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Wer einen erwerbsbedingten Abgang aus dem Bezug von Arbeitslosengeld II schafft und was andere daran hindert, eine bedarfsdeckende Erwerbstätigkeit aufzunehmen, ist eine wesentliche Frage für Praxis und Forschung. Anhand der Daten des Panels Arbeitsmarkt und soziale Sicherung (PASS) lässt sich die Bedeutung individueller Arbeitsmarkthemmnisse für diesen Prozess erkennen. Insbesondere ein Alter ab 51 Jahren, Langzeitleistungsbezug, schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen, fehlende Berufsabschlüsse und schlechte Deutschkenntnisse verschlechtern die Abgangschancen. Für Frauen im Arbeitslosengeld-II-Bezug verringern zudem Kinder im Haushalt die Chancen einer Erwerbsaufnahme.

Die Forschung zur Grundsicherung für Arbeitsuchende und die Zeitreihen der Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) zeigen, dass eine Integration in bedarfsdeckende Arbeit1 bei einem Großteil der Leistungsbeziehenden nicht zeitnah (Bruckmeier et al., 2020) und nicht immer nachhaltig (Lietzmann und Hohmeyer, 2022) gelingt. Im März 2022 wurden beinahe zwei Drittel der erwerbsfähigen Beziehenden von Grundsicherung für Arbeitsuchende in der BA-Statistik als Langzeitleistungsbezieher ausgewiesen (Statistik der Bundesagentur für Arbeit, 2022a) – d. h., sie waren innerhalb der vergangenen 24 Monate mindestens 21 Monate hilfebedürftig.

Welche Faktoren dabei die Wahrscheinlichkeit erwerbsbedingter Abgänge aus dem Bezug von Arbeitslosengeld II (kurz: ALG-II-Bezug) beeinflussen, haben Achatz und Trappmann (2011) sowie Beste und Trappmann (2016) auf Basis der Befragungsdaten des Panels „Arbeitsmarkt und soziale Sicherung“ (PASS) untersucht. Demnach stellten fehlende Berufsabschlüsse, geringe Deutschkenntnisse, ein höheres Lebensalter, gesundheitliche Einschränkungen, Langzeitleistungsbezug und die Betreuung von Kindern (allerdings nur für Frauen) Hemmnisse dar, die jedes für sich genommen die Chancen beim Abgang aus dem ALG-II-Bezug in die Erwerbstätigkeit deutlich reduzieren. Zudem weist ein Großteil der ALG-II-Beziehenden multiple Hemmnisse auf: Laut Beste und Trappmann (2016) waren es bei 78 % zwei oder mehr, immerhin bei 46 % gar drei oder mehr. Liegen mindestens drei Hemmnisse vor, so sind die Chancen eines Übergangs in die Erwerbstätigkeit sehr gering. Diese Kombination aus häufigem Vorkommen multipler Hemmnisse mit sehr geringen Abgangschancen für Personen, die viele Hemmnisse auf sich vereinen, dient als Erklärung für die vergleichsweise geringe Dynamik im ALG II.

Dass die Aufnahme einer Beschäftigung nicht immer ausreichend ist, um den ALG-II-Bezug zu verlassen, zeigen auch Lietzmann und Hohmeyer (2022). Insbesondere die Beschäftigungsaufnahme in Sektoren, die von Kurzzeitverträgen und starker Saisonalität gekennzeichnet sind, behindern zum einen den zeitgleichen Abgang aus dem ALG II und erhöhen zum anderen das Risiko nach kurzer Dauer wieder in den Leistungsbezug zurückzufallen. Folglich spielen für das Verlassen des ALG-II-Bezugs neben den Hemmnissen bei der Erwerbsaufnahme auch die Tätigkeitsmerkmale der aufgenommenen Beschäftigung eine wichtige Rolle.

