Das theoretische Ideal der Volkswirtschaftslehre ist das Modell der vollständigen Konkurrenz. Wegen der hohen Anforderungen an dieses Modell gibt es in der Realität nur wenige Märkte, die diesem Ideal entsprechen. Die Digitalisierung kann die ökonomische Realität durch eine höhere Markttransparenz und verringerte Transaktionskosten näher an dieses idealtypische Konzept heranführen und damit die Wohlfahrt erhöhen. Es ist aber auch denkbar, dass die Digitalisierung zu Monopolen oder neuen Informationsasymmetrien führt, die eine stärkere Abweichung von der vollständigen Konkurrenz mit Wohlfahrtsverlusten bedeutet.
Bei der vollständigen Konkurrenz handelt es sich um einen Markt, auf dem ein homogenes Gut gehandelt wird und Markttransparenz herrscht. Damit gilt das Gesetz von der Unterschiedslosigkeit des Preises, d. h., dass es zu jedem Zeitpunkt nur einen Preis für das auf dem Markt gehandelte Gut gibt. Vollständige Konkurrenz verlangt zudem, dass es eine Vielzahl von Anbietern und Nachfragern gibt, die alle als Mengenanpasser agieren. Der Markteintritt und der Marktaustritt sind frei. Der Preis für das Gut ist nach oben und unten vollkommen flexibel. In der Realität sind die Voraussetzungen eines Marktes unter vollständiger Konkurrenz nur selten erfüllt. Drei Abweichungen spielen mit Blick auf die Digitalisierung eine besondere Rolle:
- Fehlende Markttransparenz: Wenn alle Marktteilnehmer über alle marktrelevanten Informationen zu einem Gut verfügen, führt der Wettbewerb dazu, dass sich am Markt letztendlich ein Preis einstellt, der mit den Grenzkosten der Produktion übereinstimmt und langfristig dem Minimum der Durchschnittskosten entspricht. Darüber hinaus sorgt dieser Preis für eine Markträumung, bei der die gesellschaftliche Wohlfahrt (definiert als Summe aus Konsumenten- und Produzentenrente) maximiert wird. Ohne vollständige Markttransparenz können Unternehmen von unterschiedlichen Konsumenten unterschiedliche Preise fordern und so ihre Gewinne erhöhen.
- Hohe Transaktionskosten: Implizit nimmt das Grundmodell der vollständigen Konkurrenz an, dass neben den reinen Produktionskosten keine Transaktionskosten anfallen. Dies gilt insbesondere für die Beschaffung und Verarbeitung von Informationen. In der Realität ist die Herstellung eines Zustands der vollständigen Information jedoch mit so hohen Kosten verbunden, dass nicht alle Marktteilnehmer über alle ökonomisch relevanten Informationen verfügen. Damit kommt es zu Informationsasymmetrien. Hieraus kann eine Fehlsteuerung des Marktes resultieren: Nach den theoretischen Überlegungen der vollständigen Konkurrenz werden Güter von schlechter Qualität vom Markt verdrängt, weil der Markt nur gute Leistungen belohnt. Wenn Informationen jedoch asymmetrisch verteilt sind, kann dies dazu führen, dass sich die schlechte Qualität durchsetzt und die qualitativ hochwertigen Güter vom Markt verschwinden. Dieses Phänomen widerspricht dem Selektionsmechanismus der vollständigen Konkurrenz und wird daher als adverse Selektion bezeichnet.1 Auch die Durchsetzung vertraglich getroffener Regelungen (Kaufverträge, Arbeitsverträge, Mietverträge etc.) ist annahmegemäß im Grundmodell ohne zusätzliche Transaktionskosten möglich. Hohe Transaktionskosten können dazu führen, dass es zu keinen Markttransaktionen kommt, weil der Preis, den die Anbieter mindestens erhalten müssen, höher ist als der Preis, den die Verbraucher maximal zu zahlen bereit sind.
- Marktmacht: Marktmacht liegt vor, wenn es nur eine kleine Zahl von Anbietern gibt. Die Anbieter können dann ihre Produkte zu höheren Preisen verkaufen und dadurch ihre Gewinne zulasten der Konsumenten steigern. Auch bei einer geringen Zahl von Nachfragern entsteht Marktmacht. Sie äußert sich darin, dass Nachfrager mit Marktmacht den Preis für Konsumprodukte, Vorleistungen oder Produktionsfaktoren unter den Marktpreis bei vollständiger Konkurrenz drücken können.
