Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

Die Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose hat ihre Prognose für den Anstieg der Wirtschaftsleistung im laufenden Jahr auf 0,3 % angehoben. Im Herbst 2022 hatte sie noch mit einem Rückgang um 0,4 % gerechnet. Der konjunkturelle Rückschlag im Winterhalbjahr 2022/2023 ist glimpflicher ausgefallen als im Herbst befürchtet, weil die Energiepreise schneller wieder gesunken sind als erwartet. Dennoch wird die Inflationsrate nur langsam zurückgehen, von 6,9 % im vergangenen Jahr auf 6,0 % im Jahr 2023.

Im Frühjahr 2023 ist die Weltkonjunktur schwach. Vielerorts wird die Kaufkraft der privaten Haushalte durch hohe Inflation geschmälert und die gesamtwirtschaftliche Nachfrage durch steigende Zinsen gedämpft. Zwar verbessert die Öffnung der chinesischen Volkswirtschaft nach dem Ende der Pandemie die wirtschaftlichen Aussichten vor allem in Asien. Das dortige Verarbeitende Gewerbe bekommt aber das Auslaufen des Booms für IT-Güter und Halbleiter zu spüren. In Europa belasten zudem hohe Energiepreise die Haushalte und Unternehmen.

Für den Fortgang der Weltkonjunktur ist die Entwicklung der Inflation in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften wesentlich. Angesichts der in den meisten Volkswirtschaften niedrigen Arbeitslosigkeit und der in vielen Bereichen hohen Nachfrage nach Fachkräften haben die Löhne vielfach kräftig angezogen. Zudem werden die gestiegenen Kosten für Energie und Vorprodukte mehr und mehr an die Verbraucher weitergereicht. Im Einklang mit den Notierungen an den Terminmärkten wird unterstellt, dass der Erdgaspreis in Europa bis Ende 2024 in etwa auf dem gegenwärtigen, wieder deutlich niedrigeren Niveau liegen wird. Im Prognosezeitraum schlägt sich zwar der Rückgang der Energiepreise allmählich in wieder sinkenden Inflationsraten nieder, aber die Kerninflationsraten dürften vielerorts nur sehr langsam zurückgehen.

Durch die geldpolitische Straffung werden vor allem die Bauinvestitionen gebremst. Da die Inflation nur langsam zurückgeht und staatliche Transfers auslaufen, dürfte auch der private Konsum in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften zunächst schwach bleiben. Alles in allem rechnen die Institute mit einem Zuwachs der Weltproduktion von 2,0 % (2023) und 2,6 % (2024). In den Schwellenländern wird der Produktionsanstieg im Jahr 2023 vor allem durch die Konjunkturerholung in China und die hohe Dynamik in Indien gestützt. Im Prognosezeitraum dürften die Zuwachsraten 3,9 % (2023) bzw. 4,4 % (2024) betragen. Für die fortgeschrittenen Volkswirtschaften erwarten die Institute eine Ausweitung der Produktion um 0,9 % im laufenden sowie 1,5 % im kommenden Jahr. Für die EU beträgt die erwartete Zunahme des Bruttoinlandsprodukts (BIP) 0,8 % im Jahr 2023 sowie 1,7 % im Jahr 2024. Damit revidieren die Institute ihre Prognose vom Herbst 2022 für die Weltproduktion für 2023 um 0,2 Prozentpunkte nach oben und für 2024 um 0,5 Prozentpunkte nach unten. Die Inflation in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften dürfte mit 4,8 % im Jahr 2023 und 2,4 % im Jahr 2024 zwar sinken, sie bleibt aber deutlich höher als im langjährigen Durchschnitt, denn die Kerninflation wird sich wohl auch aufgrund der expansiven Geld- und Fiskalpolitik in den Vorjahren nicht rasch zurückbilden.

