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Dieser Beitrag ist Teil von Die Hyperinflation in Deutschland 1923

Heutige Opfer der damaligen politischen Propaganda sind diejenigen, die nur 1923 als Hyperinflationsjahr ins Auge fassen. Die Reichsregierung und andere Politiker machten der deutschen Bevölkerung weis, die am 11. Januar 1923 begonnene Ruhrgebietsbesetzung durch französische und belgische Truppen habe die Hyperinflation 1923 ausgelöst. Dieser Beitrag befasst sich mit der Inflationsentwicklung seit Beginn des Ersten Weltkriegs. Ohne die Praxis der deutschen Kriegsfinanzierung in Verbindung mit der Kriegsniederlage Deutschlands ist die Entwicklung zur deutschen Hyperinflation nicht zu verstehen.1

Der Begriff Inflation bedeutet eigentlich „Aufblähung“ der Geldmenge. Würden wir dementsprechend Inflation mit der Entwicklung der Geldmenge messen, so würden wir nur einen Trend nach oben sehen, mit einer deutlichen Beschleunigung der Entwicklung ab Juli 1922. Gemessen an der Preis- und Wechselkursentwicklung sieht das Bild ganz anders aus (vgl. Abbildung 1 und 2). Wir sehen Phasen schleichender, trabender und galoppierender Inflation sowie in den Jahren 1922 und 1923 auch hyperinflationäre Zeitabschnitte. Deutlich zu erkennen sind aber auch Phasen von Rückgängen des Wechselkurses und der Preise oder eines stabilen Preistrends, besonders in den Monaten von März 1920 bis Mai 1921 (vgl. Abbildung 1).

Die monetaristische Geldtheorie behauptet, dass ein enger Zusammenhang zwischen Geldmengenwachstum und Preisentwicklung bestehe. Die Verläufe der Kurven in Abbildung 1 und 2 widerlegen aber die Behauptung der Monetaristen. Die jeweiligen Wendepunkte der praktisch übereinstimmend laufenden Entwicklungen der Preise und des Wechselkurses der Mark müssen auf andere Ursachen zurückzuführen sein als auf die „Aufblähung“ der Geldmenge.

Abbildung 1
Geldmenge, US-Dollarwechselkurs der Mark und Großhandelspreise, Januar 1914 bis Juni 1922
Indizes: 1913 = 1
Geldmenge, US-Dollarwechselkurs der Mark und Großhandelspreise, Januar 1914 bis Juni 1922

Quelle: Statistisches Reichsamt (1925), Zahlen zur Geldentwertung in Deutschland 1914 bis 1923, 6, 16, 17.

Abbildung 2
Geldmenge, US-Dollarwechselkurs der Mark und Großhandelspreise, Juli 1922 bis Oktober 1923
Indizes: 1913 = 1
Geldmenge, US-Dollarwechselkurs der Mark und Großhandelspreise, Juli 1922 bis Oktober 1923

Quelle: Statistisches Reichsamt (1925), Zahlen zur Geldentwertung in Deutschland 1914 bis 1923, 6, 16, 17.

Phasen der Inflation

Während des Ersten Weltkriegs von August 1914 bis November 1918 stieg die Zentralbankgeldmenge, auch Geldbasis genannt, um das 10,8-Fache an. Demgegenüber stiegen die Großhandelspreise nur um das 2,4-Fache. Der Markwechselkurs gegenüber dem US-Dollar erhöhte sich gar nur um das 1,8-Fache. Dass das Geldmengenwachstum so wenig Einfluss auf die anderen genannten Entwicklungen hatte sowie selbst Großhandelspreis- und Wechselkursentwicklung nicht in gleichem Tempo anzogen, hat vor allem mit den Bewirtschaftungsmaßnahmen zu tun, die im Krieg praktiziert wurden. Es wurden Höchstpreisverordnungen erlassen, der Goldstandard wenige Tage nach Kriegsbeginn verlassen und schließlich auch die Deviseneinnahmen und -ausgaben zentral verwaltet. Und der gesamte Außenhandel wurde behördlich kontrolliert und gesteuert. Marktgleichgewichte zwischen den verschiedenen monetären Größen konnten sich deshalb nicht herausbilden. Auf fast allen Märkten gab es große Knappheitsprobleme, die von den Preisdeckelungen und Bewirtschaftungsmaßnahmen verursacht wurden, wie stets, wenn solche Eingriffe in den Markt erfolgen.2 Einkommensbezieher konnten ihr Geld wegen der Angebotsknappheit nicht ausgeben mit der Folge ungewollt höherer Kassenhaltung und eines überproportionalen Anstiegs der Spareinlagen.

