Die Bundesregierung wollte mit einer Energiesteuersenkung für Kraftstoffe Verbraucher:innen von den steigenden Kraftstoffpreisen entlasten. Für einen Zeitraum von drei Monaten wurde die steuerliche Belastung auf Benzin zum 1. Juni von bislang 65,45 c/l um 29,55 c/l auf 35,9 c/l gesenkt. Beim Diesel fiel die Belastung von 47,04 c/l um 14,04 c/l auf 33 c/l. Inklusive Mehrwertsteuer liegen die theoretisch möglichen Preissenkungen also bei 35,16 c/l für Benzin und bei 16,7 c/l für Diesel (vgl. Tabelle 1). Vergleicht man die unmittelbar auftretenden Preisveränderungen an den jeweiligen Tankstellen vom 31. Mai auf den 1. oder 2. Juni 2022, so scheinen die gewünschten Wirkungen einzutreten. Deutschlandweit sind die Preise für E10 von durchschnittlich 2,154 Euro/l um 28,4 c/l auf 1,870 Euro/l bzw. von 2,05 Euro/l um 12,5 c/l auf 1,925 Euro/l für Diesel gesunken (vgl. Abbildung 1). Je nach Datenanbieter können diese Zahlen leicht abweichen.
Tabelle 1
Preisbestandteile E10 und Diesel
Preisbestandteile | Benzin | Diesel |
---|---|---|
Energiesteuer | 65,45 c/l | 47,04 c/l |
Reduzierte Steuersätze (1.6. bis 31.8.2022) | 35,9 c/l | 33 c/l |
CO2-Preis | 7,20 c/l | 8,03/c/l |
Erdölbevorratungsabgabe | 0,27 c/l | 0,30 c/l |
Mehrwertsteuer | 19 % vom Nettoverkaufspreis | |
Theoretische Preisentlastung (netto) | 29,55 c/l | 14,04 c/l |
Theoretische Preisentlastung (brutto) | 35,16 c/l | 16,71/c/l |
Quelle: BMF.
In der Folge sind die Kraftstoffpreise jedoch wieder deutlich gestiegen, sodass sich viele Kund:innen enttäuscht zeigen. Ob und in welchem Umfang diese Maßnahmen tatsächlich zu einer Entlastung der Verbraucher:innen führen würden, war von vornherein umstritten. Seither ist eine kontroverse Diskussion darüber entbrannt, ob und in welcher Höhe die Mineralölkonzerne die Steuersenkung an ihre Kundschaft weitergeben. Die Analysen fallen sehr unterschiedlich aus. Während das ifo Institut und zuletzt auch das Statistische Bundesamt die Auffassung vertreten, dass ein wesentlicher Teil der Entlastung an die Verbraucher:innen weitergegeben wird, vertritt unter anderem der ADAC eine gänzlich andere Meinung. Tatsächlich ist die Frage nach der Weitergabe der Entlastung nicht einfach zu beantworten.
Abbildung 1
Preisentwicklung E10 und Diesel
Quelle: MTS-K, eigene Berechnungen.
Zwar müssen die Tankstellenbetreibenden Preisänderungen bei den gängigen Kraftstoffsorten wie Super E10 und Diesel „in Echtzeit“ an die beim Bundeskartellamt angesiedelte Markttransparenzstelle für Kraftstoffe melden, jedoch erlauben die Daten keine detaillierte Analyse der preisbeeinflussenden Faktoren. Denn neben den steuerlichen Faktoren spielen die Beschaffungskosten für die in Europa gängige Sorte Brent auf den Rohölmärkten sowie der US-Dollarkurs eine Rolle. Dabei sind in Europa die Entwicklungen auf den Kassa-Märkten in Rotterdam sowie auf den Terminmärkten (Brent Futures) an der Intercontinental Exchange (ICE) relevant. Hinzu kommen die Kosten für die Raffination (Weiterverarbeitung zu fertigen Mineralölprodukten) und die Distribution der Kraftstoffe zu den Tankstellen. Dabei schwanken vor allem die Raffineriemargen aufgrund der hohen Fixkosten petrochemischer Anlagen sehr stark.