Schwaches Jahresende 2022 in Deutschland aber keine Rezession

Die deutsche Wirtschaft entfaltete 2022 keine große Dynamik. Am Ende des Jahres war mit dem Produktionsrückgang die Wirtschaftsleistung sogar wieder niedriger als vor Ausbruch der COVID-19-Pandemie. Anhaltende Lieferschwierigkeiten bei Vorprodukten, starke Turbulenzen mit extremen Preisspitzen an den Energiemärkten sowie ein Mangel an Arbeitskräften, unter anderem auch als Folge außergewöhnlich hoher Krankenstände, reduzierten die Produktionsmöglichkeiten und verhinderten einen kräftigeren Anstieg des BIP.

An Nachfrage mangelte es zunächst nicht. So waren im Verarbeitenden Gewerbe und der Bauwirtschaft die Auftragsbücher prall gefüllt und in den kontaktintensiven Konsumbereichen bestand ein enormes Aufholpotenzial nach den pandemiebedingten Einschränkungen. Hier haben die expansiven Impulse der Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahre nachgewirkt, die auch die Ersparnisse der privaten Haushalte während der Pandemiejahre anschwellen ließen. Im Verlauf des Jahres 2022 haben die deutlich gesunkenen Reallöhne die Konsummöglichkeiten vieler Haushalte trotz staatlicher Entlastungsmaßnahmen eingeschränkt, und die Zinswende führte zu einem Einbruch im Wohnungsbau. Trotzdem waren die verfügbaren Produktionskapazitäten aus Sicht der Unternehmen bis zuletzt deutlich überausgelastet.

Damit konnte der Preisauftrieb an Breite gewinnen. Während sich zunächst vor allem importierte Vorleistungen und Energie spürbar verteuerten, beschleunigte sich die heimische Teuerung zunehmend. Die bis zuletzt kräftigen Anstiege der Wertschöpfungsdeflatoren – vor allem in konsumnahen Bereichen und der Bauwirtschaft – deuten darauf hin, dass der Nachfrageüberhang den Unternehmen Preisanhebungen und damit eine spürbare Ausweitung der Gewinnmargen ermöglichte. Dadurch veränderten sich auch die Triebkräfte des Verbraucherpreisanstiegs, der seit einigen Monaten auf historischen Höchstständen verharrt. Während die Energiepreise die Inflation nunmehr weniger treiben, verstärkten sich bis zuletzt die Beiträge nahezu aller übrigen Waren und Dienstleistungen.

Die angebotsseitigen Behinderungen haben in den vergangenen Monaten nachgelassen. Die Großhandelspreise für Erdgas und Strom sind deutlich gesunken, wozu nicht zuletzt der ausgesprochen milde Winter beigetragen hat. Damit dürfte der konjunkturelle Rückschlag im Winterhalbjahr 2022/2023 glimpflicher ausgefallen sein als im Herbst befürchtet. Insbesondere deutet eine Vielzahl von Indikatoren darauf hin, dass die Wirtschaftsleistung bereits zu Jahresbeginn wieder zugelegt hat. Das Verarbeitende Gewerbe dürfte in den kommenden Quartalen die Konjunktur stützen, da es unmittelbar vom Abflauen der Lieferengpässe und der günstigeren Energie profitiert. Die Bauwirtschaft wird die Konjunktur hingegen bremsen, auch wenn dort zu Jahresbeginn wohl witterungsbedingt ein Produktionszuwachs verzeichnet wurde. Besonders im Wohnungsbau wird die Nachfrage schwach bleiben, auch weil die EZB ihren geldpolitischen Kurs weiter straffen wird und damit die Finanzierungskosten weiter steigen werden.

Der Höhepunkt der Inflationswelle dürfte mittlerweile erreicht sein, wobei die gemessene Inflation von den staatlichen Preisbremsen für Strom und Gas zunächst gedämpft wird. Ein merklicher Rückgang beim Verbraucherpreisanstieg wird jedoch noch etwas auf sich warten lassen, da der Nachfragesog vorerst noch andauern dürfte. Dazu trägt neben den staatlichen Entlastungsmaßnahmen insbesondere der voraussichtlich kräftige Anstieg der Tarifverdienste bei. Im Verlauf des Jahres dürften die Reallöhne wieder anziehen und der private Konsum 2024 positiv zur gesamtwirtschaftlichen Expansion beitragen.