Alle drei Abweichungen vom Ideal der vollständigen Konkurrenz könnten durch die voranschreitende Digitalisierung aufgehoben oder zumindest abgeschwächt werden.
Erhöhung der Markttransparenz
Fehlende Markttransparenz kann dazu führen, dass einzelne Unternehmen von ihren Kunden einen Preis (pFM, FM = fehlende Markttransparenz) fordern, der über dem Marktpreis im Fall der vollständigen Konkurrenz (pVK, VK = vollständige Konkurrenz) liegt. Wegen des höheren Preises fragen die Konsumenten eine geringere Menge nach (XFM < XVK, vgl. Abbildung 1). Für die Unternehmen ist dies dennoch eine ökonomisch lohnende Entscheidung: Bei vollständiger Konkurrenz entspricht die Produzentenrente der Fläche pVK QVK b. Beim höheren Preis im Fall fehlender Markttransparenz entspricht die Produzentenrente der Fläche pFM QFM c b. Wie Abbildung 1 zu entnehmen ist, kann der Zuwachs der Produzentenrente, der mit dem höheren Preis verbunden ist (Fläche pFM QFM d pVK), größer sein als die Verringerung der Produzentenrente infolge der geringeren nachgefragten Menge (Fläche d QVK c). Dennoch ist der wegen der fehlenden Markttransparenz höhere Preis mit einem gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtsverlust in Höhe des Dreiecks QFM QVK c verbunden. Wenn die Digitalisierung die Markttransparenz erhöht, kann nur noch der übliche Marktpreis verlangt werden. Die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt steigt um die Fläche QFM QVK c. Profiteure dieser Preisentwicklung sind die Konsumenten: Die Konsumentenrente steigt um die Fläche pFM QFM QVK pVK. Verlierer sind die Anbieter, deren Produzentenrente sinkt.
Abbildung 1
Auswirkungen fehlender Markttransparenz auf Marktgleichgewicht und gesellschaftliche Wohlfahrt
Quelle: eigene Darstellung.
Auch das Problem der asymmetrischen Informationen lässt sich mithilfe einer höheren Markttransparenz lösen. Dies kann man am Beispiel des Marktes für Gebrauchtwagen verdeutlichen.2 Die Informationsasymmetrie besteht darin, dass nur die Eigentümer – also die Verkäufer – der Gebrauchtwagen deren wahre Qualität kennen. Die Käufer sind ohne hohe Informationskosten nicht in der Lage, einen gut erhaltenen Gebrauchtwagen von einem Wagen schlechter Qualität zu unterscheiden. Die potenziellen Käufer kennen lediglich die Qualitätsverteilung des gesamten Gebrauchtwagenmarktes. Wird vereinfachend von fünf Qualitätsgruppen und einer Gleichverteilung der Qualität ausgegangen, lässt sich der Markt für Gebrauchtwagen aus Sicht der Käufer wie folgt beschreiben: Die Käufer werden in dieser Situation von einer durchschnittlichen Qualität ausgehen und deshalb maximal bereit sein, den entsprechenden Preis dieser Qualität zu bezahlen, denn auf die Dauer und im Durchschnitt werden sie dadurch eine dem Preis entsprechende Qualität erwerben. In unserem Beispiel stellt die dritte Qualitätsgruppe die durchschnittliche Qualität dar. Bei diesem Preis werden jedoch die Besitzer von Gebrauchtwagen der ersten und der zweiten Qualität nicht bereit sein, ihren Wagen zu verkaufen. Dieser Selektionsprozess setzt sich fort, bis nur noch die Wagen der schlechtesten Qualität gehandelt werden. Eine Steigerung der Markttransparenz – z. B. durch eine Online-Plattform, auf der die Gebrauchtwagenverkäufer von Kunden bewertet und kommentiert werden können – kann dazu führen, dass die potenziellen Käufer die tatsächliche Qualität der einzelnen Automobile kennen. Im Idealfall würde dies dazu führen, dass es nicht nur einen Markt gibt, sondern fünf Märkte mit fünf Preisen. Dann würden auch die Automobile der besten Qualitätsgruppe auf dem Markt angeboten.
