An den Pipelines Nord Stream 1 und 2 wurden am 26. September 2022 vier Explosionen detektiert. Von den vier Röhren mit einer Länge von etwa 1.250 km und einem Durchmesser von je ca. 1,1 Meter wurden, wie später festgestellt wurde, lediglich drei beschädigt – eine ungewöhnliche Zielplanung. Aus den Lecks in ca. 80 m Tiefe strömte das in den Röhren befindliche Erdgas aus und bildete Strudel an der Wasseroberfläche. Verständlicherweise hatte das eine hohe mediale Resonanz. Auch die unbekannte Klimawirkung dieser Lecks war Gegenstand der Neugier. Die Umweltämter von Deutschland und Dänemark stellten eigene Kalkulationen und Stellungnahmen zur Verfügung. Auf diese Weise wurden den fachlich wenig versierten Medienvertreter:innen „wissenschaftliche Einschätzungen“ zur Höhe der „Emissionen“ und zur „Klimawirkung“ zugespielt. Die erwiesen sich als divers. Diese Diversität verleitete die Medien zu dem Schluss, es gäbe in der Fachwelt eine große Unsicherheit im Urteil.
Davon aber kann keine Rede sein. Das Ergebnis ist recht präzise bekannt – man muss sich nur an die rechtlich vorgegebenen begrifflichen Definitionen halten und für die Klimawirkung den angemessenen Bilanzraum wählen. Wenn Forschende jedoch, unter Berufung auf ihre Freiheit, eine geringe Disziplin bei der Wahl der Begriffsverständnisse walten lassen, kann es leicht zu kakophonen Ergebnissen führen. Für die Wirtschaftswissenschaft ist das in diesem Fall besonders interessant. Sie wurde nicht einmal gefragt.
Einschlägige Quelle ist das dänische Umweltamt, das zusammen mit dem schwedischen das Vorkommnis am 29. September 2022 an den UN-Sicherheitsrat gemeldet hat. Der Gasinhalt der drei Röhren, der wohl vollständig in den Wasserkörper der Ostsee ausgetreten ist, wurde dem Amt von den Betreibenden der beiden Pipelines mitgeteilt: Es geht um 778 Mio. m3 Erdgas. Üblich ist zu unterstellen, dass Gas gleich Methan ist. Da der Unterschied nicht bedeutend ist, wird dem hier gefolgt. Soweit die unstrittige Zahl. Sicher ist zudem, dass die Lecks jeweils in der ausschließlichen Wirtschaftszone beider Staaten aufgetreten sind. Die Verwirrung beginnt beim Ausdruck „Emission“. Berichtet wird mit vielen freien Vokabeln, von „Austritt“ über „Freisetzung“ bis zu „release“ ist die Rede. Von Medienvertreter:innen wie Klimaforschenden unbedacht blieb zumeist, dass „Emission“ rechtlicher Terminus technicus des UN-Klimaregimes ist und allein die Freisetzung in die Atmosphäre meint. Abschätzungen, die den Verbleib im Wasserkörper unberücksichtigt lassen, sind schon einmal um etwa den Faktor 2 zu hoch. Diese Größenordnung kann man deswegen leicht wissen, weil das bereits bekannte Dauerleck aufgrund eines Bohrunfalls in der Nordsee vor Schottland in vergleichbarer Tiefe liegt und dort das Verhältnis von Einbringen in den Wasserkörper und Austritt in die Atmosphäre gut studiert werden konnte.
Auszugehen ist somit von einer „Emission“ im klimawissenschaftlichen wie -rechtlichen Verständnis in Höhe von 389 Mio. m3 bzw. 260 Mio. kg Methan. Die Angaben aber wünscht man in einer Einheit, die mit CO2-Emissionen vergleichbar ist. Also muss man die CH4-Emissionen in CO2-Äquivalente umrechnen. Der rechtlich korrekte Umrechnungsfaktor dafür (GWP von CH4 über 100 Jahre) liegt 2022 bei 28. Emittiert wurden in den wenigen Wochen nach dem 26. September somit etwa 7,3 Mio. t CO2eq. So das Ergebnis sauberer Wissenschaft. Beim GWP von CH4 kommt es regelmäßig zu anderslautenden Angaben. Motive für die Abweichnung gibt es zwei. Entweder geht es darum, die wissenschaftliche Freiheit auszuleben: Man will sich nicht an den rechtlich gefassten Konsens halten, die Äquivalenz über 100 Jahre zu bemessen – klimawissenschaftliche Überlegungen lassen einen Äquivalenzwert über 20 Jahre deutlich angemessener erscheinen, heißt es dann. Dann wird mit einem GWP-Wert gerechnet, der um den Faktor Drei etwas höher liegt. Oder man ist klimarechtlich nicht auf dem aktuellen Stand. Wissenschaftliche Einsicht entwickelt sich weiter, auch zum Verhältnis der Klimawirkung von Methan und CO2.
Soweit die Tücken bei der Bestimmung der Emissionen – als Grundlage der Bestimmung der Klimawirkung. Da aber kommt ein EU-spezifischer Charakterzug der Klimapolitik zum Tragen, der wenig bekannt ist. Die Emissionen sind nur ein Bruttowert – die „Klimawirkung“ ist ein Nettowert. Für EU-Mitgliedstaaten sind sämtliche Emissionen von „ihrem Territorium“ aus gedeckelt. Es gibt nicht nur das ETS für die Großanlagen, sondern auch für den Rest an Emissionen aus Kleinquellen – durch die Klimaschutzverordnung, die einen festen Deckel bildet. Der gilt auch für Leckagen aus Gaspipelines. Zuständig für den Ausgleich ist der jeweilige Territorialstaat. Das Verständnis von „Territorium“ schließt die ausschließliche Wirtschaftszone ein. Dänemark und Schweden haben somit die Zusatzemissionen aus den Pipeline-Lecks auszugleichen: Sie haben anderweitig Emissionen zu vermeiden oder von anderen Mitgliedstaaten Rechte einzuwerben. Die Klimawirkung dieses Ereignisses ist somit, weil es in Europa stattfand, gleich null – das kann man bestimmen, ohne groß zu rechnen.