Alles in allem prognostizieren die Institute, dass das preisbereinigte BIP in diesem Jahr um 0,3 % und im kommenden Jahr um 1,5 % zulegen wird (vgl. Tabelle 1). Damit heben die Institute ihre Prognose vom Herbst 2022 für das laufende Jahr spürbar um 0,7 Prozentpunkte an, während die Prognose für das kommende Jahr um 0,4 Prozentpunkte gesenkt wurde. Die Inflationsrate wird 2023 mit durchschnittlich 6,0 % nur wenig niedriger liegen als im Vorjahr. Erst im kommenden Jahr dürfte die Rate, insbesondere aufgrund der rückläufigen Energiepreise, auf 2,4 % sinken. Der Rückgang der Kerninflationsrate (also der Anstieg der Verbraucherpreise ohne Energie) fällt deutlich schwächer aus. Sie dürfte im laufenden Jahr mit 6,2 % sogar höher liegen als noch im Vorjahr (4,9 %), und im kommenden Jahr nur langsam auf 3,3 % zurückgehen. Im Vergleich zur Prognose vom Herbst 2022 wurden damit insbesondere für das laufende und das kommende Jahr die heimische Inflationsdynamik stärker eingeschätzt und damit die Prognose für die Kerninflationsrate um 1,7 bzw. 0,9 Prozentpunkte angehoben. Hingegen wurde wegen der günstigeren Entwicklung der Energiepreise die Prognose für die Gesamtinflationsrate 2023 um 2,8 Prozentpunkte gesenkt; für 2024 fällt die Prognose hingegen leicht um 0,2 Prozentpunkte höher aus.

Tabelle 1
Eckdaten der Prognose für Deutschland
  2020 2021 2022 2023 2024
BIP1 -3,7 2,6 1,8 0,3 1,5
Erwerbstätige2 (1.000 Personen) 44.915 44.980 45.570 45.900 45.963
Arbeitslose (1.000 Personen) 2.695 2.613 2.418 2.483 2.405
Arbeitslosenquote BA3 (in %) 5,9 5,7 5,3 5,4 5,3
Verbraucherpreise4 0,5 3,1 6,9 6,0 2,4
Lohnstückkosten4,5 2,8 0,7 3,3 6,4 4,0
Finanzierungssaldo des Staates6 in Mrd. Euro -147,6 -134,3 -101,3 -90,8 -39,9
In % des nominalen BIP -4,3 -3,7 -2,6 -2,2 -0,9
Leistungsbilanzsaldo in Mrd. Euro 238,7 265,0 145,1 232,2 257,5
In % des nominalen BIP 7,0 7,4 3,8 5,7 6,0

1 Preisbereinigt. Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %. 2 Inlandskonzept. 3 Arbeitslose in % der zivilen Erwerbspersonen (Definition gemäß Bundesagentur für Arbeit). 4 Veränderung gegenüber dem Vorjahr. 5 Im Inland entstandene Arbeitnehmerentgelte je Arbeitnehmerstunde bezogen auf das reale BIP je Erwerbstätigenstunde. 6 In der Abgrenzung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (ESVG 2010).

Quellen: Statistisches Bundesamt; Bundesagentur für Arbeit; Deutsche Bundesbank; 2023 und 2024: Prognose der Institute.

Die Schwächephase im Winterhalbjahr dürfte die Arbeitslosenzahlen kaum steigen lassen, da Unternehmen aufgrund der sich seit Jahren verschärfenden Arbeitskräfteknappheit an ihrem Personal festhalten. Der Staat wird sein Finanzierungsdefizit im laufenden Jahr nur leicht auf 2,2 % in Relation zum nominalen BIP verringern, weil die Finanzpolitik zunächst an ihrem expansiven Kurs festhält. Erst 2024 dürfte das Defizit dann auf 0,9 % sinken. Der Leistungsbilanzsaldo wird bis 2024 wieder auf 6,0 % der Wirtschaftsleistung steigen, nachdem er 2022 als Folge der kräftigen Verteuerung vor allem der Energieimporte vorübergehend auf 3,8 % gesunken war.