Datengrundlage und Methodik

Anknüpfend an die Arbeiten von Achatz und Trappmann (2011) sowie Beste und Trappmann (2016) wurden die Befunde auf Basis der Erhebungsjahre 2014 bis 2020 des Panels „Arbeitsmarkt und soziale Sicherung“ (PASS) des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) aktualisiert. Das PASS ist eine jährliche Haushaltsbefragung mit den Schwerpunktthemen Arbeitsmarkt, Armut und soziale Sicherung, wobei Haushalte mit ALG-II-Bezug überrepräsentiert sind. Dadurch sind vertiefende Analysen von ALG-II-Beziehenden möglich (Trappmann et al., 2019). Für die vorliegenden Auswertungen werden Daten aus der 8. bis 14. Welle verwendet, die in den Jahren 2014 bis 2020 erhoben wurden; dabei handelt es sich um selbstberichtete Angaben der Befragten. Für die hier vorgelegten Analysen konnten davon 8.013 Beobachtungen von Personen berücksichtigt werden, die in Welle 8 bis 13 maximal im Umfang einer geringfügigen Beschäftigung erwerbstätig waren, ALG-II-Leistungen bezogen haben, zwischen 15 und 64 Jahre alt, keine Schüler oder Auszubildende waren und Auskunft zu den verwendeten Fragen sowie ein erneutes Interview im Folgejahr gegeben haben. Eine schwerwiegende gesundheitliche Einschränkung liegt dann vor, wenn die Befragten angegeben haben, dass eine amtlich anerkannte Behinderung oder eine sonstige schwerwiegende gesundheitliche Einschränkung vorliegt.

Die Besonderheit eines erwerbsbedingten Abgangs aus dem ALG-II-Bezug liegt in der Zweistufigkeit des Prozesses: Erstens bedarf es einer Arbeitsaufnahme und zweitens muss mit der Arbeitsaufnahme ein ausreichendes Einkommen erzielt werden, um den ALG-II-Bezug verlassen zu können. Da ein Minijob allein nicht ausreichend sein kann, um die eigenen Bedarfe zu decken, fokussieren wir im ersten Schritt auf Aufnahmen sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Ferner werden nur diejenigen Personen, die in mindestens einem Jahr der gesamten Beobachtungsperiode ALG-II-Leistungen bezogen haben und nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren, berücksichtigt. Zur Ermittlung der Hemmnisse der erwerbsbedingten ALG-II-Abgänge wird ein bivariates Probit-Selektionsmodell angewandt (Van De Ven und Van Praag, 1981):

Formel 1

Formel 2

wobei gilt:

Formel 3

Formel 4

Die Selektionsgleichung in (2) misst, ob und inwiefern die individuellen Eigenschaften der Befragten (Xi)– gemessen im Basisjahr – sich auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit (ERWi) mindestens im Umfang einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung im Folgejahr auswirken. In der Ergebnisgleichung in (1) werden nur diejenigen Befragten berücksichtigt, die im Folgejahr eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen haben. Sie misst, ob und inwiefern sich nicht nur die individuellen Eigenschaften der Personen, sondern auch die Tätigkeitsmerkmale (ETi) der aufgenommenen Beschäftigung, auf die Abgangschancen aus dem ALG-II-Bezug (AUS i) auswirken. Die beiden Störterme (ϵi) und (υi) fassen schließlich diejenigen individuellen Merkmale zusammen, die im Rahmen der Befragung weder beobachtbar noch messbar sind. Da die beiden Größen (ERWi) und (AUS i) binär sind und davon auszugehen ist, dass nicht-beobachtbare individuelle Merkmale sowohl die Erwerbs- als auch die Abgangschancen beeinflussen können, wird ein bivariates Probit-Selektionsmodell geschätzt, das die Korrelation der Störterme erlaubt.

Die Parameter des Modells werden mithilfe des Maximum-Likelihood-Verfahrens geschätzt, wodurch gemeinsame, bedingte und marginale Wahrscheinlichkeiten des Schätzmodells ermittelt werden können. Diese Auswahl an verschiedenen Wahrscheinlichkeiten ermöglicht es den Einfluss der individuellen Charakteristika auf spezifische Aspekte des zweistufigen Prozesses genauer zu untersuchen. Um Aussagen darüber zu treffen, welche persönlichen Eigenschaften der Befragten die Chance einer Erwerbsaufnahme im Folgejahr verbessern oder verschlechtern, wird in Modell 1 die marginale Wahrscheinlichkeit einer Erwerbsaufnahme herangezogen (vgl. Tabelle 1). Die bedingte Wahrscheinlichkeit eines Abgangs aus dem ALG-II-Bezug in den Modellen 2 und 3 ist dann von Nutzen, wenn man an den Abgangschancen derjenigen interessiert ist, die eine Erwerbstätigkeit aufgenommen haben. Einflussfaktoren in diesem Kontext messen, ob das Verlassen des ALG-II-Bezugs trotz Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gehemmt wird. Modell 3 berücksichtigt dabei neben den in allen anderen Modellen verwendeten Merkmalen auch die Tätigkeitsmerkmale (ET) in der aufgenommenen Erwerbstätigkeit, um ihren Einfluss auf die Chance den ALG-II-Bezug im Folgejahr zu verlassen zu bemessen. Zu einer besseren Einordung und Bewertung aller Einflussfaktoren wird schließlich in Modell 4 die gemeinsame Wahrscheinlichkeit einer Erwerbsaufnahme und eines Abgangs aus dem ALG-II-Bezug herangezogen. In allen Modellen wird zur Messung des Einflusses einzelner Personen- bzw. Tätigkeitsmerkmale auf die untersuchten Wahrscheinlichkeiten durchschnittliche marginale Effekte der Einzelvariablen auf die jeweiligen Größen ermittelt.

