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Der Preis der Schwedischen Reichsbank für Wirtschaftswissenschaften im Gedenken an Alfred Nobel geht an Ben Bernanke, Douglas Diamond und Philip Dybvig. Nach Ansicht der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften haben die Preisträger „unser Verständnis der Rolle der Banken in der Wirtschaft erheblich verbessert“. Doch da irren sie.

Die Schwedische Akademie beschreibt die Rolle der Banken in der Wirtschaft so: „Um zu verstehen, warum eine Bankenkrise so enorme Folgen für die Gesellschaft haben kann, müssen wir wissen, was Banken eigentlich tun: Sie nehmen Geld von den Einlegern entgegen und leiten es an die Kreditnehmer weiter“ (The Royal Swedish Academy of Sciences, 2022a). Danach sind Banken reine Intermediäre oder Händler von Ersparnissen zwischen sparenden Haushalten und investierenden Unternehmen. Diese Sichtweise dominiert seit Jahrzehnten die monetäre Makroökonomie.1

Aber es gibt seit langer Zeit auch eine völlig andere Theorie über die Funktion der Banken. Sie prägt beispielsweise das Denken von Joseph Schumpeter. In seiner 1911 publizierten „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“ brachte er es, wie folgt, auf den Punkt: „Der Bankier ist also nicht so sehr in erster Linie Vermittler der Ware „Kaufkraft“ als vielmehr Produzent dieser Ware“ (Schumpeter, 1911, 110). Diese Sichtweise findet man z. B. auch bei der Bank of England: „Wenn eine Bank einen Kredit vergibt, schafft sie gleichzeitig ein entsprechendes Guthaben auf dem Konto des Kreditnehmers und sie schafft damit Geld.“ (McLeay et al., 2014, 14). Gleichzeitig kritisiert die Bank die Intermediationstheorie sehr deutlich: „Die Geldschöpfung in der Praxis unterscheidet sich von einigen populären Missverständnissen – Banken agieren nicht einfach als Intermediäre, die Einlagen ausleihen, die Sparer bei ihnen platzieren“ (McLeay et al., 2014, 14). Drei Jahre später sprach die Deutsche Bundesbank (2017, 20) in ähnlicher Weise von dem „weit verbreiteten Irrtum, dass Banken bei der Kreditvergabe lediglich als Intermediäre fungieren, d. h. dass Banken Kredite nur unter Verwendung von Finanzmitteln vergeben können, die ihnen zuvor von anderen Kunden als Einlagen zur Verfügung gestellt wurden“. Erstaunlicherweise setzt sich die Akademie in ihrem Begründungspapier mit dieser alternativen Sichtweise nicht auseinander. Stattdessen stellt sie Schumpeter sogar als Vertreter der Intermediationstheorie dar.2

Güterwirtschaftliche versus monetäre Theorie des Finanzsystems

Um beide Theorien zu verstehen, ist es notwendig, die Konzeption der zugrundeliegenden Modelle zu betrachten. Die Intermediationstheorie (oder „Loanable-Funds-Theorie“) stellt sich als rein güterwirtschaftliche Theorie des Finanzsystems dar. Schumpeter (1954) bezeichnet dieses Paradigma als „real analysis“. In diesem Modell gibt es nur ein einziges Allzweckgut, das austauschbar als Konsumgut, Investitionsgut oder „Kapital“ verwendet werden kann. In den Worten von Barro und Sala-i-Martin (2004, 25):

One way to think about the one-sector technology is to draw an analogy with farm animals, which can be eaten or used as inputs to produce more farm animals. The literature on economic growth has used more inventive examples – which such terms as shmoos, putty or ectoplasm – to reflect the easy transmutation of capital goods into consumables, and vice versa.