Ein Risiko für die konjunkturelle Entwicklung besteht darin, dass sich die aktuellen Turbulenzen im internationalen Bankensektor auf Kreditinstitute in Deutschland ausweiten. Dadurch könnte vor allem über einen Rückgang des Kreditangebots die wirtschaftliche Dynamik deutlich stärker belastet werden als in der vorliegenden Prognose unterstellt. Unklar ist zudem, wie die privaten Haushalte auf die hohen Preisanstiege und die damit einhergehenden Kaufkraftverluste reagieren. So ist einerseits vorstellbar, dass sie ihre Sparneigung wieder erhöhen und einen zunehmenden Anteil ihres Einkommens, etwa aus einem Vorsichtsmotiv heraus, beiseitelegen. Andererseits könnten noch Überschussersparnisse aus den Pandemiejahren für Konsumzwecke verausgabt werden. Ferner ist die Verfügbarkeit von Erdgas im kommenden Winter weiterhin unsicher. Zwar ist die Ausgangsposition deutlich günstiger als noch vor Jahresfrist, da die Gasspeicher zu Beginn des Frühjahrs mit über 60 % außergewöhnlich gut gefüllt sind. Dennoch zeigen die Simulationen der Institute, dass eine Gasmangellage im kommenden Winter nicht auszuschließen ist, vor allem wenn die Temperaturen über einen längeren Zeitraum sehr niedrig sind.

Anpassung der Wirtschaft an höhere Energiepreise

In Reaktion auf die veränderte geopolitische Lage standen 2022 Reduktionen des Energie- und insbesondere des Gasverbrauchs ganz oben auf der Agenda. Tatsächlich fiel der Gasverbrauch um 17 % gegenüber 2021 (vgl. Abbildung 1). Hierbei gehen allerdings 6 Prozentpunkte allein auf einen temperaturbedingt niedrigeren Gasverbrauch für Heizungen in privaten Haushalten zurück. In der Industrie wurde die Gasersparnis vor allem über Produktionsrückgänge in energieintensiven Wirtschaftsbereichen sowie Produktionsverlagerungen in Länder mit niedrigeren Gaspreisen erreicht.

Abbildung 1
Dekomposition der Erdgasverbrauchsreduktion
Dekomposition der Erdgasverbrauchsreduktion

Kunden mit einem Standardlastprofil (SLP) umfassen im Wesentlichen private Haushalte und einen Großteil des nicht-produzierenden Gewerbes; das Produzierende Gewerbe (ohne Energie), die Energiewirtschaft und ein kleinerer Teil des nichtproduzierenden Gewerbes sind Kunden in der registrierenden Leistungsmessung (RLM).

Quelle: Statistisches Bundesamt, Bundesnetzagentur; Berechnungen der Institute.

Die produktionsbedingten Energieeinsparungen fanden vor allem in den energieintensiven Industriezweigen statt. Während der Ausstoß im Produzierenden Gewerbe (ohne Bau) insgesamt im Verlauf des Jahres 2022 weitgehend stagnierte, sank er in den energieintensiven Industriezweigen deutlich.1 Im Dezember lag deren Produktion knapp 20 % unter dem Niveau des Vorjahresmonats. Besonders stark war der Rückgang unter anderem in der Grundstoffchemie (-38,0 %) und der Kunststoffindustrie (-32,4 %). Diese zwei Bereiche erklären allein knapp die Hälfte des Rückgangs der Produktion in den energieintensiven Industriezweigen, die gesamte chemische Industrie mehr als zwei Drittel (vgl. Abbildung 2). Vor allem wohl aufgrund wieder rückläufiger Energiepreise konnte die Produktion zu Jahresbeginn wieder zulegen.

