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Die wirtschaftliche Expansion in China hat wesentlich zu dem weltwirtschaftlichen Aufschwung im Jahr 2017 beigetragen. Seit einiger Zeit mehren sich aber die Anzeichen für eine spürbare Konjunkturabschwächung in der größten asiatischen Volkswirtschaft. Diese vollzieht sich vor dem Hintergrund des Handelsstreits mit den USA. Nachdem zunächst im Frühjahr 2018 Strafzölle auf Stahl, Solarpanele und Waschmaschinen in Kraft getreten waren, die nicht nur auf die chinesische Volkswirtschaft zielten, geriet China dann ab dem Sommer 2018 zusehends in den Fokus der US-Handelspolitik. Nach und nach traten Strafzölle der US-Regierung in Kraft, von denen seit September 2018 Einfuhren im Wert von 200 Mrd. US-$ betroffen sind; die Pekinger Behörden konterten mit Gegenmaßnahmen.1 Die USA hatten bereits eine nochmalige Ausweitung der Strafzölle beschlossen, angesichts laufender Verhandlungen über eine Beilegung des Konflikts bislang aber nicht umgesetzt. Aufgrund der großen Bedeutung der chinesischen Exporte in die USA sowohl als Anteil an den Gesamtausfuhren (knapp 20 %) als auch an der Wirtschaftsleistung (3,6 %) dürften mögliche Auswirkungen des Handelskonflikts auch gesamtwirtschaftlich ins Gewicht fallen.

Zahlreiche Indikatoren signalisieren eine Abschwächung der Konjunktur in China. So sind die vom Nationalen Statistik­amt erhobenen Einkaufsmanagerindizes spürbar gesunken. Im Verarbeitenden Gewerbe erreichte die Stimmung bereits gegen Ende 2017 ihren Höhepunkt. In der zweiten Hälfte 2018 trübte sich die Lageeinschätzung der Unternehmen ein. Besonders schlecht ist die Stimmung dabei in kleinen und mittleren Unternehmen: hier sank der Index im Januar erneut und lag mit 47,3 und 47,2 Punkten sogar unter der Expansionsschwelle von 50 Punkten. Deutlich gesunkene Aktienkurse und rückläufige Absatzzahlen für Pkw und Smartphones runden das Bild eines konjunkturellen Abschwungs ab.

Blickt man auf die offiziellen Zahlen zum Bruttoinlandsprodukt, so ist das Ausmaß der wirtschaftlichen Abkühlung allerdings moderat. Der Zuwachs der gesamtwirtschaftlichen Produktion in China war 2018 insgesamt mit 6,6 % nur wenig schwächer als 2017 (6,8 %) und stand im Einklang mit dem Wachstumsziel der Regierung. Im Verlauf des Jahres verlor die Expansion zwar zusehends an Schwung; im vierten Quartal wurde aber immer noch eine Zuwachsrate von 6,4 % verzeichnet. Damit zeigt sich erneut – wie während der vorangegangenen Konjunkturabkühlung in den Jahren 2015 und 2016 –, dass die vom Nationalen Statistikamt veröffentlichten Daten im Vergleich zu anderen Aktivitätsindikatoren nur wenig Variation aufweisen.2 Eine Ursache hierfür könnte in Problemen bei der Preisbereinigung liegen; alternative Deflatoren ergeben für die jüngere Vergangenheit größere zyklische Schwankungen und ein insgesamt etwas niedrigeres Niveau des realen Bruttoinlandsprodukts.3

Abbildung 1
China: Bruttoinlandsprodukt und alternative Aktivitätsmaße
China: Bruttoinlandsprodukt und alternative Aktivitätsmaße

Quartalsdaten. Bruttoinlandsprodukt: preisbereinigt. Veränderung gegenüber dem Vorjahr. Zur Berechnung der Indikatoren: siehe Text.

Quelle: Nationales Statistikamt China; eigene Berechnungen.

Alternative Aktivitätsmaße liefern derzeit allerdings kein einheitliches Bild (vgl. Abbildung 1). Für eine bis zuletzt robuste Konjunktur spricht das wohl bekannteste dieser Maße, der sogenannte Keqianq-Index. Er basiert auf Kreditvergabe, Stromverbrauch und Schienenfrachtverkehr. Dabei prägt letzterer die Dynamik des Index: Vor allem ein stark sinkendes Frachtaufkommen (gemessen in Tonnen) drückte den Indikator 2015 und 2016 deutlich unter die offizielle Expansionsrate, aktuell expandiert es hingegen immer noch kräftig und kompensiert eine Verlangsamung bei der Kreditvergabe und beim Stromverbrauch. Ein anderes Bild zeichnet ein auf Berechnungen von Ökonomen der Federal Reserve Bank of San Francisco basierender Indikator, der neben Schienenverkehr und Stromerzeugung auch Einzelhandelsumsätze beinhaltet. Die Indikatoren werden hierfür – anders als beim Keqiang-Index – nicht ad-hoc, sondern nach ökonomischen und statistischen Kriterien ausgewählt.4 Auch dieser Index verzeichnete 2015 einen deutlichen Abschwung und darauf folgend eine kräftige Erholung; seit 2017 deutet er jedoch auf eine Abkühlung der Konjunktur hin. Dabei sind es vor allem die schwächeren Umsätze im Einzelhandel, die dem positiven Beitrag des Schienenverkehrs entgegenwirken. So stiegen erstere im vierten Quartal 2018 nur noch um 8,2 % gegenüber dem Vorjahr; zu Jahresbeginn hatte der Zuwachs noch knapp 10 % betragen.