Im Mittelpunkt des Modells steht die Konsumentscheidung der privaten Haushalte: sie verfügen über einen Ausgangsbestand des Gutes, das sie konsumieren oder sparen können. Die nicht konsumierten Einheiten des Gutes werden als „Kapital“ über Banken oder den sogenannten Kapitalmarkt an Investoren transferiert. Diese können das Allzweckgut nun als Investitionsgut einsetzen. Infolge der Investition wird eine größere Menge des Einheitsgutes verfügbar, die dann wieder konsumiert oder investiert werden kann. Aus den Annahmen des Modells ergibt sich, dass Banken nicht in der Lage sind, dieses Gut selbst zu produzieren. Ihre Rolle beschränkt sich daher auf die Erleichterung seines Transfers zwischen Sparern und Investoren. In der Literatur wird dabei vom „easing of frictions“ im Intermediationsprozess gesprochen (Levine, 2005). Aufgrund des doppelten Charakters des Allzweckguts als Konsum- und Investitionsgut auf der einen Seite, und als „Kapital“ oder „Savings“ auf der anderen Seite, ist in dieser Modellwelt die realwirtschaftliche Sphäre identisch mit der Finanzsphäre. Es gibt also keinen Raum für Geldbestände im Sinne von Bankguthaben als eigenständigen Vermögenswert. Ebenso gibt es keine finanziellen Entscheidungen, die von Konsum- und Investitionsentscheidungen getrennt sind. Wenn man sich dieser zentralen Mechanismen der Intermediationstheorie bewusst wird, erscheint es von vornherein als wenig sinnvoll, daraus Erkenntnisse über die Funktionsweise von Banken und des Finanzsystems in der Realität ableiten zu wollen.

Bei monetären Ansätzen oder dem, was Schumpeter (1954) „monetary analysis“ nannte, sind die monetäre und die reale Sphäre voneinander getrennt, wobei sie zugleich interagieren. Anstelle des hybriden Einheitsgutes findet man mehrere, nicht ineinander transferierbare Aktiva:

  • Reale Aktiva: Konsum- und Investitionsgüter
  • Finanzielle Aktiva: Bankguthaben (Geld), Anleihen und Zentralbankgeld.

Neben Konsum- und Investitionsentscheidungen gibt es dabei unabhängige Finanzentscheidungen: Die Kreditvergabe durch die Zentralbanken und die Kreditvergabe von Geschäftsbanken sowie Anleihekäufe durch Nichtbanken.Ein Modell, das diese Eigenschaften aufweist, ist das viel geschmähte IS-LM-Modell. Die IS-Kurve beschreibt die Gleichgewichte auf dem Gütermarkt. Die LM-Kurve beschreibt die Gleichgewichte auf dem sogenannten Geldmarkt und bildet ein kleines Finanzuniversum ab:

  • die Notenbank, die die Banken mit Reserven versorgt,
  • Banken, die Kredite an Nichtbanken vergeben,
  • Nichtbanken, die Portfolioentscheidungen treffen (Anlage der Spekulationskasse in unverzinslichem Bargeld oder verzinslichen Anleihen mit ewiger Laufzeit (consols).

Das Modell hat konzeptionelle Schwächen, insbesondere die mechanistische Sichtweise des Kreditschöpfungsmultiplikators und die Annahme einer Geldbasissteuerung durch die Notenbank. Aber es zeigt, wie man die finanzielle Sphäre einer Volkswirtschaft realitätsnäher modellieren kann als die Loanable-Funds-Theorie. Ein zentraler Unterschied zum Intermediationsansatz besteht darin, dass Banken keine Ersparnisse oder Einlagen benötigen, um Kredite zu vergeben. Vielmehr ist es genau umgekehrt: Wenn eine Bank einen Kredit vergibt, werden Einlagen geschaffen. Die Banken sind also – genau wie von Schumpeter beschrieben – „Kaufkraftproduzenten“. Natürlich bedeutet die Kreditvergabe einer einzelnen Bank, dass die von ihr geschaffenen Einlagen für Überweisungen an andere Banken verwendet werden. Für das Bankensystem als Ganzes bleiben die Einlagen jedoch unverändert. Der Einlagenverlust der kreditgebenden Bank wird durch Interbankenkredite oder Refinanzierungskredite der Zentralbank kompensiert.