Tabelle 1
Einfluss von individuellen Eigenschaften und Tätigkeitsmerkmalen auf Chancen der Erwerbsaufnahme und des ALG-II-Abgangs
Geschätzte marginale Effekte der Einflussfaktoren (Prozentpunkte in Dezimalnotation)
  Schätzmodelle
  Modell 1 Modell 2 Modell 3 Modell 4
Alter        
15 bis 29 Jahre 0,0247 0,0131 -0,0227 0,0196
30 bis 50 Jahre Referenzkategorie
51 bis 64 Jahre -0,0868*** -0,0488 -0,0291 -0,0641***
Geschlecht und Sprachkenntnisse        
Frau -0,0353*** -0,0962** 0,0297 -0,0345***
keine guten Sprachkenntnisse -0,0466*** 0,1080 0,1252* -0,0236*
Migrationshintergrund        
Kein direkter Migrationshintergrund Referenzkategorie
Migrant 1. Generation -0,0077 -0,0959* -0,0631 -0,0162*
Migrant 2. Generation 0,0158 -0,0002 -0,0121 0,0114
Schulabschluss        
kein Schulabschluss -0,0154 -0,1030 -0,0425 -0,0213*
Hauptschulabschluss -0,0055 -0,0824 -0,0695 -0,0130
Realschulabschluss Referenzkategorie
Hochschulreife 0,0240* 0,0099 -0,0026 0,0186
Ausbildung        
keine Berufsausbildung -0,0491*** 0,0429 0,0159 -0,0282***
Berufsausbildung Referenzkategorie
Hochschulabschluss -0,0201 0,0901* 0,0045 -0,0023
Familienstand        
Alleinstehend Referenzkategorie
Alleinerziehend 0,0242 -0,1020 -0,0916 0,0056
In Partnerschaft ohne Kind(er) -0,0088 -0,0351 0,0250 -0,0099
In Partnerschaft mit Kind 3 Jahre und älter -0,0099 -0,2114*** -0,1894*** -0,0307**
In Partnerschaft mit Kind unter 3 Jahre -0,0182 -0,0839 -0,0906 -0,0214*
Weitere Merkmale        
Langzeitleistungsbezug -0,0480*** -0,0717* -0,0257 -0,0424***
Gesundheitliche Einschränkungen -0,0619*** 0,0142 -0,0090 -0,0412***
Pflegetätigkeiten ab 10 Std./Woche -0,0096 0,0022 -0,0009 -0,0064
Neue Bundesländer 0,0130 0,0553 0,0432 0,0158*
Arbeitslosigkeit im Kreis -0,0027 0,0008 -0,0004 -0,0018
Dauer zwischen den Befragungen 0,0101*** 0,0023 0,0040 0,0072***
Beschäftigungsform        
Minijob im Basisjahr 0,0819*** -0,0843* -0,0221 0,0422***
Selbstständigkeit im Folgejahr     -0,2565**  
Arbeitsumfang der Beschäftigung im Folgejahr
11 bis 20 Std./Woche     -0,4295***  
21 bis 30 Std./Woche     -0,2598***  
31 bis 40 Std./Woche Referenzkategorie
mehr als 40 Std./Woche     -0,0031  
Anforderungsniveau der Tätigkeit im Folgejahr
Helfer- und Anlerntätigkeiten Referenzkategorie
fachlich ausgerichtete Tätigkeit     0,0392  
komplexe Spezialistentätigkeit     0,1237*  
hoch komplexe Tätigkeit     0,1700**  
Fallzahl 7.893 7.893 920 7.893

Die Basisjahre wurden in allen Schätzmodellen berücksichtigt, aber die marginalen Effekte nicht ausgewiesen. Signifikanzniveaus: p < 0,1, ** p < 0,05, *** p < 0,01.

Quelle: PASS, 2014 bis 2020 (8. bis 14. Welle), eigene Berechnung.

