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Dieser Beitrag ist Teil von Nachhaltigkeitsziele in der Wirtschaftspolitik

Die Vereinten Nationen haben sich 2015 auf 17 Nachhaltigkeitsziele („Sustainable Development Goals“) geeinigt, die ökonomische, soziale und ökologische Standards setzen und von der Armutsbekämpfung über Gesundheit, Bildung, transparente Institutionen bis hin zum Umwelt- und Klimaschutz reichen. Alle Staaten, aber auch die Zivilgesellschaft, die Privatwirtschaft und die Wissenschaft sind aufgerufen, ihr Tun und Handeln daran auszurichten. Wie wirkt sich dieser Auftrag zur Nachhaltigkeit auf Gesetzgebung, Regulierung und das Verhalten der Unternehmen aus?

Diese Frage stand im Zentrum des „Forum Nachhaltigkeit“, welches der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz im Rahmen seiner 500. Sitzung am 7. April 2022 veranstaltet hat. Das Thema Nachhaltigkeit durchzieht die Arbeit des Beirats seit vielen Jahren. In zwei jüngeren Gutachten zur CO2-Bepreisung und zum CO2-Grenzausgleich und einem gerade verabschiedeten Gutachten zum europäischen Lieferkettengesetz geht es ganz explizit darum, wie Nachhaltigkeit im Klimaschutz und bei Menschen- und Arbeitnehmerrechten politisch erreicht und institutionell umgesetzt werden kann (Wissenschaftlicher Beirat, 2019, 2021, im Erscheinen). In anderen Gutachten, z. B. zur Rentenpolitik oder zur Infrastruktur, spielt Nachhaltigkeit im Sinne von Generationengerechtigkeit eine wichtige Rolle. Das war Anlass für den Beirat, sich systematisch mit der Frage zu beschäftigen, wie staatliche Institutionen und Unternehmen Nachhaltigkeitsziele verfolgen könnten und welche Rolle dabei mögliche Zielkonflikte spielen. Die nachfolgenden Beiträge beleuchten dieses Thema aus unterschiedlichen Perspektiven.

Es ist nicht immer eindeutig, welche politischen und ökonomischen Implikationen sich aus den Nachhaltigkeitszielen ergeben, insbesondere wenn die Ziele in einem Spannungsverhältnis zueinanderstehen und gegeneinander abgewogen werden müssen. Achim Wambach und Christine Zulehner diskutieren, wie Nachhaltigkeitsziele operationalisiert werden können. Wenn es um externe Effekte geht, bietet die Wohlfahrtsökonomik ein ausgereiftes Instrumentarium an, um mit Zielkonflikten umzugehen. Aber auch hier stellen sich wichtige Fragen, die nicht ökonomisch entschieden werden können. Ein Beispiel ist der Klimaschutz. Welche Diskontrate sollten wir verwenden, um zukünftige Kosten des Klimawandels auf die Gegenwart abzuzinsen? Sollte der Marktzins verwendet werden, der die Zeitpräferenzrate der gegenwärtigen Konsumierenden reflektiert, oder sollte die Wohlfahrt zukünftiger Generationen stärker gewichtet werden? Das ist eine ethische Frage, die letztlich im politischen Diskurs entschieden werden muss. Auch Fragen der Einkommensverteilung, der „Gerechtigkeit“ oder der Gewichtung von Bildung und Gesundheit im Staatshaushalt müssen von der Politik entschieden werden und fließen dann als Nebenbedingungen in die Kosten-Nutzen-Abwägungen der Ökonom:innen ein.

Als nächstes stellt sich die Frage, wie die Nachhaltigkeitsziele umgesetzt werden sollen. In vielen Fällen legt die Politik einen Ordnungsrahmen fest, der das Verhalten von Haushalten und Unternehmen durch Anreize lenkt, ohne direkt in ihre Autonomie einzugreifen. So reguliert der Emissionshandel die Menge der europäischen Treibhausgasemissionen über den CO2-Preis, ohne Markteilnehmenden vorzuschreiben, wie sie zu produzieren oder zu konsumieren haben. In anderen Fällen erlässt der Staat strikte Ge- und Verbote, z. B. den gesetzlichen Mindestlohn oder das Verbot bestimmter umweltschädlicher Substanzen. Schließlich gibt es selektive Eingriffe, etwa wenn eine Unternehmensfusion durch Ministererlaubnis aus übergeordneten Gründen zugelassen wird, obwohl sie den Regeln des Wettbewerbsrechts widerspricht.

Sollten alle staatlichen Institutionen alle Nachhaltigkeitsziele anstreben, selbst wenn sie geschaffen wurden, um einen ganz spezifischen Auftrag zu erfüllen? Das Bundeskartellamt soll den Wettbewerb schützen, die Europäische Zentralbank die Preisstabilität sichern. Hier gibt es jeweils ein Instrument für ein Ziel. Sollen diese Institutionen in Zukunft mehrere Nachhaltigkeitsziele verfolgen und wie sollen diese gegen das primäre Ziel abgewogen werden? Soll das jede Behörde selbst entscheiden? Wambach und Zulehner plädieren dafür, Nachhaltigkeitsziele, die von nachgeordneten Behörden verfolgt werden sollen, konkret und rechtssicher zu definieren.

