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Am 9. November 2020 verkündete die EU, dass sie wegen WTO-widriger Subventionen für Boeing Strafzölle von bis zu 4 Mrd. US-$ p. a. erheben wird. Dies stellt eine weitere Eskalation des seit 16 Jahren andauernden transatlantischen Handelsstreits dar. Seit 2004 laufen parallele WTO-Verfahren wegen der jeweiligen Subventionierung der Flugzeugbauer Airbus und Boeing, die mit der WTO-Entscheidung über Strafzölle im Boeing-Verfahren im Oktober 2020 einen vorläufigen Höhepunkt erreichten. Im Jahr zuvor hatte die WTO US-Strafzölle von bis zu 7,5 Mrd. US-$ p. a. im Verfahren gegen die EU genehmigt. Die Boeing-Entscheidung stellt nun eine Gelegenheit dar, eine Verhandlungslösung zu finden und den größten Handelsstreit der WTO-Geschichte beizulegen. Die Chancen sind unter einer Biden-Administration sicherlich größer als unter Trump, aber auf einfache Verhandlungen sollte sich Europa nicht einstellen.

Der US-Handelsbeauftrage Robert Lighthizer hatte mehrfach eine Subventionsrückzahlung von Airbus gefordert, was von europäischer Seite unter Verweis auf WTO-Recht zurückgewiesen wurde. Generell sieht das WTO-Recht keine Rückzahlung bereits geleisteter Subventionen vor. Von der Biden-Administration werden ein weniger konfrontativer Stil, eine stärker regelbasierte Handelspolitik und die Rückkehr zum Multilateralismus erwartet, aber es werden nicht einfach die Uhren um vier Jahre zurückgedreht – Europa, die USA und die Welt haben sich verändert, und Trumpismus wird mit der Abwahl nicht über Nacht verschwinden.

So hat gerade in Bezug auf die Handelspolitik das Narrativ verfangen, dass die USA vor Trump zu nachgiebig gewesen seien. Daher wird Präsident Biden gute innenpolitische Argumente brauchen, wenn er Teile der handelspolitischen Schutzmaßnahmen Trumps zurücknehmen möchte – es gibt mit den Gewerkschaften und Teilen der demokratischen Partei eine starke Lobby für die Maßnahmen. Die Biden-Administration wird sich anfangs primär innenpolitischen Themen zuwenden müssen, wie der Bewältigung der Corona-Krise und der tiefen Spaltung des Landes. Auch während der ersten Amtszeit von Präsident Obama galt es zunächst die Folgen der Finanzkrise zu bewältigen, bevor er sich nach ca. zwei Jahren im Amt Handelsthemen widmen konnte.

Allerdings wurde durch Trumps Handelskriege und America-First-Politik das Verhältnis mit vielen Verbündeten der USA so stark beeinträchtigt, dass er das Handelsressort nicht unbeachtet lassen kann. Es gilt, verlorenes Vertrauen bei engen Alliierten, wie Europa oder Japan, zurückzugewinnen, um gemeinsam wichtige handelspolitische Fragen zu adressieren, wie z. B. die Besteuerung von Digitalunternehmen, WTO-Reformen oder der Umgang mit China in Hinblick auf Staatsunternehmen, erzwungenen Technologietransfer, Marktverzerrungen usw. Mit den 2018 unter Berufung auf nationale Sicherheit eingeführten Zöllen nach Sec. 232 auf Stahl und Aluminium stieß Trump viele wichtige Handelspartner vor den Kopf. Ausnahmeregelungen für die EU, Mexiko und Kanada bis Juni 2018 wurden nicht verlängert.

Auch die Wahl einer neuen WTO-Generaldirektorin und die Blockade der Ernennung von neuen Mitgliedern des WTO-Berufungsgremiums durch die Trump-Administration werden eine rasche Positionierung des neuen Präsidenten erfordern. Zwar wurden schon während der Obama-Administration Kritik am Appellate Body der WTO geäußert und keine Richter:innen nachbesetzt, aber seit Dezember ist die Berufungsinstanz nicht mehr funktionsfähig, da die Amtszeit von zwei der letzten drei Berufungsrichter auslief.

Umso erstaunlicher war die Aufnahme ernsthafter Verhandlungen im Dezember 2020 zwischen den USA und der EU zur Beilegung des Airbus-Boeing-Konflikts. Die EU hatte zuletzt im Juli 2019 einen Vorschlag für eine Verhandlungslösung unterbreitet, der eine Begrenzung von Subventionen, die Schaffung eines bilateralen Überwachungs- und Streitschlichtungsmechanismus und eine Weiterentwicklung des WTO-Regelwerks vorsah. Allerdings führte dies zu keinen nennenswerten Fortschritten. Erst die WTO-Entscheidung im Boeing-Fall sowie die Spiegelung der US-Strafzölle durch die EU scheinen die Trump-Administration an den Verhandlungstisch zurückgebracht zu haben. Die Bemühungen wurden allerdings durch eine Ausweitung der US-Zölle am 30.12.2020 torpediert, sodass eine Verhandlungslösung der designierten Handelsbeauftragten Katherine Tai zufallen wird.

Gerade in Hinblick auf die subventionierte Konkurrenz aus China und die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Flugverkehr scheint eine Verhandlungslösung umso dringlicher. Zumal Boeing wegen des 737 Max-Desasters starke Umsatzeinbußen hinnehmen musste und sich am 7.1.2021 mit dem Justizministerium der USA auf eine Strafzahlung von 2,5 Mrd. US-$ einigte. Eine Aussetzung der höchsten Strafzölle der WTO-Geschichte von insgesamt 11,5 Mrd. US-$, während nach einer Verhandlungslösung gesucht wird, könnte ein erster wichtiger Schritt sein. Denn neben Airbus und Boeing sind viele andere Sektoren von den strategisch gewählten Maßnahmen betroffen, die zu einer starken Wettbewerbsverzerrung führen und Konsumenten sowie Unternehmen gleichermaßen schaden.

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© Der/die Autor:in(nen) 2021

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DOI: 10.1007/s10273-021-2814-8