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Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig von Ende Februar 2018 erlaubt Diesel-Fahrverbote. Damit hat sich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Luftverschmutzung in Städten gerichtet. Die Durchsetzung eines Fahrverbots ist mit vielen Problemen behaftet. Nun werden Alternativen gesucht. Vorgeschlagen wurden ein Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr oder eine City-Maut – auch dies problematische Instrumente. Langfristig gibt es viele Optionen für intelligente und moderne Mobilitätskonzepte, die verschiedene Technologien und Organisationsformen nutzen. Das Ziel ist aber grundsätzlicher, Verkehr zu vermeiden, zu verlagern und verträglicher abzuwickeln. Dabei muss stets auf die Wechselwirkung verschiedener Maßnahmen geachtet und die Finanzierung nicht vergessen werden.

Bei der Umgestaltung der Mobilitätssysteme Gesamtwirkung beachten

In den zurückliegenden 200 Jahren veränderten neue Verkehrssysteme die Gestalt unserer Städte sowie deren Verknüpfung mit dem Umland maßgeblich. Der Zuzug in die Städte, in denen über 50 % der Weltbevölkerung leben, ist ungebremst. Trotz dieses Wachstums müssen Städte ihrer – teilweise stetig alternden – Bevölkerung einen nachhaltigen Lebensraum bieten. Mit Blick auf neue Technologien verändert zudem die Digitalisierung unsere Lebens- und Arbeitswelten.

Mobilität führt aber auch zu signifikanten Belastungen für Mensch und Natur, sodass der Ruf nach einer Mobilitätswende immer lauter wird. Strengere Grenzwerte rufen die Situation in das Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit. Aktuell beherrschen die NO2-Grenzwertüberschreitungen, hiermit einhergehende Gerichtsurteile bis hin zu Fahrverboten, die Diskussion und stellen Städte und Kommunen vor erhebliche Probleme. Gleichzeitig dürfen aber Klimaschutz, die Reduktion der CO2-Emissionen sowie der verkehrsbedingten Lärmbelastungen nicht in den Hintergrund treten.

Wirkungen und Wechselwirkungen beachten

Die Betrachtung der drei Emittenten NO2, CO2 und Lärm zeigt die Komplexität der Umgestaltung urbaner Mobilitätssysteme. So entwickelte die Verkehrsplanung in den zurückliegenden 30 Jahren Strategien zur Bündelung des motorisierten Individualverkehrs auf wichtigen Verkehrsachsen und reduzierte verkehrsbedingte Lärmbelastungen im Nebennetz und somit im Wohnumfeld. Heute zeigt sich, dass auf stark befahrenen Hauptverkehrsstraßen die zulässigen Lärmemissionen nicht eingehalten werden, was vielerorts zur Einrichtung von Tempo-30-Zonen führt. Gleiches gilt für die NO2-Grenzwertüberschreitungen an Hotspots. In beiden Fällen könnte eine Verlagerung der Verkehrsströme auf andere Netzabschnitte die Zahl der Grenzwertüberschreitungen minimieren. Die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme ist mehr als fraglich und findet nicht die Akzeptanz der betroffenen Bevölkerung.

Lokal emissionsfreies Fahren trägt hingegen zu einer deutlichen Reduzierung der Luftschadstoffbelastung im urbanen Raum bei und ist unverzichtbarer Bestandteil zukünftiger Mobilitätssysteme. Den Vorteilen eines lokal emissionsfreien Fahrens stehen jedoch globale Umwelteffekte sowie die generellen Belastungen durch den motorisierten Individualverkehr (hohes Verkehrsaufkommen und Staus auf städtischen Straßen) gegenüber. In den Umweltbilanzen der Elektrifizierung muss die Herstellung von Batterien mit hohem Leistungsvermögen sowie die Erzeugung des Fahrstromes Berücksichtigung finden.

Die Umgestaltung der Mobilitätssysteme bedarf somit der Integration einer Vielzahl von Lösungsansätzen. Häufig diskutierte Einzelmaßnahmen erzielen nicht die gewünschte langfristige Nachhaltigkeit. So werden in den nächsten Monaten Städte und Kommunen, mit Förderung des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), „Green City“-Masterpläne erstellen, die Grundlage für die spätere Förderung konkreter Maßnahmen zur Luftreinhaltung sind. Diese Masterpläne fokussieren jedoch auf die NO2-Belastung und verfolgen – je nach Ausgestaltung durch die einzelne Kommune – nur bedingt einen integrierten Ansatz, der das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele insgesamt gewährleistet.

Die Förderbedingungen des BMVI sehen ausdrücklich die Einbindung „intelligenter“ Mobilitätslösungen vor und erweitern so den klassischen Blickwinkel der Verkehrsentwicklungsplanung. Die folgende Betrachtung kombiniert daher Handlungsstränge und zeigt, beginnend mit dem Zusammenwirken von Mobilitäts- und Stadtplanung, ausgewählte Lösungsoptionen auf.

Mobilität und Stadt integriert planen

Die Neuausrichtung der Mobilitätssysteme der im Theoretischen allseits beschworenen, im Praktischen aber häufig vernachlässigten, Integration von Stadt- und Verkehrsplanung beginnt mit einer sinnvollen Zuordnung der Nutzungen untereinander, wobei in erster Linie nicht an die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte gedacht werden sollte. Nur 25 % der täglichen Wege sind auf die Aktivität „Arbeit“ zurückzuführen. Hingegen entfallen 50 % auf die Aktivitäten „Einkaufen“ und „Freizeit“. Für diese können im städtebaulichen Bestand neue Angebote zur Stärkung der Nahmobilität mit Fuß- und Radverkehr eingerichtet werden. Wachsende Städte erlauben weiterhin die konsequente Erschließung von Neubaugebieten, mit einem hochwertigen Angebot an Öffentlichem Personennahverkehr (ÖPNV) und eine CO2-neutrale Gestaltung der Energieversorgung. Ein aktuelles Beispiel für eine solche integrierte Planung zeigt die Landeshauptstadt Potsdam, die mit dem städtebaulichen Entwicklungsgebiet Krampnitz die genannten Planungsprinzipien bei der Realisierung eines neuen Stadtteils für 10 000 Einwohner umsetzt.

Bewährte Systeme weiterentwickeln

Der Radverkehr rückt zunehmend in das Zentrum kommunaler Mobilität. Die Stadt Kopenhagen zeigt dies bekanntermaßen, verdeutlicht aber auch, dass Erfolge mit erheblichen Anstrengungen verbunden sind: Straßenquerschnitte sind zugunsten des Radverkehrs umzugestalten, neue Radschnellwege erweitern das bestehende Netz, Knotenpunkte und die Schaltung der Lichtsignalanlagen werden an die Bedürfnisse des Radverkehrs angepasst. Dies erfordert nicht nur eine Reduktion der Flächenansprüche des Individualverkehrs, sondern zusätzlich erhebliche Investitionssummen, die bei 1,5 Mio. Euro pro Kilometer beginnen und in komplexen städtebaulichen Situationen die 3-Mio.-Euro-Marke deutlich überschreiten können (wie die Machbarkeitsstudie für den Radschnellweg Ruhr – RS1 exemplarisch zeigt).1 Die Stärkung des Radverkehrs ist in Kopenhagen zudem keine Einzelmaßnahme, sondern Teil einer breit angelegten ökologischen und „smarten“ Umgestaltung der Stadt.

Ein weiterer Schwerpunkt liegt im Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs. Neben neuen U-Bahnen und Regionalverbindungen in den Metropolregionen erlebt in Europa die Straßenbahn seit nunmehr 20 Jahren eine Renaissance. Die Straßenbahn ist, in Kombination mit neuen, elektrifizierten Bussen, das tragende System der Elektrifizierung des öffentlichen Personennahverkehrs. Insbesondere Frankreich zeigt mit Beispielen in Bordeaux oder Straßburg eindrucksvoll die Entwicklung neuer Straßenbahnlinien. Mit dem „Versement Transport“ steht den Kommunen ein Instrument der Erhebung von Gebühren zur Verfügung, die von den Arbeitgebern zu entrichten sind. Die eingenommenen Mittel sind zweckgebunden, können aber sowohl für Neuinvestitionen, als auch für betriebliche Aufgaben eingesetzt werden.

Innovationen gezielt einsetzen

Radverkehr und öffentlicher Personennahverkehr werden weiterhin das Rückgrat urbaner Mobilität bilden, müssen aber durch das Ziel der Reduktion des motorisierten Individualverkehrs und durch Mobilitätsinnovationen ergänzt werden. Die Entwicklung von Sharing-Systemen nimmt in der aktuellen Diskussion einen breiten Raum ein: Bike-Sharing ermöglicht die Nutzung von Fahrrädern innerhalb einer Mobilitätskette, d. h. in Verbindung mit dem Öffentlichen Personennahverehr. Weltweit etablieren sich stationsgebundene sowie frei im Straßenraum verfügbare Angebote. Diese „Free Floater“ stellen die Städte aktuell vor Herausforderungen, da Nutzer die Räder beliebig im Straßenraum abstellen. Städte und Kommunen schließen daher mit den Sharing-Unternehmen betriebliche Vereinbarungen mit Nutzungsregeln ab.

Carsharing existiert ebenfalls als stationsgebundenes Angebot und als „Free Floater“. Während sich aus wirtschaftlichen Gründen das Angebot der „Free Floater“ auf die Zentrumsbereiche der Metropolen (z. B. Berlin, Düsseldorf, Hamburg, München) beschränkt, können stationsbezogenen Angebote auch in deutlich kleineren Städten betrieben werden. Prinzipiell bietet Carsharing, bei Verzicht auf den eigenen Pkw, die ideale Ergänzung zu Rad und ÖPNV. Gleiches gilt für Ride-Sharing-Angebote, eine Mischung aus Taxiverkehr und bedarfsorientiertem ÖPNV.

Städte und Kommunen sollten mit den jeweiligen Betreibern des öffentlichen Nahverkehrs daher Sharing-Systeme gezielt in ihr Angebot integrieren.2 Beispielhaft kann hier das Ride-Sharing-Angebot „Berlkönig“ der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) oder die integrierte Mobilitäts-App der „Wiener Linien“ genannt werden. Die Integration von ÖPNV und Sharing-Angeboten bilden somit den Kern von „Mobility as a Service“. Diese neuen Mobilitätsprodukte müssen Einzelangebote integrieren. Einen der umfassendsten Services verfolgt „whim“ in Helsinki, der für eine monatliche Flatrate die unlimitierte Nutzung von öffentlichem Personennahverkehr, Taxi, Car- und Bike-Sharing ermöglicht.

Neue Impulse setzt weiterhin die umfassende Digitalisierung von Verkehrsinfrastruktur und Fahrzeugen, die nicht nur zu einem effizienteren Betrieb privater Pkw, sondern auch zu einer weiteren Stärkung des ÖPNV beiträgt. So kann die klassische ÖPNV-Beschleunigung nicht nur auf eine neue technologische Basis gestellt werden. In Abhängigkeit von der Verkehrssituation können an Fahrer und Fahrzeug zukünftig Informationen übertragen werden, die eine effiziente Fahrweise auf der Strecke und an den Knoten ermöglichen. Entsprechende Systeme werden derzeit beispielsweise im Düsseldorfer Testfeld für automatisiertes und vernetztes Fahren „KoMoD“3 oder in der Stadt Luxemburg4 erprobt. Letztere bezieht die Steuerung hybrider und vollständig elektrifizierter Fahrzeuge in ein Gesamtsystem mit ein, das städtische „Zero Emission Zones“ einschließlich der Cross-Sektor-Kopplung, zwischen Verkehrsmanagementzentrale, Betriebszentrale des öffentlichen Verkehrs und der Steuerung der Energienetze, vorsieht.

