Zustände im Bildungswesen haben viel mit der föderalen Struktur des Landes zu tun. Grundsätzlich ist die Bildung Ländersache, aber in der Landespolitik haben die bundesgesetzlich definierten Aufgaben nach Art. 83 GG Priorität vor denen, für die die Länder selbst zuständig sind. Verschärft wird das Problem durch die Schuldenbremse, die den Ländern finanzielle Spielräume zur eigenständigen Politikgestaltung nimmt. Im Bereich der Hochschulen kommt hinzu, dass das Bereitstellen von Studienplätzen für viele Länder ein Verlustgeschäft darstellt, und es weitaus attraktiver ist, Absolventen aus anderen Ländern abzuwerben als selbst in Hochschulen zu investieren.

Bei den gescheiterten Verhandlungen über eine „Jamaika“-Koalition wie auch bei denen über eine „große“ Koalition 2017/2018 spielte die Bildungspolitik eine zentrale Rolle. Es besteht die Absicht, das „Kooperationsverbot“ (Art. 104b Abs. 1 GG) weiter zu lockern und erhebliche Finanzmittel auch des Bundes (Bund und Länder zusammen 11 Mrd. Euro) in die Verbesserung der Situation an den Schulen zu investieren. Angesichts dieser einhelligen Priorität für die Bildung sollte es eigentlich gut um sie bestellt sein. Wer sich aber an frühere Wahlen und Regierungsprogramme erinnert, weiß, das alles ist nicht neu: Bereits 2008 rief Bundeskanzlerin Angela Merkel die „Bildungsrepublik“ aus und hat den „Ausbau des Bildungssektors als zentrale politische Aufgabe für die nächsten Jahre bezeichnet.“1

Betrachtet man das, was sich in den letzten zehn Jahren tatsächlich getan hat, ist das Ergebnis ernüchternd. Nimmt man internationale Vergleichsdaten der OECD2 oder die PISA-Ergebnisse3, dann schneidet das „Land der Dichter und Denker“ eher mittelmäßig ab. Ein Zusammenhang von Ausgaben und Ergebnissen ist schwerlich von der Hand zu weisen. Verfolgt man „nur“, was sich quasi täglich vor der eigenen Haustür abspielt und sich in der lokalen und regionalen Presse niederschlägt – Unterrichtsstunden fallen aus, es fehlt an Lehrern, mittlerweile werden „alle“ eingestellt, die Qualifikation ist nachrangig, die Schulgebäude sind in einem desolaten Zustand, manchmal stinkt es im wahrsten Sinne des Wortes „zum Himmel“ –, dann wird man die Zustände kaum als zufriedenstellend bezeichnen können. Hier stellt sich die Frage, warum ein führendes Industrieland wie Deutschland im Bereich der Bildung und Wissenschaft nicht so abschneidet, wie man es sich wünschen würde – trotz des wiederholten Hinweises, dass Bildung der einzige verfügbare Rohstoff sei.

Die Länder, in Deutschland für Bildung und Wissenschaft zuständig, sind die eindeutig schwächere Ebene des Bundesstaates. Der größte Teil der Gesetzgebung liegt beim Bund, insbesondere die Steuergesetzgebung (Art. 105 GG). Die Länder sind nahezu vollständig auf die Erträge von bundesgesetzlich regulierten Steuern angewiesen. Die Grunderwerbsteuer, mit von den Ländern selbst bestimmtem Hebesatz, macht gerade etwa 2 % des Steueraufkommens der Länder aus.