So war ein großer monetärer Mantel entstanden, in den die auch durch Gebietsabtretungen geschwächte deutsche Wirtschaft hineinwachsen konnte, als nach dem Weltkriegsende die Bewirtschaftungsmaßnahmen zurückgefahren wurden. Gleichzeitig hatte der Weimarer Staat riesige Aufgaben zu schultern und zu finanzieren: die Demobilisierung von Millionen deutscher Soldaten, erste Reparationsabgaben in Geld und Sachwerten, z. B. Ablieferung der Kriegs- und Handelsflotte, von Lokomotiven und Waggons der Reichbahn sowie der deutschen Unternehmen und Bergwerke in Elsass-Lothringen etc. Den jeweiligen Gegenwert zahlte die Reichsregierung als Entschädigung an die Enteigneten. Dazu kamen drastisch gestiegene Sozialausgaben, zu denen auch der Reichshaushalt beitrug, wenn die Ausgaben von den untergeordneten Gebietskörperschaften geleistet wurden.

Diese Ausgaben des Reiches traten in ihrer Größenordnung quasi an die Stelle der zuvor geleisteten Kriegsausgaben. Letztere waren komplett über Staatsverschuldung finanziert worden. Durch Steuererhöhungen hatte das Reich nur die Zinszahlungen auf seine explodierenden Schulden gedeckt. Die geschilderten Änderungen auf der Ausgabenseite des Reichshaushalts, ohne dass dessen starkes Anwachsen sowohl während als auch nach dem Krieg aufgehalten werden konnte, bedeutete, dass die Reichshaushaltspraxis des Krieges fortgeführt werden musste. Der Weimarer Staat blieb, ebenso wie das Kaiserreich während des Krieges, auf die Inanspruchnahme der Notenpresse der Reichsbank angewiesen. Daraus resultierte das weitere Geldmengenwachstum, das in Abbildung 1 zu erkennen ist. In dem geschilderten Umfeld stiegen die Großhandelspreise vom Ende des Weltkriegs bis zum Sommer 1919 stärker als in den Kriegsjahren.

Aber dann lässt Abbildung 1 im Sommer 1919 einen Wendepunkt zu einer extrem höheren Preissteigerungsrate erkennen. Der Auslöser dafür ist in der bisherigen Literatur kaum bekannt. Erst bei Archivforschungen zur Geschichte des Wirtschaftsministeriums in Deutschland ist Holtfrerich (2016) auf den Auslöser dieses Wendepunkts gestoßen. Vom Februar bis Juli 1919 war Rudolf Wissell (SPD) der erste Wirtschaftsminister der Weimarer Republik im Kabinett von Philipp Scheidemann und seit Juni 1919 im Kabinett Gustav Bauer gewesen. In dieser Eigenschaft war er für eine gemeinwirtschaftliche Ordnung eingetreten, d. h. eine planmäßig betriebene und gesellschaftlich kontrollierte Volkswirtschaft. Nach dem Scheitern seiner Pläne in einer Kabinettssitzung am 8. Juli 1919 trat er am 12. Juli zurück. Sein Nachfolger Robert Schmidt, zuvor als Ernährungsminister Wissells Kabinettskollege und Kontrahent, trat sein neues Amt am 14. Juli 1919 an.3 Schmidt, wie Wissell Mitglied der SPD, verfolgte mit Unterstützung seiner Kabinettskollegen eine stärker markt- als planwirtschaftliche Politik. Zunächst lockerte er die strengen staatlichen Export- und Importkontrollen aus der Kriegszeit, die Wissell beibehalten wollte. Schmidts Ziel war, den Märkten Spielräume für produktivitätssteigernde Dispositionen zu verschaffen. Seine zentrale Liberalisierungsentscheidung war folgende: Am 11. September 1919 wurde die Zentralisierung des Devisenhandels bei der Reichsbank, die während des Krieges eingeführt worden war, außer Kraft gesetzt.4

