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Das Wachstum in den Schwellenländern, das in den 2000er Jahren und in den Jahren unmittelbar nach der Großen Rezession der stärkste Treiber der weltwirtschaftlichen Expansion war, ist bereits vor einiger Zeit ins Stocken geraten.1 Die chinesische Wirtschaft hat einen Gang heruntergeschaltet. Für viele Schwellenländer, die in großem Umfang Rohstoffe exportieren, hatte der drastische Fall der Rohstoffpreise von 2013 bis 2015 negative Folgen für die heimische Konjunktur. Brasilien und Russland rutschten 2015 sogar in eine tiefe Rezession. 2017 hellte sich das Bild zwar zusehends auf, die Konjunktur in China zog – stimuliert von einer expansiven Wirtschaftspolitik – an, und die Rohstoffpreise erholten sich wieder etwas. Die Expansion in den übrigen Schwellenländern verstärkte sich in der Folge allmählich, zuletzt auch in Brasilien, wo die wirtschaftliche Talfahrt besonders tief und lang war. Die konjunkturelle Belebung droht nun aber bereits nach kurzer Zeit wieder zu Ende zu gehen – die Aussichten für die wirtschaftliche Expansion in den Schwellenländern haben sich im Verlauf des Jahres 2018 deutlich eingetrübt.

Maßgeblich hierfür ist, dass es den Schwellenländern zunehmend schwer fällt, internationales Kapital zu attrahieren. Sichtbarstes Zeichen für den Umschwung bei den internationalen Investoren ist, dass die Währungen der Schwellenländer seit Jahresbeginn unter Druck geraten sind. Hintergrund ist die geldpolitische Normalisierung in den USA, die schneller als erwartet voranschreitet, weil die US-Wirtschaft – angeregt durch Steuersenkungen, Investitionsanreize und einen unternehmensfreundlichen Abbau vieler Regulierungen – kräftig expandiert, und nach einer bereits historisch langen Aufschwungsphase bald an Kapazitätsgrenzen zu stoßen droht, mit der Folge einer unerwünschten Verstärkung der Inflation. Die Aussicht auf höhere Zinsen in den USA mindert den Anreiz, auf der Suche nach attraktiven Renditen höhere Investitionsrisiken in Kauf zu nehmen und Kapital in Wertpapiere der Schwellenländer anzulegen.

Ein abrupter und bedeutender Rückgang von Kapitalzuflüssen (sogenannter Sudden Stop) führt in der Regel zu einer deutlichen Abschwächung der wirtschaftlichen Dynamik sowie Rückgängen bei den Vermögenspreisen, die zuvor meist als Folge der zugeflossenen Finanzmittel kräftig gestiegen sind.2 Problematisch ist, dass Kapitalabflüsse typischerweise ein selbstverstärkendes Element enthalten. Außerdem besteht das Risiko von Ansteckungseffekten, da Wertpapiere von Schwellenländern bei vielen Anlegern als eine Anlagekategorie betrachtet wird.

So standen in den vergangenen Monaten zwar vor allem Argentinien und die Türkei im Fokus, die aufgrund einer gemessen an der Wirtschaftsleistung hohen Auslandsverschuldung und hoher laufender Leistungsbilanzdefizite besonders exponiert sind. Die Währungen nahezu aller anderen Schwellenländer werteten aber seit Jahresbeginn 2018 ebenfalls spürbar ab (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1
Wechselkursentwicklung gegenüber dem US-Dollar
Wechselkursentwicklung gegenüber dem US-Dollar

Prozentuale Veränderung des Wechselkurses der jeweiligen Währung zum US-Dollar vom 3.9.2018 gegenüber dem 1.1.2016 bzw. dem 1.1.2018.

Quelle: Thomson Reuters Datastream.

Diesen Abwertungen ging allerdings zumeist eine Phase erheblicher Währungsaufwertung voraus, sodass im etwas längerfristigen Vergleich (gerechnet ab Anfang 2016) häufig nur eine geringe Abwertung, teilweise sogar noch eine Aufwertung zu verzeichnen ist. Geldpolitische Reaktionen blieben denn auch größtenteils aus; vereinzelt wurden die Leitzinsen sogar bis in den Sommer hinein gesenkt (Brasilien, Russland). Demgegenüber standen die Währungen Argentiniens und der Türkei schon länger unter Druck, und die importierte Inflation ist in beiden Ländern so erheblich, dass die Notenbanken mit Zinsanhebungen reagierten, wenn auch im Fall der Türkei nur zögerlich.3

Angesichts des beträchtlichen Verkaufsdrucks bei Schwellenländeranleihen und der damit verbundenen Währungsabwertungen stellt sich die Frage nach den Risiken für die Konjunktur in den Schwellenländern, da mit einer Abwertung die reale Schuldenlast von in US-Dollar denominierten Krediten und Anleihen steigt. Seit der globalen Finanzkrise hat die Verschuldung in den Schwellenländern stark zugenommen. Der überwiegende Teil des Anstiegs entfällt dabei auf China; in den übrigen Schwellenländern war die Zunahme insgesamt deutlich weniger ausgeprägt (vgl. Abbildung 2).