Der bisher einzige Weg zu autonomen Einnahmen, nämlich die Aufnahme von Krediten, wurde ihnen durch die Schuldenbremse versperrt. Aber nicht nur bei den Einnahmen sind die Länder abhängig von der Bundesebene, sondern auch deren Verwendung wird in einem weiten Umfang durch Bundesgesetze vorgegeben. Art. 83 GG bestimmt, dass die Länder Bundesgesetze als eigene Angelegenheit ausführen. Das heißt auch, dass die Länder für die Ausführung der Bundesgesetze bezahlen. Art. 104a GG besagt, dass Bund und Länder „gesondert die Ausgaben [tragen], die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben …“. Eine der Aufgaben der Länder ist die Ausführung von Bundesgesetzen. Aus dieser sehr eigentümlichen, historisch bedingten Konstruktion des deutschen Bundesstaates folgt, dass die bundesgesetzlich definierten Aufgaben der Länder Priorität vor den Kernaufgaben der Länder, nämlich Bildung und Wissenschaft sowie innere Sicherheit, Kommunalangelegenheiten und der Kultur im Allgemeinen besitzen. Das schlägt sich auch in der Entwicklung der Ausgaben nieder, wie das Beispiel der Bildung im Vergleich mit anderen Ausgaben zeigt.

Bedeutung der föderalen Struktur

Die Abbildung 1 zeigt das Verhältnis von gesamtstaatlichen Steuereinnahmen und den drei größten Ausgabenblöcken Soziale Sicherung, soweit steuerfinanziert, Bildung und Forschung sowie Zinsausgaben von 1998 bis 2011. Der größte Ausgabenposten im öffentlichen Haushalt sind die Ausgaben für die soziale Sicherung, hier ohne beitragsfinanzierte Sozialversicherungen. Die Sozialausgaben stiegen von 1998 bis 2011 um knapp 100 Mrd. Euro von 137 Mrd. Euro auf 233 Mrd. Euro oder um rund 70 %. Demgegenüber wuchsen die öffentlichen Ausgaben für Bildung und Forschung – hier Schulen, Hochschulen, Förderung von Schülern und Studierenden sowie außeruniversitäre Forschung – lediglich von 88 Mrd. Euro auf 105 Mrd. Euro oder knapp 20 %. Die Zinsausgaben waren hingegen rückläufig. Sie verringerten sich von 68 Mrd. Euro (1998) auf 57 Mrd. Euro (2011).

Abbildung 1
Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Haushalte (ohne Sozialversicherungen)
Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Haushalte (ohne Sozialversicherungen)

Quellen: Statistisches Bundesamt: Rechenergebnisse der öffentlichen Haushalte, Fachserie 14, Reihe 3.1., 2011, Tabelle 2; BMF: Kassenmäßige Steuereinnahmen nach Gebietskörperschaften.

Dies ist eine Folge der Konsolidierungspolitik des Bundes und der Länder, also der „schwarzen Null“, sowie der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg in derselben Zeit von 2018 Mrd. Euro auf 2703 Mrd. Euro4 oder um rund 33 %, die gesamtstaatlichen Steuereinnahmen um ca. 35 %. Zumindest was den aus Steuermitteln finanzierten Anteil an den Bildungsausgaben betrifft, hinken sie sowohl hinter der Entwicklung des BIP wie auch des Steueraufkommens hinterher.

Deutlich wird hier auch, in welchen Konkurrenzverhältnissen die Bildungs- und Wissenschaftsausgaben stehen: Sozialausgaben und Zinslasten. Beides sind Ausgaben, die kaum autonom beeinflusst werden können. Die Sozialausgaben, auch die der Länder, sind in weitem Umfang bundesrechtlich festgelegt, die Bedienung der Zinsausgaben zählt zu den rechtlichen Verpflichtungen eines Staates. Wenn Konsolidierungsdruck besteht, wie seit Jahren schon, und wie er auch in den nächsten Jahren trotz hoher Steuereinnahmen wegen der Schuldenbremse bleiben wird, dann sind die Ausgaben für Bildung und Wissenschaft diejenigen, bei denen die Länder zuerst sparen können. Sie bieten vom Umfang her auch genügend Substanz und betreffen nur eine Minderheit der Wähler direkt.

