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Angesichts einer angeblich drohenden „Monster-Inflation“ stellen selbst seriöse Medien die Glaubwürdigkeit der EZB wegen ihrer zinspolitischen Zurückhaltung infrage. Ressentiments aus D-Mark-Zeiten und die „Teuro“-Debatte werden wiederbelebt, obwohl sich die deutschen Verbraucherpreise unter der EZB bisher mit einem Anstieg von 1,5 % p. a. stabiler entwickelten als zu D-Mark-Zeiten (2,7 % p. a.). Als aber im November 2021 die deutsche Teuerungsrate im Vorjahresvergleich auf 5,2 % zulegte, fühlten sich die Kassandra-Rufer von damals bestätigt. Jetzt zeige die EZB, die sich durch ihre umstrittenen Staatsanleihenkäufe den Exit aus der Niedrigzinspolitik selbst verbaut habe, ihr wahres Gesicht. Was ist dran am EZB-Bashing?

Zweifellos verhindert die Heterogenität in der Eurozone bei einer Spanne von fast 7 Prozentpunkten in den nationalen Monatsinflationsraten eine Geldpolitik, die allen Teilnehmenden gleichermaßen gerecht wird. Dafür tragen jedoch allein die über die Euro-Mitgliedschaft entscheidenden Regierungen die Verantwortung. Die EZB kann nur versuchen, das Beste daraus zu machen. Nur daran darf sie auch gemessen werden.

Grenzwertig sind ihre Anleihenkäufe. Trotz des Verbots der unmittelbaren monetären Staatsfinanzierung hält die EZB Staatsanleihen in Billionen-Umfang. Wegen des Erwerbs im Sekundärmarkt verstößt sie damit nach bisheriger Rechtsprechung formal zwar nicht gegen die Auflagen. Faktisch wird so jedoch die Emission neuer Staatsanleihen erleichtert. Die Behauptung mancher Kritiker:innen, dies sei das eigentliche, aber kaschierte geldpolitische Ziel, wirkt dennoch wenig überzeugend. Welche Alternative hätte die EZB denn nach dem Ausreizen traditioneller Instrumente damals noch gehabt, um angesichts deflationärer Tendenzen ihrem gesetzlichen Primärziel der Preisniveaustabilisierung nachzukommen? Und natürlich wird sie jetzt bei ihrer Exit-Diskussion auch die Auswirkungen auf die Staatshaushalte bedenken. Alles andere wäre fahrlässig, will man nicht gleich die nächste Eurokrise hervorrufen. Jede geldpolitische Straffung erhöht final die Zinsen für eine staatliche Neuverschuldung; und zwar unabhängig davon, wer zuvor die Altanleihen gekauft hatte. Das macht eine Kurswende aber nur komplexer, nicht unmöglich.

Hinsichtlich des Vorwurfs einer zu halbherzigen Inflationsbekämpfung bedarf es gleich mehrerer Relativierungen. Schon die Rolle der Neudefinition des Primärziels wird von Skeptiker:innen überinterpretiert. Selbst Ex-Bundesbankpräsident Weidmann sah darin – als EZB-interner Mahner – keine substanzielle Änderung. In Deutschland schwingt bei der Beurteilung der Inflationsgefahren zudem viel Hysterie mit: So ist der Jahresdurchschnitt, bei dem für 2021 hierzulande „nur“ mit einem Plus von gut 3 % gerechnet wird, aussagekräftiger als monatliche Momentaufnahmen. Überdies war die Teuerung während der beiden Ölpreiskrisen und auch in der Phase der Wiedervereinigung spürbar höher. Hinzu kommen Sondereffekte, die sich bei den Einmal­impulsen nachfolgend nicht mehr inflationär auswirken. Die Energiepreise hingegen sollten und werden klimapolitisch gewollt steigen. Ähnlich wie früher die Bundesbank geht auch die EZB davon aus, das Durchwirken der Sondereffekte kaum vermeiden zu können und dass wegen ihrer vorrangigen Kurzlebigkeit kein Handlungsbedarf besteht.

In der Einschätzung stützt sie sich auch auf eigene Prognosen. Wegen deren Trefferungenauigkeit der EZB ein Unterschätzen mit System zu unterstellen, ist abwegig, schließlich lagen die Finanzmarktakteure hier genauso daneben. Die Prognosefehler sind Folge unvermeidbarer Unsicherheit über die Wirkung sich überlagernder gegenläufiger Effekte in einem Umfeld von Strukturbrüchen. Trotz der Unschärfe macht es keinen Sinn, komplett auf selbstkritisch bewertete Prognosen zu verzichten, sonst fehlt jedweder Anker für Entscheidungen.

Neben dem Abschätzen der Inflationsgefahren erweist sich auch das Abwägen einer Zinswende mit den Auswirkungen auf Produktion und Beschäftigung als schwierig. Zwar hat das Preisniveauziel für die EZB gesetzlichen Vorrang, gleichwohl bedarf es – bei folgerichtiger Übertragung des Bundesverfassungsgerichtsurteils zu den Anleihenkäufen in der Deflation – einer solchen Nebenwirkungsanalyse.

Außerdem ist die EZB nicht blind. Im Dezember 2021 hat sie ihren Prognosewert für 2022 fast verdoppelt. Für den Fall eines nachhaltigen Überschreitens kündigte die Notenbank entschiedene Gegenmaßnahmen an. Selbst wenn bei der Ratssitzung im Dezember 2021 noch keine Abkehr von der Niedrigzinspolitik verkündet wurde, so wurde immerhin als erster Impuls ein Einstellen der Anleihekäufe aus dem Pandemieprogramm angekündigt. Aber auch dieser – wegen des ambivalenten mittelfristigen Inflationsumfelds – vorsichtige Trippelschritt hat am Anleihenmarkt zinserhöhende Effekte, ohne allerdings dadurch ein Signal für eine drohende Lohn-Preis-Spirale zu geben.

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© Der/die Autor:in 2022

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DOI: 10.1007/s10273-022-3083-x