Schon vor der russischen Invasion in die Ukraine waren die Gaspreise im Großhandel auf Rekordniveaus geklettert. Mit dem russischen Einmarsch und den neuen Sanktionen sind sie noch einmal dramatisch in die Höhe geschossen. Für eine Lieferung waren am Montag nach der Invasion 110 Euro pro Megawattstunde (MWh) zu zahlen, eine Woche zuvor waren es gerade einmal etwas mehr als 70 Euro gewesen. Ein Jahr zuvor hatte der Preis nur bei 16 Euro gelegen. Der deutschen Bevölkerung droht damit ein enormer Schock bei den Heizkosten. Selbst wenn die Gaspreise im Großhandel jetzt wieder auf 70 Euro pro MWh fallen würden, droht jenen Haushalten, die mit Gas heizen, eine Verdopplung der Gasrechnung im Laufe des Jahres 2022, wenn die Versorger diesen Kostenschub weitergeben. Für eine typische Familie sind das 100 Euro oder mehr pro Monat – gerade für Familien mit kleinen und mittleren Einkommen eine schmerzhafte Summe.
Da Gas zudem der wichtigste Heizenergieträger der deutschen Privathaushalte ist, könnte der Preisanstieg die Gesamtinflation massiv treiben. Für einen Gaspreis von knapp über 70 Euro hatte das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung ausgerechnet, dass alleine durch den direkten Preiseffekt von Erdgas als Heiz- und Kochenergie die gemessene Inflation um 2,5 Prozentpunkte höher ausfallen würde, als es sonst der Fall wäre (Dullien und Tober, 2022). Sollten sich die neuen Preissprünge nicht schnell zurückbilden, dürfte dieser Effekt noch einmal größer ausfallen und die Inflation den Rest des Jahres spürbar über der 4 %-Marke verharren. Bisherige Konzepte zur Entlastung bei den Energiepreisen greifen für den Gaspreis zu kurz: Die Kombination aus Heizkostenzuschuss für Geringverdienerhaushalte, erhöhte Pendlerpauschale sowie erhöhte Freibeträge und Pauschbeträge entlastet zwar richtigerweise die breite Bevölkerung einigermaßen für den bis zur Invasion erlebten allgemeinen Anstieg der Energiepreise, berücksichtigt aber nicht die sich abzeichnende dramatische, spezielle Belastung der Haushalte mit Gasheizung.
Bis Januar 2022 waren die Endpreise aller Energieträger im Warenkorb der typischen Haushalte – Strom, Heizöl, Gas, Kraftstoffe – gegenüber dem Vorpandemieniveau 2019 ähnlich stark, um rund 20 %, gestiegen. Ein Weitergeben eines Gasgroßhandelspreises von 70 Euro pro MWh durch die Versorger würde dagegen ein Plus bei den Endpreisen von mehr als 100 % bedeuten; bleibt der Gaspreis bei 100 Euro, so wären es leicht 150 %. Auch bei anderen Energieträgern sind zwar nun noch Preisanstiege zu erwarten, doch die Zusatzbelastung von Haushalten mit Gasheizung bleibt um ein Mehrfaches höher. Hinzu kommt, dass der Preisanstieg beim Gas stärker als jener anderer Energieträger vor allem von der Situation in der Ukraine und den Sanktionen getrieben ist. Erdöllieferungen aus Russland können verhältnismäßig einfach durch Mehrförderung aus anderen Ländern ausgeglichen werden. Beim Gas gestaltet sich dies nicht zuletzt durch mangelnde Lieferinfrastruktur schwierig. Die wirtschaftlichen Kosten des Konflikts werden so einseitig auf jene abgewälzt, die zufällig eine Gasheizung haben.
Hier böte sich an, den Gaspreisanstieg vorübergehend mit einem Gaspreisdeckel für einen Grundverbrauch zu dämpfen. Bei einem solchen Konzept wäre für einen bestimmten Sockel an Kilowattstunden, die ein Haushalt verbraucht, eine Preisobergrenze eingezogen. Denkbar wären als Eckwerte 8000 KWh pro Jahr, was etwa dem halben Gasverbrauch in einer durchschnittlichen 100 Quadratmeter-Wohnung entspricht, und für diese Energie ein Höchstpreis von 7,5 Cent pro KWh, was etwa dem Preis Ende 2021 entspräche. Für größere Haushalte könnte man den Sockelbetrag auch variieren. Das würde eine Energiegrundsicherung für alle zu bezahlbaren Preisen sicherstellen.