Stefan Bechtold untersucht, wie Nachhaltigkeit im Wirtschaftsrecht umgesetzt wird. In einigen Gesetzen werden Nachhaltigkeitsziele schon explizit berücksichtigt (z. B. im Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz), in anderen Bereichen wird das noch diskutiert (z. B. im Gesellschafts- oder Kartellrecht). Die Gesetzgebung berücksichtigt Nachhaltigkeit nicht nur beim traditionellen Instrument der Ge- und Verbote. Er setzt auch auf Transparenz- und Berichtspflichten, um Informationsasymmetrien zu überwinden (z. B. zu Corporate Social Responsibility). Die erhöhte Sichtbarkeit könnte Unternehmen dazu veranlassen, Nachhaltigkeitsziele ernster zu nehmen, als sie das sonst tun würden. Zusätzlich können neue Institutionen geschaffen werden, die es Unternehmen ermöglichen, sich auf nachhaltiges Wirtschaften festzulegen. So sollen neue Gesellschaftsformen wie Sozialunternehmen oder Gesellschaften mit gebundenem Vermögen etabliert werden. Schließlich kann der Staat das Haftungsrecht auf Nachhaltigkeitsziele ausdehnen.

Die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitszielen im Wirtschaftsrecht ist jedoch auch mit Problemen verbunden. Wie kann nachgewiesen werden, ob bestimmte Maßnahmen tatsächlich zu einer Verbesserung geführt haben? Wie lässt sich die Erfüllung der Nachhaltigkeitsziele messen? Wie können „Greenwashing“ und andere Umgehungsstrategien verhindert werden? Schließlich diskutiert Bechtold das Verhältnis von Öffentlichem Recht und Privatrecht. Während der Umgang mit negativen Externalitäten traditionell Aufgabe des Öffentlichen Rechts war, spielt er zunehmend in vielen Bereichen des Privatrechts eine wichtige Rolle. Das erfordert eine Neubestimmung des Verhältnisses der beiden Rechtsbereiche.

Roman Inderst diskutiert das Spannungsfeld zwischen Nachhaltigkeitszielen und Wettbewerbspolitik. In vielen Fällen lassen sich Nachhaltigkeitsziele effizient durch die Kooperation von Unternehmen erreichen, etwa durch die gemeinsame Festlegung von Standards oder die gemeinsame Zertifizierung von Zulieferern. Das ist jedoch nach geltendem Wettbewerbsrecht oft unzulässig. Die Kartellbehörden mussten sich bisher bei der Bewertung von Kooperationen und Unternehmenszusammenschlüssen auf die Auswirkungen im relevanten Markt beschränken. Das ist eine zu enge Betrachtung, wenn die externen Effekte über den Markt hinausgehen und sogar zukünftige Generationen betreffen (z. B. beim Klimaschutz).

Einige Kartellbehörden in den Nachbarländern, so in Österreich und den Niederlanden, haben ihre Politik angepasst, um Nachhaltigkeitsziele besser berücksichtigen zu können. Im März 2022 hat auch die Europäische Kommission das Thema Nachhaltigkeit explizit im Entwurf der Horizontalrichtlinien aufgegriffen. Darin werde freistellungsfähige Kooperationen zu „Nachhaltigkeitskooperationen“ eingeführt. So soll beispielsweise der Informationsaustausch zu nachhaltigen Lieferant:innen in Zukunft zulässig sein, ebenso wie eine gemeinsame Kampagne zur Förderung des Nachhaltigkeitsbewusstseins. Auch Effizienzen, die zur Rechtfertigung von Kooperationen genutzt werden können, werden breiter definiert als bisher. Roman Inderst erörtert die Möglichkeiten und Probleme, die sich daraus ergeben.

In Martin Hellwigs Beitrag geht es um die Rolle der Nachhaltigkeitsziele für Geldpolitik und Bankenregulierung. Die europäische Zentralbank hat nach dem Amtsantritt von Christine Lagarde den Klimaschutz zu einem expliziten Anliegen der Geldpolitik erklärt. Aber was bedeutet „grüne Geldpolitik“? In enger Lesart verlangt sie nur, dass die Zentralbank die ökonomischen Risiken, die mit dem Klimawandel verbunden sind, in ihrer Politik berücksichtigt, z. B. bei der Bewertung von Unternehmensanleihen und Bankkrediten. Das würde sich bereits aus dem bestehenden Mandat der EZB ergeben. Viele interpretieren den Auftrag zur Nachhaltigkeit jedoch so, dass die Zentralbank grüne Unternehmen und grüne Politik aktiv unterstützen sollte, z. B. durch eine präferierte Risikobewertung von Krediten oder Anleihen grüner Unternehmen oder eine akkommodierende Geldpolitik, um staatliche Subventionsprogramme für die grüne Transformation zu erleichtern. Dabei kann es leicht zum Konflikt mit dem primären Ziel der EZB kommen, die Preisstabilität zu sichern.

