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In vielen Bereichen des Lebens schreitet die Digitalisierung in großen Schritten voran, so auch im Gesundheitswesen. Doch während die Bürger den digitalen Neuerungen anderswo mit Neugier und Begeisterung begegnen, lässt sich bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen Zurückhaltung, oftmals sogar Skepsis beobachten. Dabei bietet die Digitalisierung gerade dort vielfältige Möglichkeiten und Chancen, das Wohlergehen zu steigern. Neue Formen der Kommunikation zwischen Leistungserbringern und Patienten wie Videosprechstunden oder Online-Chats erschließen schnelleren und unkomplizierten medizinischen Zugang für viele, auch in strukturschwachen Regionen. Durch die elektronische Patientenakte (ePa) sind Daten besser und ortsunabhängig verfügbar und sie lassen sich (sektorübergreifend) austauschen. Dies vermeidet unnötige Doppeluntersuchungen und kann zu schnellerer Diagnose und Therapie führen. Robotik erhöht die Präzision bei Operationen und damit die Erfolgschance des Eingriffs. Bereits jetzt gibt es eine Vielzahl von Apps zur Hilfe bei der Prävention (Fitness-Apps), zur Selbstbehandlung (Nackenentspannung) oder zur Unterstützung ärztlicher Behandlung (Psychotherapie). Viele der aufgeführten Maßnahmen generieren Daten. Deren Auswertung und Nutzung durch algorithmenbasierte Systeme und künstliche Intelligenz bieten neue Analyse-, Behandlungs- und Forschungsmöglichkeiten.

Die Skepsis gegenüber der Digitalisierung im Gesundheitswesen resultiert größtenteils aus dem (künftigen) Umgang mit diesen Daten. Vor allem Patienten fürchten die Kontrolle über ihre Gesundheitsdaten zu verlieren. Dies könnte das Arzt-Patientenverhältniss beeinträchtigen, wenn aus Sorge vor digitaler Dokumentation Informationen vom Patienten vorenthalten werden. Aufgabe des Gesetzgebers ist es deshalb, Regelungen für eine nutzenmaximierende Implementierung eines digitalisierten Gesundheitswesens zu schaffen und dafür zu sorgen, dass Forschungsdaten besser verfügbar und nutzbar gemacht werden. Gleichzeitig müssen die Regelungen den Schutz sensibler personenbezogener Daten sicherstellen.

Das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) befindet sich derzeit im Gesetzgebungsprozess. Es regelt eine Fülle einzelner Aspekte der Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung, so z. B. die Einführung der ePa zu Beginn des Jahres 2021. Bei dieser patientengeführten ePa entscheidet der Patient, ob er sie überhaupt führen möchte, und bei jeder Behandlung, ob der Arzt die Daten dort einspeisen soll (doppeltes Opt-in). Anzunehmen ist, dass viele ePas unvollständig sein werden und dadurch das Nutzungspotenzial der ePa sowohl unmittelbar für die Patienten als auch für die auf großen Datenmengen basierende Forschung bei weitem nicht ausgeschöpft wird. Wünschenswert wäre stattdessen eine doppelte Opt-out-Lösung. Patienten erhielten die ePa, ohne selbst aktiv zu werden. Natürlich könnte der Patient den Zugriff auf die ePa jederzeit ganz oder teilweise einschränken und, falls gewünscht, zu einem späteren Zeitpunkt wieder ermöglichen. Ferner regelt das DVG bzw. die dazugehörige Digitale-Gesundheitsanwendungen-Verordnung (DiGAV) die Erstattung digitaler oder telemedizinischer Anwendungen durch die gesetzlichen Krankenkassen. Es erfolgen Weichenstellungen für „Apps auf Rezept“. Eine Herausforderung stellt deren Nutzenbewertung dar. Erste Überlegungen dazu unter Berücksichtigung evidenzbasierter Medizin finden sich in der DiGAV. Schließlich adressiert das DVG den Umgang mit (Forschungs-)Daten, die europaweit ausgetauscht und die künftig über ein Forschungsdatenzentrum bereitgestellt werden sollen. Sowohl die Herstellung eines Bezugs zum Leistungserbringer als auch zum Patienten ist (weiterhin) zu Recht untersagt.

Es fehlen eine detaillierte Analyse, wie sich die Digitalisierung im Gesundheitswesen auf die öffentlichen Haushalte (einschließlich Parafiski) auswirkt, Überlegungen zu Kosten-Nutzen-Rechnungen einzelner Maßnahmen, Schritte, um die digitale Gesundheitskompetenz aller Akteure (E-Health Literacy) zu erhöhen, sowie Bedingungen zur Sicherung des Wettbewerbs bei digitalen Gesundheitsanwendungen. Global agierende Unternehmen, denen Nutzer ihre Daten freiwillig zur Verfügung stellen, können nach Auswertung dieser Daten passgenaue digitale Gesundheitsanwendungen erstellen und sich so eine Monopolstellung sichern. Das sollte vermieden werden. Insgesamt geht das DVG in die richtige Richtung, an manchen Stellen wäre (noch) mehr Mut gut. So ist oft von Datenschutz und ethischen Bedenken die Rede. Es geht jedoch um ein Abwägen verschiedener Werte wie Privatheit, Würde, bestmögliche Heilung, Linderung von Krankheiten und gesellschaftliche Solidarität. Inwiefern letzteres bedeuten könnte, dass jeder seine Daten der Forschung spenden muss, um anderen – vielleicht auch einmal sich selbst – helfen zu können, wirft grundsätzliche Fragen auf, die wir im gesellschaftlichen Diskurs beantworten müssen.

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© Der/die Autor(en) 2020

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DOI: 10.1007/s10273-020-2570-1