Eng an die Vernetzung gekoppelt ist die Automatisierung, die perspektivisch in automatisiert fahrende Fahrzeuge des Individualverkehrs sowie des öffentlichen Verkehrs mündet. Hier bieten kleine Fahrzeugtypen die Möglichkeit, die Automatisierung mit einer bedarfsorientierten Angebotsgestaltung zu verknüpfen. In Kombination mit leistungsfähigen Stammlinien des ÖPNV erhöhen diese Konzepte die Flächenerschließung von Wohngebieten. Prototypen werden beispielsweise bereits seit über zwei Jahren im schweizerischen Sion, oder aktuell in Berlin auf den beiden Arealen der Charité, getestet. Neben den technologischen Aspekten ist in diesem Kontext jedoch noch eine Vielzahl von rechtlichen und organisatorischen Fragen ungeklärt. Die räumlich begrenzten Anwendungen im ÖPNV bieten gute Möglichkeiten, diese Fragen zu klären. Darüber hinaus kann der Straßenraum abgesichert werden. So plant Singapur für das Jahr 2022 den Einsatz von automatisierten Fahrzeugen auf speziellen Abschnitten des öffentlichen Straßenraums.

Aber auch negative Effekte sind zu berücksichtigen. So führen beispielsweise automatisierte Robotaxis mit einem geringen Besetzungsgrad und potenziellen Leerfahrten zu unerwünschten verkehrlichen Wirkungen, selbst wenn die Fahrzeuge elektrisch betrieben werden. Studien des International Transport Forum zeigen folglich exemplarisch für die Städte Lissabon, Helsinki und Auckland, dass urbane Räume zukünftig auf leistungsstarke Transportmittel angewiesen sein werden.5

Akteure und Interessen zusammenbringen

Die Verknüpfung „etablierter“ und „innovativer“ Mobilitätslösungen hat neben technologischen Aspekten die Akteurskonstellationen zu betrachten. Die Umsetzung der vorgestellten Konzepte bedingt eine enge Kooperation zwischen Städten, Kommunen oder Ländern sowie privaten Unternehmen. Einzubinden sind weiterhin Unternehmen, wie Verkehrsunternehmen und Verkehrsverbünde, die eine privatwirtschaftliche Rechtsform besitzen, aber sich zumeist zu 100 % im öffentlichen Besitz befinden. Neue Kooperationsformen bewegen sich hierbei nicht nur im bekannten Spannungsfeld zwischen Gemeinwohl und betriebswirtschaftlichen Zielen.

Neue „distruptive“ Mobilitätslösungen basieren zudem häufig auf Geschäftsmodellen, die nicht in Einklang mit den bekannten privatwirtschaftlichen Modellen stehen. Eine weitere Herausforderung bei der Entwicklung von Kooperationen sind die unterschiedlichen Erfahrungshintergründe der am Mobilitätsmarkt aktiven Personen: Ingenieure treffen auf Informatiker, diese wiederum auf Stadtplaner, die mit Betriebswirten tragfähige Konzepte erarbeiten müssen. Diese wirtschaftliche und fachliche Gemengelage führt dazu, dass ein gemeinsames Verständnis bezüglich der Entwicklungsrichtung der Mobilität in unseren Städten nur schwer herzustellen ist. In der Zukunft bedarf es daher verstärkt der Entwicklung von „Governance-Regeln“, die neue Kooperationsformen ausgestalten.

Regulatorischer und wirtschaftlicher Rahmen

Diese unterschiedlichen Sichtweisen manifestieren sich in der Bewertung des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG). Privatwirtschaftliche Anbieter von „Mobility as a Service“-Lösungen bemängeln Restriktionen für die Ausgestaltung von Geschäftsmodellen, da das PBefG der ÖPNV, zu dem auch das Taxigewerbe zählt, einen gewissen Schutz bietet und aktuell die Geschäftstätigkeit neuer Akteure einschränkt. Neue Geschäftsmodelle können heute nur auf der Grundlage der in § 2 Nr. 7 PBefG verankerten Experimentierklausel für einen Zeitraum von vier Jahren erprobt werden. Hier sind ohne Zweifel Modifikationen erforderlich, wobei eine weitere Aufgabe des Gesetzes, wie die Sicherung der Daseinsvorsorge, weiterhin beachtet werden muss.

Zu den Charakteristika unserer Mobilitätssysteme zählt, dass die wirtschaftliche Tragfähigkeit von Angeboten mit einer abnehmenden Bevölkerungsdichte schwer nachzuweisen ist. Dies betrifft nicht nur den viel zitierten Gegensatz Stadt – ländlicher Raum. Auch innerhalb der Metropolen wird die Angebotsgestaltung in den weniger dichten und zumeist peripheren Stadtteilen und Bezirken schwieriger. Die klassische ÖPNV-Planung kombiniert daher bei Ausschreibungen von Buslinien weniger stark frequentierte und stärker frequentierte Linien zu Linienbündeln, die als Ganzes zu betreiben sind. Somit findet bei den Fahrgeldeinnahmen ein Ausgleich zwischen den Linien statt.

Eine ähnliche Denkweise ist auf neue Mobilitätsangebote und somit auf die Ausgestaltung zukünftiger Gesetze zu übertragen. Aus Gesamtsicht ist es nicht wünschenswert, dass umsatzstarke und somit wirtschaftlich tragfähige Linien des ÖPNV geschwächt werden und die Verkehrsunternehmen lediglich für finanziell wenig aktive Angebote verantwortlich sind. Ungeachtet dieser Problematik können neue Mobilitätsangebote die bereits diskutierte Abhängigkeit vom eigenen Pkw reduzieren. Die Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs ist aber nicht nur aus den genannten finanziellen Erwägungen unabdingbar: auch die potenzielle Erhöhung der Verkehrsleistung muss beachtet werden. Kommunen, Länder und der Bund stehen somit vor der Herausforderung, einen regulativen Rahmen zu schaffen, der die Potenziale von Innovationen erschließt und gleichzeitig negative Auswirkungen auf das Gesamtsystem vermeidet. Dieser Interessenausgleich ist nicht nur ureigene Aufgabe der Gesetzgebung, sondern auch der auf den Gesetzen basierenden städtebaulichen sowie der Verkehrs- und Mobilitätsplanung. Ein auf diesen Interessenausgleich und die Daseinsvorsorge ausgerichtetes Kooperationsmodell kann nicht zuletzt von Vorteil für die Geschäftsmodelle privater Akteure sein, da es auch hier eine langfristig ausgerichtete wirtschaftliche Tragfähigkeit sichert.

Zusammenfassung

Das komplexe Wirkungsgefüge urbaner Mobilität erfordert neben einer integrierten Stadtentwicklung, die Weiterentwicklung des öffentlichen Personennahverkehrs und des Radverkehrs sowie deren Ergänzung durch neue Mobilitätsangebote und -technologien. Einzelne, verkehrsträgerspezifische Maßnahmen führen nicht zu den gewünschten Erfolgen. Zielsetzung ist die Reduktion des motorisierten Individualverkehrs, da nur so die negative Wirkung aller Luft- und Lärmemissionen gemindert werden kann. Der weiterhin notwendige motorisierte Individualverkehr ist konsequent zu elektrifizieren, die Elektromobilität ist aber dennoch nur Teil der Gesamtlösung. Zukünftige Konzeptentwicklungen müssen zudem den Fokus auf Organisations- und Kooperationsmodelle lenken. Nur wenn auch hier tragfähige Lösungen gefunden werden, können neue Technologien erfolgreich eingeführt und die Mobilität in unseren Städten ohne Restriktionen gesichert werden.

  • 1 Regionalverband Ruhr: Machbarkeitsstudie RS1-Radschnellweg Ruhr, 2014.
  • 2 Polis: Mobility as a Service: Implication for urban and regional transport, 2017.
  • 3 Landeshauptstadt Düsseldorf: Projektpräsentation KoMoD – Kooperative Mobilität im digitalen Testfeld Düsseldorf, 2017, https://www.komod-testfeld.org/ (9.5.2018).
  • 4 M. Seredynski: Towards the electrification of public transport via public-private partnerships – the example of Luxembourg, 2017.
  • 5 International Transport Forum: Urban mobility system upgrade – How shared self-driving cars change cities, 2015; International Transport Forum: Shared Mobility simulation for Helsinki, 2017; International Transport Forum: Shared Mobility Simulation for Auckland, 2017.

Klimaschutz im Verkehr – Utopie und Wirksamkeit

Verkehr ist vor allem Mittel zum Zweck. Der Personenverkehr verbindet die Orte des Wohnens, Arbeitens, der Freizeit etc., der Güterverkehr Lagerstätten, Orte der Zwischen- und Endproduktion sowie der Entsorgung. Die Verkehrsteilnehmer fordern schnelle, zuverlässige und sichere Verkehrsangebote zu geringen Kosten. Dabei stehen die Interessen von Radfahrern und Fußgängern häufig im Widerspruch zu Ansprüchen des Kfz-Verkehrs, Menschen mit Mobilitätsbehinderungen stellen spezifische Anforderungen an die Verkehrsangebote, Güter- und Personenverkehr behindern sich gegenseitig. Außerdem trägt der Verkehrssektor maßgeblich zu lokalen wie globalen Umweltbelastungen bei, beansprucht Flächen und ist unfallträchtig. Gerade in Deutschland kommt der wirtschaftliche Stellenwert der Automobilindustrie hinzu, die die Fahrzeugentwicklung an hohen Gewinnmargen ausrichtet und auf große und schwere Fahrzeuge setzt.

Verkehrsplanung und -politik suchen in einem Feld von Ziel- und Interessenkonflikten nach einem Kompromiss zwischen wirtschaftlichen Interessen, einander widerstreitenden Nutzeransprüchen und Schutzinteressen bei effektivem Einsatz öffentlicher Mittel. Dieser Beitrag stellt den Klimaschutz im Verkehrsbereich in den Mittelpunkt und stellt die Frage nach den jeweils möglichen Akteuren.

Entwicklung des Verkehrs und seiner Folgen

In strategischen Verkehrsplanungen werden zur Beschreibung der Verkehrsnachfrage in der Regel Kenngrößen des Verkehrsaufwands (synonym Verkehrsleistung in Personen- und Tonnenkilometern) und der Verkehrsmittelnutzung, zur Beschreibung der Auswirkungen Statistiken unter anderem zu Unfällen und Emissionen verwendet. Danach hat der Verkehrsaufwand im Personen- und Güterverkehr in Deutschland kontinuierlich zugenommen.1 Immer mehr der immer längeren Wege werden mit dem Flugzeug, Pkw und Lkw sowie der Seeschifffahrt zurückgelegt. Diese Entwicklung wird im Folgenden verkürzt als (Prozess der) Verkehrsexpansion bezeichnet.

Wesentliche Treiber dieser Verkehrsexpansion sind unter anderem:

  • die global steigende Wirtschaftskraft und steigender Wohlstand verbunden mit höheren Ansprüchen an das Wohnen (größere Fläche, ruhige Lage), an den Urlaub (häufigere und weitere Reisen) und die Motorisierung (mehr und meist größere Fahrzeuge),
  • die Bildungsexpansion und berufliche Spezialisierung verbunden mit längeren Berufswegen,
  • die Gleichstellung von Mann und Frau verbunden mit doppelter Erwerbstätigkeit und Motorisierung,
  • die internationale Arbeitsteilung verbunden mit mehr sowie längeren Gütertransporten und Dienstreisen.

Diese Entwicklungen sind gleichzeitig eng verbunden mit einer am Pkw und Lkw orientierten Raumentwicklung sowie mengenleistungsfähigeren, schnelleren und preisgünstigeren Verkehrsangeboten (vgl. Abbildung 1). Aus dieser in der Regel eher positiv beurteilten Verkehrsexpansion resultieren deutlich zunehmende Umweltbelastungen und ein hoher Ressourcenverzehr durch den Verkehr, der nicht nur lokal zur Überschreitung von Immissionsgrenzwerten führt, sondern den Verkehr zum einzigen Sektor in Deutschland ohne nennenswerten Beitrag zum Klimaschutz macht.2

Abbildung 1
Soziale, ökonomische und technologische Treiber der Standort- und Verkehrsentwicklung
Soziale, ökonomische und technologische Treiber der Standort- und Verkehrsentwicklung

Quelle: C. Holz-Rau, J. Scheiner: Raum und Verkehr – welche Interventionen können zur Reduzierung klimawirksamer Verkehrsemissionen beitragen?, in: Straßenverkehrstechnik, 62. Jg. (2018), H. 1, S. 19-28.

