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Der Arbeitskräftemangel, speziell der Mangel an gut ausgebildeten Fachkräften, wird die deutsche Wirtschaft in den kommenden Jahren vor große Herausforderungen stellen. Nur wenn das Bildungssystem hinreichend hohe Qualifikationen und Kompetenzen vermittelt, wird Deutschland international wettbewerbsfähig bleiben. Hierzu müssen das Arbeitskräftepotenzial besser genutzt und nach wie vor bestehende Nachteile für Kinder aus Nichtakademikerhaushalten abgebaut werden. Ob dies gelingt, wird häufig anhand der Entwicklung des Akademikeranteils und des Anteils von Kindern aus Nicht­akademikerhaushalten mit Hochschulabschluss beurteilt. Diese Kennzahlen haben zwar eine gewisse Aussagekraft, greifen aber zu kurz.

Die Innovationskraft wird oft mit dem Grad der Akademisierung gleichgesetzt und mangelnde soziale Durchlässigkeit des Bildungssystems auf fehlende Bildungsangebote zurückgeführt. Wenn die Zahl der höheren Bildungsabschlüsse steigt, ist dann das Ziel erreicht? Leider nicht, denn ein erworbener Bildungsabschluss sagt nur sehr bedingt etwas über die vorhandene Qualifikation aus. Mehr akademische Abschlüsse sind daher nicht zwingend die Lösung für den Fachkräftemangel. Ohne verbindliche Standards sind Bildungsabschlüsse leicht zu vergeben; sie werden entwertet.

Über einheitliche Bildungsstandards wird in Deutschland schon lange diskutiert. Gleichwohl ist immer noch zu wenig über die tatsächlich erworbenen Kompetenzen der Schüler:innen bekannt. Daher greift man zu oft auf die Entwicklung der Bildungsabschlüsse und der besuchten Schulformen zurück. Ein echtes Bildungsmonitoring entwickelt sich nur langsam. Im IQB-Bildungstrend aus dem Jahr 2018 wurde zum zweiten Mal das Erreichen der Bildungsstandards der KMK in den MINT-Fächern am Ende der Sekundarstufe I überprüft. Damit war es erstmals möglich, Entwicklungstrends zu beschreiben. Es zeigte sich kein eindeutiges Bild, aber ein eher ungünstiger Trend bei den Kompetenzen. Und wie die Corona-Pandemie den Bildungsstand der Schüler:innen beeinflusst, wird frühestens im Herbst 2022 zu beantworten sein. Dann sollen die Ergebnisse des dritten Bildungstrends der Jahrgangsstufe 4 vorliegen. Das erscheint recht spät, wenn für die betroffenen Jahrgänge noch erfolgreich gegengesteuert werden soll. Daher sollten, ergänzend zu den bestehenden Studien und Bildungssurveys, regelmäßige und flächendeckende Lernstandserhebungen durchgeführt und ausgewertet werden. Das geplante Bildungsregister würde zudem dabei helfen, Wissenslücken zu den Bildungsverläufen in Deutschland zu schließen.

Zudem kommt in der Diskussion zu kurz, wie Bildungsangebote angenommen werden. Zwar sind steigende Studierendenzahlen ein gutes Zeichen für die Durchlässigkeit eines Bildungssystems und für die Wertschätzung eines akademischen Abschlusses. Was sich aber wirklich in den Hochschulen abspielt, wie viele der Studierenden ihr Studium abbrechen, sich als Scheinstudierende immatrikulieren oder ziellos Studiengänge auswählen, bleibt ziemlich unklar. Hier braucht es mehr Transparenz, ein besseres Matching zwischen Studierenden und Studiengängen, aber auch mehr Verbindlichkeit, z. B. in Form eines Studierendenmonitorings. Mit dem Recht auf öffentlich finanzierte Bildung sollten auch Verpflichtungen einhergehen.

Unterschiede im familiären Umfeld müssen möglichst früh kompensiert werden und nicht erst beim Übergang in Ausbildung oder Studium. Aktuell gelingt dies noch nicht zufriedenstellend. Wenn in den kommenden Jahren der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an den Grundschulen umgesetzt wird, ist das ein wichtiger Schritt. Ob hierdurch Disparitäten abgebaut werden, wird sich zeigen und neben der Qualität der Angebote auch davon abhängen, ob die Chancen von den Familien auch ergriffen werden.

Bildung wird in Deutschland in großen Teilen durch öffentliche Mittel finanziert. Damit werden Qualifikationen im Interesse der Menschen und der Gesellschaft aufgebaut und die soziale Durchlässigkeit gefördert. Allerdings wird dem Nachfrageverhalten in Sachen Bildung und insbesondere Kompetenzen bislang zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Und um die erworbenen Kompetenzen – und nicht allein Bildungsabschlüsse – zur Grundlage der Bewertung unseres Bildungssystems zu machen, sind bessere Daten und Kennzahlen erforderlich. Regelmäßige Lernstandserhebungen und ein Bildungsverlaufsregister sind daher unverzichtbar. Durch die bessere Datenbasis würde auch die Grundlage für die wissenschaftliche Evaluation von Bildungspolitik gestärkt, und Politik könnte evidenzbasiert entscheiden, das Geld dort zu investieren, wo es einen echten Bildungsertrag bringt.

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© Der/die Autor:in 2021

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.1007/s10273-021-3038-7