Transaktionskosten können Gleichgewicht verhindern
Eine Voraussetzung für das erfolgreiche Zusammenbringen von Anbietern und Nachfragern sind geringe Transaktionskosten. Wenn die Kosten einer Koordinierung von Angebot und Nachfrage zu hoch sind, stellt sich kein Marktgleichgewicht ein: Der Preis, den die Anbieter für die Bereitstellung eines Produkts fordern, liegt über dem, den die Verbraucher maximal zu zahlen bereit sind. Dazu ein Beispiel: Angenommen, eine Privatperson aus Hamburg ist an zehn Wochenenden im Jahr nicht in der eigenen Drei-Zimmer-Wohnung und möchte diese daher temporär vermieten. Gesucht werden Personen, die von Freitagmittag bis Sonntagnachmittag eine entsprechende Wohnung in Hamburg suchen. Damit Vermieter und Mieter zusammenfinden, sind zahlreiche Voraussetzungen erforderlich: Der Wohnungseigentümer muss dafür sorgen, dass sein Mietangebot bekannt wird. Ohne das Internet erfordert dies das Aufgeben von Werbeanzeigen in Zeitungen und Zeitschriften oder das Einschalten einer Wohnungsvermittlung bzw. eines Reisebüros. Gleichzeitig muss der Wohnungseigentümer sicher sein, dass ein möglicher Mieter die geforderte Miete tatsächlich bezahlt und die Wohnung in dem Zustand zurücklässt, in dem er sie vorgefunden hat. Die Beschaffung der Informationen über die Qualität eines potenziellen Mieters ist mit hohen Informationsbeschaffungskosten verbunden. Ein interessierter Mieter muss sicher sein, dass die angebotene Wohnung tatsächlich an dem gewünschten Wochenende frei ist und über die versprochenen Eigenschaften verfügt. Auch die Beschaffung dieser Informationen ist bei einem vollkommen unbekannten Vermieter in einer fernen Stadt zeit- und kostenintensiv.
Nehmen wir weiter an, dass der Eigentümer seine Wohnung für 120 Euro pro Wochenende vermieten würde, wenn er sicher sein kann, dass das Geld überwiesen und die Wohnung unbeschädigt zurückgelassen wird. Der Mieter ist bereit, diesen Preis zu zahlen, sofern er sicher sein kann, dass die Wohnung über alle zugesagten Eigenschaften verfügt und ihm an dem besagten Wochenende zur Verfügung steht. Im Modell der vollständigen Konkurrenz sind die genannten Bedingungen annahmegemäß erfüllt. Die Wohnung wird folglich für 120 Euro für ein Wochenende vermietet. Sofern keine vollständige Information vorliegt, kommt ein temporäres Mietverhältnis jedoch nicht notwendigerweise zustande:
- Der Vermieter muss sich die genannten Informationen beschaffen. Die damit verbundenen Kosten wird er auf den Preis aufschlagen. Alternativ könnte er auf diese Informationen verzichten und stattdessen einen Risikoaufschlag erheben. Dieser deckt gegebenenfalls entstehende Mehrkosten für die Reinigung bzw. Instandhaltung der Wohnung oder anfallende Kosten zur Beseitigung von Vermögenschäden ab. Die Miete steigt somit, z. B. auf 200 Euro.
- Auch der Mieter muss Zeit und Geld aufwenden, um die Verlässlichkeit des Angebots zu prüfen. Diese Kosten schmälern seine Zahlungsbereitschaft. Alternativ könnte auch er auf diese Informationsbeschaffung verzichten und stattdessen einen Zahlungsabschlag berücksichtigen. Dieser Abschlag entspricht der erwarteten Nutzeneinbuße, die sich daraus ergeben könnte, dass die Wohnung an einer verkehrsreichen Straßenkreuzung neben einer Diskothek liegt, eine defekte Dusche und nur zwei anstatt der zugesagten drei Zimmer hat. Die Zahlungsbereitschaft eines potenziellen Mieters könnte so von 120 auf nur noch 80 Euro sinken.
- Im Ergebnis kommt kein temporäres Mietverhältnis zustande, weil die maximale Zahlungsbereitschaft des potenziellen Mieters unter dem Preis liegt, den der Wohnungseigentümer mindestens verlangt (Angebots- und Nachfragekurve mit dem Index 0 in Abbildung 2).
Die genannten Kosten fallen grundsätzlich bei jedem Mietverhältnis an. In dem hier skizzierten Beispiel ist jedoch zu beachten, dass es sich jeweils nur um die Vermietung über ein Wochenende handelt. Die Informationsbeschaffung und -verarbeitung bringt so gesehen hohe Fixkosten mit sich, die eine Einigung zwischen Wohnungseigentümer und Mieter verhindern können.