In anderen Bereichen des Verkehrs hat es dagegen deutliche Fortschritte gegeben, so z. B. der Rückgang der Verkehrstoten seit 1970 (mehr als 20 000 Verkehrstote) auf 3177 Verkehrstote im Jahr 2017.3 Diese Fortschritte resultieren in der Regel aus einem Wechselspiel (a) technischer Fortschritte, (b) politischer Rahmensetzungen und (c) planerischer Interventionen. Am Beispiel der Verkehrssicherheit sind dies unter anderem zu (a) ein besserer Insassenschutz, teilweise auch Partnerschutz, zu (b) der verpflichtende Einbau von Rückhaltesystemen, die Einführung der Gurtanlegepflicht und Tempo 100 außerorts sowie zu (c) eine sicherere Auslegung der Infrastruktur. Da zur Frage der Verkehrssicherheit Nutzerinteressen und Schutzinteressen enger miteinander verbunden sind als im Umweltschutz, hat sich die Politik in diesem Bereich zumindest leichter getan, auch strittige Regelungen zu implementieren. Welche Schlussfolgerungen ergeben sich daraus für Verkehrsplanung und -politik?

Verkehrsplanung und -politik als Beitrag zum Klimaschutz

Obwohl die der Verkehrsexpansion zugrundeliegenden Entwicklungen in der Regel positiv beurteilt werden, sind die negativen Verkehrsfolgen für Umwelt und Lebensqualität nicht zu übersehen. Daher werden in der planerischen Debatte an vielen Stellen Gegenstrategien diskutiert. Die Verkehrsplanung unterscheidet in diesem Kontext die Strategien der Verkehrsvermeidung, Verkehrsverlagerung und verträglicheren Abwicklung (vgl. Abbildung 2 weiß unterlegt). Entsprechend der Ziele und Zielkonflikte (vgl. Abbildung 2 blau unterlegt) versucht sie aber auch, die Verkehrsqualität für die Nutzer zu erhöhen (vgl. Abbildung 2 blau unterlegt). Dabei kann ein – meist als integrierte Verkehrsplanung bezeichnetes – Vorgehen auf Interventionen aus unterschiedlichen Handlungs- und Politikfeldern zurückgreifen (vgl. Abbildung 2 grau unterlegt).

Abbildung 2
Ziele, Strategien, Handlungs- und Politikfelder einer integrierten Verkehrsplanung
Ziele, Strategien, Handlungs- und Politikfelder einer integrierten Verkehrsplanung

Quelle: C. Holz-Rau, J. Scheiner: Raum und Verkehr – welche Interventionen können zur Reduzierung klimawirksamer Verkehrsemissionen beitragen?, in: Straßenverkehrstechnik, 62. Jg. (2018), H. 1, S. 19-28.

Der nach wie vor aktuelle Klimaschutzplan der letzten Bundesregierung schlägt vor allem einen antriebsseitigen Technologiepfad zur verträglicheren Abwicklung vor, der trotz einer Zunahme des Verkehrsaufwands im Personen- und Güterverkehr ursprünglich 2020, jetzt 2030 zu einer deutlichen Abnahme der klimawirksamen Emissionen führen und langfristig durch die Verwendung klimaneutral produzierter, synthetischer Kraftstoffe ergänzt werden soll. Zusätzlich sollen Angebotsverbesserungen zur Verkehrsverlagerung auf den Schienenfernverkehr und den Öffentlichen Personennahverkehr sowie auf den Fuß- und Radverkehr führen.4 Der Klimaschutzplan folgt dabei der Prognose des Verkehrsaufwands im aktuellen Bundesverkehrswegeplan.5 Konkrete Bemühungen zur Verkehrsvermeidung werden aber nicht ausgeführt.

Über 2030 hinaus orientiert sich die deutsche Klimaschutzpolitik dann „am Leitbild einer weitgehenden Treibhausgasneutralität bis 2050“6. Von dieser Zielformulierung und der Annahme ausgehend, dass die verbleibenden CO2-Emissionen im Verkehr dem Luft- und Seeverkehr vorbehalten blieben, müsste der Landverkehr bis 2050 praktisch vollständig dekarbonisiert sein. Wie steht dies zu den verkehrsplanerischen Strategien?

Verkehrspolitik aus Nutzersicht

Die Zunahme des Verkehrsaufwands und die Nutzung schnellerer (und energieaufwendigerer) Verkehrsmittel resultiert in erster Linie aus den Vorteilen für die Nutzer. Entsprechend setzen insbesondere großräumige Verkehrskonzepte wie der Bundesverkehrswegeplan den Ausbau der Verkehrskapazitäten fort und fördern damit den Prozess der Verkehrsexpansion. Aber auch in den städtischen Verkehrskonzepten wird die Ausweitung der regionalen und überregionalen Verkehrsinfrastruktur meist begrüßt oder sogar gefordert.

Verkehr vermeiden

Der Klimaschutzplan der Bundesregierung hält die Zuwachsprognose des Verkehrsaufwands des Bundesverkehrswegeplans aufrecht, setzt also nicht nennenswert auf eine Strategie der Verkehrsvermeidung. Dies steht zwar im Widerspruch zu der in der Planung verbreiteten, aber wahrscheinlich überzogenen Hoffnung, durch eine nutzungsgemischte und kompakte Stadtentwicklung den Verkehrsaufwand zu reduzieren. Es erscheint aber aufgrund der eingangs beschriebenen Treiber der Verkehrsentwicklung als durchaus realistische Perspektive.

Die in der planerischen Diskussion formulierten Konzepte einer Stadt der kurzen Wege durch Nutzungsmischung und kompakte Stadtentwicklung können in diesem Prozess der Verkehrsexpansion nur geringe verkehrsvermeidende Wirkungen erzielen. Die Ansätze im Konzept einer Stadt der kurzen Wege bilden aber einen wichtigen Beitrag zur Erreichbarkeitssicherung, sodass dieser Ansatz zwar weniger griffig, aber zutreffender überschrieben wäre als Stadt der guten Naherreichbarkeit oder als Stadt, die kurze Wege möglich macht. Eine städtische Verkehrsplanung, die z. B. aus Gründen des Umweltschutzes die Reduzierung der großräumigen Erreichbarkeit fordert, ist uns dagegen nicht bekannt. Trotzdem sehen einige städtische Verkehrspläne Einschränkungen des Pkw-Verkehrs vor. Diese beschränken sich aber auf Teilgebiete der Stadt und haben kaum Auswirkungen auf die für die CO2-Emissionen besonders relevanten großräumigen Verkehre.

Eine erhebliche Erhöhung der Transportkosten wäre dagegen aus ökonomischer Sicht im Grundsatz ein Weg zur Reduzierung des Verkehrsaufwands, erscheint aber im politischen Raum keine Option zu sein, zumal eine hohe Raumdurchlässigkeit (geringe Verkehrskosten, hohe Kapazitäten und Geschwindigkeit, hohe Zuverlässigkeit) als Treiber wirtschaftlichen Wachstums gilt.

Verkehr verlagern

In vielen verkehrsplanerischen Konzepten, ansatzweise auch im Klimaschutzplan der Bundesregierung, werden Ansätze zur Verkehrsverlagerung betont. Im Hinblick auf die Relevanz eines solchen Ansatzes mag ein Blick auf die aktuelle Verkehrsstruktur dienen. Im Jahr 2015 wurden im deutschen Personenverkehr 1251 Mrd. Personenkilometer bewältigt, davon 946 Mrd. mit dem Pkw.7 Eine Verdopplung des Verkehrsaufwands im Radverkehr (allein zulasten des Pkw) entspräche einer Reduzierung des heutigen Niveaus um 3,8 %, eine Verdopplung des öffentlichen Verkehrs (ebenfalls allein zulasten des Pkw) einer Reduzierung um 18,3 %. Sicher wäre dies, wenn eine solche Verkehrsverlagerung gelänge, eine deutliche Minderung. Eine Verdopplung des öffentlichen Verkehrs, der zudem auf der Schiene in Konkurrenz zum Schienengüterverkehr steht, ist mit den bisher vorgesehenen Maßnahmen aber nicht im Entferntesten zu erwarten. Außerdem zeigen sich bei Verbesserungen des ÖPNV in der Regel deutliche Abnahmen beim Fuß- und Radverkehr, so dass die Minderungen im Pkw-Verkehr geringer ausfallen dürften. Eine Verdopplung des Radverkehrs würde sich dagegen kaum in der Gesamtbilanz auswirken, auch wenn Entlastungen lokal deutlich spürbar sein könnten. Entsprechend erwarten wir von Verlagerungskonzepten nur einen geringen Beitrag zur Reduzierung der CO2-Emissionen. Außerdem sollten entsprechende Konzepte in weitere Maßnahmen eingebunden werden.

Verkehr verträglicher abwickeln

Die Erfolge der Verkehrsplanung und -politik der Vergangenheit sind vor allem einer verträglicheren Verkehrsabwicklung zuzurechnen. Zu einem erheblichen Teil resultieren sie aus einer verbesserten Fahrzeugtechnik, z. B. aus sichereren Fahrzeugen und einer sauberen Verbrennung. Kleinteilige Verkehrskonzepte haben den Verkehr vor Ort ebenfalls sicherer gemacht, haben Räume für Fußgänger zurückgewonnen und Räume für den Aufenthalt geschaffen. Lässt sich diese zumindest teilweise erfolgreiche Entwicklung auf den Bereich der klimawirksamen Emissionen ausdehnen? Der Aktionsplan der Bundesregierung setzt dort vor allem in der Technologieentwicklung an und verweist auf Grenzwertsetzungen durch die EU.

Die Verbrauchsentwicklung der Fahrzeugflotte war in den letzten Jahrzehnten durch zwei gegenläufige Trends gekennzeichnet. Die Motoren wurden sparsamer, die Fahrzeuge größer und schwerer, sodass die Verbrauchsminderung deutlich hinter der Entwicklung der Motoreffizienz zurückgeblieben ist. Maßgeblich für diese kompensatorische Entwicklung ist die Kopplung der Verbrauchsgrenzwerte an das Fahrzeuggewicht, für die sich vor allem die Bundesregierung bei der EU eingesetzt hat. Die Reduzierung der klimawirksamen Emissionen hängt in erster Linie von den zukünftigen Grenzwerten zu CO2-Emissionen und Verbrauch ab. Dabei ist eine deutliche Reduzierung möglich, denn Fahrzeuge mit sparsameren Verbrennungsmotoren sind bereits auf dem Markt, und zwar meist zu geringeren Kosten als die Fahrzeuge mit höheren CO2-Emissionen (vgl. Abbildung 3). Die Unterscheidung zwischen verschiedenen Fahrzeugtypen spreizen die Emissionen nochmals deutlicher.

Abbildung 3
Listenpreis und CO2-Emissionen am Beispiel des VW Golf
Listenpreis und CO2-Emissionen 
am Beispiel des VW Golf

Daten nach VW-Fahrzeugkonfigurator Baujahr 2017.

Quelle: eigene Darstellung.

Ergänzend haben nach zahlreichen Presseveröffentlichungen inzwischen mehrere Staaten ihre Absicht erklärt, die Zulassung von Neufahrzeugen mit Verbrennungsmotor demnächst zu verbieten. Zurzeit gehören dazu Norwegen (2025), die Niederlande (2030), Indien (2030), Frankreich und Großbritannien (2040) sowie China (noch ohne Zeitplan). Eine solche Politik würde, ähnlich der Durchsetzung deutlich schadstoffärmerer Antriebe in den 1990er Jahren, einen klaren Rahmen für eine Reduzierung der CO2-Emissionen im Personenverkehr setzen. Aber auch bei Elektrofahrzeugen bleibt der Energieverbrauch für die Produktion und den Betrieb ein wichtiges Kriterium.8 Denn größere Fahrzeuge verbrauchen mehr Energie in der Herstellung und im Betrieb. Sie erschweren damit die Energiewende. Die weitere Entwicklung immer größerer und schwerer Fahrzeuge mit hoher Motorleistung, nur mit einem anderen Antrieb, bleibt vor dem Hintergrund einer global zunehmenden Motorisierung weiterhin problematisch. Dies gilt auch und insbesondere für deren Einsatz in den Städten.