Empirische Ergebnisse

Das bivariate Probit-Selektionsmodell ermöglicht es, der Frage nachzugehen, ob die Hemmnisse, die einen erwerbsbedingten Abgang aus dem ALG II erschweren, sich eher auf die erste Stufe (Erwerbsaufnahme) oder auf die zweite Stufe (Verlassen des ALG-II-Bezugs) auswirken. Dabei bildet der Untersuchungszeitraum insbesondere Übergänge nach Einführung des gesetzlichen Mindestlohns ab. Nur in geringem Ausmaß sind in einem Teil der letzten verwendeten Welle von 2020 dagegen Übergänge seit dem ersten COVID-19-Lockdown enthalten. Der Beobachtungszeitraum ist damit fast durchweg durch eine sehr gute Arbeitsmarktlage mit geringer Arbeitslosigkeit gekennzeichnet. Von 6,7 % im Jahresdurchschnitt 2014 fiel die Arbeitslosenquote 2019 auf 5,0 %, um dann im ersten Jahr der Pandemie wieder auf 5,9 % anzusteigen (Statistik der Bundesagentur für Arbeit, 2022b).

Dennoch haben im Untersuchungszeitraum nur rund 11 % der erwerbsfähigen ALG-II-Beziehenden im Vergleich zum Vorjahr eine sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit aufgenommen. Von diesen Arbeitsaufnahmen erwiesen sich 64 % als bedarfsdeckend; in den übrigen Fällen wurde der ALG-II-Bezug während der Berufstätigkeit fortgeführt. In der Summe sind es somit pro Jahr 7 %, die durch eine Aufnahme sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung den Leistungsbezug verlassen. Dabei haben Männer deutlich bessere Aussichten als Frauen sowohl in Bezug auf die Erwerbsaufnahme (12 % vs. 9 %) als auch auf den ALG-II-Bezug im Fall einer Erwerbsaufnahme (74 % vs. 52 %).

Erwerbsaufnahmen aus dem ALG-II-Bezug

Welche Merkmale einer Person und ihres Haushalts beeinflussen die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit aus dem ALG-II-Bezug heraus? Modell 1 in Tabelle 1 gibt hierüber Aufschluss: Die aus der Vergangenheit bekannten Hemmnisse üben auch hier eine negative Wirkung aus. Ein Alter ab 51 Jahren senkt die Wahrscheinlichkeit einer Arbeitsaufnahme mit etwa 9 Prozentpunkten am stärksten, gefolgt von schwerwiegenden gesundheitlichen Einschränkungen mit 6 Prozentpunkten. Um jeweils etwa 5 Prozentpunkte senken eine fehlende Berufsausbildung, Langzeitleistungsbezug und schlechte Deutschkenntnisse die Übergangsaussichten. Keinen statistisch signifikanten Effekt finden wir für fehlende Schulabschlüsse oder Pflegetätigkeiten. Frauen haben unter Kontrolle der übrigen Merkmale eine um 3 Prozentpunkte verringerte Wahrscheinlichkeit der Arbeitsaufnahme. Diese Unterschiede werden genauer in Abbildung 1 (Teilabbildung a, links) beleuchtet. Während es zwischen Frauen und Männern ohne Kinder im Haushalt keine Unterschiede in der Wahrscheinlichkeit einer Arbeitsaufnahme gibt, ist sowohl für Frauen mit Kindern unter 3 Jahren als auch für Frauen mit Kindern ab 3 Jahren die Wahrscheinlichkeit einer Arbeitsaufnahme gegenüber Männern in derselben Situation um etwa 10 Prozentpunkte reduziert. Das gibt einen deutlichen Hinweis, dass weiterhin an tradierten Rollen festgehalten wird, sobald Kinder im Haushalt sind.

Abbildung 1
Einfluss des Geschlechts und Alters minderjähriger Kinder auf Erwerbsaufnahme und ALG-II-Abgang

(Prozentpunkte in Dezimalnotation)

Abbildung 1

Marginale Effekte mit 95-%-Konfidenzbändern beziehen sich auf die Wahrscheinlichkeit innerhalb eines Jahres eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen (linke Teilabbildung a) und auf die gemeinsame Wahrscheinlichkeit innerhalb eines Jahres sowohl eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen als auch den ALG-II-Bezug zu beenden (rechte Teilabbildung b).

Quelle: PASS, 2014 bis 2020 (8. bis 14. Welle), eigene Berechnung.

Erwerbsbedingte Abgänge aus dem ALG-II-Bezug

Etwas mehr als jede dritte Arbeitsaufnahme aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende heraus führt nicht zum Beenden des ALG-II-Bezugs. Das liegt einerseits daran, dass ein Teil der Arbeitsaufnahmen in Teilzeit erfolgt und Stundenlöhne häufig im Bereich des Mindestlohns liegen. Andererseits reicht in großen Haushalten mit Partner und Kind(ern) oft auch eine Vollzeittätigkeit zum Mindestlohn allein nicht aus, um den Bedarf des Haushalts zu decken.