Reduzierung der Transaktionskosten
Die Digitalisierung kann über die Bereitstellung von entsprechenden Plattformen die gewünschten Informationen – zumindest teilweise – zur Verfügung stellen. Ein Beispiel hierfür ist Airbnb.3 Diese Plattform bringt Wohnungseigentümer und Mieter zusammen und senkt so die Suchkosten. Zudem wickelt Airbnb die Bezahlung ab. Damit ist der Wohnungseigentümer sicher, dass er das vertraglich vereinbarte Geld erhält. Der Mieter kann davon ausgehen, dass ihm für sein Geld auch tatsächlich eine Wohnung zur Verfügung gestellt wird. Schließlich sorgt die Möglichkeit, dass sich Vermieter und Mieter gegenseitig bewerten können, dafür, dass andere Wohnungseigentümer und Mieter mehr Informationen über die Qualität potenzieller Mieter und Vermieter erhalten. Alle diese Dienstleistungen haben zur Folge, dass der Risikoaufschlag eines Wohnungseigentümers sinkt und gleichzeitig der Zahlungsabschlag eines potenziellen Mieters geringer wird. Wenn sich dadurch die maximale Zahlungsbereitschaft des Mieters und der geforderte Mindestpreis des Wohnungseigentümers angleichen, kommt ein temporärer Mietvertrag zwischen beiden zustande (Angebots- und Nachfragekurve mit dem Index 1 in Abbildung 2).
Abbildung 2
Markt für temporäre Vermietung privater Wohnungen
Quelle: eigene Darstellung.
Das Zustandekommen eines Marktes für die temporäre Vermietung privater Wohnungen hat Auswirkungen auf den Markt für kommerzielle Übernachtungsmöglichkeiten: Der Gleichgewichtspreis auf dem Markt für private Wohnungsvermietungen liegt unter dem Preis für kommerzielle Übernachtungsangebote von Hotels und Pensionen, weil bei einer privaten Vermietung keine weiteren Kosten für Hotelpersonal und ähnliches anfallen. Der Umstand, dass es ein zusätzliches Angebot an privat zur Verfügung gestellten Übernachtungsmöglichkeiten gibt, reduziert die Nachfrage nach entsprechenden Angeboten von Hotels und Pensionen. Der damit einhergehende Angebotsüberschuss führt ceteris paribus zu einem Preisrückgang im kommerziellen Marktsegment.
Im Ergebnis führt die durch die Digitalisierung hervorgerufene Reduzierung der Transaktionskosten zu einer Senkung der Preise für temporäre Übernachtungen – sowohl im Segment der privaten als auch der kommerziellen Wohnungsanbieter. Die Konsumenten profitieren von geringeren Preisen, private Anbieter von zusätzlichen Einnahmen. Gleichzeitig aber verringern sich die Einkommen kommerzieller Anbieter. Die voranschreitende Digitalisierung führt also zu Verteilungskonflikten. Gleiches gilt für Transportleistungen, wenn z. B. über die Plattform Uber angebotene Mitfahrgelegenheiten von Privatpersonen auf kommerzielle Taxifahrer treffen.
Abbildung 3
Technologischer Fortschritt: Marktgleichgewicht und gesellschaftliche Wohlfahrt
Quelle: eigene Darstellung.
Die Senkung der Transaktionskosten ist eng verbunden mit einem Abbau der Marktmacht, die sich bei einer geringen Zahl von Anbietern ergibt. Wenn neue Anbieter ohne hohe Kosten den Markt betreten können, erhöht dies den Druck auf Monopolisten oder Oligopolisten. Allein die Möglichkeit, dass bei überhöhten Preisen (geforderter Preis höher als Grenzkosten) neue Anbieter auf den Markt kommen könnten, wirkt disziplinierend auf die bereits am Markt agierenden Anbieter. Damit ergeben sich die in Abbildung 1 dargestellten Entwicklungen: Der Gleichgewichtspreis sinkt, die angebotene und nachgefragte Menge wird größer und die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt steigt. Der Zuwachs der gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrt kommt den Konsumenten zugute und geht zulasten der Unternehmen.