Die Tatsache, dass dieser Prozess in Krisen gestört werden kann, wie von Anat Admati und Martin Hellwig (2019) beschrieben, stellt ihn nicht grundsätzlich infrage und rechtfertigt schon gar nicht die Gültigkeit der Intermediationstheorie. Dies gilt auch für ihr Argument, dass Bargeldabhebungen die Kreditexpansion der Banken begrenzen könnten. Da alle großen Zentralbanken die Kreditexpansion der Geschäftsbanken über das Instrument der Leitzinsen steuern, sind sie jederzeit bereit, passiv die Menge an Zentralbankgeld (einschließlich Bargeld) bereitzustellen, die das Bankensystem benötigt.

Bankenkrisen erkennen, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist

Die Akademie begründet die Verleihung des Preises vor allem damit, dass diese Forschung dazu beitrage, Finanzkrisen zu vermeiden. Für die Analyse von Bankenkrisen ist die Unterscheidung zwischen den beiden Modellansätzen ebenfalls von entscheidender Bedeutung. Mit dem monetären Ansatz lassen sich die Prozesse, die zu Bankenkrisen führen, relativ einfach beschreiben. Die Hauptursache von Bankenkrisen ist in der Regel eine übermäßige Kreditvergabe der Banken, die zu einer Überhitzung der Wirtschaft, insbesondere im Immobiliensektor, führt. Wenn die Immobilienpreise steigen, nehmen die Sicherheiten für Kredite zu. Die Erträge aus der Kreditvergabe bringen den Banken Gewinne und erhöhen ihr Kapital. Die Dynamik dieser Prozesse lässt sich in Spanien, Griechenland und Irland beobachten, wo das Kreditvolumen der Banken in den Jahren vor der Krise um 450% bis 500% zugenommen hatte (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1
Bankkredite an den privaten Sektor

Januar 1999=100

Bankkredite an den privaten Sektor

Quelle: EZB, Statistical Data Warehouse.

Der anschließende Zusammenbruch dieses Marktes führt zu Kreditausfällen und Bankinsolvenzen. Diese aus dem Kreditschöpfungspotenzial der Banken resultierenden Gefahren hat Schumpeter (1939, 150-151) folgendermaßen beschrieben:

Speculation in the narrower sense will take the hint and (...) stage a boom even before prosperity in business has had time to develop. New borrowing will then no longer be confined to entrepreneurs, and “deposits” will be created to finance general expansion, each loan tending to induce another loan, each rise in prices another rise. (…) Indeed, the phenomena of this secondary wave may be, and generally are, quantitatively more important than those of the primary wave. (…) the processes of the secondary wave do indeed provide us with a wealth of examples of unproductive credit.

Mit dem Intermediationsmodell lässt sich eine starke Ausweitung des Kreditvolumens nur schwer erklären. Sie erforderte eine massive Ausweitung der privaten Ersparnis als Quelle von Finanzmitteln. Die Ersparnis der privaten Haushalte ist jedoch in der Regel eine äußerst träge Größe. Es kennzeichnet deshalb die Literatur, die auf der Intermediationstheorie aufbaut, dass sie – wie die Arbeit von Bernanke, dem ehemaligen Vorsitzenden der US-Notenbank – zwar die Krisenphasen erklären kann, nicht aber die Prozesse, die dazu geführt haben. Dies gilt auch für die Arbeit von Diamond und Dybvig, die Banken als eine Art Versicherungsgesellschaft darstellen. Sie erkennen die Risiken dieses Versicherungsvertrags. Ihr statisches Modell ist aber nicht in der Lage, die Gefahren einer übermäßigen Kreditvergabe abzubilden.

Es ist deshalb unzutreffend, wenn die Akademie behauptet, aufgrund der Forschungserkenntnisse der Laureaten habe man Finanzkrisen besser bewältigt als in der Vergangenheit. Dies wird deutlich aus der Antwort der British Academy auf die bei einem Besuch der London School of Economics am 5. November 2008 gestellte Frage der Queen, wieso niemand die Finanzkrise kommen gesehen habe, obwohl sie ein so großes Ausmaß hatte (Greenhill, 2008). Die Ursache sei “a failure of the collective imagination of many bright people, both in this country and internationally, to understand the risks to the system as a whole” (British Academy, 2009). Die Antwort hätte eigentlich lauten müssen: „Wir haben die Krise nicht erkannt, weil wir mit Modellen arbeiten, in denen Banken nur Vermittler von Ersparnissen oder so etwas wie Versicherungsgesellschaften sind. Unsere Theorien setzen erst dann ein, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist.“

