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Mit europäischen Ambitionen lassen sich in Frankreich immer noch Wahlen gewinnen: Auch in seinem zweiten Wahlkampf hat sich Emmanuel Macron als überzeugter Europäer positioniert und in der Stichwahl deutlich gegen die rechtsradikale Marine Le Pen durchgesetzt. Im ersten Halbjahr 2022, und damit auch während der Präsidentschaftswahl, hielt Frankreich den Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft. Obwohl diese durch Russlands Angriff auf die Ukraine stark krisengetrieben und auf unmittelbare politische Antworten wie Sanktionspakete fokussiert war, versuchte Macron, große Fragen der europäischen Architektur und Zusammenarbeit auf die Agenda der 27 EU-Mitgliedstaaten zu setzen. Trotz dieser Ambitionen, die angesichts der geopolitischen Lage und wachsenden Herausforderungen für die EU noch an Bedeutung gewinnen, sind in Macrons zweiter Amtszeit von 2022 bis 2027 die Chancen auf eine zukunftsgewandte und führungsstarke französische Europapolitik geringer als in den fünf Jahren zuvor.

Aus der Präsidentschaftswahl ging Macron innenpolitisch gestärkt hervor, hatte er doch gegenüber Le Pen mit knapp 59 % besser abgeschnitten als erwartet. Doch wenige Wochen später erlebte er in der zweiten Runde der Parlamentswahl am 19. Juni eine Niederlage: Seine Partei verlor die Mehrheit in der Assemblée Nationale und muss nun von Fall zu Fall Unterstützung von Abgeordneten anderer Parteien finden, um Vorhaben durchzubringen. Macrons Regierung wird daher in dieser Amtszeit deutlich mehr Zeit mit einem stärker polarisierten Parlament verbringen, zumal sie von einer Premierministerin geführt wird, die von der Opposition bereits unmittelbar nach der Wahl infrage gestellt wurde. Selbst wenn die Europapolitik in Frankreich viel weniger als in Deutschland vom Parlament beeinflusst wird, muss Macron im Inneren um Unterstützung ringen. Die europapolitische Debatte in Frankreich hat sich bereits in den vergangenen Jahren sehr verändert. Nicht nur Marine Le Pen, auch der Anführer des Linksbündnisses Jean-Luc Mélenchon vertritt äußerst EU- und Deutschland-kritische Positionen und wird weiter polarisieren und Macron und seine Regierung unter Druck setzen – und dies eben auch in Fragen der Europa-, Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, in denen die Verfassung dem Präsidenten an sich großen Gestaltungsspielraum gibt.

In Budgetfragen wird das französische Parlament maßgebliche Entscheidungen mit direkten europapolitischen Konsequenzen fällen, etwa ob und wann Frankreich den Stabilitäts- und Wachstumspakt wieder einhalten wird. Konflikte könnte es daher in den kommenden Jahren zwischen Berlin und Paris geben, deren Einigungs- und Mobilisierungskraft in einer EU in der Zeitenwende überaus wichtig ist, über Gestaltungsspielräume nationaler Haushaltspolitik und über die Frage, über welche Finanzinstrumente eine nach innen und außen handlungsfähige EU verfügen sollte, um im Krisenmanagement und in langfristigen Transformationsthemen wirksam gestalten zu können.

Macrons erstes Mandat war von einem doppelten Versprechen geprägt: Einerseits war er mit ambitionierten Reformvorhaben für Frankreich angetreten. Es bestand nicht nur die Hoffnung, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft gesteigert werden würde und die Sozialkassen durch eine Rentenreform saniert werden würden. Berlin ging auch davon aus, dass sich aufgrund der inneren Reformagenda eine schrittweise Annäherung zwischen Berlin und Paris in drängenden europäischen Fragen ergeben könnte – etwa zur Weiterentwicklung der Eurozone oder zur Zukunft des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Diese Erwartung hat sich durch die Bilanz Macrons erster Amtszeit, in der er wichtige Reformvorhaben nicht durchbringen und stattdessen mit wochenlangen gewaltsamen Protesten zu tun hatte, und nun auch durch sein Abschneiden bei den Parlamentswahlen, verändert. Die politische Autorität Macrons hat gelitten, besonders in Frankreich, aber auch in der EU. Es wird spannend zu beobachten, wie sich die anderen EU-Staats- und Regierungschefs ihm gegenüber verhalten, und inwiefern Paris mobilisieren kann. Die ersten Signale sind nicht ermutigend: Macrons Rede vom 9. Mai 2022 zur zukünftigen Gestalt der EU, für die er eine Europäische Politische Gemeinschaft vorschlug, wurde von vielen Hauptstädten mit Ablehnung quittiert. Auf dem letzten EU-Gipfel unter französischer Ratspräsidentschaft im Juni 2022 gab es denn auch keine Verständigung über den Umgang mit großen Fragen der zukünftigen europäischen Zusammenarbeit.

Macron ist zweifellos eine der europäischen Führungspersönlichkeiten, die die klarsten Vorstellungen der strategischen Herausforderungen und der notwendigen Reformen der EU haben. Immer wieder hat er mit seinen Positionen und Initiativen zur EU und auch zur NATO vorgedacht und aufgerüttelt. Als erfolgreicher Brückenbauer hat er sich nicht hervorgetan. Doch in seiner zweiten Amtszeit wird es genau darauf ankommen – im Inneren Frankreichs und innerhalb der Europäischen Union.

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© Der/die Autor:in 2021

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DOI: 10.1007/s10273-022-3237-x