Abbildung 2

Verschuldung in Schwellenländern

Verschuldung in Schwellenländern

Quelle: Bank für internationalen Zahlungsausgleich.

In sektoraler Betrachtung verzeichneten nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften den größten Anstieg der Verschuldung (60 Prozentpunkte im Verhältnis zum BIP). Deutlich geringer war die Zunahme bei den privaten Haushalten und dem Staat (21 bzw. 16 Prozentpunkte).

Dabei spielten Verbindlichkeiten in Fremdwährungen, insbesondere US-Dollar, eine bedeutende Rolle: Etwa ein Drittel des Anstiegs der Verschuldung nichtfinanzieller Kapitalgesellschaften von 2010 bis 2017 war nach Angaben der Weltbank auf Verbindlichkeiten in Fremdwährungen zurückzuführen.4 Klammert man die Entwicklung in China aus, machten Fremdwährungsschulden sogar knapp die Hälfte des Anstiegs aus. Im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung unterscheiden sich die einzelnen Länder hinsichtlich der Verschuldung in Fremdwährungen erheblich. Neben Argentinien und der Türkei ist sie auch in Chile und Mexiko mit 25 % bis 30 % besonders hoch.

Zwar kann der Anteil der Fremdwährungsschulden zur nominalen Wirtschaftsleistung einen Hinweis geben, wie anfällig einzelne Länder gegenüber Wechselkursanpassungen sind. Allerdings wird dabei unterschlagen, dass sich neben Fremdwährungspassiva auch -aktiva in den Bilanzen der ökonomischen Akteure befinden. Zum Beispiel verfügen exportierende Firmen über eine natürliche Währungsabsicherung, da bei einer Abwertung auch ihre Einnahmen oder auf US-Dollar lautende Forderungen gegenüber Handelspartnern in heimischer Währung zunehmen. So zeigen Analysen des Internationalen Währungsfonds, dass sich die Nettoauslandsvermögenspositionen der Schwellenländer 2014 und 2015 trotz einer teils massiven Abwertung ihrer Währungen gegenüber dem US-Dollar nicht verschlechtert hatten.5 Dies dürfte nicht nur auf die vielerorts gestiegenen Bestände an Devisenreserven in den Bilanzen der Zentralbanken zurückzuführen sein, sondern ist wohl auch Folge einer solchen natürlichen Währungsabsicherung. Schließlich muss bedacht werden, dass sich die internationale Wettbewerbsfähigkeit des handelbaren Sektors verbessert und die notwendige Anpassung in der Leistungsbilanz durch eine Ausweitung der Exporte maßgeblich unterstützt werden kann. Dieser Faktor könnte insbesondere für die Türkei ins Gewicht fallen, die vergleichsweise gut in internationale Produktionsverbünde integriert ist und mit 11 % einen relativ hohen Anteil der Wertschöpfung exportiert.

Alles in allem sind die Risiken für die Konjunktur in den Schwellenländern zwar deutlich gestiegen, und die Prognose für den Produktionsanstieg in dieser Ländergruppe ist für 2018 und 2019 nach unten revidiert worden.6 Eine ausgewachsene Schwellenländerkrise, vergleichbar mit der Asienkrise 1997/1998, ist aber derzeit nicht das wahrscheinlichste Szenario.

Klaus-Jürgen Gern, Philipp Hauber
Klaus-Juergen.Gern@ifw-kiel.de

  • 1 Vgl. K.-J. Gern, P. Hauber: Gedämpfte Wachstumsaussichten in den Schwellenländern, in: Wirtschaftsdienst, 96. Jg. (2016), H. 11, S. 855-856, https://archiv.wirtschaftsdienst.eu/jahr/2016/11/gedaempftes-wachstum-in-den-schwellenlaendern/ (5.9.2018).
  • 2 Vgl. B. Eichengreen, P. Gupta: Managing Sudden Stops, World Bank, Policy Research Working Paper, Nr. 7639, April 2016.
  • 3 Die argentinische Regierung hat darüber hinaus im Frühjahr ein Stand-by-Abkommen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) über 50 Mrd. US-$ abgeschlossen, das nach einem neuerlichen Schub an Kapitalabflüssen Anfang September 2018 auch in Anspruch genommen werden soll. Die Türkei hat bislang auf Hilfe des IWF verzichtet, aber offenbar bilaterale Investitionszusagen von befreundeten Staaten (Katar) erhalten.
  • 4 Vgl. Weltbank: Global Economic Prospects: The Turning of the Tide? Washington DC, Juni 2018.
  • 5 Vgl. IWF: Global Financial Stability Report, Washington DC, April 2018.
  • 6 Vgl. K.-J. Gern et al.: Stärker differenzierte Weltkonjunktur, Kieler Konjunkturberichte, Nr. 45, September 2018.


DOI: 10.1007/s10273-018-2352-1