Die Forderung, das Mandat der Zentralbank auf Nachhaltigkeitsziele auszudehnen, ist eng verwandt mit Forderungen, die Zentralbank solle neben der Geldwertstabilität auch die Beschäftigung oder die Einkommens- und Vermögensverteilung in ihrer Zielfunktion berücksichtigen. In anderen Ländern wie den USA gilt das als selbstverständlich. Das Mandat der EZB, so wie es in den EU-Verträgen festgelegt wurde, sagt jedoch eindeutig, dass die EZB das Sekundärmandat der Unterstützung der allgemeinen Wirtschaftspolitik nur insoweit verfolgen darf, als ihr Primärmandat, die Sicherung der Preisstabilität, dadurch nicht gefährdet wird.

Hellwig argumentiert, dass die Unabhängigkeit der Zentralbank über kurz oder lang in Frage gestellt würde, wenn das Mandat der EZB auf allgemeine politische Ziele erweitert wird, für die sie nicht demokratisch legitimiert ist. Ein unabhängiges Expertengremium lässt sich in einer Demokratie nur rechtfertigen, wenn seine Aufgabe auf eine weitgehend technische Frage beschränkt bleibt, auch wenn die Maßnahmen der EZB natürlich weitreichende politische Auswirkungen haben.

Auch die Unternehmen sind aufgerufen, die Nachhaltigkeitsziele in ihrem Umfeld zu verfolgen. Felix Bierbrauer diskutiert das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das deutsche Unternehmen verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass Menschen- und Arbeitnehmerrechte nicht nur im eigenen Unternehmen, sondern auch bei ihren Zulieferern eingehalten werden. Zurzeit wird auf europäischer Ebene ein Lieferkettengesetz vorbereitet, das noch weiter geht. Solche Vorschriften führen bei jeder Lieferbeziehung zu fixen Kosten für das Monitoring des Verhaltens von Zulieferern. Es besteht die Gefahr, dass Unternehmen Lieferbeziehungen zu kleinen Zulieferern oder zu bestimmten Ländern abbrechen, um diese Kosten zu vermeiden. Das könnte die Lage in einigen Entwicklungsländern verschlimmern anstatt sie zu verbessern.

In einem aktuellen Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats (im Erscheinen) werden Vorschläge entwickelt, wie sich diese Monitoringkosten reduzieren lassen, z. B. durch Positivlisten von Ländern, in denen davon ausgegangen werden kann, dass Menschen- und Arbeitnehmerrechte eingehalten werden, oder von Unternehmen, die sich entsprechend zertifizieren lassen. Auch Negativlisten von Ländern oder Unternehmen, die diese Rechte grob verletzen, sind möglich. Ziel ist es, die Unternehmen zu einer „Stay-and-Behave“-Politik zu veranlassen und nicht dazu, Lieferbeziehungen abzubrechen.

Sorgfaltspflichten könnten auch für andere Nachhaltigkeitsziele definiert werden, z. B. für den Klimaschutz oder den Tierschutz. Hier plädiert Bierbrauer dafür, die Transparenz zu erhöhen und die Konsumierendensouveränität zu stärken. Vielen Menschen ist es wichtig, Produkte zu konsumieren, die ökologisch nachhaltig produziert wurden. Sie sollten durch Umweltschutz- und Gütesiegel in die Lage versetzt werden, ihre Konsumgüter entsprechend auszuwählen.

Das Thema Nachhaltigkeit wird die Wirtschaftspolitik in Zukunft zunehmend beschäftigen. Die nachfolgenden Beiträge von Mitgliedern des wissenschaftlichen Beirats liefern Ideen und Denkanstöße, wie sich Nachhaltigkeitsziele institutionell umsetzen und wirtschaftspolitisch am besten erreichen lassen. Sie mahnen aber auch zur Vorsicht, die Wirtschaftspolitik nicht mit Aufgaben zu überfrachten, für die sie nicht die geeigneten Mittel hat.

Literatur

Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2019), Energiepreise und effiziente Klimapolitik, https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Ministerium/Veroeffentlichung-Wissenschaftlicher-Beirat/gutachten-energiepreise-effiziente-klimapolitik.html (20. April 2022).

Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2021), Ein CO2-Grenzausgleich als Baustein eines Klimaclubs, https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Ministerium/Veroeffentlichung-Wissenschaftlicher-Beirat/gutachten-co2-grenzausgleich.html (20. April 2022).

Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (im Erscheinen), Menschenrechte und unternehmerische Sorgfaltspflichten.

Title:Economic and Social Sustainability

Abstract:The scientific advisory board of the federal ministry of economic affairs and climate protection conducted a symposium on sustainability at its 500th meeting. The UN’s sustainable development goals play an increasingly important role in economic policy and regulation. This article gives a survey of the trade-offs and implementation problems that were discussed at the symposium, in particular the operationalisation of sustainability in welfare economics, the implementation of sustainability goals in economic law, the relationship between competition policy and sustainability, the impact of sustainability concerns on monetary policy, and finally, supply chain regulation and sustainability objectives

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© Der/die Autor:in 2022

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DOI: 10.1007/s10273-022-3181-9