Generelle Preissenkung durch Digitalisierung
Insgesamt führt die voranschreitende Digitalisierung zu einer Reduzierung der Marktpreise. Verantwortlich sind neben den bereits genannten Effekten auch technologisch bedingte Reduzierungen der Produktionskosten. Sinkende Produktionskosten bedeuten grafisch eine Verschiebung bzw. Drehung4 der Angebotskurve nach unten (vgl. Abbildung 3). Die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt wächst um die Fläche b Q0 Q1 c. Die Verbraucher profitieren hiervon in jedem Fall, denn sie können eine größere Gütermenge zu einem geringeren Preis konsumieren. Die Konsumentenrente steigt daher um die Fläche p0 Q0 Q1 p1. Die Veränderung der Produzentenrente ist nicht eindeutig. Es ist möglich, dass die Produzentenrente sinkt (die ursprüngliche Fläche der Produzentenrente p0 Q0 b ist größer als die neue Produzentenrente p1 Q1 c).
Die bisher skizzierten Entwicklungen führen dazu, dass sich die wirtschaftliche Realität dem Modell der vollständigen Konkurrenz annähert und die Produktionskosten sinken. Die Konsequenz ist eine Reduzierung der Marktpreise und ein Zuwachs der gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrt, der auf eine Zunahme der Konsumentenrente zurückzuführen ist. Daneben sind allerdings auch technologisch bedingte Entwicklungen möglich, die die Realwirtschaft weiter von diesem idealtypischen Modell entfernen. Zu denken ist vor allem an das Entstehen von Marktmacht bzw. von Monopolen, das Vorliegen von Grenzkosten, die gegen Null tendieren und die Möglichkeit, aufgrund von Informationsvorsprüngen die Strategie der Preisdifferenzierung anzuwenden.
Monopolisierungstendenzen in der Internetökonomie
Eine der zentralen Voraussetzungen für einen Markt unter vollständiger Konkurrenz ist eine Konstellation, bei der viele Anbieter auf viele Nachfrager treffen, sodass kein Marktteilnehmer über Marktmacht verfügt. Diese Voraussetzung wird durch die Digitalisierung über unterschiedliche Kanäle infrage gestellt.
Bei Produkten, die den Charakter eines Netzwerkgutes haben, hängt der Nutzen für die Verbraucher von der Größe des Netzwerks ab. Je mehr Teilnehmer in einem Telefonnetz, einem sozialen Netzwerk oder einer Online-Tauschbörse anzutreffen sind, desto attraktiver ist es für Nutzer, sich dem entsprechend großen Netzwerk anzuschließen. Am Ende eines Wettbewerbs setzt sich also das Unternehmen durch, das über das größte Telefonnetz verfügt bzw. die meisten Teilnehmer hat. Es kommt zum sogenannten „The-Winner-takes-all-Phänomen“, bei dem sich ein Anbieter durchsetzt.5 Dieser Anbieter wird zur Maximierung seiner Gewinne die Gütermenge anbieten, bei der der Grenzerlös den Grenzkosten der Produktion entspricht. Bei steigenden Grenzkosten der Produktion und einem sinkenden Grenznutzen auf Seiten der Verbraucher führt dies zu einem Monopolgleichgewicht (M), bei dem der Monopolist im Vergleich zur vollständigen Konkurrenz (VK) eine kleinere Gütermenge anbietet und dafür einen höheren Preis fordert (vgl. Abbildung 4). Dadurch kommt es zu einer Verringerung der Konsumentenrente (a QM pM < a QVK pVK), einer Steigerung der Produzentenrente (pM QM c b > pVK QVK b) und zu einem gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrtsverlust in Höhe der Fläche QM QVK c.
Abbildung 4
Monopolbildung: Marktgleichgewicht und gesellschaftliche Wohlfahrt
Quelle: eigene Darstellung.
Eine zweite Monopolisierungstendenz ergibt sich aus der besonderen Kostenstruktur vieler digitaler Güter. Der Aufbau von Netzen (Straßen, Telefon, Breitband etc.) ist grundsätzlich mit sehr hohen Fixkosten verbunden. Auch die Entwicklung neuer Produkte, von Betriebssystemen oder von Anwendungssoftware weist hohe Fixkosten aus. Die Vervielfältigung und Auslieferung eines Computerprogramms, einer CD oder eines Musikstücks erfolgt häufig über einen Download und ist daher mit sehr geringen oder sogar gar keinen variablen Kosten verbunden.6 Eine Ausweitung der Produktionsmenge führt bei dieser Kostenkonstellation zu sinkenden Durchschnittskosten. Dies hat zur Folge, dass das Unternehmen, das die größte Menge anbietet, die geringsten Durchschnittskosten aufweist und daher auch den niedrigsten Preis fordert. Im Ergebnis setzt sich erneut ein Unternehmen am Markt durch, das wiederum als Monopolist agiert.