So zeigen die Ergebnisse aus dem Modell 2 in Tabelle 1, dass bei sonst gleichen Merkmalen ein direkter Migrationshintergrund (10 Prozentpunkte) und der Langzeitleistungsbezug (7 Prozentpunkte) die Wahrscheinlichkeit, den Leistungsbezug nach einer aufgenommenen Erwerbstätigkeit zu verlassen, deutlich verringern. Der Effekt der beiden Merkmale fällt kleiner aus und wird statistisch insignifikant, sobald die erbrachte Arbeitszeit und die Art der Tätigkeit in Modell 3 Berücksichtigung finden, d. h. bei gleicher Tätigkeit und gleichem Arbeitsumfang wirken sich Migrationshintergrund und Langzeitarbeitslosigkeit nicht statistisch signifikant auf die Abgangswahrscheinlichkeit aus dem ALG-II-Bezug nach einer Arbeitsaufnahme aus. Demnach wirken die beiden Merkmale sich über die erreichten Arbeitsstunden und den erzielten Stundenlohn negativ auf die Einkommen der aufgenommenen Tätigkeiten aus.

Noch stärker schlägt der Effekt eines Paarhaushalts mit Kindern zu Buche. Im Vergleich mit einer alleinstehenden Person fällt für diesen Haushaltstyp die Abgangschancen aus dem ALG II bei Arbeitsaufnahme um beträchtliche 21 Prozentpunkte niedriger aus. Dieser Unterschied verändert sich auch nach Berücksichtigung der Tätigkeitseigenschaften und der erbrachten Arbeitszeit kaum (Modell 3), was die Vermutung nahelegt, dass dies vorrangig mit den hohen Bedarfen dieses Haushaltstyps in Zusammenhang stehen dürfte. Wenn wir zuletzt wieder einen Blick auf Geschlechterunterschiede werfen, so finden wir eine um 10 Prozentpunkte geringere Wahrscheinlichkeit für Frauen, dass eine Arbeitsaufnahme aus dem Leistungsbezug hinausführt. Dieser Effekt verschwindet jedoch gänzlich, sobald die jeweiligen Jobcharakteristika berücksichtigt werden und ist vor allem eine Folge davon, dass Frauen häufiger Teilzeittätigkeiten aufnehmen.

Hemmnisse erwerbsbedingter ALG-II-Abgänge

Nimmt man die beiden Stufen wieder zusammen (Modell 4) und betrachtet damit, wie stark die genannten Merkmale einen Abgang aus dem ALG II durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit beeinflussen, so bestätigt dies die Muster aus früheren Publikationen (Achatz und Trappmann, 2011; Beste und Trappmann, 2016). Ein Alter ab 51 Jahren hat einen stark negativen Effekt von 6 Prozentpunkten, Langzeitleistungsbezug und schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen verringern die Wahrscheinlichkeit um 4 Prozentpunkte, fehlende Berufsbildungsabschlüsse um 3 Prozentpunkte und schlechte Deutschkenntnisse und ein direkter Migrationshintergrund (mit dem erstere stets gemeinsam auftreten) um jeweils 2 Prozentpunkte. Da im Durchschnitt lediglich 7 % der ALG-II-Beziehenden im erwerbsfähigen Alter im Vergleich zum Vorjahr sowohl eine Erwerbstätigkeit aufnehmen als auch den Leistungsbezug verlassen, sind diese Effekte durchaus beträchtlich.

Keine Rolle für die Abgangschancen spielen Pflegetätigkeiten. Ein fehlender allgemeinbildender Schulabschluss weist zwar – bei gleichem Berufsabschluss – gegenüber dem Hauptschulabschluss keinen negativen Effekt auf, gegenüber Realschulabschluss und Hochschulreife jedoch schon. Bei sonst gleichen Merkmalen ist die Wahrscheinlichkeit innerhalb eines Jahres eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen und damit den Leistungsbezug zu beenden für Frauen um 3 Prozentpunkte reduziert. Abbildung 1 (Teilabbildung b) zeigt, dass dieser Effekt vor allem auf Unterschiede zwischen Frauen und Männern in Haushalten mit Kindern zurückzuführen sind. In kinderlosen Haushalten sind die ALG-II-Abgänge durch Arbeitsaufnahmen von Frauen und Männern fast gleich, befinden sich Kinder im Haushalt, ist die Wahrscheinlichkeit von Frauen, durch eine eigene Arbeitsaufnahme den Leistungsbezug zu verlassen, etwa 7 Prozentpunkte geringer als von Männern mit sonst gleichen Merkmalen. Kinder zu haben, stellt also weiterhin ausschließlich für Frauen ein Hemmnis bei der Aufnahme bedarfsdeckender Erwerbstätigkeit dar. Erneut keine wesentliche Rolle spielen Kontextmerkmale wie die regionale Arbeitslosenquote oder der Wohnort in den alten oder neuen Bundesländern. Es zeigt sich insgesamt bei gleicher Arbeitslosenquote sogar ein leicht positiver Effekt des Wohnorts in den neuen Bundesländern auf bedarfsdeckende Erwerbsaufnahmen von fast 2 Prozentpunkten, der auf die geringeren Lebenshaltungskosten zurückgehen könnte.