Verkehrsplanung für lebenswerte Städte

Aufgrund der Erfolglosigkeit im Klimaschutz stand dieser bisher im Mittelpunkt. Wie aber kann ein Beitrag der Verkehrsplanung zu lebenswerten Städten aussehen? Gerade hier werden die Strategien der Vermeidung, Verlagerung und verträglicheren Abwicklung besonders intensiv diskutiert. Dies betrifft bei Weitem nicht nur die Städte, in denen die NO2-Immissionsgrenzwerte überschritten werden, und reicht teilweise zurück bis in die 1990er Jahre.

Als wesentliche Ansätze zur Verkehrsvermeidung gelten dabei raumstrukturelle Ansätze der kompakten und durchmischten Städte, die bereits oben zutreffender als Stadt der guten Naherreichbarkeit beschrieben wurden. Eine solche Stadt unterstützt den Alltag der Menschen, die weitgehend unabhängig vom Pkw leben müssen oder wollen, und sollte gleichzeitig auf gute Bedingungen für den Fuß- und Radverkehr achten.

Die Orientierung der Siedlungsentwicklung an Standorten mit hohen ÖPNV-Qualitäten kann zur Verkehrsverlagerung beitragen und unterstützt ebenfalls die Unabhängigkeit vom Pkw. Gleiches gilt für die Förderung des Radverkehrs durch bessere Infrastrukturen, aber auch durch die Schaffung eines insgesamt fahrradfreundlichen Klimas. Die Förderung des Radverkehrs ist aktuell eines der vorrangigen Themen der städtischen Verkehrsplanung.

Städte, denen es gelingt, den Radverkehr und den ÖPNV erfolgreich zu fördern, sind in der Regel auch besonders lebenswerte Städte. Dabei geht eine zunehmende Fahrrad-Nutzung aber nur teilweise zulasten der Pkw-Fahrten. Sie geht auch zulasten des ÖPNV sowie des Fußverkehrs und reduziert den Besetzungsgrad der Pkw. Ähnliches gilt für eine Förderung des ÖPNV. Nur eine begleitende restriktive Planung gegen den Pkw kann diese Gewichte verschieben, ist aber nur selten durchsetzbar. Es scheint sogar plausibel, dass eine Stärkung des Radverkehrs in Städten die Bedingungen für den Umland-Stadt-Verkehr mit dem Pkw verbessert und, sofern die Radverkehrsförderung die Belastungen durch den Pkw-Verkehr reduzieren soll, begleitende restriktive Maßnahmen im Pkw-Verkehr erfordert.

Darüber hinaus gibt es zahlreiche Ansätze in einer integrierten Verkehrsplanung, die zu einer verträglicheren Verkehrsabwicklung beitragen. Sie reichen von der klassischen Verkehrsberuhigung über die Umgestaltungen von Straßenräumen nach Kriterien des Fußverkehrs und Aufenthalts als infrastrukturellen Maßnahmen, über Parkraumkonzepte und deren Kontrolle bis zum schulischen oder betrieblichen Mobilitätsmanagement. Zwei Kernaufgaben der städtischen Verkehrsplanung seien hier ergänzt, die barrierefreie Gestaltung der Verkehrsangebote und die Bestandserhaltung.

Eine kurze Zusammenschau

Nach dem Subsidiaritätsprinzip, Probleme jeweils dort zu lösen, wo die entsprechenden Kompetenzen und Ressourcen bestehen, sind die Kommunen und Regionen im Verkehrsbereich vor allem für die Verbesserung der Lebensqualität vor Ort zuständig. Sie haben dazu die vielfältigen Möglichkeiten einer integrierten Raum- und Verkehrsplanung. Die EU und der Bund stehen dagegen vorrangig in der Verantwortung für den Klimaschutz, indem sie dafür Sorge tragen müssen, dass die genutzten Fahrzeuge möglichst wenig Energie verbrauchen und damit kurzfristig deutlich weniger und langfristig keine klimarelevanten Emissionen mehr ausstoßen. Nur eine solche Technikwende entspräche dem Verursacherprinzip.

Verkehrswende auch ohne Fahrverbote? Die Kommunen als Gestalter für eine neue Mobilität

Wenn man den Ursprung des Begriffs einer Verkehrswende zeitlich zurückverfolgt,1 liegt es nahe, die Frage der Machbarkeit eines nachhaltigen städtischen Verkehrssystems zu verneinen. Die Ziele zur Dekarbonisierung des Sektors,2 etwa die Verringerung der Treibhausgase um 40 % gegenüber 1990 bis zum Jahr 2030, können voraussichtlich nicht mehr erreicht werden. Auch bildet sich noch kein grundlegend gewandeltes Verkehrsverhalten ab, bei dem die Nutzung des eigenen Pkw abnimmt und Formen der aktiven Mobilität, der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) oder auch die geteilte Nutzung von Transportmitteln (Sharing) massentauglich werden.3 Die Entwicklung von Indikatoren der Mobilität, z. B. des Modal Split (Aufteilung der Leistungsanteile der einzelnen Verkehrsträger am Gesamtaufkommen) im Personen- und im Güterverkehr, ebenso wie die aktuellen gravierenden Luftqualitätsprobleme in vielen Städten,4 erlauben deutliche Zweifel, dass das Verkehrssystem nach dem Boom der Automobilisierung nachhaltiger geworden ist.5

Gelegenheitsfenster durch Luftqualitätsprobleme und digitalen Strukturwandel

Vor allem infolge des Dieselabgasskandals und des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom Februar 2018 zu den Sprungrevisionen der Länder Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg6 gegen erstinstanzliche Entscheidungen der Verwaltungsgerichte Düsseldorf und Stuttgart zur Fortschreibung der Luftreinhaltepläne7 hat das Leitbild der Verkehrswende erneut Konjunktur. Bei dem Genfer Autosalon betonte sogar der Konzernchef von Volkswagen, dass die Kooperation von politischen Entscheidungsträgern, Kommunen sowie Auto- und IT-Industrie zur Umsetzung einer Verkehrswende notwendig sei.8 Tatsächlich sind die Möglichkeiten hierfür derzeit real, vor allem da ausländische Mobilitätsanbieter und die Digitalisierung die Automobilindustrie unter Handlungsdruck setzen.

Doch: Wie kann eine Verkehrswende gestaltet werden, die nachhaltig wirkt und unerwünschte Nebeneffekte vermeidet? Welchen politischen Handlungsrahmen gibt es und welche Maßnahmen versprechen eine hohe Wirksamkeit? Sind Verkehrsbeschränkungen notwendig?

Kommunen sorgen für Machbarkeit

In der Gestaltung und Umsetzung von Maßnahmen zur Förderung einer umwelt- und stadtverträglichen Mobilität müssen und können die Städte und Gemeinden mehr denn je eine wichtige Rolle einnehmen. Eine Steuerung ist nicht allein bei neuen Mobilitätsangeboten des Bike-, Car- oder Ride-Sharing erforderlich.9 Im Kontext der kurzzeitig geführten, und von den fünf möglichen Modellkommunen ablehnend beschiedenen Diskussion um das Experiment eines kostenlosen ÖPNV, können jetzt insbesondere neue Maßnahmenbündel geschnürt werden, die den öffentlichen Verkehr in den Städten attraktiver machen.10 Dies beinhaltet die stadtverträgliche Integration von neuen Mobilitätsangeboten, wie etwa Ride-Sharing, in den ÖPNV.11

Bund-Länder-Konflikte

Historisch haben sich auch in der Umweltregulierung in Deutschland oft Defekte der Politikverflechtung gezeigt.12 Fahrzeugbezogene Regulierungen wurden häufig nur inkrementell und zögerlich formuliert.13 Ob und in wieweit nationale Regelungen die europäische Pkw-Abgasgesetzgebung umgesetzt haben, war insbesondere davon abhängig, welche Fahrzeuge der Pkw-Flotte betroffen waren (vgl. Tabelle 1).

Tabelle 1
Umwelteffekte des deutschen Verbundföderalismus
Politikergebnis Regulierungs­niveau Föderale (Inter-)Aktionen Wirkungen
Nationale
Industrie
Bürger
Frühzeitige Förderung des Katalysators hoch Bayern und Baden-Württemberg mit parlamentarischen Anträgen Bundesrat (CDU-Länder) will eigene nationale Standards hoch und positiv (technologischer Wettbewerbs­vorteil) niedrig und positiv (steuerliche Anreize)
Ozongesetz als Bundes- regulierung mittel Autonome Maßnahmen der Länder (SPD-Länder) Bundesrat stimmt Regierungs­vorschlag zu trotz „divided government“ niedrig und positiv (mögliche Effekte auf Nachrüstungs­rate) niedrig und positiv (breite Verteilung möglicher Gesundheitseffekte)
Späte Förderung des Diesel­partikel­filters niedrig Länder und Bund ohne industrie­politisches Interesse an Förderung Blockade (Bundesrat) bei redistributiven fiskalischen Fragen mittel und negativ (bis zu Entscheidung der Industrie für Filtertechnologie) mittel und positiv (Gesundheits­effekte bei Flottenaus- stattung, monetäre Effekte)

Späte steuerliche Anreize durch Kfz-Besteuerung bei CO2-Emissionen niedrig und mittel Länder und Bund ohne industrie­politisches Interesse an Regulierung und Förderung Zentralisierung der Besteuerungs­kompetenz auf Basis von Kompensations­zahlungen hoch und negativ (bis zu EU-Entscheidung über verbindliche CO2-Regulierung) niedrig und neutral (geringe Preiseffekte in höheren Fahrzeug- segmenten)

Quelle: K. Lindloff: Beyond „Trading up“: Environmental Federalism in the European Union. The Case of Vehicle Emission Legislation, Baden-Baden 2016, S. 247.

Die nationale Förderung von Dieselpartikelfiltern etwa erfolgte im Vergleich zu der von Katalysatoren (Benzinmotoren) unüblich spät, erst nachdem die Euro 5-Norm im Jahr 2007 beschlossen war.14 Die Umweltminister der Länder und des Bundes, und sogar der Bundesrat selbst, konnten sich mit Initiativen zugunsten einer Förderung lange Zeit nicht durchsetzen. Schließlich lehnte der Bundesrat einen Vorschlag der Bundesregierung ab, der vorsah, dass die Länder die Kosten getragen hätten.15 Weitere Beispiele sind das Ozongesetz (1995), bei dem die Anforderungen an die Erteilung von Fahrverboten so hoch waren, dass die Implementierung unwahrscheinlich war,16 sowie die ebenfalls späte Einführung einer CO2-basierten Komponente in der Kfz-Besteuerung (2009), auch relativ zu vielen anderen EU-Mitgliedstaaten. Strukturen der Politikverflechtung verhinderten umwelt- und gesundheitsschützende Maßnahmen.