Als Folge dieser Freigabe des Markwechselkurses trat bis Februar 1920 eine dramatische Abwertung der Mark ein. Diese war von Schmidt und in Kreisen der Wirtschaft aber durchaus erwünscht, förderte sie doch die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Angesichts einer Fülle protektionistischer Schranken, vonseiten der Reparationsgläubiger auch direkt gegen deutsche Exporte gerichtet, war dies die einzige Möglichkeit, der deutschen Wirtschaft im Krieg verlorenes Terrain auf dem Weltmarkt wiederzubeschaffen. Schmidt wusste, dass eine Beschleunigung der ohnehin im Gang befindlichen Inflation der inländische Preis dafür gut sein würde. Denn sie würde die Kapitalflucht aus Deutschland erst einmal erleichtern. Aber die Liberalisierungsschritte im Außenhandel und die Markabwertung würden Deutschland auf längere Sicht für ausländische Kapitalanlagen, sei es in Form von Finanzanlagen oder Unternehmenskäufe/-beteiligungen, wieder attraktiv machen. Ein solcher Kapitalzustrom nach Deutschland würde Devisen für Nahrungsmittel- und Rohstoffimporte verfügbar machen und schließlich auch den Wechselkurs der Mark und so die Preisentwicklung in Deutschland stabilisieren.

Tatsächlich setzte ab März 1920 bis Juni/Juli 1920 eine drastische Umkehr der Wechselkursentwicklung ein. Der Preisindex für den US-Dollarkurs fiel von seinem Maximum 23,6 (1913 = 1) im Februar 1920 auf 9,4. In dieser Phase klagten deutsche Unternehmen über die dadurch bedingte Verschlechterung ihrer internationalen Wettbewerbsposition. Mit einem Monat Verzögerung folgte die Preisentwicklung dem neuen Trend der Wechselkursentwicklung. Die Großhandelspreise fielen von einem Höchststand im März 1920 17,1 (1913 = 1) auf 13,7 im Juli 1920. Die Ursache für diesen Wendepunkt: Deutschlands Kapitalbilanz hatte sich gedreht. Von einem Kapitalfluchtland wurde die deutsche Volkswirtschaft zu einem Nettoimporteur von Kapital. Mehrere innenpolitische und außenwirtschaftliche Ursachen sind für diesen Ausdruck von Vertrauen in die Zukunft von Deutschlands Wirtschaft und Währung genannt worden. Innenpolitisch vor allem der Zusammenbruch des rechtsextremistischen Kapp-Putsches vom 13. bis 17. März als Folge eines Generalstreiks in Deutschland mit 12 Mio. Beteiligten und der Abschluss der grundlegenden Steuerreform von Matthias Erzberger, der von Juni 1919 bis März 1920 Reichsfinanzminister war (Brunnermeier et al, 2022, 12).