Um den vermuteten Zusammenhang zwischen föderaler Struktur einerseits und Ausgaben für Bildung und Wissenschaft andererseits näher zu bestimmen, ist es erforderlich, dabei zwischen Bund und Ländern zu unterscheiden. Von den öffentlichen Gesamtausgaben für Bildung und Forschung in der Abgrenzung der Finanzstatistik in Höhe von 121,6 Mrd. Euro (2014) trugen der Bund 8,1 Mrd. Euro, die Länder 86,7 Mrd. Euro und die Gemeinden 26,8 Mrd. Euro, d. h. 71 % der Aufwendung tragen die Länder, zusammen mit den Gemeinden sind es sogar 93 %.5 Der Bundesanteil beträgt lediglich 7 %. Die Zukunftsaufgaben Bildung und Forschung werden also hauptsächlich von der deutlich schwächeren Ebene des Bundesstaates verantwortet.

Im Zusammenhang von Bildungsausgaben und Bundesstaat ist es wichtig, die Länderebene einschließlich der Gemeinden zu betrachten. Die Zusammenfassung der Daten von Ländern und Gemeinden ist aus zwei Gründen geboten:

  1. Rechtlich sind die Gemeinden Teil der Länder. Bei den Stadtstaaten ist die Trennung von staatlicher und kommunaler Ebene ohnehin nur fiktiv.
  2. Die Ausgaben der Gemeinden sind in allen Ländern, wenn auch in unterschiedlichem Maß, durchlaufende Mittel der Länder, z. B. für Schulbauten oder in Bayern auch für Lehrer, die in Städten wie München oder Nürnberg teilweise im Kommunaldienst stehen. Der unterschiedliche Kommunalisierungsgrad in den Ländern würde zu Verzerrungen der Daten führen.

Im Jahr 2014 beliefen sich die Bildungsausgaben der Länder nach dem Bildungsfinanzbericht 2017 des Statistischen Bundesamtes auf 1398 Euro je Einwohner, hinzu kamen Mittel des Bundes im Umfang von 99 Euro je Einwohner. Auch 2015 bis 2017 stiegen die Ausgaben. 2017 erreichen sie nach vorläufigen Ergebnissen 1652 Euro je Einwohner. Allerdings sind die Ausgaben je Land und Einwohner deutlich unterschiedlich (vgl. Abbildung 2 und Tabelle 1): Erwartungsgemäß wenden die Stadtstaaten als große Universitätsstandorte das meiste Geld pro Einwohner für Bildung und Wissenschaft auf.

Abbildung 2
Entwicklung der Bildungsausgaben
in Euro pro Jahr und Einwohner, ausgewählte Länder
Entwicklung der Bildungsausgaben

in Euro pro Jahr und Einwohner, ausgewählte Länder

Hinweis: Die Zahlen für 2015 und 2016 sind vorläufig, für 2017 handelt es sich um das Soll.

Quelle: Bildungsfinanzbericht 2017, Tab. 3.2-1, S. 115.

Tabelle 1
Laufende Ausgaben (Grundmittel) der Länder für Hochschulen
pro Einwohner in Euro
  2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016
Baden-Württemberg 230 197 217 238 237 253 217 263 295 306 329
Bayern 183 185 191 204 217 228 216 220 237 245 255
Brandenburg 98 98 88 95 101 118 105 109 118 122 131
Hessen 244 239 259 275 291 328 326 341 335 336 339
Mecklenburg-Vorpommern 207 196 202 219 227 265 248 246 279 269 280
Niedersachsen 184 192 206 208 224 227 237 235 255 275 281
Nordrhein-Westfalen 226 217 222 234 245 259 283 326 348 337 361
Rheinland-Pfalz 154 191 182 192 204 216 195 195 200 202 199
Saarland 215 206 223 207 237 231 252 259 239 232 231
Sachsen 222 231 237 263 243 255 266 309 279 289 284
Sachsen-Anhalt 197 203 203 188 21 226 239 248 239 246 241
Schleswig-Holstein 151 150 146 154 156 166 184 180 180 181 190
Thüringen 192 190 238 213 224 214 211 213 215 239 239
Berlin 334 325 320 348 322 311 371 383 393 410 415
Bremen 324 334 298 304 302 307 291 302 328 342 354
Hamburg 341 353 360 359 374 401 377 358 357 365 375

Quelle: Statistisches Bundesamt: Bildungsfinanzbericht 2017, Tabelle 3.3, Hochschulen.

