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Dieser Beitrag ist Teil von Nachhaltigkeitsziele in der Wirtschaftspolitik

Die 17 Sustainable Development Goals (SDG) der Vereinten Nationen (UN) mit ihren jeweils etwa zehn Subzielen machen den Kanon der Nachhaltigkeitsziele aus. Die SDGs umfassen ökonomische, ökologische und soziale Aspekte.Aus ökonomischer Perspektive sind die Nachhaltigkeitsziele zwar nicht alle greifbar, zumal wenn ihnen normative Erwägungen wie Fairness und Gerechtigkeit zugrunde liegen. Die UN hat viele SDGs allerdings mit Subzielen unterlegt, die sich einer ökonomischen Messbarkeit öffnen. So ist beispielsweise ein Teilziel des Nachhaltigkeitsziels 8 „Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum“ die Reduzierung der Jugendarbeitslosigkeit (Teilziel 8.6.)

Nachhaltigkeitsziele und Wohlfahrtsanalyse

Im Umweltbereich zielen die SDGs häufig auf eine Reduzierung von negativen externen Effekten ab. Ein Beispiel ist das Ziel, Umweltschäden, wie sie bei der Produktion vieler Güter auftreten, zu reduzieren. Derartige Ziele stehen prinzipiell im Einklang mit dem ökonomischen Ziel der Wohlfahrtsmaximierung. Ohne Internalisierung negativer externer Effekte wird z. B. eine gesamtgesellschaftlich zu hohe Menge des betreffenden Gutes produziert, sodass Ineffizienzen auftreten und das Wohlfahrtsoptimum verfehlt wird. Auch aus Wettbewerbssicht sind Maßnahmen zur stärkeren Internalisierung negativer externer Effekte grundsätzlich begrüßenswert, da ungewollte Kosten- und damit Wettbewerbsvorteile, die einige Produkte bzw. Unternehmen aufgrund der Nicht-Berücksichtigung der gesellschaftlichen Kosten ihres Handelns haben, abgebaut werden. Soweit sich die Nachhaltigkeitsziele der ökonomischen Analyse erschließen, sind prinzipiell auch die Wohlfahrtsgewinne messbar. Besonderheiten sind, dass es sich zum einen häufig um Güter ohne Marktpreis handelt, sodass meist auf Umfragen zurückgegriffen werden muss (was ist der Wert von mehr Biodiversität in Stadtparks?), und zum anderen sich die Auswirkungen von Maßnahmen erst für künftige Generationen ergeben können – so werden Auswirkungen des Klimawandels vermehrt in der zweiten Jahrhunderthälfte auftreten. Die Bestimmung der dazu zu wählenden Diskontrate ist ein aktives Forschungsfeld in den Wirtschaftswissenschaften (z. B. Gollier und Hammitt, 2014).

Da das Erreichen von Nachhaltigkeitszielen in der Regel Kosten verursacht, sind Abwägungen unvermeidbar. Sofern diese nicht im Parlament, also im demokratischen Diskurs, sondern innerhalb von nachgeordneten Behörden erfolgen, sind weitere Spezifizierungen für eine Kosten-Nutzen-Analyse notwendig. In der Wettbewerbspolitik können etwa wettbewerbsbehindernde Vereinbarungen zulässig sein, wenn diese zu „einer angemessenen Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn … beitragen“ (Art. 101 Abs. 3 AEUV). Die Verbraucherwohlfahrt wird damit zum Indikator für die Wettbewerbswirkung (Hellwig, 2006). Dieses Vorgehen bei der Bewertung von Politikmaßnahmen entspricht allerdings weder dem in der Volkswirtschaftslehre gängigen Pareto-Kriterium – so können Wettbewerber der Unternehmen sowie manche Verbraucher:innen dennoch unter der Vereinbarung leiden – noch dem auch üblichen Kaldor-Hicks-Kriterium, bei dem die monetarisierten Wohlfahrtsgewinne gegenüber den Wohlfahrtsverlusten aufgerechnet werden. Bei einer Verbesserung des Lärmschutzes durch lärmreduzierte Flugzeuge würden die Vorteile, gemessen an der Zahlungsbereitschaft der Menschen dafür, mit den höheren Kosten der Flugzeuge verrechnet. In der Wettbewerbspolitik würde das Kaldor-Hicks-Kriterium z. B. auch Fusionen zulassen, die zu höheren Gewinnen der Unternehmen und gleichzeitig zu höheren Preisen für die Verbraucher:innen führen, solange die höheren Gewinne gegenüber dem Rückgang der Konsumentenwohlfahrt überwiegen. Ein grundsätzliches Problem bei der Verwendung des Kaldor-Hicks-Kriteriums ist allerdings, dass die dadurch entstehenden Verteilungsprobleme nicht Teil des Kriteriums sind.