In den vergangenen Jahren wurden aufgrund des absehbaren Endes der Nutzung fossiler Energieträger weltweit Raffineriekapazitäten abgebaut. Seit Ausbruch des Ukrainekriegs zeigen sich bei einigen Raffinerien Engpässe, während bei anderen eine profitable Auslastung aufgrund der Abhängigkeit von russischem Öl nicht mehr darstellbar scheint (Raffinerie Schwedt). Wie stark die Brutto-Raffineriemargen gestiegen sind, verdeutlicht die Entwicklung der Brutto-Marge einer standardisierten HC (Hydrocracker-Raffinerie). Diese betrug im April ca. 191,5 Euro/t, während sie im Januar noch bei 42 Euro/t lag (vgl. Abbildung 2).
Abbildung 2
HC (Hydrocracker) Brutto-Raffineriemargen (Euro/t)
Quelle: MTS-K, eigene Berechnungen.
Ähnlich verhält es sich bei der Entwicklung des international üblichen 3-2-1-Crack Spreads. Dieser spiegelt wider, wie viel eine Raffinerie typischerweise durch die Verarbeitung von drei Barrel Rohöl in 2 Barrel Benzin und ein Barrel Diesel verdient. Dieser Spread hat sich bei US-amerikanischen Raffinerien von einem Wert von um die 20 US-$/Barrel im Januar auf mehr als 50 US-$/Barrel im Juni mehr als verdoppelt.
Dabei spielt auch eine Rolle, dass sich das Gros der derzeit knappen Raffineriekapazitäten in den Händen der großen Mineralölkonzerne befindet, die häufig von der Exploration über die Raffination und Distribution die gesamte Wertschöpfungskette kontrollieren. Damit bestimmen sie zu einem großen Teil auch die Preise der sogenannten freien Tankstellen, die überwiegend ihre Kraftstoffe von den Raffinerien der Multis beziehen müssen. Um herauszufinden, ob und in welchem Umfang die Mineralölkonzerne die Steuerentlastung dazu verwendet haben, ihre eigenen Gewinnmargen zu verbessern, wurde analysiert, wie sich die Gross Margin (Bruttomarge) für Diesel und E10 kurz vor dem 1.6. bis zum 30.6. entwickelt hat.
Die Gross Margin errechnet sich als Differenz zwischen den durchschnittlichen Verkaufspreisen für den jeweiligen Kraftstoff und der Summe der Beschaffungskosten für Rohöl, Steuern und der CO2- und Erdölbevorratungsabgabe. Anders gesagt beinhaltet diese die Brutto-Raffineriemarge sowie die Marge für die Distribution zum Endverbrauchenden. Wenn diese Marge seit dem 1.6.2022 in etwa unverändert bliebe, dann hieße dies, dass die Mineralölkonzerne die Steuersenkung weitestgehend an die Verbrauchenden weitergegeben haben und zwar auch dann, wenn die Endverbraucherpreise nicht im rechnerisch erwartbaren Umfang gesunken sind. Dies könnte beispielsweise an anderweitigen Kostensteigerungen liegen, die dann an die Kund:innen weitergegeben worden wären.
Bei E10 haben sich die Durchschnittspreise seit dem 31.5.2022 zuerst auf 1,87 Euro/l reduziert, sind aber bis zum 13.6.2022 wieder auf durchschnittlich 1,95 Euro/l gestiegen. Per 30.6.2022 liegt der Preis für E10 wieder bei ca. 1,87 Euro/l. Von den theoretisch möglichen Preissenkungen von 29,55 c/l (ohne MwSt.) bzw. 35 c/l inklusive MwSt. haben die Mineralölkonzerne bei E10 zunächst ca. durchschnittlich 28,4 c/l brutto bzw. 23,9 c/l netto weitergegeben. Dies entspricht etwa einer Quote von 81 % (brutto) bzw. 84 % (netto). Gleichzeitig haben sich die Bruttomargen der Mineralölkonzerne um anfänglich ca. 4 c/l kurz verbessert (vgl. Abbildung 3). Im Laufe des Juni stieg die Verbesserung der Bruttomarge gegenüber Ende Mai auf bis zu 10 c/l. Davon entfielen etwa 3 c/l auf verbesserte Beschaffungskonditionen auf den Spot-Märkten für Rohöl. Nicht berücksichtigt sind steigende variable Kosten der Raffinerie- und Distributionsprozesse, die die Mineralölwirtschaft ebenfalls treffen. Zum Ende des Monats Juni waren diese Margenverbesserungen rückläufig und lagen nur noch bei durchschnittlich ca. 3 c/l. Derzeit sieht es also so aus, dass bei E10 der Anteil der an die Endkundschaft weitergegebenen Steuersenkungen sukzessive abgenommen hat und sich seit Ende des Monats wieder erhöht.