Abbildung 2
Produktion in den energieintensiven Bereichen
Produktion in den energieintensiven Bereichen

Veränderung gegenüber Dezember 2021 in % und Beiträge in Prozentpunkten.

Quelle: Statistisches Bundesamt; Berechnungen der Institute.

Die Produktionsverlagerungen ins Ausland zeigen einmal mehr, dass der Preis ein sehr wirksames Instrument ist, um Lenkungseffekte beim Energieverbrauch zu erzielen. Dies kann sich die Politik auch im Kontext der Reduktion von Treibhausgasemissionen zunutze machen, da steigende Relativpreise für Energie auch den Anreiz für energiesparenden technischen Fortschritt erhöhen. Die deutschen Emissionsreduktionsziele können ohne einen Rückgang der Produktion nur erreicht werden, wenn die Wachstumsrate des energiesparenden technischen Fortschritts spürbar steigt. Die dafür notwendige Reduktion der Umwandlungsverluste zwischen Primär- und Endenergieverbrauch kann dabei auch durch eine vermehrte Nutzung von erneuerbaren Energien erreicht werden. Hohe Preise für fossile Energieträger werden Unternehmen veranlassen, Alternativen zu finden; insbesondere wird es attraktiver, energieintensive Produkte von Standorten zu beziehen, an denen Energie aus regenerativen Quellen kostengünstiger zur Verfügung steht als in Deutschland. Wenn insbesondere Produktion dort reduziert wird, wo hohem Energieverbrauch nur eine geringe Wertschöpfung gegenübersteht, wirkt sich das günstig auf die gesamtwirtschaftlichen Kosten der Energiewende aus.

Zeit für Angebotspolitik

Die Wirtschaftspolitik hat in den vergangenen Jahren die angebotspolitischen Zügel weitgehend schleifen lassen, auch in Zeiten, in denen kein akutes Krisenmanagement anstand. Umso größer ist nun der Reformbedarf, um insbesondere die Herausforderungen des demografischen Wandels und der Energiewende zu bewältigen. Beide erfordern potenzialstärkende Maßnahmen, auch um die sich verschärfenden Verteilungskonflikte einzuhegen.

Die gegenwärtige Phase hoher Inflation ist kein bloßer Reflex auf eine beeinträchtigte Erdgasversorgung. Sie ist auch binnenwirtschaftlich bedingt als Folge der Makro-Politiken in Reaktion auf die COVID-19-Pandemie und die Energiekrise. Diesen primär angebotsseitigen Störungen wurde mit einer stark expansiven Finanzpolitik begegnet, die zu weiten Teilen monetär alimentiert wurde. Im Ergebnis hat sich seit Ausbruch der Pandemie ein erheblicher Nachfragesog aufgebaut, der an den Gütermärkten die Preise trieb und die Gewinne der Unternehmen steigen ließ. Die Wirtschaftspolitik ist daher gut beraten, die gegenwärtige Inflationsdynamik nicht mit weiteren Programmen zur Stimulierung der Nachfrage zu befeuern.

Es muss stattdessen darum gehen, das Produktionspotenzial in Deutschland zu stärken. Energie ist neben Arbeit und Kapital ein pervasiver Produktionsfaktor, praktisch keine ökonomische Aktivität kommt ohne sie aus. Die Versorgungssicherheit wie auch die Versorgungskosten sind daher ein wichtiger Standortfaktor. Es kommt im Rahmen der Energiewende darauf an, die Bedingungen für die Energieproduktion und -einfuhr marktwirtschaftlich so auszugestalten, dass emissionsfreie Energie in Deutschland zu den geringstmöglichen Kosten bereitgestellt werden kann. Dies gelingt am besten über eine durchgängige Bepreisung von Treibhausgasemissionen, nicht durch Technologie- oder Verbrauchsvorgaben.