Im Länderfinanzausgleich wird das auch bei der Einwohnerwertung zugunsten der Stadtstaaten berücksichtigt. Das finanziell schwache Bremen liegt allerdings nur auf dem Niveau der Flächenländer, die sich höhere Bildungsausgaben leisten, wohl auch deshalb, weil Bremen keine medizinische Fakultät unterhält. Dasselbe gilt für das Schlusslicht bei den Ausgaben, Brandenburg. Unter den Flächenländern spiegeln die Bildungsausgaben deren Finanzkraft wider: Hessen, Baden-Württemberg, Bayern, aber auch Nordrhein-Westfalen sind hier die Spitzenreiter. Die finanzschwachen Länder Schleswig-Holstein, Saarland, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen liegen deutlich unter dem Durchschnitt.

Bemerkenswert ist die Entwicklung in den ostdeutschen Ländern: Ihre Ausgaben lagen 1995 deutlich über denen der westdeutschen Flächenländer. In den folgenden Jahren kürzten sie ihre Bildungsausgaben und erreichen das Niveau von 1995 teilweise erst wieder im Jahr 2005, teilweise 2010. Heute liegen die Ausgaben von Sachsen über, die von Sachsen-Anhalt und Thüringen etwa auf dem Niveau der finanzschwachen westdeutschen Flächenländer. Hier wird deutlich, dass die Bildungschancen in den Ländern von deren Finanzkraft abhängen. Von „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“ kann hier nicht so recht die Rede sein.

Hochschulen

Hinsichtlich der Hochschulen sind die Unterschiede der Landespolitik ausgeprägter, was insbesondere an der Studierendenquote deutlich wird. Im Wintersemester 2016/2017 studierten an den Hochschulen 2,8 Mio. junge Menschen. Die Studierendenquote zeigt, dass die Länder in merklich unterschiedlicher Weise zu der gesamtstaatlichen Aufgabe Hochschulausbildung beitragen. Mit knapp 51 bis 56 Studierenden je 1000 Einwohner leisten die drei Stadtstaaten am meisten (vgl. Abbildung 3). Unter den Flächenländern stellen insbesondere Nordrhein-Westfalen und Hessen mit 43 bzw. 40 Studierenden je 1000 Einwohner die meisten Studienplätze. Brandenburg, Schleswig-Holstein und wohl auch Niedersachsen nutzen ihre Randlage zu den Stadtstaaten aus und weisen eine vergleichsweise geringe Studierendenzahl auf: 20 respektive 26 Studierende je 1000 Einwohner.

Abbildung 3
Studierende je 1000 Einwohner 2016/2017
Studierende je 1000 Einwohner 2016/2017

Quelle: Statistisches Jahrbuch 2017, Tab. 2.1.4 und 3.6.1.

Abbildung 4
Laufende Ausgaben (Grundmittel) für Hochschulen ausgewählter Länder
Laufende Ausgaben (Grundmittel) für Hochschulen ausgewählter Länder

Quelle: Statistisches Bundesamt: Bildungsfinanzbericht, Ausgaben für Bildung (Tabellenteil), Tab. 3.3., https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/BildungForschungKultur/BildungKulturFinanzen/BildungsfinanzberichtTabellenteil.html (13.3.2018).

Die ostdeutschen Länder liegen alle unter dem Durchschnitt. Überraschend ist vielleicht, dass Bayern, das sich gern als Musterland sieht, bei den Leistungen für die akademische Ausbildung mit 29 Studierenden je 1000 Einwohner unter dem Durchschnitt, noch hinter dem finanziell schwachen Saarland mit 31 Studierenden je 1000 Einwohner liegt.