Häufigkeit und Kumulation von Hemmnissen

Für die Analyse der Situation der Leistungsberechtigten in der Grundsicherung für Arbeitsuchende spielt angesichts dieser Ergebnisse eine entscheidende Rolle, wie die Art und Zahl der Hemmnisse verteilt sind und wie sich die Abgangswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit von der Zahl der Hemmnisse verändert. Wir stellen diese Ergebnisse nach Geschlechtern getrennt vor.

Häufigstes Hemmnis ist der Langzeitleistungsbezug (74 % der Männer und der Frauen; siehe Abbildung 2). Bei den Männern folgen schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen (55 % bei Männern, 43 % bei Frauen), bei den Frauen dagegen ist das zweithäufigste Hemmnis, dass sich Kinder im Haushalt befinden (59 %). Dieses Hemmnis ist bei den Männern nicht aufgeführt, da es empirisch für sie nicht als Hemmnis wirkt. Weiterhin große zahlenmäßige Bedeutung haben fehlende Berufsabschlüsse (55 % bei Frauen, 48 % bei Männern) und ein höheres Alter (34 % der Männer, 25 % der Frauen). Keinen Schulabschluss haben 23 % der Frauen und 16 % der Männer, von schlechten Deutschkenntnissen in Kombination mit eigener Migration berichten 9 % der Frauen und 4 % der Männer.

Abbildung 2
Häufigkeit der Hemmnisse für die Aufnahme einer bedarfsdeckenden Erwerbstätigkeit

ALG-II-Beziehende nach Geschlecht (Anteile in %)

Abbildung 2

Quelle: PASS, 2014 bis 2020 (8. bis 14. Welle), eigene Berechnung.

Betrachtet man die Zahl der Hemmnisse pro Leistungsbeziehendem (vgl. Abbildung 3), so zeigt sich, dass nur 5 % der Männer und sogar nur 2 % der Frauen gar kein Hemmnis aufweisen. Ein Hemmnis allein tritt bei 16 % der Männer und 9 % der Frauen auf. Dies bedeute aber auch, dass 79 % der Männer und 89 % der Frauen multiple Arbeitsmarkthemmnisse aufweisen, wobei die Geschlechterunterschiede in der Häufigkeit der Hemmnisse eben auch daraus resultieren, dass Kinder im Haushalt nur für Frauen ein Hemmnis darstellen. Damit hat sich die Lage gegenüber früheren Publikationen noch einmal zugespitzt: In der guten Arbeitsmarktlage der Untersuchungsjahre sind also vor allem Personengruppen mit vielen Risikofaktoren im ALG-II-Bezug verblieben.

Abbildung 3
Verteilung der Hemmnisse für die Aufnahme einer bedarfsdeckenden Beschäftigung

ALG-II-Beziehende nach Geschlecht (Anteile in %)

Abbildung 3

Quelle: PASS, 2014 bis 2020 (8. bis 14. Welle), eigene Berechnung.

Abgangschancen nach Kumulation an Hemmnissen

In früheren Analysen hatte sich ein Muster gezeigt, nachdem sich die Abgangswahrscheinlichkeiten aus dem ALG-II-Bezug in Erwerbstätigkeit innerhalb eines Jahres mit jedem zusätzlichen Hemmnis etwa halbiert haben. Näherungsweise ist dies immer noch der Fall (vgl. Abbildung 4). Während mehr als ein Viertel (27 %) der Leistungsbeziehenden ohne Hemmnis innerhalb eines Jahres den Leistungsbezug verlässt und eine Arbeit aufnimmt, sinkt die relative Häufigkeit bei einem Hemmnis bereits auf 12 %. Bei zwei Hemmnissen sind es noch 10 %. Danach sinken die Abgangschancen dann massiv auf 3 %, 2 % und 1 % bei 3, 4 bzw. 5 Hemmnissen. In weiten Teilen kann man weiterhin eine Halbierung mit jedem zusätzlichen Hemmnis konstatieren. Lediglich der Wert für ALG-II-Beziehende mit zwei Hemmnissen liegt oberhalb einer gedachten Kurve, die ausgehend vom Wert für kein Hemmnis mit jedem Hemmnis die Erfolgsaussichten halbiert. Differenziert man auch diese Analyse nach Geschlechtern, so fällt insbesondere auf, dass Frauen ohne Hemmnis (40 %) erheblich bessere Abgangschancen haben als Männer ohne Hemmnis (23 %).