Wenn sich auf einem Markt ein Anbieter als Monopolist durchgesetzt hat, ergibt sich aus der damit verbundenen Größe des Unternehmens eine dritte Form der Marktmacht: Das Unternehmen verfügt auch über eine Nachfragemacht und kann diese gegenüber den Anbietern von Vorleistungen ausüben. Konkret bedeutet dies, dass ein großes Unternehmen die Preise für von anderen Unternehmen bezogene Vorleistungen drücken kann. Gleiches ist auf dem Arbeitsmarkt möglich. Dort gibt es Hinweise, dass das Aufkommen sogenannter Superstar-Firmen wie Google, Apple, Amazon, Facebook und Uber auf die Löhne drückt.7 Für die Konsumenten bedeutet dies jedoch nicht notwendigerweise sinkende Preise, denn ein marktbeherrschendes Unternehmen wird weiterhin Monopolpreise fordern. Die Möglichkeit, Preise für Vorleistungen und Löhne zu drücken, erhöht dann vor allem den Gewinn des Monopolisten.
Angebotskurve bei Null-Grenzkosten
Viele digitale Güter zeichnen sich nicht nur durch sinkende Durchschnittskosten aus, sondern sogar durch Grenzkosten, die gegen null tendieren. Auf einem Markt mit vollständiger Konkurrenz ergibt sich dann folgendes Problem: Grundsätzlich erzielt ein Anbieter den höchsten Gewinn, wenn er die Menge anbietet, bei der die Grenzkosten mit dem Grenzerlös übereinstimmen. Bei Grenzkosten in Höhe von null entspricht die Angebotskurve jedoch der Mengenachse. Die Folge ist ein Marktgleichgewicht, bei dem der Preis gleich den Grenzkosten – also null – ist (Punkt A in Abbildung 5).
Abbildung 5
Marktgleichgewicht bei Grenzkosten von null und Monopolbildung
Quelle: eigene Darstellung.
Dies ist keine praktikable Lösung, weil damit Verluste entstehen, denn die Fixkosten werden nicht gedeckt. Langfristig resultiert auch hier ein Monopol: Unter der Berücksichtigung von Fixkosten setzt sich der Anbieter durch, der die größte Menge anbietet – also letztendlich die gesamte am Markt gehandelte Menge. Er bietet die Menge an, bei der der Grenzerlös gleich null ist (XB). Angeboten wird diese Menge zu einem Preis (pB), der der maximalen Zahlungsbereitschaft der Konsumenten für die Menge XB entspricht, sofern dieser Preis mindestens die Durchschnittskosten deckt (vgl. Abbildung 5).
Kundenbindung durch Umstellungskosten
Die Entstehung von Marktmacht und Monopolen wird dadurch gefördert, dass Unternehmen den Wechsel zu einem anderen Anbieter erschweren können, indem sie die Kosten dieses Wechsels erhöhen. Wechsel- bzw. Umstellungskosten können unterschiedliche Formen annehmen. Wenn beispielsweise die Anmeldung bei einem Online-Händler viele Angaben erfordert und daher zeitintensiv ist, wird ein Nutzer möglicherweise bei seinem Händler bleiben, obwohl das gewünschte Produkte bei einem anderen Online-Anbieter billiger ist. Wenn ein PC-Nutzer eine bestimmte Anwendungssoftware verwendet, für deren Erlernen er viel Zeit brauchte, wird er nicht ohne Weiteres zu einer anderen Software wechseln, selbst wenn diese qualitativ höherwertig ist und zudem geringere laufende Kosten aufweist. Die Kundenbindung durch hohe Wechselkosten wird Lock-in-Effekt genannt.8 Ein Lock-in-Effekt liegt auch vor, wenn es zu einer Bündelung von Angeboten kommt. Ein Beispiel dafür ist die Kombination eines Druckers mit einer Tintenpatrone:9 Wenn ein Kunde erst einmal einen Drucker erworben hat, zu dem nur eine ganz bestimmte Marke von Tintenpatronen passt, muss er diese kaufen, selbst wenn andere Patronen preiswerter sind. Der Wechsel zu Patronen mit einem geringeren Preis macht den Kauf eines neuen Druckers erforderlich, was wiederum hohe Wechselkosten bedeutet.
Abbildung 6
Marktgleichgewicht bei einem Lock-in-Effekt
Quelle: eigene Darstellung.