„Fahrverbots-Urteil“: Handlungsspielraum auch ohne bundesweite Regelung

Das Mehrebenensystem ist daher zwar Chance, z. B. aus der Perspektive der Subsidiarität, aber zugleich auch Hemmnis, wenn ein „blame shifting“17 zwischen Bund und Ländern erfolgt. Das aktuelle Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig vom 27.2.2018, dessen Begründung noch nicht vorliegt, ist für die weitere Governance von Mobilität in Deutschland jedoch eine große Chance, weil es die (noch) nicht verabschiedete Kennzeichnungsverordnung, für z. B. eine „blaue Plakette“, als (bundes-)rechtliches Hindernis „ausräumt“.18

Die Bundesländer sind in ihrer Luftreinhalteplanung jetzt ermächtigt, und teilweise explizit aufgefordert, auch verkehrsbeschränkende Maßnahmen zu definieren, wenn diese zur Grenzwerteinhaltung geeignet, erforderlich und angemessen sind. Sie müssen aber an den Beitrag zur Schadstoffbelastung anknüpfen. Bislang setzen die Kommunen Zufahrtsbeschränkungen bereits ein, etwa dauerhaft im Kontext von Umweltzonen oder auch als freiwillige temporäre Maßnahme im Rahmen des Feinstaubalarms in Stuttgart. Letzteren kombiniert die Kommune sinnvoll mit der Pull-Maßnahme der Reduktion der Fahrpreise des ÖPNV.

Die Wirkungen des Feinstaubalarms, z. B. im Hinblick auf Verkehrsverlagerung, verdeutlichen jedoch, dass eine solche Maßnahme nur ein kurzfristiges Instrument mit teilweisen Wirkungen auf den Modal Split ist.19 Die politischen Entscheidungsträger ebenso wie die Fachverwaltung sind sich zudem der auftretenden individuellen Belastungen bei Personen- und Wirtschaftsverkehren bewusst. Infolge von verfassungsrechtlichen sowie einfachgesetzlichen Regelungen, aber auch weil die Entscheidungsträger wiedergewählt werden möchten, besteht somit ohnehin ein enger Rahmen für die Anwendung von Fahrverboten. Die von hohen NOx-Werten betroffenen Kommunen möchten außerdem zur Gestaltung ausdrücklich andere Steuerungsinstrumente einsetzen.20

Kostenloser ÖPNV?

Vor dem Hintergrund möglicher Fahrverbote werden die Potenziale des ÖPNV als wichtiger Problemlöser zunehmend erkannt. Um der drohenden Klage der EU-Kommission aufgrund des jahrelangen Überschreitens der europäischen Grenzwerte der Luftreinhaltung in vielen Städten entgegenzuwirken,21 schickte die Bundesregierung Mitte Februar 2018 einen Entwurf für ein Maßnahmenpaket nach Brüssel, zu dem unter anderem auch Versuche zu einem kostenlosen ÖPNV gehörten.

Die angesprochenen Modellkommunen lehnten diese überraschend ins Spiel gebrachte Idee jedoch ab, da sie Einnahmeausfälle fürchteten und den Zusatzbedarf an Infrastruktur, Fahrzeugen und Personal bei steigender Nachfrage nicht finanzieren könnten. Wenn der ÖPNV für eine Verkehrswende Anteile des motorisierten Individualverkehrs aufnehmen soll, muss er jedenfalls attraktiver werden und Angebote machen, die freiwillige Verhaltensänderungen bei der Verkehrsmittelwahl bewirken können.22 In der Diskussion um Tarife darf nicht ausgeblendet werden, dass der Fahrpreis nur ein Entscheidungskriterium ist. Ebenfalls relevant sind die Verlässlichkeit und die Verfügbarkeit des Angebots sowie die ÖPNV-Fahrzeit für den gesamten Weg (inklusive Zu- und Abgangswege sowie Umsteigezeiten) im Vergleich zur Autonutzung. Die Diskussion um die Attraktivität des ÖPNV muss mit einer Vielzahl von Argumenten geführt werden, keinesfalls darf sie nur auf den Tarif,23 oder sogar nur auf einen kostenlosen ÖPNV fokussieren.

Neuer Stellenwert für Attraktivierung des ÖPNV

Vielmehr noch als die Einrichtung eines kostenlosen ­ÖPNV kann die derzeitige Debatte Gelegenheitsfenster sein, um eine intensivere Förderung des öffentlichen Verkehrs zu verwirklichen. Einen vergleichbaren Aufschwung gab es für den ÖPNV zuletzt Mitte der 1990er Jahre infolge der UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro und des neuen rechtlichen Rahmens durch die Regionalisierung.

In ihrem Koalitionsvertrag hat die Bundesregierung beschlossen, die Mittel für das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) bis 2021 auf jährlich 1 Mrd. Euro zu erhöhen und danach jährlich dynamisiert für Aus- und Neubaumaßnahmen zur Verfügung zu stellen. Erst im Sommer 2017 war das Grundgesetz infolge der Einigung über die Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichssystems ab 2020 geändert worden. Gleichzeitig war die Fortführung des GVFG-Bundesprogramms beschlossen worden, aber auch dessen „Versteinerung“ auf dem seit vielen Jahren gültigen Niveau von jährlich 333 Mio. Euro bis mindestens Ende 2024.24 Weitere neue Förderprogramme bzw. Aufstockungen vorhandener Programme umfassen beispielsweise die Beschaffung von Elektrobussen und die Aufstellung von „Green City“-Masterplänen durch die Kommunen.

Maßnahmen

Damit der ÖPNV rasch zu einer Entlastung der Städte beitragen kann, müssen kurzfristig Angebotsverbesserungen umgesetzt werden. In den großen Städten fehlen ihm zu den Hauptverkehrszeiten häufig die hierzu notwendigen freien Kapazitäten. Die langen Lieferzeiten bei Schienenfahrzeugen erlauben keine schnelle Aufstockung des Wagenparks, sodass die einzige Option darin besteht, Bestandsfahrzeuge länger im Einsatz zu halten. Bei Bussen sind dagegen schnellere Neubeschaffungen von Fahrzeugen möglich, zudem sind Technologien verfügbar, die eine Umrüstung von Euro 4- und Euro 5-Fahrzeugen auf Euro 6 ermöglichen. Damit zusätzliche Leistungen im Fahrplan angeboten werden können, ist mehr Personal notwendig.

Vor diesem Hintergrund liegt eine zentrale Aufgabe darin, den ÖPNV als Arbeitsplatz attraktiv zu gestalten, sowohl was Bezahlung als auch Arbeitszeitmodelle betrifft. Darüber hinaus kann eine größere gesellschaftliche und politische Wertschätzung des ÖPNV zu einer Verbesserung der Wahrnehmung und seines Images bei den Bürgern und potenziellen Arbeitskräften beitragen.

Diskutiert werden Konzepte zur Individualisierung von ÖPNV-Angeboten, um eine Brücke zwischen klassischem ÖPNV und Individualverkehr zu schlagen. Experimente zum Ride-Sharing sollten durch ÖPNV-Aufgabenträger bzw. (kommunale) Verkehrsunternehmen umgesetzt und in ihren Wirkungen evaluiert werden, sodass Erkenntnisse über die Anforderungen an den zukünftigen personenbeförderungsrechtlichen Regulierungsrahmen im Hinblick auf einen stadtverträglichen Verkehr gewonnen werden.25

Hohe Erwartungen richten sich an die Automatisierung von ÖPNV-Systemen. U-Bahnen sind hierfür prädestiniert und werden im Ausland bereits eingesetzt.26 Dagegen ist der Einsatz automatisierter Busse in der näheren Zukunft zunächst nur in eng definierten Einsatzbereichen wie beispielsweise einem Hochschul-Campus oder einem Gewerbegebiet als ergänzendes ÖPNV-Angebot für die erste oder letzte Meile zu erwarten.

ÖPNV-Investitionsoffensive

Eine ÖPNV-Investitionsoffensive und ein Ausbau des Angebots benötigen in der mittel- und langfristigen Perspektive ein nachhaltiges Finanzierungskonzept. Für den Erhalt und Ersatzneubau von Infrastrukturen gibt es für die kommunalen Aufgaben- bzw. Baulastträger bisher keine Förderprogramme. Diesen Gesichtspunkt gilt es bei Neuinvestitionen mitzudenken, bzw. solche Lösungen anzustreben, die möglichst niedrige Folgekosten verursachen. Im Fokus – auch im Sinne eines Push- und Pull-Ansatzes27 – sollten daher Konzepte stehen, die einen attraktiven ÖPNV im vorhandenen Straßenraum durch eine Neuaufteilung zugunsten des Umweltverbunds umsetzen, wie beispielsweise durch die Einrichtung von Bussonderfahrstreifen.

Ebenfalls benötigt ein attraktives ÖPNV-Angebot eine verlässliche Finanzierung, insbesondere auch dann, wenn das Fahrpreisniveau auf einem intermodal wettbewerbsfähigen Niveau gehalten werden soll, d. h. Kostensteigerungen aus politischen Motiven nicht mit Erhöhungen der Fahrpreise einhergehen sollen. Lösungen für diese Problematik liegen in einer besseren finanziellen Ausstattung der kommunalen Aufgabenträger durch die Länder, aber auch in neuen Finanzierungsinstrumenten im Entscheidungsbereich der Kommunen. Allerdings muss konstatiert werden, dass die rechtliche und politische Diskussion kommunaler Nahverkehrsabgaben erst begonnen hat.28

Fazit

Verkehrsbeschränkungen sind nur eine mögliche Maßnahme, die Länder und Kommunen zur Verbesserung der Luft- und Lebensqualität in den Städten anwenden (können). Derzeit besteht insbesondere ein Handlungsfenster zur stärkeren kommunalen Förderung des ÖPNV, das genutzt werden sollte. Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen müssen hierbei jedoch auch neue Konzepte erfolgreich einsetzen, um Nutzergruppen zu gewinnen und ein attraktives Angebot bereitzustellen. Die physische und digitale Integration von Angeboten des klassischen ÖPNV mit Sharing-Lösungen kann in verschiedener Weise umgesetzt werden. Sie ist ein wichtiger Baustein für eine inter- und multimodale Mobilität. Zugleich bietet die Parkraumbewirtschaftung große Potenziale, um ruhenden und fließenden motorisierten Verkehr in den Städten zu reduzieren.

Die Kommunen müssen die vom Bund geforderte Steuerungsleistung integriert erbringen. Das bedeutet, auch planerisch und baulich die Umsetzung von Stadtentwicklungszielen sicherzustellen. Dies betrifft die Straßenräume ebenso wie Aufenthaltsflächen, die für eine hohe Lebens- und Luftqualität sorgen. Denkbar sind z. B. Begegnungszonen, Tempo 30 oder auch Mobilitätsmanagement in Quartieren, was beispielsweise über städtebauliche Verträge implementiert wird. Maßnahmenbündel sind hilfreich, um unerwünschte Nebeneffekte zu vermeiden.29

Für eine Umsetzung der „Utopie“ eines nachhaltigen städtischen Verkehrssystems sollten auch die Bundesländer ihre Handlungsspielräume nutzen. Sie haben die Bedeutung einer nachhaltigen urbanen Mobilität erkannt, das zeigen die jüngsten Aktivitäten, Unterstützungsstrukturen für die Kommunen im Bereich der Luftreinhaltung und des Mobilitätsmanagements zu etablieren. Die Einführung einer City-Maut zur Verkehrslenkung ist hierbei nur ein mögliches Instrument.30 Vielmehr können die Länder verschiedene Lösungen umsetzen, die den regionalen und lokalen Bedingungen am besten gerecht werden.