Schaut man auf die Ausgaben der Länder für Hochschulen je Einwohner, überrascht es nicht, dass Brandenburg und Schleswig-Holstein die Schlusslichter bilden. Beide profitieren von ihren Randlagen zu den Stadtstaaten, die ein deutlich größeres Angebot bereithalten als die Flächenländer. Bei Brandenburg kommt hinzu, dass das Land keine Medizinerausbildung anbietet. Die Spitzengruppe bilden die Stadtstaaten, Berlin vor Hamburg (seit 2012), und Nordrhein-Westfalen (vgl. Abbildung 4).

Wie kann man die Bereitschaft der Länder, in die Hochschulausbildung zu investieren, erklären? Neben historischen Umständen – jedes Land hat seine Hochschullandschaft erst einmal „geerbt“ – spielt der Bedarf des Landes eine Rolle. Es liegt im wirtschaftlichen Interesse eines Landes, Fachkräfte für den Arbeitsmarkt bereitzustellen. Dass dieses Interesse aber auch begrenzt ist, zeigt sich daran, dass sich zwei Länder, Brandenburg und Bremen, hinsichtlich der ärztlichen Versorgung im Land gänzlich auf Zuwanderung verlassen. Wenn man bedenkt, dass die Ausbildung eines Hochschulabsolventen einem Land durchschnittlich knapp 10 000 Euro pro Studienjahr kostet, die eines Mediziners aber mehr als 28 000 Euro pro Studienjahr6, liegt es nahe, dass ein Land seine Fachkräfte lieber von außen anwirbt als selbst ausbildet. Wenn Länder sehen, dass sie in die Ausbildung von Fachkräften investieren, andere Länder aber den Nutzen haben, dann ist klar, dass die Bereitschaft sinkt, in die Ausbildung junger Menschen zu investieren. Umgekehrt: Warum selbst in die Ausbildung investieren, wenn man die nötigen Fachkräfte auch von anderen Ländern abwerben kann. Bremen und Brandenburg machen das bei ihren Ärzten so, im Saldo aller Hochschulabsolventen auch Bayern.7

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wer gewinnt und wer verliert bei diesem Wettbewerb. Diese Frage lässt sich mit einem Blick auf die Wanderungen von Hochschulabsolventen klären. Hierbei geht es um die Frage, wie viele Hochschulabsolventen eines Landes ihre erste Stelle in dem Land des Abschlusses antreten und wie viele in anderen Ländern (vgl. Abbildung 5).

Abbildung 5
Verbleib von Absolventen, 2005, 2009, 2013
Verbleib von Absolventen, 2005, 2009, 2013

Quelle: Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung: Absolventenpanel, Rohdaten, unveröffentlicht

Neuere, bisher nicht veröffentlichte Daten des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung zeigen, dass Gewinne und Verluste sehr unterschiedlich verteilt sind. In den großen und bevölkerungsreichen Ländern ist die Quote der im Land bleibenden Studierenden vergleichsweise hoch. Die süddeutschen Länder, aber auch Nordrhein-Westfalen, wo auch die attraktivsten Arbeitsmarktbedingungen angeboten werden, liegen mit einer Verbleibquote von ca. 80 % an der Spitze. Die Schlusslichter bilden mit 50 % und weniger die ostdeutschen Länder mit Ausnahme Sachsens.

Abbildung 6
Sachsen-Anhalt: Ab- und Zuwanderung von Hochschulabsolventen aus anderen Ländern
in % der jeweiligen Länder 2005, 2009, 2013
Sachsen-Anhalt: Ab- und Zuwanderung von Hochschulabsolventen aus anderen Ländern

in % der jeweiligen Länder 2005, 2009, 2013

Quelle: Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung: Absolventenpanel, Rohdaten, unveröffentlicht.

