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Christine Lagarde, Ursula von der Leyen, Jennifer Morgan – drei Frauen und mindestens eine Gemeinsamkeit: Alle drei schafften es im Jahr 2019 ganz nach oben, Lagarde an die Spitze der Europäischen Zentralbank, von der Leyen wurde EU-Kommissionspräsidentin und Morgan die erste Vorstandsvorsitzende eines DAX-30-Konzerns in Deutschland. Besonders letztgenannte Personalie lässt aufhorchen, schließlich sind Frauen in den Vorstands­etagen großer Unternehmen hierzulande noch immer eine Seltenheit.

War 2019 also das Jahr der Frauen? Fiel endlich der Start-schuss für mehr Tempo auf dem Weg zu einer stärkeren Repräsentation von Frauen in Spitzengremien auch der Privatwirtschaft? Fakt ist: Es blieb im vergangenen Jahr nicht bei einzelnen Schlaglichtern – die Dynamik hat insgesamt zugenommen. Wie das aktuelle Managerinnen-Barometer des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) zeigt, sind die Frauenanteile in den Vorständen großer Unternehmen in Deutschland 2019 etwas stärker gestiegen als in den Jahren zuvor. Die 200 umsatzstärksten Unternehmen haben erstmals überhaupt die 10 %-Marke geknackt. Das zeigt gleichzeitig aber auch: Der Anstieg vollzieht sich auf einem sehr niedrigen Niveau. Wenn an gerade einmal gut jedem zehnten Vorstandsschreibtisch der größten Unternehmen in Deutschland eine Frau sitzt, dann ist Geschlechterparität in den Vorständen dieser Unternehmen nach wie vor in weiter Ferne.

Schon deutlich mehr hat sich in den Aufsichtsräten getan, vermutlich auch aufgrund der seit 2016 geltenden Geschlechterquote von 30%. Wie das Managerinnen-Barometer des DIW Berlin zeigt, hatten die gut 100 der gesetzlichen Quote unterliegenden Unternehmen 2019 ihre Kontrollgremien zu knapp 35 % mit Frauen besetzt. Mit fast 88 % erfüllten die meisten dieser Unternehmen die Quote bereits. Die Hinweise, dass die Geschlechterquote für Aufsichtsräte auf die Vorstands­ebene ausstrahlt, also auch dort mehr Frauen nach sich zieht, haben sich zuletzt zwar verdichtet. Ob es wirklich einen kausalen Zusammenhang gibt, muss sich aber erst noch zeigen.

Die Antwort auf die Frage, ob 2019 eine Trendwende eingeleitet hat oder eher nur ein positiver Ausreißer war, lautet: Wir wissen es noch nicht. Doch warum interessiert uns eigentlich so sehr, wie hoch der Anteil von Frauen in den obersten Führungsetagen der Unternehmenswelt ist?

In unserer Gesellschaft herrschen vielerorts immer noch geschlechterstereotype Zuschreibungen vor – nicht nur bei Männern, sondern auch bei Frauen. Gewisse Eigenschaften werden viel häufiger Männern zugeschrieben als Frauen, mit Blick auf bestimmte Handlungsweisen oder Entscheidungen gelten für Frauen oft andere Maßstäbe als für Männer. Alle diese Zuschreibungen, die darüber hinaus häufig auch noch ganz grundsätzliche Fähigkeiten und Kompetenzen betreffen, schränken die Chancengleichheit von Frauen und Männern ein. Studien konnten zeigen, dass weibliche Vorbilder, also Frauen in Führungspositionen, geschlechterstereotype Vorstellungen in der Gesellschaft verändern und dadurch zu mehr Chancengleichheit führen können.

Allein schon aus diesem Grund sollte der Frauenanteil in hohen Führungspositionen uns alle interessieren. Natürlich reicht es nicht, ein weibliches Aushängeschild an der Spitze eines Unternehmens zu haben und schon arbeiten auch auf den Ebenen darunter genauso viele Frauen wie Männer. Es ist mehr nötig. Eine Reform des Ehegattensplittings, das derzeit für viele Frauen Anreize setzt, überhaupt nicht oder nur in Teilzeit erwerbstätig zu sein, ist nur eines von vielen Beispielen. Auch bei der Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern ist einiges zu tun, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch über das Kita-Alter hinaus zu gewährleisten. Und schließlich gehören auch die gängigen Arbeitsmodelle auf den Prüfstand. Die Erwartungen an Personen in hohen Führungspositionen sind in der Regel noch immer an der Lebensrealität von Männern ausgerichtet. Ist es wirklich notwendig, dass diese Stellen mit einer so enormen Arbeitsbelastung einhergehen? Warum gibt es nicht mehr Unternehmen, die ihre Vorstandsspitze doppelt besetzen? Mit diesen Fragen müssen sich die Unternehmen auseinandersetzen. Der gesellschaftliche und politische Druck, der mittlerweile eingesetzt hat, ist in dieser Hinsicht gut und muss aufrechterhalten werden. Er könnte sich sogar bald noch erhöhen. Im eigenen Interesse sollten die Unternehmen ihre Anstrengungen für mehr Frauen in hohen Führungspositionen endlich verstärken, beispielsweise auch mit Blick auf ihren Fachkräftebedarf in der Zukunft. Das Jahr 2019 ist dafür ein gutes Ausgangsjahr und könnte, wenn es gut läuft, in Zukunft rückblickend wirklich das Jahr der Frauen und der Beginn einer Trendwende gewesen sein.

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© Der/die Autor(en) 2020

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DOI: 10.1007/s10273-020-2569-7