  • 1 H. Holzapfel, K. Traube, O. Ullrich: Autoverkehr 2000. Wege zu einem ökologisch und sozial verträglichen Autoverkehr, Karlsruhe 1985; M. Hesse, R. Lucas: Verkehrswende. Ökologische und soziale Orientierungen der Verkehrswirtschaft, Schriftenreihe des IÖW 39/90, Berlin, Wuppertal 1991.
  • 2 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB): Der Klimaschutzplan 2050. Klimaschutzpolitische Grundsätze und Ziele der Bundesregierung, Berlin 2016.
  • 3 Die Ergebnisse der Studie „Mobilität in Deutschland“ (MiD) 2016 liegen voraussichtlich erst Ende 2018 vor.
  • 4 Ein EU-Vertragsverletzungsverfahren droht Deutschland deswegen,. Vgl. „Mehr Geld für saubere Luft in Städten“, https://www.bundeskanzlerin.de/Content/DE/Artikel/2017/09/2017-09-01-treffen-kommunen-luftqualitaet.html (24.4.2018).
  • 5 Der Modal Split des motorisierten Individualverkehrs (gemessen in Personenkilometern) im Personenverkehr lag 2014 beispielsweise noch immer bei knapp 76 %, vgl. Umweltbundesamt: Fahrleistungen, Verkehrsaufwand und Modal Split, https://www.umweltbundesamt.de/daten/verkehr/fahrleistungen-verkehrsaufwand-modal-split (20.4.2018). Die Fahrleistung des Güterverkehrs stieg von 1991 bis 2015 um 66 %.
  • 6 BVerwG 7 C 26.16 und BVerwG 7 C 30.17.
  • 7 Der Städte Düsseldorf und Stuttgart.
  • 8 O. V.: Genfer Autosalon beginnt, Autobranche schaut gespannt auf Debatte um US-Strafzölle, Zeit-Online vom 6.3.2018, http://www.zeit.de/news/2018-03/06/autobranche-schaut-gespannt-auf-debatte-um-us-strafzoelle-180305-99-353813 (6.4.2018).
  • 9 Die neue Bundesregierung plant den Rechtsrahmen „für neue Mobilitätsangebote wie Fahrgemeinschaften (Ride Pooling) mit Steuerungsmöglichkeiten durch die Kommunen“ zu öffnen. Vgl. CDU, CSU und SPD: Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 19. Legislaturperiode, Berlin, 7.2.2018, S. 14; T. Bracher, M. Hertel, K. Lindloff: Automatisiertes Fahren in Kommunen: Vom Selbstfahrer zum „Selbstläufer“?, in: Kommunalpraxis Spezial, 4/ 2017, S. 180 f.
  • 10 T. Naumann: ÖPNV-Zukunft „Nulltarif“?, in: Stadtverkehr, H. 4/2018, S. 38-44.
  • 11 J. Gies, K. Lindloff: Wie können neue Mobilitätsangebote stadtverträglich sein?, in: Der Nahverkehr 5/2018, im Erscheinen.
  • 12 F. W. Scharpf, B. Reissert, F. Schnabel: Politikverflechtung. Theorie und Empirie des kooperativen Föderalismus in der Bundesrepublik, Kronberg 1976.
  • 13 K. Lindloff: Beyond „Trading up“: Environmental Federalism in the European Union. The Case of Vehicle Emission Legislation, Baden-Baden 2016, S. 245-248.
  • 14 Die zur Einrichtung von Umweltzonen notwendige „Plakettenverordnung“ (35. BImSchV – Verordnung zur Kennzeichnung der Kraftfahrzeuge mit geringem Beitrag zur Schadstoffbelastung vom 10.10.2006 (BGBl. I S. 2218)) wurde schließlich 2006, im Kontext von Luftqualitätsklagen und einer beginnenden Nachfrage nach Partikelfiltern, verabschiedet.
  • 15 K. Lindloff: Beyond „Trading up“, a. a. O., S. 227-229.
  • 16 Es kam zudem nur einmal zu einer Anordnung.
  • 17 R. K. Weaver: The Politics of Blame Avoidance, in: Journal of Public Policy, 6. Jg. (1986), H. 4, S. 371-398.
  • 18 „Mit Blick auf die unionsrechtliche Verpflichtung zur schnellstmöglichen Einhaltung der NO2-Grenzwerte ergibt sich jedoch aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, dass nationales Recht, dessen unionsrechtskonforme Auslegung nicht möglich ist, unangewendet bleiben muss, wenn dies für die volle Wirksamkeit des Unionsrechts erforderlich ist. Deshalb bleiben die „Plakettenregelung“ sowie die StVO, soweit diese der Verpflichtung zur Grenzwerteinhaltung entgegenstehen, unangewendet, wenn ein Verkehrsverbot für Diesel-Kraftfahrzeuge sich als die einzig geeignete Maßnahme erweist, den Zeitraum einer Nichteinhaltung der NO2-Grenzwerte so kurz wie möglich zu halten“. Vgl. Bundesverwaltungsgericht Leipzig, Pressemitteilung Nr. 9/2018 vom 27.2.2018, https://www.bverwg.de/pm/2018/9 (16.4.2018).
  • 19 Regierungspräsidium Stuttgart: Gesamtwirkungsgutachten zur immissionsseitigen Wirkungsermittlung der Maßnahmen der 3. Fortschreibung des Luftreinhalteplans Stuttgart. Abschlussbericht (rps0615stutt). Bearbeitung: AVISO GmbH (Federführung), Ingenieurbüro Rau, PTV TC GmbH,l Aachen, Februar 2017, S. 39-41.
  • 20 Siehe beispielsweise Fahrverbote vermeiden: OB Kuhn fordert mehr Einsatz, Stuttgarter Nachrichten vom 13.4.2018, https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.verkehr-in-stuttgart-fahrverbote-vermeiden-ob-kuhn-fordert-mehr-einsatz.7e4e4620-ed52-4bae-9581-c709d36d0bcf.html oder auch Stadt Frankfurt will saubere Luft ohne Fahrverbote, Frankfurter Neue Presse, http://www.fnp.de/lokales/frankfurt/Stadt-Frankfurt-will-saubere-Luft-ohne-Fahrverbote;art675,2961665 (16.4.2018).
  • 21 Die Entscheidung über eine Klage wird für Mai 2018 erwartet. Vgl. „Stickoxid-Grenzwerte Kommissionsentscheidung über EuGH-Klage gegen Deutschland verschoben“, Handelsblatt vom 24.4.2018, http://www.handelsblatt.com/politik/international/stickoxid-grenzwerte-kommissionsentscheidung-ueber-eugh-klage-gegen-deutschland-verschoben/21207716.html (24.4.2018).
  • 22 T. Naumann, a. a. O.
  • 23 V. Deutsch et al.: Integration von Stadtplanung und ÖPNV für lebenswerte Städte. Belange des ÖPNV müssen in die strategische Stadt- und Verkehrsplanung einfließen, Difu-Papers, Deutsches Institut für Urbanistik, Berlin 2016.
  • 24 Art. 125c GG.
  • 25 J. Gies, K. Lindloff, a. a. O.
  • 26 In Deutschland werden bisher nur zwei Linien in Nürnberg automatisiert betrieben.
  • 27 Push & Pull: Parking management and incentives as successful strategies for energy-efficient urban transport. Final Report, Forschungsgesellschaft Mobilität FGM – Austrian Mobility Research AMOR, Januar 2017.
  • 28 T. Bracher et al.: Finanzierung des ÖPNV durch Beiträge. Ist das Beitragsmodell eine Handlungsoption zur Finanzierung eines attraktiven ÖPNV-Betriebs?, Difu-Papers, Deutsches Institut für Urbanistik , Berlin 2014.
  • 29 T. Bracher, M. Lehmbrock (Hrsg.): Steuerung des städtischen Kfz-Verkehrs. Parkraummanagement, City-Maut und Umweltzonen, Difu-Impulse Bd. 6/2008, Deutsches Institut für Urbanistik, Berlin 2008.
  • 30 A. Kossak: Die City-Maut im Instrumentarium der städtischen Verkehrssteuerung, in: T. Bracher, M. Lehmbrock (Hrsg.): a. a. O., S. 25-74; R. Klinger: Landesrechtliche Kompetenzen für eine City-Maut zur Verminderung der Luftbelastung, in: Zeitschrift für Umweltrecht (ZUR), 11/2016, S. 591-597.

Finanzierung des zukünftigen Stadtverkehrs

Im Zuge der medial befeuerten und zeitweise fast als hysterisch zu bezeichnenden Diskussion um die Emissionen von Dieselfahrzeugen und die Belastung der Bewohner von Innenstädten mit Stickoxiden ist der öffentliche Nahverkehr in Städten und Ballungsräumen einmal mehr in den Blickwinkel der Politik und der Öffentlichkeit gerückt. Mögliche Fahrverbote für Dieselfahrzeuge beschäftigen Behörden und verängstigen Dieselfahrer, die Politik startet den Testballon „kostenloser Nahverkehr“ und wie üblich wird zur Bestätigung der politischen Handlungsfähigkeit ein Sofortprogramm, dieses Mal für saubere Luft, auf den Weg gebracht.

Wichtige Aufgaben für den ÖPNV

Dabei ist das Thema der Grenzwertverletzungen für Stickoxide in deutschen Groß- und mittelgroßen Städten nur eine der zahlreichen Herausforderungen, denen sich der Stadtverkehr ausgesetzt sieht. Denkt man an den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) mit Bussen und Bahnen sind zuallererst die Finanzierungsprobleme zu nennen. Es geht primär um einen erheblichen Investitionsrückstand und den Finanzbedarf öffentlicher Infrastrukturen, wenn der ÖPNV wegen der Verkehrsverlagerung (Modal Shift) weg vom privaten Pkw in Zukunft einen größeren Teil der Verkehrsaufgaben übernehmen soll. Bereits heute stoßen die öffentlichen Verkehrssysteme in vielen Städten angesichts des Wachstums der letzten Jahre – von 2010 bis 2017 sind die Fahrgastzahlen im ÖPNV von 9,6 Mrd. auf 10,3 Mrd. Personen gestiegen – zumindest zu den Hauptverkehrszeiten an ihre Grenzen.

Zwar wurde im Rahmen der Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichssystems im Jahr 2016 zumindest erreicht, die mit der Förderalismusreform I eingeführte Befristung der Mittel nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) aufzuheben, doch sind Mittelhöhe und Förderbedingungen bis 2024 durch eine „Versteinerungsklausel“ fixiert. Der Investitionsbedarf für ÖPNV-Projekte in Deutschland wurde zuletzt in einer Studie aus dem Jahr 2009 systematisch erhoben und für die Jahre 2016 bis 2025 mit nominal 2,45 Mrd. Euro bis 2,93 Mrd. Euro p. a. beziffert; hinzu kommt ein Nachholbedarf von 2,35 Mrd. Euro.1 Mit einer Deckelung auf den zuletzt gewährten Betrag von 333 Mio. Euro sind die staatlichen Fördermöglichkeiten derzeit also sehr begrenzt. Zudem läuft die Zweckbindung der sogenannten Entflechtungsmittel für kleinere Investitionen im ÖPNV und im kommunalen Straßenbau Ende 2019 planmäßig aus. Andererseits wurden die staatlichen Subventionen des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) für den Betrieb, die sogenannten Regionalisierungsmittel, im Jahr 2016 auf 8,2 Mrd. Euro aufgestockt; bis 2031 ist ein jährliches Wachstum um 1,8 % festgeschrieben.

Hinzuweisen ist aber auch auf die gesellschaftlichen Herausforderungen, die den Öffentlichen Personennahverkehr in Städten und Ballungsräumen tangieren. Angesprochen werden soll in diesem Kontext insbesondere die demografische Entwicklung. Auch wenn der weltweit prognostizierte Trend einer massiven Urbanisierung nicht ohne Weiteres im gleichen Maßstab auf Deutschland zu übertragen ist, war in den letzten Jahren auch hier eine gewisse Re-Urbanisierung zu beobachten, die z. B. mit der Attraktivität der Städte für Bevölkerungsgruppen in Ausbildungsphasen, aber auch für Arbeitnehmer und Senioren zu tun hat. Bessere Infrastruktur-, Versorgungs- und Dienstleistungsangebote sowie hochwertige Arbeitsplätze in wachstumsstarken modernen Dienstleistungsbranchen lassen bundesdeutsche Städte wieder wachsen. Nach Zahlen des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) konnten die 66 kreisfreien Großstädte in Deutschland von 2010 bis 2016 insgesamt 1,35 Mio. Einwohner dazugewinnen (+5,9 %).2 Ein starkes Wachstum verzeichneten auch die „Speckgürtel“ der wichtigsten Metropolen, während in den ohnehin eher dünn besiedelten Landkreisen die Bevölkerungszahl abnahm. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass sich auch der Zustrom von Flüchtlingen schwerpunktmäßig auf die Ballungsräume hin orientiert hat. Insgesamt ist festzuhalten, dass die Migrationsbewegungen der letzten Jahre und ein absehbar anhaltend hoher positiver Wanderungssaldo auch den Weg Deutschlands zu einer schrumpfenden Gesellschaft zumindest verzögern. Eine positive demografische Entwicklung in den Städten bedeutet aber zusätzlichen Mobilitätsbedarf und ein Wachstum der Verkehrsleistungen. Da der Straßenverkehr in vielen Städten ohnehin jenseits der infrastrukturellen Kapazitätsbeschränkungen operiert, was sich in zahlreichen Staus äußert,3 und ein weiteres Wachstum des Individualverkehrs aus Umwelt- und Klimaschutzgründen nicht wünschenswert erscheint, bleiben als Ventil, wenn verkehrsreduzierende Maßnahmen kurzfristig nicht wirken oder als kontraproduktiv eingeschätzt werden, Ausbau und Ertüchtigung des ÖPNV und seiner Infrastrukturen.