Im Folgenden werden als Beispiele für die Mobilität von Absolventen Bayern und Sachsen-Anhalt gewählt. Bekannt ist, in welche Länder Hochschulabsolventen abgewandert sind. Die Absolventen der Hochschulen Sachsen-Anhalts fanden in Sachsen (12 %), Niedersachsen (11 %), Bayern (6 %), Berlin (5 %), Baden-Württemberg und Hessen (je 4 %) sowie den anderen Ländern ihre erste Anstellung (vgl. Abbildungen 6 und 7).

Interessant wäre es, den Wanderungssaldo zu kennen. Aber den genau zu bestimmen, ist aus methodischen Gründen mit den zur Verfügung stehenden Daten nicht möglich. Aus den vorliegenden aggregierten Zahlen der Jahre 2005, 2009 und 2013 ist aber zu entnehmen, dass z. B. Sachsen-Anhalt eine Zuwanderung aus fünf benachbarten Ländern zwischen 1 % und 4 % der dortigen Absolventen hatte. Auch wenn es nicht möglich ist, den Saldo zu bestimmen, zeigen doch die Relationen – 12 % der Absolventen aus Sachsen-Anhalt gehen nach Sachsen, 2 % der sächsischen kommen nach Sachsen-Anhalt, für Niedersachsen lauten die Zahlen 11 % Abwanderung zu 1 % Zuwanderung, für Bayern 6 % zu 0 %, für Berlin 5 % zu 0 % usw. –, dass Sachsen-Anhalt für nahezu das gesamte Deutschland ausbildet, selbst dafür nur wenig zurückbekommt. Kein Wunder, dass der Finanzminister von Sachsen-Anhalt 2013 die Ausgaben für die Hochschulen bis 2025 um 50 Mio. Euro zurückfahren wollte. Der Widerstand der Wissenschaftsministerin führte zu deren Entlassung.8 Sachsen-Anhalt, die anderen ostdeutschen Länder und das Saarland sind die Verlierer dieses Spiels, die Gewinner sind die süddeutschen Länder, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Berlin.

Abbildung 7
Bayern: Ab- und Zuwanderung von Hochschulabsolventen aus anderen Ländern
in % der jeweiligen Länder 2005, 2009, 2013
Bayern: Ab- und Zuwanderung von Hochschulabsolventen aus anderen Ländern

in % der jeweiligen Länder 2005, 2009, 2013

Quelle: Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung: Absolventenpanel, Rohdaten, unveröffentlicht.

Betrachtet man das Ganze aus finanzpolitischer Sicht, ergibt sich kein Nullsummenspiel, sondern es gibt eindeutig bestimmbare Gewinner und Verlierer. Das Statistische Bundesamt veranschlagt eine Universitätsausbildung auf rund 50 400 Euro9, was etwa auf die bereits erwähnten 10 000 Euro pro Jahr hinausläuft. Dem steht ein Steueranspruch der Flächenländer von derzeit gut 4000 Euro, im Fall der Stadtstaaten von ca. 5400 Euro je Einwohner, gegenüber. Das ist etwa die Summe, die derzeit den einzelnen Ländern pro Einwohner nach Länderfinanzausgleich zur Verfügung steht. Behält aber der Studierende seinen Hauptwohnsitz im „Hotel Mama“ außerhalb des Bundeslandes, in dem er studiert, ist der Ertrag null. Bleibt der Studierende nach dem Examen im Land und zahlt dort Steuern, verbleiben dem Land auch nach Länderfinanzausgleich deutliche steuerliche Mehreinnahmen.

Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln hat im Jahr 2007 die finanziellen Effekte der Absolventenwanderung simuliert.10 Die zitierten Zahlen sind etwa zehn Jahre alt, strukturell trifft die Analyse aber noch in vollem Umfang zu. Diesem Modell liegt die Annahme zugrunde, dass ein Hochschulabsolvent aus Rostock seine erste Stelle nicht in Rostock, sondern in München antritt und eine jährliche Lohnsteuerlast von 10 000 Euro zu tragen hat.