Außenwirtschaftlich war vor allem die Aufstockung der Devisenvorräte, welche die Reichsbank durch den Verkauf von Wertpapieren ins Ausland erreichte, bedeutsam. Vom Januar bis zum Mai 1920 stiegen die Devisenreserven von 17 Mio. US-$ auf $ 256 Mio. US-$. Damit half die Reichsbank auch deutschen Unternehmen, ihre während des Krieges in ausländischer Währung aufgenommenen Kredite zurückzuzahlen. Und sie griff mit diesen Reserven zur Stabilisierung der Mark in den Devisenmarkt ein. Speziell im März 1920 stimmten die Alliierten der Schließung des Lochs im Westen zu. Damit gewann die Regierung die handelspolitische Kontrolle über alle deutschen Außengrenzen zurück, auch über diejenigen der besetzten Gebiete im Westen des Reichs. Wichtiger als alle genannten außenwirtschaftlichen Ursachen der Stabilisierung der Mark in dieser Periode, so Feldman (1982, 183-186), war jedoch der einsetzende große Zufluss an ausländischem Kapital nach Deutschland, teils langfristig in Auslandswährung denominiert, aber großenteils als kurzfristig spekulative Käufe von Banknoten oder Bankeinlagen in Mark in Erwartung von Währungsgewinnen. Der Ausbruch der Großen Depression im Ausland im Sommer 1920 verstärkte die Kapitalströme nach Deutschland, wo das Wirtschaftswachstum aufgrund der anhaltend expansiven Geldpolitik zugunsten der Staatsfinanzierung weiterging und im Unterschied zu der stark steigenden Arbeitslosigkeit im Ausland weiterhin Vollbeschäftigung herrschte.

Die genannten innenpolitischen Ursachen spielten aber kaum eine Rolle. Z. B. folgte dem Kapp-Putsch ein linksextremistischer Aufstand der Arbeiter des Ruhrgebiets, ebenfalls mit dem Ziel, die Reichsregierung zu entmachten und die Diktatur des Proletariats in Deutschland einzuführen. Dieser Putschversuch konnte mithilfe der Reichswehr erst im April 1920 gestoppt werden, nachdem der Markwechselkurs schon im März einen Aufwärtstrend eingeschlagen hatte. Und Erzberger hatte schon seit seinem Amtsantritt im Juni 1919 in vielen Einzelschritten seine Steuerreform auf den Weg gebracht, ohne dass dies die dramatische Mark­abwertung in der zweiten Jahreshälfte 1919 aufgehalten hätte. Die Musik der Entwicklung des Geldwerts der Mark spielte so gut wie ausschließlich im außenwirtschaftlichen Bereich. Die deutsche Kapitalbilanz spielte die Hauptrolle quasi als Zentralbank für die Steuerung des Geldwerts der Mark. Die Reichsbank griff mit An- und Verkäufen von Devisen nur ein, um Ausschlägen des Markwechselkurses in die eine oder andere Richtung entgegenzuwirken. So hat sie vermutlich nach dem Aufwertungstrend der Mark von März bis Juni/Juli 1920 US-Dollar gekauft, um die Mark gegenüber dem US-Dollar wieder auf einen Indexwert von rund 15 abzuwerten und damit den Klagen der deutschen Außenwirtschaft über den Verlust an Wettbewerbsfähigkeit Rechnung zu tragen. In einem engen Band um diesen Indexwert 15 bewegte sich der Markwechselkurs bis einschließlich Mai 1921. Beim Großhandelspreisindex herrschte von April 1920 bis Juni 1921 praktisch Preisstabilität.