Sowohl bei Exporten als auch bei Importen haben sich die Zuwächse in den vergangenen Monaten stark abgeschwächt. Fraglich ist, in welchem Umfang der Handelskonflikt zwischen China und den USA für die nachlassende Dynamik im Außenhandel verantwortlich ist. Gegen große direkte Effekte spricht, dass die Exporte in die USA erst zuletzt spürbar an Fahrt verloren haben; im zweiten Halbjahr 2018 lagen sie noch deutlich über ihrem Vorjahresniveau. Die Einfuhren aus den USA haben sich hingegen merklich verringert, auf monatsdurchschnittlich 11 Mrd. US-$ (Juli 2018 bis Februar 2019) von 13 Mrd. US-$ in den Vergleichsmonaten des Vorjahres.5 Allerdings haben gleichzeitig auch die Einfuhren aus anderen Regionen der Welt, beispielsweise aus Deutschland, erheblich an Schwung verloren (vgl. Abbildung 2).

Abbildung 2
China: Importe
China: Importe

Monatsdaten. Nominale Einfuhren in US-Dollar. Summe der vergangenen zwölf Monate, Vorjahresvergleich.

Quelle: China Customs.

Ein Grund für die insgesamt reduzierte Dynamik der Importnachfrage mag im Handelskonflikt liegen, denn er hat zu Unsicherheit über die zukünftigen Rahmenbedingungen geführt, die zu einer „wait-and-see“-Haltung und einem Aufschieben größerer Ausgaben führen kann.6 Ein weiterer Grund für die schwächelnde Konjunktur dürfte indes die Wirtschaftspolitik sein. Um die anhaltend hohe Kreditexpansion in den Griff zu bekommen, schlugen die Pekinger Behörden in den vergangenen beiden Jahren einen restriktiveren Kurs ein. Insbesondere im Schattenbankwesen wurde die Kreditexpansion zurückgedrängt. Diese Form der Kreditvergabe ist besonders für lokale Gebietskörperschaften und deren Infrastrukturprojekte von großer Bedeutung.7 So verringerte sich die Zuwachsrate der Infrastrukturinvestitionen im vergangenen Jahr von knapp unter 20 % auf 4 %.8 Hinzu kamen Maßnahmen, um die rasant steigenden Immobilienpreise in den Städten wie Peking, Schanghai oder Shengzhen zu dämpfen. In der Folge expandierten die Bauwirtschaft und die immobiliennahen Dienstleistungen in den vergangenen beiden Jahren merklich langsamer als zuvor.

Am aktuellen Rand zeichnet sich indes eine Kurskorrektur ab: Die Geldpolitik wurde gelockert und expansive finanzpolitische Maßnahmen angekündigt, deren Umfang bislang allerdings noch unklar ist. Dabei balanciert die Regierung auf einem schmalen Grat. Ein zu kräftiger Konjunkturstimulus würde die Stabilitätsrisiken für die mittlere Frist weiter erhöhen. So ist die Regierung denn auch bereit, eine moderate Verlangsamung der Expansionsdynamik zu tolerieren und hat das Expansionsziel für das laufende Jahr auf 6 % bis 6,5 % gesenkt. Alles in allem bedeutet dies für die Weltwirtschaft, dass in diesem Jahr von China geringere Impulse ausgehen werden, als dies in den vergangenen beiden Jahren der Fall war.

  • 1 Eine stetig aktualisierte Übersicht über die bislang verhängten Maßnahmen stellt das Peterson Institute for International Economics unter https://piie.com/blogs/trade-investment-policy-watch/trump-trade-war-china-date-guide zur Verfügung.
  • 2 Vgl. für eine Diskussion der Verlässlichkeit der chinesischen BIP-Zahlen K.-J. Gern, P. Hauber: Konjunktur in China: Quo vadis?, in: Wirtschaftdienst, 95. Jg. (2015), H. 8, S. 575-576.
  • 3 Vgl. E. Kerola: In search of fluctuations: Another look at China’s incredibly stable GDP growth, BOFIT Discussion Papers, Nr. 23, 2018.
  • 4 Vgl. J. Fernald, E. Hsu, M. M. Spiegel: Is China Fudging its Figures? Evidence from Trading Partner Data, Federal Reserve Bank of San Francisco Working Paper, Nr. 2015-12, 2015.
  • 5 Die Betrachtung der Handelsdaten in US-Dollar ist sinnvoll, um von Wechselkurseffekten abzusehen. Gegenüber dem US-Dollar hat der Renminbi von der ersten zur zweiten Hälfte 2018 um 5 % abgewertet.
  • 6 Der Anstieg von Baker, Bloom und Davis entwickelte globale Policy Uncertainty Index im vergangenen Jahr dürfte wesentlich auf die Entwicklung in China zurückzuführen sein.
  • 7 Vgl. Z. Chen, C. Liu, J. Liu: The Financing of Local Government in China: Stimulus Loans Wane and Shadow Banking Waxes, VoxChina, 9.7.2017.
  • 8 Methode Änderungen der zugrunde liegenden Statistik dürften ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Vgl. N. Lardy: Who Thinks China‘s Growth is Slowing? China Economic Watch, Blogeintrag, 24.8.2018, Peterson Institute for the International Economy.

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DOI: 10.1007/s10273-019-2423-y