Hohe Umstellungskosten verhindern also in vielen Fällen den Wechsel zu einem qualitativ gleichwertigen Produkt, das weniger kostet. Damit unterbleiben Preissenkungen und Wohlfahrtssteigerungen. Besonders hoch sind diese Wohlfahrtsverluste, wenn die Preise für Produkte mit einem Lock-in-Effekt im Zeitablauf erhöht werden, obwohl es keine Kostensteigerung gibt oder der technologische Fortschritt die Produktionskosten sogar verringert. Der Anbieter nutzt dann die mit den hohen Wechselkosten verbundene Marktmacht aus, um seinen Gewinn zu steigern (Gleichgewichtspunkt QLIE in Abbildung 6 mit LIE = Lock-in-Effekt). Die Verbraucher bezahlen diese Gewinnsteigerung mit einem höheren Preis, der zu einer Verringerung der nachgefragten Menge führt. Die Folge ist ein gesamtwirtschaftlicher Wohlfahrtsverlust (Fläche QLIE QVK Q‘).
Preisdifferenzierung
Ein letzter Aspekt betrifft die Möglichkeit, dass Anbieter Informationen über die Zahlungsbereitschaften potenzieller Kunden haben und diese Informationen für kundenindividuelle Preiseangebote nutzen. Grundsätzlich sollte die höhere Markttransparenz, die sich im Zuge der voranschreitenden Digitalisierung ergibt, dazu führen, dass für ein bestimmtes Produkt nur ein Preis existiert, der zumindest kurzfristig stabil ist. Tatsächlich aber gibt es bei Online-Händlern innerhalb kürzester Zeit erhebliche Preisschwankungen. 2014 zeigte sich z. B., dass der Preis für eine hochwertige Kamera in einem Zeitraum von 72 Stunden zwischen 700 und 1680 Euro schwankte.10
Ein Grund für diese hohe Preisvolatilität können sogenannte personalisierte Preise sein. Hierbei handelt es sich um kundenindividuelle Preise, die die Online-Anbieter von unterschiedlichen Personen verlangen. Die Höhe des personalisierten Preises hängt von nutzerbezogenen Eigenschaften ab. Neben sozio-ökonomischen Eigenschaften wie Alter und Geschlecht zählt zu den preisbestimmenden Faktoren beispielsweise das Such- bzw. Surfverhalten.11 Personen, die sich vor der Suche nach einer Pauschalreise für Luxusuhren und Sportwagen interessiert haben, kann tendenziell ein höherer Preis abverlangt werden als Personen, deren Internetsuchverhalten sich auf preiswerte Produkte beschränkt. Auch das verwendete Endgerät kann eine Rolle spielen. So zeigte eine zwischen August und Oktober 2015 in Deutschland durchgeführte Untersuchung, dass bei hochwertigen Pauschalreisen die Preisangebote, die einem Interessenten mit einem Windows-Betriebssystem unterbreitet wurden, systematisch unter den Preisen lagen, die bei der Verwendung eines Apple-Betriebssystems verlangt wurden.12 Auch wenn das Phänomen der personalisierten Preise bisher nur sehr selten nachweisbar ist,13 ist es durchaus plausibel, dass mit der Weiterentwicklung der Datensammlung und der Datenauswertung sowie der verwendeten Algorithmen dieses Phänomen an Bedeutung gewinnt.
Das unternehmerische Ziel dieser Preissetzung ist es, die maximale Zahlungsbereitschaft der Kunden so weit wie möglich abzuschöpfen. In einem – aus Sicht eines gewinnmaximierenden Unternehmens – theoretischen Idealfall müsste jeder einzelne Kunde einen Preis zahlen, der exakt seiner maximalen Zahlungsbereitschaft für die entsprechende Mengeneinheit entspricht. Mit Blick auf Abbildung 4 bedeutet dies Folgendes: Die am Markt angebotene und nachgefragte Menge entspricht der Menge, die sich im Fall der vollständigen Konkurrenz einstellt (XVK). Die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt wird daher auch bei einer derartigen Preisdifferenzierung maximiert. Allerdings schöpfen die Anbieter die Konsumentenrente komplett ab, sodass die Produzentenrente der gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrt (Fläche a QVK b) entspricht.