Im Juni 1921 schlägt der Markwechselkurs und wieder mit einmonatiger Verzögerung der Großhandelspreisindex einen neuen Entwertungstrend ein, ohne dass in der Entwicklung der Geldmenge eine Veränderung festzustellen ist (vgl. Abbildung 1). Was also ist hier die Ursache? Der am 28. Juni 1919 unterzeichnete Versailler Vertrag hatte die endgültige Summe der von Deutschland zu zahlenden Reparationen offenn gelassen. Diese wurde erst am 30. April 1921 von den Siegermächten ohne Verhandlungen mit der Reichsregierung im Londoner Zahlungsplan auf 132 Mrd. Goldmark festgelegt mit einer jährlichen Annuität für Zins und Tilgung von zunächst 3 Mrd. Goldmark. Am 5. Mai 1921 überreichte der britische Premierminister David Lloyd George dem deutschen Botschafter in London ein auf sechs Tage befristetes Ultimatum für die Annahme des Plans. Ansonsten würde das Ruhrgebiet besetzt. Trotz der Gewissheit seiner Unerfüllbarkeit nahmen die neu gebildete Reichsregierung unter Kanzler Joseph Wirth und der Reichstag am 11. Mai bedingungslos den Zahlungsplan an. Diese Belastung für den Reichshaushalt und die Volkswirtschaft insgesamt löste Kapitalflucht aus Deutschland aus. Besonders bei Inländern und inländischen Unternehmen änderten sich die Erwartungen. Sie verloren ihr Vertrauen in die Stabilität der Mark, was zu dem neuen Entwertungstrend beim Wechselkurs und den Preisen führte (Holtfrerich, 1980b, 3-19). Die Ermordung Matthias Erzbergers am 26. August 1921, der bei den rechtsextremistischen Tätern seit seiner Mitunterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens am 11. November 1918 und seinem Eintreten für die Unterzeichnung des Versailler Vertrags verhasst war, trug als Indiz für innenpolitische Instabilität zur Verstärkung dieses Trends bei.

Im Juli 1922 verwandelt sich die galoppierende Inflation schließlich in die Hyperinflation. Diese ist definiert als Preissteigerung von mindestens 50 % pro Monat (Cagan, 1956, 25-117). Was hat diesen Wendepunkt verursacht? Am 10. Juni 1922 legte der Bankier-Ausschuss unter dem Vorsitz von Jay P. Morgan seinen Abschlussbericht vor. Er war von der Reparationskommission in Paris eingesetzt worden, um die Möglichkeit langfristiger ausländischer Anleihen an Deutschland zu prüfen. Damit sollten Deutschland Devisen verschafft werden, mit denen es seine Reparationsschulden hätte bedienen und gleichzeitig seine Währung hätte stabilisieren können.

Als Vorbedingung einer Empfehlung, vor allem bei amerikanischen Kapitalgebern, verlangte der Ausschuss eine Reduzierung der Reparationsforderungen aus dem Londoner Zahlungsplan. Besonders der Hardliner Raymond Poincaré, der im Januar 1922 den konzilianteren französischen Ministerpräsidenten Aristide Briand abgelöst hatte, verweigerte eine Minderung der Reparationsforderungen. Das „Morgan Committee“ lehnte daraufhin eine Empfehlung für Kapitalanlagen in Deutschland ab. Damit war – besonders für die Professionellen im Devisengeschäft – die Erwartung eines Wiederanstiegs des Markwechselkurses ins Gegenteil gekippt. Reichsbankpräsident Rudolf Havenstein hielt dies im Nachhinein für die wichtigste Ursache des Beginns der Hyperinflation. Im Juni/Juli 1922 hatte die Reichsbank noch versucht, mit Devisenmarktinterventionen den dramatischen Absturz des Markwechselkurses zu verhindern. Vergeblich! Auch die Ermordung des im Ausland hoch angesehenen Reichsaußenministers Walther Rathenau am 22. Juni 1922 durch rechtsextremistische Täter – wie im Vorjahr die Ermordung von Erzberger – schürte zusätzlich Angst um die politische Stabilität in Deutschland und trug zum Umkippen der bis zum „Jay P. Morgan“-Bericht noch optimistischen in danach durchgehend pessimistische Erwartungen für die Entwicklung des Markwechselkurses bei.