Die Intermediationstheorie ist somit eine wichtige Erklärung dafür, dass Ökonom:innen nicht in der Lage waren, die große Finanzkrise rechtzeitig zu erkennen. Es ist deshalb schwer zu verstehen, wie die schwedische Akademie beschließen konnte, eine Theorie zu würdigen, die aufgrund ihrer güterwirtschaftlichen Modellierung ungeeignet ist, die Rolle der Banken als Produzenten von Kaufkraft und damit die Dynamik monetärer Prozesse angemessen abzubilden. Nach dieser schmerzlichen Erfahrung ist die Verleihung des Nobelpreises für die Wirtschaftswissenschaften an den Intermediärsansatz im Bankwesen so, als würde man Ptolemäus posthum den Preis für Physik verleihen, weil er entdeckt hat, dass sich die Sonne um die Erde dreht.

  • 1 Der Beitrag beruht auf einer Veröffentlichung auf socialeurope.eu, die ebenfalls im IPS-Journal erschienen ist: https://socialeurope.eu/a-noble-award-for-a-popular-misconception (17. November 2022).
  • 2 „(…) Schumpeter (1911), who argued that the services provided by financial intermediaries – mobilizing savings, evaluating projects, managing risk, monitoring managers, and facilitating transactions – are essential for technological innovation and economic development“ (The Royal Swedish Academy of Sciences, 2022b, 16).

Literatur

Admati, A. R. und M. F. Hellwig (2019), The parade of the bankers’ new clothes continues: 34 flawed claims debunked. Rock Center for Corporate Governance at Stanford University, Working Paper, (143), 15-58.

Barro, R. J. und X. Sala-i-Martin (2004), Economic growth, 2. Aufl., MIT press.

British Academy (2009), Letter from the British Academy to Her Majesty the Queen, 22. Juli, https://www.ma.imperial.ac.uk/~bin06/M3A22/queen-lse.pdf (4. November 2022).

Deutsche Bundesbank (2017), Die Rolle von Banken, Nichtbanken und Zentralbank im Geldschöpfungsprozess, Monatsbericht, April 2017.

Greenhill, S. (2008), ‚It‘s awful – Why did nobody see it coming?‘: The Queen gives her verdict on global credit crunch, Daily Mail, 6. November, https://www.dailymail.co.uk/news/article-1083290/Its-awful--Why-did-coming--The-Queen-gives-verdict-global-credit-crunch.html (4. November 2022).

Levine, R. (2005), Finance and Growth: Theory and Evidence, in P. Aghion und S. N. Durlauf (Hrsg.), Handbook of Economic Growth, 865-934)

McLeay, M., A. Radia und R. Thomas (2014), Money creation in the modern economy, Bank of England Quarterly Bulletin, 2014 Q1.

The Royal Swedish Academy of Sciences (2022a), The Prize in Economic Sciences 2022, Pressemitteilung vom 10.10., www.nobelprize.org/uploads/2022/10/press-economicsciencesprize2022.pdf (4. November 2022).

The Royal Swedish Academy of Sciences (2022b), Financial Intermediation and the Economy. Scientific Background on the Sveriges Riksbank Prize in Economic Sciences in Memory of Alfred Nobel 2022, https://www.nobelprize.org/uploads/2022/10/advanced-economicsciencesprize2022-2.pdf (4. November 2022).

Schumpeter, J. A. (1911), Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, Duncker & Humblot.

Schumpeter, J. A. (1939), Business cycles, McGraw-Hill.

Schumpeter, J. A. (1954), History of economic analysis, Routledge.

Title:Academy Honors a Common Misconception

Abstract:The Swedish Riksbank Prize for Economic Sciences in Memory of Alfred Nobel went to Ben Bernanke, Douglas Diamond and Philip Dybvig. According to the Royal Swedish Academy of Sciences, the laureates have “greatly improved our understanding of the role of banks in the economy”. But they are mistaken.

© Der/die Autor:in 2022

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.1007/s10273-022-3343-9