Abbildung 8
Finanzausgleich und Braindrain nach Länderfinanzausgleich
in Euro pro Einwohner
Finanzausgleich und Braindrain nach Länderfinanzausgleich
in Euro pro Einwohner

Quelle: O. Stettes: Die föderale Ordnung im Bildungswesen: Eine Analyse aus bildungsökonomischer Perspektive, in: Institut der deutschen Wirtschaft Köln (Hrsg.): Föderalismus in Deutschland. Ökonomische Analyse und Reformbedarf, Köln 2007, S. 120.

Die finanziellen Effekte wären, dass Mecklenburg-Vorpommern durch den Wegzug dieser Personen nach Länderfinanzausgleich Mindereinnahmen in Höhe von 2158 Euro pro Einwohner hätte, Bayern hingegen einen Gewinn von 4416 Euro. Der Bundesanteil an den Steuern in Höhe von 4187 Euro ist unabhängig vom Wohnsitz der Steuerpflichtigen (vgl. Abbildung 8).

Fasst man die beiden hier diskutierten Aspekte – die Kosten-Nutzen-Rechnung für ein Land und die Wanderungen – zusammen, zeigt sich, dass die finanziellen Anreize eines Landes in die Hochschulausbildung seiner Bevölkerung zu investieren, eher gering sind. Ein Studierender kostet deutlich mehr, als er dem Land als Einwohner nach Finanzausgleich einbringt, sofern er als Studierender überhaupt seinen Hauptwohnsitz im Land des Studienortes hat – was vielfach nicht der Fall ist. Attraktiv ist es hingegen, andernorts und auf Kosten anderer Länder qualifizierte Personen anzuwerben. In diesem Wettbewerb scheint Bayern der Sieger zu sein. Nicht attraktiv ist es hingegen, für andere Länder auszubilden. Die Verlierer in dieser Disziplin sind die ostdeutschen Länder, die die höchste Abwanderung bei geringer Zuwanderung verzeichnen.

Fazit

Die föderale Struktur, insbesondere die fiskalföderale, führt dazu, dass es für die Länder aus finanzpolitischer Sicht wenig attraktiv ist, in Bildung, insbesondere in Hochschulen und Hochschulausbildung, zu investieren. Der Ertrag aus solchen Investitionen ist fraglich. Warum sollen Länder mit einem negativen Wanderungssaldo den Bedarf in anderen Ländern bezahlen und warum sollten Länder mit attraktiven Chancen für Hochschulabsolventen nicht auf Zuwanderung setzen? Beide haben einen Anreiz, bei Investitionen in Bildung und Wissenschaft zurückhaltend zu sein.

Warum sollte sich das Land auch anders verhalten? Tatsächlich stecken insbesondere die ostdeutschen Länder in einem kaum lösbaren Dilemma: Einerseits ist der Ertrag von Investitionen in Bildung und Wissenschaft für das Land eine höchst unsichere Sache. Man bildet am Ende dafür aus, dass die Absolventen aus dem Land andernorts zur wirtschaftlichen Wertschöpfung beitragen und Steuern zahlen, und erlebt zugleich, dass die Länder, die in diesem Spiel gewinnen, den Länderfinanzausgleich infrage stellen. Tatsächlich sind die Gewinner der Neuregelung ab 2020 nicht die schwachen, sondern die starken Länder. Andererseits werden akademisch qualifizierte Fachkräfte im Land für seine wirtschaftliche Entwicklung dringend benötigt. Ein entsprechendes Angebot an qualifizierten Menschen – nicht nur aus dem MINT-Fächern – ist erforderlich, um das Land attraktiv für Investoren zu machen. Hochschulen und Forschungseinrichtungen spielen bei Unternehmensentscheidungen und für deren Erfolg eine nicht unerhebliche Rolle.

Dem Dilemma, unter den Bedingungen von Konsolidierungsdruck und Schuldenbremse einerseits Fachkräfte vor Ort ausbilden zu müssen, aber zu wissen, dass zu einem großen Teil andere Länder davon profitieren, die selbst für ihren Bedarf zu wenig ausbilden, kann ein einzelnes Land von sich aus nicht entkommen. Gravierend ist, dass dieses Spiel die Kluft zwischen den Ländern, die die Kosten von Hochschulbildung tragen, und denen, die von ihr profitieren, vergrößert. Von dem Verfassungsziel der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse entfernen wir uns eher, als dass wir ihm näherkommen.