Die Besetzung des Ruhrgebiets durch französische und belgische Truppen seit dem 11. Januar 1923 war also nicht der Ausgangspunkt der Hyperinflation, im Gegenteil. Die Reichsbank opferte einen erheblichen Teil ihrer Gold- und Devisenreserven, um den Markwechselkurs und den Preisauftrieb nach der Ruhrbesetzung zu stabilisieren. Im Februar 1923 hatte die Hyperinflation mit 6.650 (Indexwert 1913 = 1) einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Die Stabilisierungsaktion der Reichsbank schaffte es davon herunterzukommen, im März 1923 auf 5.048 und April auf 5.826. Entsprechend blieben die Großhandelspreise hinter ihrem Indexwert vom Februar 1923 zurück. Jedoch setzte im Mai die Hyperinflation wieder mit voller Wucht ein, nachdem die Reichsbank ihre Interventionspolitik auf dem Devisenmarkt mangels Masse nicht mehr fortführen wollte.

Wirkungen der Großen Inflation auf Wirtschaftsaktivitäten und Verteilung

In der ersten Großen Depression der Zwischenkriegsjahre 1920 bis 1921 kam es im Ausland zu Wachstumseinbrüchen und hoher Arbeitslosigkeit. Das blieb der deutschen Volkswirtschaft erspart. Hierzulande herrschte Vollbeschäftigung und ein kräftiges Wirtschaftswachstum, bis nach der Ruhrbesetzung 1923 die gute Konjunktur zusammenbrach. Brunnermeier et al. (2022) haben aus ihrer Untersuchung der deutschen Nachkriegsinflation für die Boomjahre 1919 bis 1922 eine neue Theorie entwickelt, die „debt-inflation theory of economic booms“ als Gegenstück zu der von Irving Fisher (1933, 337-357) veröffentlichten „debt-deflation theory of Great Depressions“. Sie haben eine sehr große Zahl von Bilanzdaten deutscher Unternehmen zusammengetragen und z. B. durch Bildung von Kategorien mehr oder weniger verschuldeter Unternehmen mit mehr oder weniger Belastungen aus dem Schuldendienst die Erkenntnis gewonnen, dass die relativ höher verschuldeten Unternehmen die größten Entlastungen für Zins und Tilgung erfahren haben. Dementsprechend waren sie es auch, die am stärksten ihre Investitionen und ihre Beschäftigtenzahl erhöhten und so das Wirtschaftswachstum ankurbelten.

Dank des Stinnes-Legien-Abkommens konnten die Gewerkschaften relativ schnelle Anpassungen der unteren und mittleren Löhne an die Inflationsentwicklung durchsetzen.5 Das traf aber nicht für die höheren Arbeitnehmereinkommen, wie die der Facharbeiter und die Gehälter der Beamten und Angestellten, zu. Bei den Arbeitseinkommen fand also eine Nivellierung statt.

Innerhalb der Kategorie der Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen wirkten Inflation und Hyperinflation am stärksten auf die Einkommensverteilung. Die Halter von Geldvermögen in Mark verloren alles, die Rentiers damit auch ihre Existenzgrundlage. Sie waren deshalb gezwungen, ein Arbeitsverhältnis einzugehen oder Teile ihrer meist luxuriösen mietpreisgebundenen Wohnungen mietpreisfrei als möblierte Zimmer zu vermieten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Weil die Verteilung des Geldvermögens noch ungleicher war als die Verteilung des Gesamtvermögens, war nach dem Ende der Hyperinflation nicht nur die Vermögens-, sondern auch die Einkommensverteilung gleichmäßiger als vor dem Krieg. Im Vergleich der Anteile am Volkseinkommen 1925 mit 1913 war der Anteil des Einkommens aus Unternehmertätigkeit in etwa gleichgeblieben. Das Arbeitseinkommen hatte seinen Anteil am Volkseinkommen um 11 Prozentpunkte erhöht. Der Anteil der Einkommen aus Geldvermögen war von 12,5 % auf 2,0 % geschrumpft.

Die Große Inflation entfaltete zudem auch enorme internationale Verteilungswirkungen. Diese ergaben sich da­raus, dass Ausländer vom März 1919 bis zum Wendepunkt zur Hyperinflation in der Jahresmitte 1922 Geld und Kapital in Mark angelegt hatten, in Erwartung eines Währungsgewinns, wenn der stark gefallene oder auch in Stabilitätsphasen niedrige Wechselkurs der Mark sich wieder erholen würde. Ihre optimistischen Erwartungen wurden enttäuscht, vergleichbar mit dem, was Anlegern z. B. am Aktienmarkt auch heute oft passiert.