Da allerdings die Gasversorger nicht einfach die Differenz zum Einkaufspreis ausgleichen können, ohne in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten, müsste der Bund an die Versorger eine Kompensation zahlen. Um keine Übersubventionierung zu schaffen, sollte diese Kompensation am Großhandelspreis plus einer Pauschale für die Verteilung orientiert sein und nur für jene Verträge gelten, bei denen der Versorger sich nicht ohnehin auf stabilere, niedrigere Preise festgelegt hat. Der Bund würde quasi einen Grundgasverbrauch vorübergehend über die Versorger subventionieren.Eine solche Maßnahme hätte gleich eine Reihe von Vorteilen: Sie würde zielgenau jene Haushalte entlasten, die mit Gas heizen und derzeit einen außergewöhnlichen Anstieg der Heizkosten erleben. Haushalte mit kleineren Wohnungen (und damit geringerem Verbrauch) würden prozentuell stärker entlastet als jene mit größeren Wohnungen. Gleichzeitig würde diese Maßnahme die Inflationsrate drücken, da nur die gedeckelten Preise in die Inflationsberechnung eingehen würden. Das würde etwas Ruhe in die unleidliche Diskussion um Rekord-Teuerungsraten bringen und damit auch helfen, Inflationserwartungen zu stabilisieren sowie das Risiko einer Preis-Lohn-Spirale begrenzen. Zudem würde der Konflikt zwischen den Tarifparteien entschärft, ob Firmen oder Beschäftigte die Energiekostenlast tragen müssen. Die Begrenzung des Preisdeckels auf 8000 verbrauchte Kilowattstunden hat auch den Vorteil, dass der Anreiz zum Energiesparen durch die höheren Gaspreise bestehen bleibt: Da ja nur ein Grundverbrauch verbilligt wird, nicht aber die weiteren Einheiten, bleibt die Ersparnis für etwas sparsameres Heizen unverändert hoch. Gelegentlich wird angeführt, ein solcher Deckel würde die Anreize zur Dekarbonisierung senken. Dieser Einwand hält genauerer Betrachtung allerdings nicht stand: Für Investitionsentscheidungen ist nicht der kurzfristige Preis heute, sondern die Preiserwartung für die Zukunft maßgeblich. Ein vorübergehender Deckel verändert diese Preiserwartungen nicht, zumal die Future-Märkte für die Zukunft derzeit wieder deutlich niedrigere Gaspreise anzeigen und der Deckel ja nur greift, wenn die Preise hoch liegen. Ein vorübergehender Preisdeckel entlastet gerade, ohne die Anreize in die falsche Richtung zu verschieben.
Die Idee einer gezielten Preissetzung für den Kernbedarf von essenziellen Gütern ist weder neu noch unerprobt. In Deutschland wurde sie nach dem Krieg im Jedermann-Programm von Ludwig Erhard als preisdämpfende Notmaßnahme umgesetzt, als die Politik der allgemeinen Preisliberalisierung zu einem Inflationsschub und schließlich zu einem Generalstreik führte (Fuhrmann, 2017). Chinas Reformer haben Erhards Wirtschaftspolitik genau studiert (Weber, 2019) und der chinesische Erfolg bei der Transformation von der Plan- zur Marktwirtschaft beruht nicht zuletzt auf einem zweigleisigen Preissystem, wie in Weber (2021) dargelegt wird. Die Kombination aus staatlich begrenzten Preisen für die Grundversorgung von Unternehmen und Haushalten bei gleichzeitig hohen Marktpreisen setzte starke Anreize zur Effizienzsteigerung und ermöglichte zugleich mit wenigen Ausnahmen Preisstabilität relativ zum schnellen Wachstum.
Literatur
Dullien, S. und S. Tober (2022), IMK Inflationsmonitor: Haushaltsspezifische Teuerungsraten: Dominiert bald die Haushaltsenergie?, IMK Policy Brief, 117, Februar.
Fuhrmann, U. (2017), Die Entstehung der „Sozialen Marktwirtschaft“ 1948/49: Eine historische Dispositivanalyse, UVK Verlagsgesellschaft.
Weber, I. (2019), Das westdeutsche und das chinesische „Wirtschaftswunder“: Der Wettstreit um die Interpretation von Ludwig Erhards Wirtschaftspolitik in Chinas Preisreformdebatte der 1980er Jahre, Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung 2020, 55-71.
Weber, I. (2021), How China Escpaped Shock Therapy: The Market Reform Debate, Routledge.