Abbildung 3
Entwicklung Gross Margin E10 und Diesel
Quelle: MTS-K, eigene Berechnungen.
Beim Diesel ergibt sich ein etwas anderes Bild. Zwar haben sich die Durchschnittspreise beim Diesel seit dem 31.5. von 2,05 Euro/l zuerst auf 1,925 Euro/l reduziert, sind aber bis zum 13.6.2022 wieder auf durchschnittlich 2,04 Euro/l gestiegen. Per 30.6.2022 lag der Preis für Diesel wieder bei ca. 2,01 Euro/l. Von den theoretisch möglichen Preissenkungen von 14,04 c/l (ohne MwSt.) bzw. 16,7 c/l (inklusive MwSt.) haben die Mineralölkonzerne bei Diesel zunächst ca. 12,5 c/l brutto bzw. 10,05 c/l netto weitergegeben. Dies entspricht etwa einer Quote von ca. 75 % brutto bzw. 72 % netto. Gleichzeitig hat sich die Bruttomarge der Mineralölkonzerne beim Diesel um anfänglich ca. 4 c/l bis Ende Juni um bis zu 13 c/l verbessert (vgl. Abbildung 3). Somit hat sich der Effekt beim Endverbrauchenden bei Diesel nach ca. vier Wochen in Luft aufgelöst.
Als Zwischenfazit kann man festhalten, dass zu Beginn der Steuerentlastung durchaus ein wesentlicher Teil der Steuerentlastung an die Endkundschaft weitergegeben wurde, sich aber in der Folge schrittweise die Margen der Mineralölkonzerne erheblich verbessert haben. Vor allem beim Diesel ist dies deutlich zu sehen. Es ist zu vermuten, dass hauptsächlich steigende Raffineriemargen hinter der Verbesserung der Bruttomargen stehen. Davon profitieren die integrierten Mineralölkonzerne. Insbesondere der zuletzt leicht rückläufige Trend bei E10 und Diesel könnte ein Hinweis auf ein deutlich preissensitiveres Verhalten bei den Verbraucher:innen sein, zumal zahlreiche Apps einen raschen Preisvergleich zwischen den Tankstellen der näheren Umgebung ermöglichen.
Die der Analyse zugrunde liegende Durchschnittspreisbetrachtung ergibt jedoch aufgrund der zeitlich und regional stark schwankenden Preise kein vollständiges Bild. Allein die täglichen Preisschwankungen können beim E10 bis zu 10 c/l und beim Diesel bis zu 16 c/l betragen. Hinzu kommen erhebliche lokale Unterschiede, die an bestimmten Tagen bis zu 20 c/l zwischen dem teuersten und günstigsten Standort in Deutschland ausmachen können. Daher bedarf es einer detaillierten Datenbasis, um die Ursachen für die jeweiligen Preisschwankungen herauszufiltern.
Bekanntlich werden die Preise an den lokalen Tankstellen nicht vom Pächter festgelegt, sondern zentral von den Konzernen aufgrund von beobachteten Marktdaten festgelegt. Eine Absprache ist natürlich untersagt, aber die lokalen Preissignale erlauben eine sehr schnelle Reaktion auf Preisänderungen der Konkurrenz. Wenn man also genau feststellen möchte, ob und in welchem Umfang und von wem die Steuererleichterungen an die Kund:innen weitergegeben werden, bleibt nur ein Weg: Das Bundeskartellamt muss sich die Algorithmen der Preisbildungsprozesse von allen großen Anbietern offenlegen lassen und zwar auf Ebene der ca. 14.000 Tankstellen in Deutschland. Sonst bleibt man bei der oberflächlichen Durchschnittsbetrachtung stehen.
Literatur
ADAC (2022), Tankrabatt kommt nicht komplett an, Pressemitteilung, 8. Juni.
ifo Institut (2022), Ölkonzerne geben Tankrabatt zu 85 bis 100 Prozent weiter, Pressemitteilung, 14. Juni.
Statistisches Bundesamt (2022), Benzin und Diesel in den meisten Nachbarstaaten Deutschlands aktuell teurer, Pressemitteilung, 27. Juni.