Der Staat gibt den Rahmen für das wirtschaftliche Handeln vor und kann auch konkrete Nachhaltigkeitsziele definieren und Maßnahmen treffen, um deren Verfolgung sicherzustellen. Z. B. können Mindeststandards mit Blick auf die Verwendung umweltschädlicher Chemikalien, den Tierschutz oder Arbeitsbedingungen gesetzlich verankert werden. Speziell zur Internalisierung negativer externer Effekte kann auf marktbasierte Lösungen wie Lenkungsabgaben (Pigou-Steuer) oder einen Zertifikatehandel zurückgegriffen werden, damit die Verursachenden der negativen externen Effekte dieser in ihr Entscheidungskalkül einbeziehen. Beispiele dafür sind die Energiesteuer auf Benzin und Diesel und das Europäische Emissionshandelssystem (EU-ETS), das Emissionen umfasst, die in der Stromerzeugung sowie in einigen Sektoren der Industrie und im innereuropäischen Flugverkehr entstehen. Diese staatlichen Vorgaben haben den Vorteil, dass die Nachhaltigkeitsziele von allen Marktteilnehmenden im Anwendungsbereich der gesetzlichen Regelung entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu berücksichtigen sind.

Wege zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen

Tendenziell kann mehr Wettbewerb in Märkten auch zu mehr (grünen) Innovationen führen (Aghion et al., 2020). Dennoch können Kooperationen zur privaten Selbstregulierung, etwa in Form von gemeinsamen Labeln bzw. Zertifizierungssystemen, zur Verwirklichung von Nachhaltigkeitszielen beitragen. Sie können insbesondere helfen, die mit möglichen unilateralen Maßnahmen von Unternehmen verbundenen Wettbewerbsnachteile zu überwinden, und insofern einen Anreiz für Unternehmen schaffen, bestimmte Nachhaltigkeitsziele freiwillig zu verfolgen. Durch Label und Zertifizierungssysteme können Informationsasymmetrien abgebaut und die Vergleichbarkeit von Produkten erhöht werden, sodass die Verbraucher:innen eine bewusstere Kaufentscheidung treffen können. Gleichzeitig können die Unternehmen den Verbraucher:innen auf diese Weise glaubhaft signalisieren, dass die Produkte im Einklang mit bestimmten Nachhaltigkeitszielen hergestellt wurden. Beispiele hierfür sind etwa die Initiative Tierwohl oder Fair-Trade-Siegel, welche die Verbraucher:innen über die konkreten Produktionsbedingungen, etwa von Lebensmitteln, aufklären. Allerdings besteht die Gefahr, dass es durch entsprechende Vereinbarungen oder Initiativen zu Wettbewerbsbeschränkungen kommen kann. Systeme, die Vereinbarungen über zentrale Wettbewerbsparameter vorsehen, sind daher aus Wettbewerbssicht kritisch zu sehen und sollten vermieden werden. Zu diesen Parametern gehören Preis, Qualität, Produktvielfalt, Service und die Vertriebsmethode. So hat das Bundeskartellamt im Januar 2022 die Vereinbarung von Unternehmen zur Initiative Tierwohl, die einen einheitlichen Aufpreis vorsieht, „für eine Übergangsphase aufgrund des Pioniercharakters dieses Projekts toleriert. Nach und nach müssen allerdings wettbewerbliche Elemente eingeführt werden“.

Nachhaltigkeitsziele können in Deutschland mithilfe der Wettbewerbspolitik im Rahmen von Ministererlaubnisverfahren berücksichtigt werden. Der Bundeswirtschaftsminister kann vom Kartellamt untersagte Fusionen bewilligen, wenn „gesamtwirtschaftliche Vorteile“ des Zusammenschlusses die Wettbewerbsbeschränkung aufwiegen oder ein „überragendes Interesse der Allgemeinheit“ den Zusammenschluss rechtfertigt. Aus den Erfahrungen mit diesem Instrument lassen sich Implikationen für selektive Eingriffe in das Marktgeschehen zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen ableiten. Ein Beispiel ist die Sicherung von Arbeitsplätzen, im Einklang mit SDG 8 „Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum“. Mit dieser Begründung sollte 2016 eine Unternehmensfusion per Ministererlaubnis genehmigt werden. Diese wurde jedoch gerichtlich kritisiert, mit der Argumentation, dass der Frage nicht nachgegangen worden sei, ob diese Fusion zu einem Abbau von Arbeitsplätzen in anderen Teilen des Unternehmens oder sogar in anderen Unternehmen führen würde. Das Nachhaltigkeitsziel ist Vollbeschäftigung und nicht die Beschäftigung in einem Unternehmen.