Fazit und Ausblick
Die voranschreitende Digitalisierung hat sowohl preissenkende und wohlfahrtserhöhende als auch gegenteilige Effekte. Auf der einen Seite führt Digitalisierung über unterschiedliche Kanäle (Erhöhung der Markttransparenz, Abbau von Marktmacht, Reduzierung von Produktions- und Transaktionskosten) zu sinkenden Preisen für Güter und Dienstleistungen. Dies geht einher mit einer Ausweitung der angebotenen und nachgefragten Menge und verbessert so den Versorgungsgrad der Bürger. Insgesamt erhöht sich die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt. Während es bei den Verbrauchern zu einer Zunahme der Konsumentenrente kommt, kann die Produzentenrente der Unternehmen sinken. Neben diesem Verteilungskonflikt ergibt sich eine zunehmende Konkurrenz zwischen den bereits am Markt agierenden kommerziellen Anbietern und (potenziellen) privaten Anbietern. Angesicht dieser Verteilungskonflikte sind politische Konflikte vorprogrammiert: Kommerzielle Anbieter haben einen hohen Anreiz, politische Entscheidungen dahingehend zu beeinflussen, dass Privatpersonen nicht als Anbieter von Gütern und Dienstleistungen zugelassen werden.
Auf der anderen Seite kann Digitalisierung zum Entstehen von Monopolen führen. Die damit verbundene Marktmacht führt zu Preiserhöhungen und gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtsverlusten. Eine zentrale wirtschaftspolitische Herausforderung besteht deshalb darin, durch wettbewerbspolitische Instrumente Marktmacht zu beschränken, um so die preisreduzierenden und wohlfahrtserhöhenden Effekte der voranschreitenden Digitalisierung auch tatsächlich realisieren zu können.
- 1 Vgl. dazu G. A. Akerlof: The Market for „Lemons“: Quality Uncertainty and the Market Mechanism, in: The Quarterly Journal of Economics, 84. Jg. (1970), H. 3, S. 488-500.
- 2 Vgl. G. A. Akerlof a. a. O.; sowie T. Petersen: Adverse Selektion, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium, 36. Jg. (2007), H. 6, S. 309-311.
- 3 Vgl. M. Brown: The Making of Airbnb, in: Boston Hospitality Review, 4. Jg. (2016), H. 1.
- 4 Um die langfristige Tendenz zu einer Null-Grenzkosten-Entwicklung aufzunehmen, verläuft die Angebotskurve flacher.
- 5 Vgl. A. Zimmerlich, D. Aufderheide: Herausforderungen für das Wettbewerbsrecht durch die Internetökonomie, Internetökonomie und Hybridität, Nr. 4, Münster 2004, S. 6 f.; sowie L. Ehrlich et al.: Strategie 2030 – Digitalökonomie, Hamburg 2015, S. 15.
- 6 Vgl. N. Urbach: Betriebswirtschaftliche Besonderheiten digitaler Güter, in: M. Schmidt-Kessel, M. Kramme (Hrsg.): Geschäftsmodelle in der digitalen Welt, Jena 2017, S. 39-62; sowie H. R. Varian: Economics of Information Technology, Berkeley 2001 (überarbeitet: März 2003), S. 24-26.
- 7 Vgl. D. Autor et al.: The Fall of the Labor Share and the Rise of Superstar Firms, 1.5.2017, S. 2 f., S. 25 f.
- 8 Vgl. H. Meisner: Finanzwirtschaft in der Internetökonomie, Wiesbaden 2017, S. 17; L. Ehrlich et al., a. a. O., S. 16.
- 9 Vgl. H. R. Varian a. a. O., S. 21 f.
- 10 Vgl. J. Remmel: Die verbraucherpolitische Perspektive: aktuelle Entwicklungen im Online-Handel, in: Wirtschaftsdienst, 96. Jg. (2016), H. 12, S. 875, https://archiv.wirtschaftsdienst.eu/jahr/2016/12/dynamische-preissetzung-wer-profitiert/ (7.5.2018).
- 11 Vgl. Verbraucherzentrale Bundesverband e. V.: Personalisierte Preise, Diskussionspapier des Verbraucherzentrale Bundesverbands, Berlin 2016, S. 3.
- 12 Vgl. M. Schleusener, S. Hosell: Expertise zum Thema „Personalisierte Preisdifferenzierung im Online-Handel“, Studien und Gutachten im Auftrag des Sachverständigenrats für Verbraucherfragen, Berlin 2016, S. 21.
- 13 Vgl. H. Zander-Hayat, I. Domurath, C. Groß: Personalisierte Preise, SVRV Working Paper, Nr. 2, Berlin 2016, S. 2.