Der Gesamtgewinn der deutschen Volkswirtschaft aus der Entwertung von Markengagements von Ausländern, d. h. von Geld- und Kapitalexporteuren nach Deutschland von 1919 bis 1922, belief sich auf mindestens 15 Mrd. Goldmark. Demgegenüber transferierte die Reichregierung von 1919 bis 1923 nur 2,6 Mrd. Goldmark in bar an die Reparationsgläubiger. Einschließlich der Sachleistungen verbuchte die Reparationskommission bis zum 31. August 1924 in 30 Positionen Gutschriften aus deutschen Reparationsleistungen von 8,1 Mrd. Goldmark. Die deutsche Seite berechnete für die Summe derselben Positionen allerdings 51,7 Mrd. Goldmark. Beide Seiten stimmten nur bei „Barzahlungen auf Grund des Londoner Zahlungsplans“ überein. Ansonsten lag die deutsche Seite mit ihren Wertansätzen für Sachleistungen durchgehend weit über denen der Reparationskommission. Welche der beiden Wertansätze auch immer näher an der Wahrheit gelegen haben, es ist eine Tatsache, dass mindestens 15 Mrd. Goldmark deutscher Kapitalimporte, die durch die Große Inflation bis hin zur Hyperinflation in unentgeltliche Transferleistungen verwandelt wurden, einen wesentlichen Beitrag zur Finanzierung nicht nur des Lebensstandards, der Unternehmensinvestitionen und damit der guten Konjunktur in Deutschland von 1919 bis 1922 geleistet haben, sondern auch zur Finanzierung der Reparationen beigetragen haben.

Schlussfolgerung

In der Geschichte der Geldtheorie ist die Frage nach der Kausalität zwischen Preis-, Wechselkurs- und Geldmengenentwicklung schon früher gestellt worden, am deutlichsten von Ladislaus von Bortkiewicz, in Ansätzen zuvor auch schon von Knut Wicksell, Joseph A. Schumpeter und anderen. Bortkiewicz (1924) vertrat die Meinung, dass in einem Inflationsprozess die Preis- den Geldmengensteigerungen vorauseilen. Die Ursache der Preissteigerungen sei nicht die Erhöhung der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes, sondern in einer offenen Volkswirtschaft die Wechselkursentwicklung als Schrittmacher der Preise. Dies führe zu einer Geldknappheit, die ihrerseits die Umlaufgeschwindigkeit steigere. Zur Beendigung von Inflationen habe sich ebenfalls die Stabilisierung des Wechselkurses als die entscheidende Größe erwiesen. So sei die Ankoppelung der Rentenmark an den US-Dollar zu 4,20 zu 1 Mitte November 1923 der entscheidende Faktor für die Wiedergewinnung von Vertrauen in die deutsche Währung gewesen (Merkin, 1982, 25-48). Die Abbildungen 1 und 2 bestätigen, dass nicht die Geldmengenentwicklung, sondern der Wechselkurs, bei Wendepunkten mit jeweils einem Monat Vorlauf, das Tempo der Geldentwertung bestimmte.

  • 1 Alle nicht anderweitig belegten Informationen in diesem Artikel stammen aus Holtfrerich (1980a).
  • 2 Die heutige Wohnungsnot in Deutschland ist ein aktuelles Beispiel dafür. Statt Objektförderung im Sozialen Wohnungsbau mit gedeckelten Mieten zu praktizieren, wäre es unter vielen Gesichtspunkten für den Sozialstaat und Wohnungssuchende vorteilhafter, bedürftigen Haushalten mit individueller Subjektförderung über Wohngeld die Anmietung von Wohnraum zu Marktmieten zu ermöglichen. Die Wirtschaft der alten Bundesrepublik hat sich auch deswegen besser entwickelt als diejenige in der DDR, weil soziale Grundsicherung nicht über gedeckelte Preise, sondern bei unangetasteten, im funktionsfähigen Wettbewerb gebildeten Preisen über Subjektförderung bedürftiger Haushalte erfolgte.
  • 3 Für mehr Details zu diesem politischen Vorgang siehe Feldman (1993, 141-143, 153-155, 165-175).
  • 4 Zu dieser Maßnahme und den Motiven siehe Holtfrerich (2016, 347-349).
  • 5 Siehe hierzu auch Schmidt-Essen (1918/2018).