Gibt es einen Ausweg? Wir bräuchten ein deutlich stärkeres Engagement des Bundes, aber in einer anderen Form als im Rahmen des Hochschulpaktes, der kaum als nachhaltig bezeichnet werden kann. Stellt man sich einmal vor, dass Art. 91b Abs. 1 Ziffer 2 GG nicht nur von „Vorhaben“ der Wissenschaft und Forschung an Hochschulen sprechen würde, sondern auch von „laufendem Unterhalt“, wie es 1969 bei der Erstformulierung des damaligen Art. 91 a Abs. 1 GG – Ausbau und Neubau von Hochschulen – einfache Mehrheiten des Bundestages und Bundesrates wollten, aber keine verfassungsändernde Mehrheit zustande brachten, dann kämen wir aus dem Dilemma heraus. Sinnvoll wäre eine Gleichstellung der Hochschulen mit den außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Konkret hieße das, dass der Bund die Kosten der Hochschulen zur Hälfte oder mehr finanziert. Dies wäre sehr vernünftig, denn:

1. Die außeruniversitären Forschungseinrichtungen wie die Leibniz-Institute oder die Max-Planck-Gesellschaft und andere sind in ihren Disziplinen in der Forschung vielfach weitaus erfolgreicher als die Universitäten.

2. Aufgrund der Mobilität der Studierenden und der Absolventen ist Hochschulausbildung keine regionale Aufgabe, sondern eine überregionale. Das rechtfertigt eine kontinuierliche und nachhaltige finanzielle Beteiligung des Bundes. Dieses insbesondere, wenn man bedenkt, dass im Rahmen der Neuordnung der Bund-Länder-Beziehungen ab 2020 dem Bund das Recht eingeräumt wird, die „kommunale Bildungsinfrastruktur“ mit zu finanzieren. Schulgebäuden, darum geht es, wird offensichtlich eine höhere Bedeutung beigemessen als der Hochschulausbildung.

3. Wenn die Hochschulen eine Grundfinanzierung aus Bundesmitteln hätten, wenn Hochschulen für die Länder kein Zuschussgeschäft mehr darstellten, wären sie eher daran interessiert, ihre Hochschulen für Studierende attraktiv zu machen. Es liegt ja im Interesse des Landes, hochqualifizierte Arbeitskräfte anbieten zu können, auch wenn dieses Interesse gegenüber konkreten finanziellen Interessen abstrakt bleibt.

4. Wenn eine Finanzierung durch den Bund nachfrageorientiert erfolgen würde, also nach dem Grundsatz, Geld folgt den Studierenden, dann gäbe es auch sicherlich bald einen sehr viel interessanteren Wettbewerb der Hochschulen um die Studierenden.

Um so etwas durchzusetzen, benötigt man allerdings die entsprechenden politischen Mehrheiten, die derzeit kaum erkennbar sind. Gegner einer solchen Lösung wäre kaum der Bund, der an einer verbesserten internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Hochschulen interessiert ist. Gegner waren und sind die starken Länder, die von der bestehenden Schieflage profitieren.

Title:The Misery of German Education and the Federal Order

Abstract:The misery of education is related to the federal order. The German Länder as the weaker level of government are primarily responsible for education. Since they are constitutionally obliged to execute federal law, this obligation enjoys supremacy over the autonomous tasks of the Länder. When money is short, the Länder can cut expenditure in the field of their legislation only, not in the execution of federal law. That makes the expenditure on education vulnerable. Additionally, it is not very attractive for the Länder to invest in higher education. It is much cheaper to recruit university alumni from other Länder than to pay for their university education.


DOI: 10.1007/s10273-018-2261-3