Auf den ÖPNV warten demnach große Aufgaben, deren Wahrnehmung erhebliche Finanzmittel beanspruchen wird und die angesichts des Problemdrucks kurzfristig angegangen werden müssen. Aus der Fülle der Fragen, die sich im Rahmen dieser Thematik stellen, wird der Aspekt der Finanzierung vertieft; die Spannbreite der Erwartungen und Forderungen geht hierbei von einer zusätzlichen Nutznießerfinanzierung über die Erhöhung staatlicher Zuschüsse bis zum vollständig aus öffentlichen Mitteln gegenfinanzierten kostenlosen ÖPNV.

Finanzierung des ÖPNV

Bereits in einem Gutachten aus dem Jahr 2008 hat der Wissenschaftliche Beirat beim damaligen Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Finanzierungsprinzipien und Leistungserstellung des ÖPNV analysiert.4 Gefordert wurde die Stärkung der Nutzerfinanzierung des ÖPNV über direkte Fahrgeldeinnahmen, aber auch eine Prüfung, ob sich eine sogenannte Nutznießerfinanzierung realisieren ließe (Abschöpfung indirekter Nutzen z. B. bei Arbeitgebern, Handel und Immobilieneigentümern, die durch ÖPNV generiert werden). Aus Gründen des Umweltschutzes, der Daseinsvorsorge, Raumordnung und zur Stauvermeidung sind öffentliche Transfers zugunsten des ÖPNV nach Einschätzung des Beirats unvermeidlich; angesichts der Komplexität und Intransparenz der Finanzierungswege und -modalitäten forderte der Beirat aber eine Vereinfachung der Finanzierungsstrukturen und eine effizientere Aufstellung der beteiligten Institutionen. Insbesondere sei die Rolle der Aufgabenträger und der Nahverkehrspläne zu stärken. Kritisiert wurde zudem, dass die Effizienz der Leistungserstellung unter dem nur unzureichend umgesetzten Besteller-Ersteller-Prinzip leide. Zur Steigerung der Effizienz sollten auch Reformen der Unternehmensstrukturen von ÖPNV-Unternehmen angestoßen werden.

Zehn Jahre später hat sich zwar im Hinblick auf die kompetitive Vergabe von Zuschüssen einige Dynamik entwickelt – insbesondere im Zuge der entsprechenden Vorgaben seitens der EU-Ebene, – doch hat sich am System der Finanzierung, seiner Intransparenz und seinen Mängeln grundsätzlich nicht viel geändert. Angesichts der Anreizstrukturen fraglich, aber letztlich auf der gegebenen Informationsbasis nicht valide zu beurteilen ist, ob in den Unternehmen des ÖPNV alle relevanten Kostensenkungs- und Qualitätssteigerungspotenziale gehoben werden.

Kostenloser ÖPNV?

Vor dem Hintergrund der beschriebenen Finanzierungsprobleme und der nach wie vor ausstehenden Strukturreformen der Finanzierung erscheint die Forderung nach einem kostenlosen ÖPNV wie eine Fata Morgana. Der Bund hatte ja im Zuge der Diskussion über die Luftqualität und NOx-Belastung in zahlreichen bundesdeutschen Städten im Rahmen der Verhandlungen mit der EU einen kostenlosen ÖPNV in fünf Modellstädten vorgeschlagen. Dieser Vorschlag wurde von interessierten Gruppen sofort aufgegriffen und z. B. von der Partei „Die Linke“ zu einer Forderung nach kostenlosem Nahverkehr für alle ab 2022 erweitert. Bemerkenswerterweise reagierten die Verbände und Lobbyorganisationen des ÖPNV darauf eher verhalten. Es wurde auf die Engpässe bei Infrastruktur und Fahrzeugen hingewiesen, die mit dem bei einem Nulltarif zu erwartenden Anstieg des Fahrgastaufkommens verbunden wären. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) bezifferte zudem die Kosten eines solchen Projekts auf jährlich schätzungsweise 12 Mrd. Euro. Dies wäre aus Steuermitteln zu finanzieren, wobei auch schon lokale Bürgerabgaben zur Finanzierung des kostenlosen ÖPNV diskutiert wurden. Diese würden als „lump sum“-Steuer ähnlich wie der monatliche Zwangsbeitrag zum öffentlichen Rundfunk wirken und wären sowohl rechtlich als auch aus ökonomischer Sicht kritisch zu hinterfragen.

Dabei gibt es durchaus wissenschaftlich fundierte Begründungen für die Subventionierung des ÖPNV im Sinne der Theorie des Zweitbesten.5 Begründet wird diese Subventionierung mit Externalitäten des Pkw-Verkehrs (Staus, Luftverschmutzung, Lärm und Unfallkosten). Das Instrument der Wahl (first best) zur Internalisierung dieser negativen Externalitäten, insbesondere der Stau­effekte, wäre eine belastungs- und entfernungsabhängige Pkw-Maut. Zwar wird häufig für die Einführung von City-Mauten argumentiert, doch sollte man bedenken, dass die entsprechenden weltweit realisierten Mautprojekte in der überwiegenden Zahl der Fälle nur eine sehr pauschale Bepreisung vornehmen und daher den aus allokativer Sicht an ein solches Preissystem zu stellenden Anforderungen kaum genügen können. Ob mit Hilfe neuer Technologien und Big-Data-Anwendungen in absehbarer Zeit die erforderlichen Mautsysteme in den Städten zu vertretbaren Kosten umsetzbar sind, lässt sich nur schwer abschätzen. Prohibitiv hohe Kosten eines aufzubauenden Mautsystems und gravierende Stauphänomene können dann im Extremfall auch einen Nulltarif für den ÖPNV rechtfertigen.

Von einer solchen extremen Konstellation sind wir jedoch selbst in deutschen Metropolen noch weit entfernt. Daher sollten die augenscheinlichen Nachteile des Nulltarifs in Betracht gezogen werden. Es wäre ein (weiterer) Einstieg in eine „Umsonst-Kultur“ und würde einer „Versorgungsmentalität“ in der Gesellschaft Vorschub geben. Das in einer Markwirtschaft grundsätzlich geltende Prinzip von Leistung und Gegenleistung (Äquivalenzprinzip) würde ausgehebelt. Zwar decken auch heute die Fahrgeldeinnahmen (nach Definition des VDV) nur rund drei Viertel der Kosten, doch besteht zumindest eine direkte Beziehung zwischen Zahlung und Nutzung des ÖPNV. Zusätzlich dürfte eine Vollfinanzierung des ÖPNV durch öffentliche Kassen Fehlanreize bei den Anbietern setzen. Es ist mit negativen Auswirkungen auf Effizienz und Qualität der Leistungserstellung zu rechnen, die durch bürokratische Anreiz- und Kontrollmechanismen nicht überwunden werden können.

Letztlich kann ein Nulltarif auch wegen der Substitutionslücken zwischen Individualverkehr und öffentlichem Verkehr keine nachhaltige Lösung des Luftreinhalteproblems bewirken. Es besteht Unsicherheit darüber, in welchem Umfang Pkw-Fahrer auf den kostenlosen ÖPNV umsteigen, da sie heute schon aus Komfort- und Qualitätsgründen trotz der in Form längerer Fahrzeiten zu tragenden Staukosten den privaten PKW wählen. Mit einer zusätzlichen ÖPNV-Nachfrage, vor allem zu den relevanten Hauptverkehrszeiten, würde sich das Qualitätsprofil des ÖPNV weiter verschlechtern. Es ist dagegen damit zu rechnen, dass bei einem Nulltarif für den ÖPNV vor allem bisherige ÖPNV-Nutzer verstärkt das Angebot in Anspruch nehmen und Fahrradfahrer sowie Fußgänger umsteigen werden.

In der Summe ist daher festzuhalten, dass im Sinne einer ursachenadäquaten Internalisierung von Externalitäten der Bepreisung des Individualverkehrs gegenüber dem Nulltarif für den ÖPNV der Vorzug gegeben werden sollte. Einnahmen aus einer City-Maut könnten dann auch aus distributiven Erwägungen für den Ausbau des ÖPNV verwendet werden. Ähnliches gilt selbstverständlich auch für rein administrative Beschränkungen des privaten Pkw-Verkehrs (wie auch des Güterverkehrs) in Städten, die sich in der Regel durch ein sehr schlechtes Nutzen-Kosten-Verhältnis auszeichnen. Eine belastungs- und entfernungsabhängige City-Maut ist auch wesentlich treffsicherer als die Verpflichtung der Autofahrer zum Kauf eines ÖPNV-Tickets (Multi-Mode-Ticket), die letztlich (ähnlich wie eine Bürgerabgabe) eine pauschale Besteuerung des Individualverkehrs darstellt, die lediglich einen Optionsnutzen für die Autofahrer generiert.

Erfolg der Verkehrswende?

Angesichts der Aufmerksamkeit, die der ÖPNV in der Verkehrspolitik mit den jüngsten Entwicklungen gewonnen hat und den Erwartungen, die in ihn gesetzt werden, formuliert die Branche hohe Erwartungen an die Politik, um den Erfolg der sogenannten Verkehrswende zu befeuern. Um den Marktanteil (Modal Share) des ÖPNV gegenüber dem Pkw zu erhöhen, werden z. B. vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen, der größten Lobbyorganisation des ÖPNV, ein Einstieg in die Drittnutzerfinanzierung, eine stringente Parkraumbewirtschaftung, die Erhöhung der GVFG-Mittel sowie eine Beibehaltung der Zweckbindung bei den Entflechtungsmitteln gefordert. Selbst für technologische Innovationen oder die Vernetzung der Ticketingplattformen wird staatliche Unterstützung nachgefragt. Andererseits steht man dem Wettbewerbsprinzip bei der Mittelallokation eher kritisch gegenüber.6

Es stellt sich daher die Frage, ob all diese zusätzlichen Maßnahmen und Finanzierungsanstrengungen ausreichen und geeignet sind, um die Mobilität in Großstädten effizienter und mit weniger negativen Externalitäten zu organisieren. Protagonisten der Verkehrswende weisen darauf hin, dass Verhaltensänderungen bereits zu beobachten sind, insbesondere bei der jüngeren Generation in Ballungsräumen. So ist nach Berechnungen des Deutschen Mobilitätspanels am Karlsruher Institut für Technologie der Anteil der mit dem Pkw zurückgelegten Wege in Großstädten seit der Jahrtausendwende von 65 % auf 54 % zurückgegangen, während der Modal Share des ÖPNV von 26 % auf 32 % gestiegen ist.7 Dies lässt sich allerdings nicht für Deutschland generalisieren.

