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Allmählich dämmert dem wirtschaftspolitischen Berlin, dass die Bandagen im internationalen Standortwettbewerb härter werden. Die USA fordern mit ihrem billionenschweren Inflation Reduction Act Europa und China im Wettlauf um die Sahnestücke der grünen Industrialisierung heraus. China war ohnehin nie zimperlich, wenn es um das Durchsetzen der eigenen wirtschaftlichen Interessen ging. Dass sich die USA in den vergangenen Jahren auch immer weniger für die internationalen Handelsregeln interessierten, schoben viele auf die Politik Donald Trumps. Ein Trugschluss.

Jetzt wird um die Antwort gerungen, national wie europäisch. Ein Abwandern der umworbenen Industrien und ein Verlust wichtiger Schlüsseltechnologien soll um jeden Preis vermieden werden – ein industriepolitischer „Wumms“ muss her. So sagen die einen. Andere sind zurückhaltender. Zu sehr überwiegt die Skepsis gegenüber industriepolitischen Eingriffen. Große wirtschaftspolitische Orthodoxie ist angesichts der Herausforderungen allerdings nicht ratsam. In der jetzigen Umbruchsituation kann die Wettbewerbsfähigkeit ganzer Wirtschaftszweige schnell schwinden, wenn z. B. Infrastrukturen für den Umstieg auf eine neue Energieversorgung fehlen oder Innovationsvorhaben in anderen Ländern wesentlich schneller umgesetzt werden können, weil dort digitale Anwendungen möglich sind, für die hier die rechtlichen und technischen Voraussetzungen fehlen. Manchmal kann es auch im strategischen Interesse einer Volkswirtschaft liegen, Produktionsnetzwerken schneller als an konkurrierenden Standorten über die Schwelle einer kritischen Masse zu helfen, damit diese international konkurrenzfähig sind. All das sollte im Ergebnis offen diskutiert werden. Einen stumpfen Subventionswettlauf einzugehen, wäre eine der schlichteren wirtschaftspolitischen Antworten. Es zeugt von Strategielosigkeit, die eigene Industriepolitik reaktiv an den Entscheidungen anderer Wirtschaftsräume auszurichten.

Gerade Deutschland hat ein Interesse daran, den industriellen Kern zu erhalten. Im Gegensatz zu anderen großen europäischen Ländern, ist es dem verarbeitenden Gewerbe in Deutschland immer wieder gelungen, sich an die veränderte Situation auf den Weltmärkten anzupassen. Dabei ist die Industrie nicht dem Strukturwandel zum Opfer gefallen, weil sie ihre eigenen Strukturen verteidigt hat. Vielmehr war ein Strukturwandel innerhalb der Industrie der Schlüssel für den Erhalt des gesamten Produktionsnetzwerks. So wurden Schwächen in der Grundstoffindustrie durch größere Wertschöpfungsanteile im Bereich des Fahrzeugbaus oder der elektronischen Datenverarbeitung ausgeglichen. Eine Industriepolitik sollte sich daher nicht am Strukturerhalt, sondern am Wandel ausrichten. Sie muss den künftigen Herausforderungen am Standort entsprechen und auf die spezifischen Stärken einzahlen. Selbstverständlich muss sie auch ins Kalkül einbeziehen, was anderenorts politisch entschieden wird. Für Deutschland bedeutet dies: Die neuen industriellen Strukturen müssen wegen des demografischen Wandels weitaus produktiver und wissensintensiver sein als die heutigen – eine Herausforderung, die in den USA wegen der deutlich jüngeren Bevölkerungsstruktur nicht so vordringlich ist. Unternehmen werden auch nur dann erfolgreich wirtschaften können, wenn sie unabhängig von teuren, fossilen Energieimporten produzieren und endlich die Chancen der Digitalisierung nutzen können.

Wenn die Richtung Konsens ist, kann über die Instrumente gesprochen werden. Erstens scheint es sinnvoll, die Bedingungen für Hightech-Branchen insgesamt zu stärken. Einerseits, weil ohne private Forschungsmittel mangels Masse keine großen Sprünge bei der Forschungsintensität zu erwarten sind. Andererseits, weil die innovativen Branchen in der Regel viel weiter in andere Wirtschaftsbereiche ausstrahlen, als die einfache Fertigung. Denn Innovative und junge Unternehmen schwingen die Produktivitätspeitsche. Die primär auf den Mittelstand ausgerichtete steuerliche Forschungsförderung sollte daher weitaus großzügiger ausgestattet, Firmengründungen erleichtert und deren Finanzierung gestärkt werden. Zweitens braucht es größeren Mut in der Unterstützung des Übergangs von der Manufaktur in die industrielle Fertigung – kurz: Die Skalierung erster industrieller Produktionslinien sollte auch Gegenstand öffentlicher Förderung werden, wenn so schneller innovative Produktionsnetzwerke aufgebaut werden können. Sind andere Wirtschaftsräume schneller, besteht z. B. die Gefahr, dass trotz technologischer Durchbrüche keine neuen Industriearbeitsplätze entstehen. Important Projects of Common European Interest (IPCEI) sind für diesen Zweck geschaffen, scheinen aber in ihrer Handhabung eher schwerfällig. Drittens braucht die öffentliche Infrastruktur, aber auch der private Kapitalstock mehr als nur ein leichtes Makeover. Investitionen werden seit Jahren angemahnt, Bedarfe berechnet und dennoch zu wenig getan. Bei den Unternehmen muss der seit Jahren anhaltende Substanzverzehr aufgehalten werden. Die Modernität des Kapitalstocks sinkt seit mehr als 20 Jahren – mit Konsequenzen für die Produktivität und die Wettbewerbsfähigkeit. Ein großes Abschreibungsprogramm könnte hier für die notwendigen Impulse sorgen. Industriepolitik ist meist teuer und risikoreich. Umso wichtiger ist deshalb eine gut vorbereitete Strategie.

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© Der/die Autor:in 2023

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DOI: 10.2478/wd-2023-0087