Abbildung 4
Übergangswahrscheinlichkeiten der ALG-II-Beziehenden in eine bedarfsdeckende Erwerbstätigkeit

Nach Gesamtzahl an Hemmnissen und Geschlecht (in %)

Abbildung 4

Quelle: PASS, 2014 bis 2020 (8. bis 14. Welle), eigene Berechnung.

Schlussfolgerungen

Es lässt sich festhalten, dass die Muster der Abgänge aus dem ALG-II-Bezug in bedarfsdeckende Erwerbstätigkeit im Zeitverlauf robust geblieben sind. Die relevanten Hemmnisse sind ebenso stabil geblieben wie deren hohe Verbreitung unter Leistungsberechtigten und die grobe Halbierung der Übergangsraten mit jedem zusätzlichen Hemmnis. So bleibt die Arbeit am Abbau von Hemmnissen eine wesentliche Aufgabe der Grundsicherungsträger. Die Reform der Grundsicherung für Arbeitsuchende und die Einführung des Bürgergelds ab Januar 2023 adressieren mit einigen der Reformelemente die hier diagnostizierten Hemmnisse.

So sollen im Rahmen des Bürgergelds die präventive Gesundheitsförderung gestärkt und Mütter kleiner Kinder und Frauen mit Migrations- und Fluchthintergrund besonders gefördert werden. Diese Maßnahmen adressieren Gruppen, die sich laut diesem Bericht besonders schwertun, Bedürftigkeit durch Erwerbsaufnahmen zu überwinden. Auch wird im Rahmen der Bürgergeldreform nun auch ein Coaching als Instrument bei Leistungsberechtigten der Grundsicherung für Arbeitssuchende eingesetzt, das als Element im Rahmen des sozialen Arbeitsmarkts eingeführt wurde, im Sinne einer ganzheitlichen Betreuung. Bisher liegen aus der Evaluation des Teilhabechancengesetzes Befunde vor, dass dieses von den Geförderten insgesamt positiv erlebt wird. Geförderte, die in der Zwischenzeit die Förderung bereits vorzeitig abgebrochen haben, hätten sich häufiger Betreuung insbesondere in arbeitsbezogenen Fragen und Problemlagen gewünscht (Coban et al., 2022). Es gibt jedoch noch keine Analysen, die Wirkungen auf Integrationsfortschritte belegen.

Welche Auswirkungen eine Abschaffung des Vermittlungsvorrangs zugunsten von Weiterbildung nachhaltiger Integrationen haben könnte, wurde für die Arbeitslosenversicherung bereits untersucht (Kruppe und Lang, 2015). Danach erscheint es plausibel, dass kurzfristig die Zahl der Integrationen sinkt, sich die Investitionen in Weiterbildung jedoch langfristig im Sinne höherer Integrationschancen auszahlen. Etwa die Hälfte der Leistungsberechtigten im erwerbsfähigen Alter verfügt derzeit nicht über einen beruflichen Abschluss. Dessen Fehlen senkt die Wahrscheinlichkeit einer Arbeitsaufnahme beträchtlich. Ähnlich ungewiss sind die Wirkung geänderter Zuverdienstregelungen. Einerseits könnten Anreize, überhaupt eine sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit aufzunehmen, insbesondere dann steigen, wenn Transferentzugsraten für Zuverdienste oberhalb von 520 Euro deutlich gesenkt würden. Anderseits bedeuten aber großzügigere Zuverdienstregelungen auch, dass der Verdienst, der notwendig ist, um den Bezug ganz zu verlassen, steigt (Bruckmeier et al., 2021). Damit könnten zwar Arbeitsaufnahmen begünstigt werden, die Wahrscheinlichkeit des Verlassens des Leistungsbezugs bei Arbeitsaufnahme aber sogar sinken.