Während der Anteil der unter 35-Jährigen ohne Pkw-Verfügbarkeit stark zugenommen hat, ist der Pkw-Bestand in Deutschland in den letzten Jahren unaufhörlich mit 500 000 Einheiten p. a. gewachsen, auch aufgrund höheren Pkw-Besitz-Quoten der älteren Generation. Dies steht im Kontrast zu der These, dass im Sinne des „Nutzen statt Besitzen“ das eigene Auto an Bedeutung verliert und Sharing-Modellen die Zukunft gehört. Trotz des zu beobachtenden Booms beim Carsharing in Großstädten, bleibt es unklar, ob Sharing-Modelle in der nächsten Dekade flächendeckend wirklich eine quantitative Relevanz erreichen und ob dies den ÖPNV stützt oder eher kannibalisiert. Für beide Thesen gibt es gute Argumente. Im Hinblick auf das Automatisierte bzw. Autonome Fahren scheint der ÖPNV dagegen klar nicht in einer Win-Win-Situation zu sein. Wenn die Automatisierung das Fahren und insbesondere das Parken attraktiver macht, drohen erhebliche Substitutionseffekte für den ÖPNV. Dies gilt im Falle der Einführung von Robotertaxis insbesondere für den klassischen ÖPNV mit Bussen und Bahnen.

  • 1 Vgl. Intraplan Consult, Verkehrswissenschaftliches Institut Stuttgart: Finanzierungsbedarf des ÖPNV bis 2035: Untersuchung im Auftrag des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen, des Deutschen Städtetages, 13 Bundesländer, Köln 2009.
  • 2 Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR): Deutschland wächst – aber nicht überall, http://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/Home/Topthemen/2018-bevoelkerung.html (25.4.2018).
  • 3 Laut einer Studie des Unternehmens INRIX verbrachten Autofahrer in Städten und Ballungsräumen im Jahr 2017 zu Stoßzeiten durchschnittlich 30 Stunden pro Jahr im Stau. Die direkten und indirekten Kosten, die durch Staus verursacht werden, schätzt die Studie auf 80 Mrd. Euro, das entspricht 1770 Euro pro Fahrer; vgl. INRIX: München bleibt Deutschlands Stauhauptstadt – Hamburg und Berlin holen auf, München, 6.2.2018, http://inrix.com/press-releases/scorecard-2017-ger/ (25.4.2018).
  • 4 Vgl. G. A. Ahrens, H. Baum et al.: Die Zukunft des ÖPNV – Reformbedarf bei Finanzierung und Leistungserstellung, Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vom Januar 2008, in: Zeitschrift für Verkehrswissenschaft, 79. Jg. (2008), S. 75-101.
  • 5 Vgl. zusammenfassend G. Sieg: Kostenloser ÖPNV? Besser gar nicht als falsch einführen, in: Wirtschaftsdienst, 98. Jg. (2018), H. 3, S. 154 f., https://archiv.wirtschaftsdienst.eu/jahr/2018/3/kostenloser-oepnv-besser-gar-nicht-als-falsch-einfuehren/ (14.5.2018).
  • 6 Vgl. Verband Deutscher Verkehrsunternehmen: Weichenstellungen für Wachstum und Innovationen im öffentlichen Verkehr in Deutschland, Köln 2017.
  • 7 Vgl. D. Scherff: Wie wir uns künftig in der Stadt bewegen, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Nr. 13 vom 1.4.2018, S. 32 f.

Städtische Verkehrssysteme in der App-Ökonomie: die Vorreiterrolle Helsinkis

Die modernen Informations- und Kommunikationsdienste (ICT) der App-Ökonomie wecken große Erwartungen hinsichtlich der Reformpotenziale in sämtlichen Netzsektoren, nicht zuletzt auch im Kontext von intelligenten nachhaltigen Städten.1 Ein besonderes Augenmerk liegt im Folgenden auf städtischen Verkehrssystemen, da viele Städte unter der immer stärker zunehmenden Luftverschmutzung und dem Lärm sowie immensen Stauproblemen auf den Straßen leiden. Weltweit werden inzwischen die vielfältigen Innovationspotenziale von „shared“ Mobilitätsdienstleistungen diskutiert, die durch die App-basierte Echtzeitkommunikation ermöglicht werden. Hierzu zählen shared Taxi-Dienste, Rufbus-Dienste, Ride-Sourcing-Plattformanbieter, Transportation Network Companies wie z. B. Uber oder Lyft.2 App-basierte Innovationen spielen aber auch eine zunehmend wichtige Rolle im schienengebundenen hochkapazitätsfähigen Verkehr, etwa bei der Bereitstellung von Fahrgastinformationen und App-basierten Abrechnungssystemen. In jüngster Zeit ist der individuelle Pkw-Verkehr stark in den Fokus der Reformdebatte geraten.

Das Kutsuplus-Pilotprojekt in Helsinki

Eine besonders interessante Fallstudie stellt die Stadt Helsinki dar. Helsinki ist weltweit die erste Stadt, die bereits im Jahr 2012 im Rahmen ihres Kutsuplus-Pilotprojekts einen vollautomatisierten, echtzeitbasierten, rein auf Bedarfsbasis (on demand) funktionierenden öffentlichen Minibustransportdienst mit flexiblen Routen eingeführt hat. Dabei handelte es sich um ein Experiment, das auf eine Dauer von drei Jahren angelegt war. Als Substitut für die Nutzung eines eigenen Pkw wurde ein Konzept für die gleichzeitige Beförderung mehrerer Personen mit Minibussen entwickelt. Die jeweiligen Nutzer teilen per Handy-App ihren Beförderungswunsch mit, indem sie den Standort und das Ziel eingeben. Die Plattform bündelt daraufhin alle Anfragen mit ähnlichen Routen und informiert die Nutzer über die nächstgelegene virtuelle Haltestelle. Die Beförderungsleistung von Kutsuplus liegt aufgrund der echtzeitbasierten flexiblen Routenwahl ohne starre Abfahrtzeiten und feste Ein- und Aussteigepunkte eher bei der einer shared Taxidienstleistung.

Das Kutsuplus-Pilotprojekt erlangte weltweit Beachtung als ein innovatives ICT-basiertes Konzept, das dem öffentlichen Verkehr aufgrund der echtzeitbasierten Nachfrageorientierung neue Impulse verleihen und dadurch auch zum Abbau des Individualverkehrs und damit einhergehender Staus und Umweltbelastungen beitragen kann. Allerdings wurde das Kutsuplusprojekt nach Ablauf der dreijährigen Pilotprojektphase nicht weitergeführt, obwohl sich das System aus technischer Sicht bewährt hatte und auch die Nachfrage nach Fahrten stark angestiegen war. Ein weiterer Ausbau des Servicenetzes hätte eine Aufstockung der relativ geringen Zahl von 15 Minibussen auf eine größere Flotte (geplant waren 45 Fahrzeuge im Jahr 2016 und über 100 im Jahr 2017)3 und damit einhergehende höhere Investitionen erfordert, die aufgrund finanzieller Engpässe nicht realisiert werden konnten. Shared Mobilitätsdienstleistungen auf der Basis eines umfassenderen Kutsuplus-artigen Angebots zu realisieren wird auch für die Zukunft weiterhin angestrebt.4

Während die Minibusse im Kutsuplus-Pilotprojekt zwar vollautomatisch nachfrageorientiert ihre Route gewählt haben, waren sie dennoch nicht fahrerlos. Ein wesentlicher Kostenbestandteil des Kutsuplus-Betriebs waren folglich die Lohnkosten für die Fahrer. Eine interessante Perspektive für die Zukunft stellt daher die Eröffnung einer regulären Buslinie mit fahrerlosen elektrischen Minibussen seit Frühjahr 2017 dar.5 Dabei handelt es sich um ein EU-finanziertes Projekt, dessen Ziel es ist, neue Formen des öffentlichen Nahverkehrs mit fahrerlosen Fahrzeugen zu entwickeln.

Inzwischen entstehen weltweit in verschiedenen Städten Ansätze für die Entwicklung von On-Demand-Transit-Pilotprojekten, die im Sinne von Kutsuplus App-basiert virtuelle Haltestellen und flexible Routen bereitstellen. Beispiele hierfür sind St. Louis6 und jüngst auch das Ride-Pooling-Projekt in Hamburg, das zum 1. Januar 2019 seinen Betrieb aufnehmen wird.7

Shared Mobilitätsdienstleistungen als Substitut für den privaten Pkw-Verkehr

In einer groß angelegten Simulationsstudie des International Transport Forums (ITF)8 für die Metropolregion Helsinki wird die Frage analysiert, welche Auswirkungen die teilweise oder vollständige Substitution des privaten individuellen Straßenverkehrs durch shared Mobilitätsdienstleistungen in Kombination mit den bereits bestehenden schienengebundenen massenkapazitätsfähigen Transportleistungen hat.9 Als shared Mobilitätsdienstleistungen werden shared Taxi (Echtzeit-Buchung, Von-Haus-zu-Haus-Beförderung mit Fahrzeugen bis zu sechs bis acht Sitzen) sowie Taxi-Bus (Buchung 30 Minuten im Voraus, bis zu 400 m Entfernung bis zum Haltepunkt, mit Minibus mit acht oder 16 Sitzen) angeboten. Im Fokus steht die Substitution von privaten Pkw-Fahrten durch shared Mobilitätsleistungen, die auch als Zubringer zum öffentlichen hochkapazitätsfähigen Schienenverkehr genutzt werden können. Es werden verschiedene Szenarien untersucht, wobei grundsätzlich davon ausgegangen wird, dass die bisherigen schienengebundenen Angebote (Zug, U-Bahn, Straßenbahn) beibehalten werden. Unter der Annahme, dass individuelle Fahrten mit Pkw oder Taxi vollständig (Szenario 1), zu 50 % (Szenario 2) oder zu 20 % (Szenario 3) durch shared Mobilitätsdienste ersetzt, die Busfahrten aber beibehalten werden, ergibt sich ein starker Rückgang von Staus und CO2, aber auch bei Szenario 3 kann der CO2-Ausstoß signifikant reduziert werden, wie es ansonsten nur bei effektiver Anwendung von Stautarifierung erwartet werden kann.10

Potenziale intelligenten Staumanagements

Die Potenziale innovativer shared Mobilitätskonzepte sollten sich voll entwickeln können, damit Anreize für eine Reduktion privater Pkw-Fahrten genutzt und damit einhergehend Staus und Umweltverschmutzung reduziert werden können. Staumanagement spielt in intelligenten Verkehrsnetzen eine immer wichtigere Rolle. Ein anschauliches Beispiel für die stark gesunkenen Transaktionskosten eines auslastungsabhängigen Staumanagements basiert auf einer Straßenverkehrsstudie von EGNOS.11 Hiernach bieten Satellitennavigationsdienste innovative elektronische Mauterhebungssysteme an. Diese ermöglichen es, Tarife streckenbasiert zu erheben, auch an Orten, wo keine physische Mautinfrastrukturen errichtet werden können.

Die Erhebung von zeitbasierten Stautarifen für die Nutzung von Straßenkapazitäten trägt zweifellos zur Erhöhung der sozialen Wohlfahrt bei. Stautarife führen zu einer gleichmäßigeren Auslastung der Wegeinfrastrukturkapazitäten und machen daher auch eine Ausweitung der Infrastruktur weniger notwendig. Zudem können die Einnahmen aus Stautarifen zur Finanzierung der Infrastrukturen verwendet werden.12

Title:An Intelligent Urban Transportation System – Utopia and Feasibility

Abstract:The recent ruling of the federal administrative court legally paves the way for driving bans in German cities where air quality limit values are substantially exceeded. Rather than making use of bans however, local authorities can benefit from this window of opportunity by implementing measures that make public transport more attractive. The legal framework in the European Union requires a redesign of the transportation system that will consider all types of emissions in reduction concepts. Future transportation services will combine new technologies with sustainable business and organizational models. In order to reduce congestion and air pollution from private car traffic, the focus is increasingly shifting to the potential of shared transport as a feeder service for public transit. Based on modern information and communication services technology (ICT), the potential of (shared) transport services is gaining importance worldwide. As early as 2012, Helsinki started the “Kutsuplus” pilot project, the first fully automated, bus-on-demand service in the world to offer virtual stops and flexible traffic routes. In the future, public transport will need to be more dynamic to accommodate more passengers. Because financing will be problematic, demands for free public transport are not feasible.

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DOI: 10.1007/s10273-018-2293-8

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