Selektive Eingriffe – Gesamtwirtschaft berücksichtigen

Die Interaktion einer einzelnen Entscheidung mit den dahinterliegenden Märkten spielte auch eine wichtige Rolle in einem Fall, den die niederländische Wettbewerbsbehörde (ACM) zu entscheiden hatte. Vorgelegt wurde eine geplante Vereinbarung der Betreiber von Kohlekraftwerken zum gemeinsamen Kohleausstieg. ACM untersagte die Kooperation, weil die positive Auswirkung der vorgeschlagenen Vereinbarung der Kohlekraftwerksbetreiber gering sei, da die Abschaltung der Kohlekraftwerke keinen Nettoeffekt auf den Ausstoß von CO2 habe. Der Grund dafür ist der europäische Emissionshandel. Wenn die Niederländer:innen weniger Emissionszertifikate benötigen, werden an anderer Stelle in Europa mehr Zertifikate verbraucht. Der Nachteil der Kooperation, weniger Wettbewerb auf dem niederländischen Energiemarkt, hätte aber sehr wohl einen Effekt, wahrscheinlich höhere Preise für die Verbraucher:innen. Die ACM hat also SDG 13 „Maßnahmen zum Klimaschutz“ als Reduktion von CO2-Emissionen in Europa interpretiert. Allerdings haben die Niederländer:innen – wie die Deutschen – auch nationale Einsparziele. Und der Kohleausstieg trägt zu den nationalen Einsparzielen in den Niederlanden bei. Insofern stellt sich die Frage, ob die europäischen oder die niederländischen Emissionen das „korrekte“ Nachhaltigkeitsziel darstellen. Oder sollten es nicht eigentlich die weltweiten Emissionen sein? So können Maßnahmen zur CO2-Reduktion in Europa durch Leakage-Effekte, also Verlagerungen der Emissionen ins Ausland, konterkariert werden.

Wie hätte ACM etwa entscheiden sollen, wenn statt der Betreiber von Kohlekraftwerken die Tankstellenbetreiber beabsichtigt hätten, einen Großteil ihrer Tankstellen koordiniert umzubauen mit Reduktion von Zapfsäulen und Aufbau von Stromladepunkten? Durch die geringere Zahl an Zapfsäulen würde der Wettbewerbsdruck ceteris paribus verringert, und die Tankstellenbetreiber könnten Benzin und Diesel zu höheren Preisen verkaufen. Dies würde zu geringeren Käufen von Kraftstoffen führen und damit zu einer Verringerung der CO2-Emissionen. Da Emissionen aus Benzin und Diesel nicht Teil des europäischen Emissionshandels sind, würde dies tatsächlich zu einer Reduzierung der CO2-Emissionen in Europa führen. Würde dadurch das Kartell gerechtfertigt?

Die Berücksichtigung von Ausweichreaktionen und allgemeinen Gleichgewichtseffekten geht über die Klimapolitik hinaus. Dem Tierschutz ist nicht geholfen, wenn sich die Fleischproduktion ins Ausland verlagert. Ein Lieferkettengesetz, das zu einem Rückzug global tätiger Unternehmen aus einzelnen Ländern führt, kann das Problem der Kinderarbeit verschärfen, wenn betroffene Familien in diesen Ländern auf die Einnahmequellen angewiesen sind (Bierbrauer, 2022).

Auch wegen der meist vagen und gleichzeitig umfassenden Definition der Nachhaltigkeitsziele ist die Sorge nicht unbegründet, dass Entscheidungstragende unter dem Deckmantel der Nachhaltigkeit andere Ziele verfolgen. Ein Grenz­ausgleichssystem, das Importe einer CO2-Bepreisung unterwirft, kann auch zu protektionistischen Zwecken genutzt werden (Wissenschaftlicher Beirat, 2021). Der Aufbau von Important Projects of Common European Interest (IPCEI), die eine staatliche Förderung von Unternehmen unter gelockerten Beihilfebedingungen ermöglichen, kann der Forschungsförderung in Sektoren mit Schlüsseltechnologien für die Energiewende dienen, aber auch industriepolitisch als Baustein zum Aufbau vermeintlicher europäischer Champions eingesetzt werden.