Im Zuge des demografischen Wandels schwinden die Wachstumskräfte in Deutschland deutlich. Lag die durchschnittliche Wachstumsrate über mehrere Jahrzehnte recht stabil bei 1,3 % pro Jahr, schmilzt sie bereits mittelfristig auf weniger als die Hälfte. Um das Arbeitsangebot zu erhöhen, sollten die hohe Abgabenlast gesenkt, die Erwerbsbeteiligung erhöht und das Fachkräftepotenzial ausgeweitet werden. Nicht zuletzt machen höhere Arbeitsanreize hierzulande den Standort auch für qualifizierte Zuwanderer attraktiver.

Indem sich der Staat darauf konzentriert, verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen, erleichtert er den privaten Akteuren die Prognosen über die sich innerhalb dieser Rahmenbedingungen ergebenden Relativpreisentwicklungen. Damit leistet er zugleich einen wichtigen Beitrag dafür, dass sich im Inland Produktionsstrukturen ausprägen, die sich selbst am (Welt-)Markt tragen.

Mit Blick auf die Resilienz im Falle zukünftiger Lieferunterbrechungen besteht grundsätzlich kein Unterschied zwischen einzelwirtschaftlicher und gesamtwirtschaftlicher Rationalität. Auch Unternehmen haben kein Interesse, sich auf der Absatz- wie der Beschaffungsseite erheblichen Risiken auszusetzen. Eine adäquate private Risikovorsorge setzt voraus, dass private Akteure ihre Verluste im Schadensfall nicht sozialisieren können. Andernfalls werden insbesondere die Kapitalgeber den gegenüber problematischen Regimen exponierten Unternehmen keine angemessenen Risikoprämien in Rechnung stellen.

Die Diversifizierung von Lieferbeziehungen kann der Staat durch die Stärkung des Freihandels fördern. Demgegenüber sind Unternehmenssubventionen und staatlich gefördertes Reshoring – im Sinne von Anreizen zum Rückholen von Wertschöpfungsketten hinter die eigenen Landesgrenzen – das schlechtere Mittel. Denn Wertschöpfung lässt sich nicht netto aus der übrigen Welt zurückholen. Für die (Wieder-)Ansiedlung von Unternehmen müssen bislang in anderen Wirtschaftsbereichen gebundene Produktionsfaktoren von diesen abgezogen werden. Die abgebenden Wirtschaftsbereiche müssen somit zwangsläufig schrumpfen. Weil dies vor allem die exportorientierten sein dürften, bewirkt jedes Reshoring einen Rückzug von der internationalen Arbeitsteilung auf der Export- wie auf der Importseite. Damit werden insgesamt Spezialisierungsvorteile aufgegeben, was materiellen Wohlstand kostet.

In diesem Beitrag werden ausgewählte Inhalte aus der Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2023 vorgestellt, vgl. Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose, 2023.

  • 1 Zu den energieintensiven Bereichen zählen in der Abgrenzung des Statistischen Bundesamtes: Papiergewerbe (WZ08-17), Kokerei und Mineralölverarbeitung (WZ08-19), chemische Industrie (WZ08-20), Glas- und Keramikgewerbe (WZ08-23) sowie Metallerzeugung (WZ08-24).

Literatur

Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2023), Inflation im Kern hoch – Angebotskräfte jetzt stärken, Frühjahr 2023, https://gemeinschaftsdiagnose.de/2023/04/05/gemeinschaftsdiagnose-fruehjahr-2023-inflation-im-kern-hoch-angebotskraefte-jetzt-staerken/ (2. Mai 2023).

Title:Stubborn Core Inflation – Time for Supply Side Policies

Abstract:The leading economic research institutes have raised their forecast for growth in German economic output in the current year to 0.3%. In the fall of 2022, they were still expecting a decline of 0.4%. The economic setback in the winter half-year 2022/2023 is likely to have been less severe than feared in the fall. The main reason for this is a smaller loss of purchasing power as a result of a significant drop in energy prices. Nevertheless, the rate of inflation will fall only slowly from 6.9% last year to 6.0% this year.

© Der/die Autor:in 2023

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.2478/wd-2023-0080

Mehr zu diesem Thema bei EconBiz

Alle Suchergebnisse anzeigen