Die geplante Einführung der Kindergrundsicherung könnte für etliche Bedarfsgemeinschaften mit Kindern zum Ende der Bedürftigkeit führen. Unsere Ergebnisse geben einen deutlichen Hinweis, dass es insbesondere in Paarbedarfsgemeinschaften mit Kindern erheblich seltener vorkommt, dass eine Erwerbsaufnahme zur Beendigung der Bedürftigkeit führt und zwar unabhängig von Stundenzahl und Tätigkeit. Eine von der Grundsicherung für Arbeitsuchende unabhängige Kindergrundsicherung trägt dazu bei, das zur Beendigung der Bedürftigkeit nötige Erwerbseinkommen erheblich zu reduzieren und somit den Anteil der Erwerbsaufnahmen, die zu einer Beendigung der Bedürftigkeit führen, deutlich zu erhöhen. Insbesondere, wenn man sich vor Augen führt, dass bisher nur etwa jede zweite Erwerbsaufnahme eines Leistungsbeziehenden in Haushalten mit Kind(ern) zu einem Abgang aus dem ALG-II-Bezug führt, ist das ein potenziell wichtiger Ansatzpunkt.

  • 1 Eine bedarfsdeckende Beschäftigung bzw. Erwerbstätigkeit bedeutet, dass die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit eines ALG-II-Beziehenden den ALG-II-Bezug beendet.

Literatur

Achatz, J. und M. Trappmann (2011), Arbeitsmarktvermittelte Abgänge aus der Grundsicherung. Der Einfluss von personen- und haushaltsgebundenen Arbeitsmarktbarrieren, IAB-Discussion Paper, 2.

Beste, J. und M. Trappmann (2016), Erwerbsbedingte Abgänge aus der Grundsicherung: Der Abbau von Hemmnissen macht‘s möglich, IAB-Kurzbericht, 21.

Bruckmeier, K., T. Lietzmann und A.-T. Saile (2020), Welfare dynamics and employment: Heterogeneous paths through means-tested basic income in Germany, Journal of Social Policy, 49(2), 271-297.

Bruckmeier, K., J. Mühlhan und J. Wiemers (2021), Reform der Hinzuverdienstmöglichkeiten für Grundsicherungsbeziehende und Wechselwirkungen mit vorrangigen Leistungen: Auswirkungen auf Arbeitsangebot und Empfängerzahlen, Zeitschrift für Sozialreform, 67(1), 29-58.

Coban, M., Z. Kasrin, C. Wenzig, J. Wolff und C. Zabel (2022), Beschäftigungsbegleitende Betreuung im Sozialen Arbeitsmarkt: Geförderte sind mehrheitlich zufrieden mit dem Coaching, IAB-Kurzbericht, 23.

Kruppe, T. und J. Lang (2015), Weiterbildungen mit Berufsabschluss: Arbeitslose profitieren von Qualifizierungen, IAB-Kurzbericht, 22.

Lietzmann, T. und K. Hohmeyer (2022), Back and forth? The role of labour market resources and segments for work-related exits from and returns to welfare benefit receipt in Germany, Zeitschrift für Sozialreform, 68(2), 180-210.

Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2022a), Zeitreihe Arbeitslosigkeit, https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Navigation/Statistiken/Interaktive-Statistiken/Zeitreihen/Lange-Zeitreihen-Nav.html (6. April 2022).

Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2022b), Tabellen, Langzeitleistungsbezieher, https://statistik.arbeitsagentur.de/Statistikdaten/Detail/202203/iiia7/lzb-lzb-strukturen/lzb-strukturen-dljc-0-202203-xls.xls?__blob=publicationFile&v=1 (15. Juli 2022).

Trappmann, M., S. Bähr, J. Beste, A. Eberl, C. Frodermann, S. Gundert, S. Schwarz, N. Teichler, S. Unger und C. Wenzig (2019), Data Resource Profile: Panel Study Labour Market and Social Security (PASS), International Journal of Epidemiology, 48(5), 1411-1411g.

Van de Ven, W. P. M. M. und B. M. S. Van Praag (1981), The demand for deductibles in private health insurance, Journal of Econometrics, 17(2), 229-252.

Title:Numerous Factors Reduce the Chances of Work-Related Exits from Welfare Benefit Receipt

Abstract:Who accomplishes a work-related exit from welfare benefit receipt for job-seekers and what prevents others from achieving it is a key question for practitioners and researchers. We use data from the Panel Study Labour Market and Social Security (PASS) to examine the relevance of individual labour market barriers in this context. In particular, an age of 51 years or older, long-term benefit receipt, severe health limitations, lack of vocational qualifications, and poor German language skills worsen the chances of leaving welfare benefit receipt. The presence of children in the household reduce the chances of taking up employment for women only.

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© Der/die Autor:in 2023

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DOI: 10.2478/wd-2023-0035