Die in diesem Zeitgespräch diskutierten Bereiche der Wettbewerbs- und Geldpolitik stellen insofern Besonderheiten dar, weil mit der Zentralbank und der Wettbewerbsbehörde weitgehend unabhängige Institutionen dafür zuständig sind. In der Geldpolitik erfolgt dies aufgrund des Problems der Zeitinkonsistenz politischer Entscheidungen, in der Wettbewerbspolitik, um Rechtssicherheit sicherzustellen. Es muss darauf geachtet werden, dass durch die Verfolgung von Nachhaltigkeitszielen die Unabhängigkeit dieser Institutionen nicht gefährdet wird und die ursprüngliche Motivation für deren Unabhängigkeit nicht ausgehebelt wird. Ein zu enges Beharren auf dem jeweiligen Mandat könnte aber auch dazu führen, dass gerade deshalb die politischen Entscheidungstragenden die Institution hinterfragen.

Fazit: Verfahrenskompetenz aufbauen

Die EU hat den Vereinbarungen von Paris, die Erderwärmung auf deutlich unter 2 °C, möglichst 1,5 °C, zu begrenzen, zugestimmt. Als europäischen Beitrag hat der Europäische Rat beschlossen, das EU-Klimaschutzziel 2030 von 40 % Reduktion der CO2-Emissionen gegenüber 1990 auf mindestens 55 % zu erhöhen. Im Rahmen des European Green Deal werden derzeit Maßnahmen erörtert, um dieses Ziel und darüber hinaus Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen. Dazu sollen Nachhaltigkeitsziele vermehrt in die Gesetzgebung Einzug halten, und nachstehende Behörden ermächtigt werden, diese umzusetzen. Damit sind Probleme verbunden: (1) Die Ziele sind oft unklar definiert und erlauben einen weiten Interpretationsraum. Sie sind anfällig für eine Schwächung der Rechtssicherheit sowie die Verfolgung weiterer politischer Ziele unter dem Deckmantel der Nachhaltigkeit. (2) Kosten-Nutzen Vergleiche von Maßnahmen zur Erreichung der Klimaziele sind nicht trivial: Gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen müssen in der Analyse der Wirkungen der Maßnahmen berücksichtigt werden; die Ermittlung von Wohlfahrtsgewinnen ist nicht Standard und wirft neue Fragen in den Wirtschaftswissenschaften auf.

Diese Probleme könnten durch folgende Maßnahmen gemindert werden: (1) Wenn die Erreichung von Nachhaltigkeitszielen auf nachgeordnete Behörden oder Unternehmen übertragen wird, sollten diese Ziele konkret und rechtssicher definiert werden. (2) Um der Komplexität der Abwägungsfragen gerecht zu werden, sollte eine eigenständige Abteilung in der jeweiligen Behörde für diese Aufgabe aufgebaut werden.

Literatur

Aghion, P., R. Bénabou, R. Martin und A. Roulet (2020), Environmental preferences and technological choices: is market competition clean or dirty?, w26921, National Bureau of Economic Research.

Bierbrauer, F. (2022), Nachhaltigkeitsziele und das Lieferkettengesetz, Wirtschaftsdienst, (102) 5.

Bundeskartellamt (2022), https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Meldung/DE/Pressemitteilungen/2022/18_01_2022_Nachhaltigkeit.html (28. April 2022).

Gollier, C. und J. K. Hammitt (2014), The Long-Run Discount Rate Controversy, The Annual Review of Resource Economics, 6, Oktober, 273–295.

Hellwig, M. (2006), Effizienz oder Wettbewerbsfreiheit? Zur normativen Grundlegung der Wettbewerbspolitik, in C. Engel and W. Möschel (Hrsg.), Recht und spontane Ordnung. Festschrift für Ernst-Joachim Mestmäcker zum 80. Geburtstag, Nomos-Verlag, 231-268.

Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klima (2021), Ein CO2-Grenzausgleich als Baustein eines Klimaclubs.

Title:Sustainability Goals in Economic Policy – Economic Considerations

Abstract:Through the canon of the UN SDGs or the European Green Deal, sustainability goals are finding their way into legislation. From an economic point of view, these targets often aim to reduce negative external effects, which is in many cases in line with the economic goal of maximising welfare. The determination of welfare gains in this context is not trivial and raises new questions in economics. Because they are often not clearly defined, the anchoring of sustainability goals in legislation may weaken legal certainty and lead to an abusive pursuit of other goals under their guise. This should be prevented by formulating the goals as concretely and legally securely as possible and by building up competence in the authorities entrusted with their implementation.

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© Der/die Autor:in 2022

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DOI: 10.1007/s10273-022-3183-7