Literatur

Bortkiewicz, L. v. (1924), Die Ursachen einer potenzierten Wirkung des vermehrten Geldumlaufs auf das Preisniveau, Verein für Sozialpolitik: Schriften, 170, 256-274.

Brunnermeier, M. et al. (2022), The Debt-Inflation Channel of the German Hyperinflation, 21. Dezember, 12, https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=4303537 (15. Januar 2023).

Cagan, P. M. (1956), The Monetary Dynamics of Hyperinflation, in M. Friedman (Hrsg.), Studies in the Quantity Theory of Money, University of Chicago Press, 25-117.

Feldman, G. D. (1993), The Great Disorder. Politics, Economics, and Society in the German Inflation, 1914-1924, Oxford UP, 141-143, 153-155, 165-175.

Feldman, G. D. (1982), The Political Economy of Germany’s Relative Stabilization During the 1920/21 World Depression, in G. D. Feldman et al. (1982), Die deutsche Inflation. Eine Zwischenbilanz, Walter de Gruyter, 183-186.

Fisher, I. (1933), The Debt-Deflation Theory of Great Depressions, Econometrica, Bd. 1, (4) (Okt. 1933), 337-357.

Holtfrerich, C.-L. (2016), Aus dem Alltag des Reichswirtschaftsministeriums während der Großen Inflation 1919-1923/24, in C.-L. Holtfrerich (Hrsg.), Das Reichswirtschaftsministerium der Weimarer Republik und seine Vorläufer. Strukturen, Akteure, Handlungsfelder, Walter de Gruyter, 224-360.

Holtfrerich, C.-L. (1980a), Die deutsche Inflation 1914-1923. Ursachen und Folgen in internationaler Perspektive, Walter de Gruyter.

Holtfrerich, C.-L. (1980b), Erwartungen des In- und Auslands und die Geldnachfrage während der Inflation in Deutschland 1920-1923, Bankhistorisches Archiv, 6, 3-19.

Merkin, G. (1982), Towards a Theory of the German Inflation. Some Preliminary Observations, in G. D. Feldman et al. (1982), Die deutsche Inflation. Eine Zwischenbilanz, Walter de Gruyter, 25-48.

Schmidt-Essen, A. (1918/2018), Ein Beitrag von Alfred Schmidt-Essen zum „Stinnes-Legien-Abkommen“ zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften vom 15. November 1918, Zeitgespräch: Tarifpartnerschaft – ein altes, aber gefährdetes Bündnis? Wirtschaftsdienst, 98(2018), 783-785, https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2018/heft/11/beitrag/tarifpartnerschaft-ein-altes-aber-gefaehrdetes-buendnis.html (7. Februar 2023).

Title:The Great Inflation in Germany 1914 to 1923

Abstract:The article treats the history of Germany’s Great Inflation from 1914 to 1923. It focusses on explaining the turning points of wholesale price trends. It demonstrates that these were mostly triggered by national and international political decisions immediately impacting the mark exchange rate. Price developments usually fell in line the following month. Money supply growth followed a steady trend upward, even in periods when the mark exchange rate remained stable or even appreciated. The author comes to the conclusion that the exchange rate, not money supply, was the pacemaker for price developments. This even holds for the turning point from galloping inflation to hyperinflation in June/July 1922.

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© Der/die Autor:in 2023

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DOI: 10.2478/wd-2023-0027