In der Mai-Ausgabe 2023 veröffentlichte der Wirtschaftsdienst einen Aufsatz mit dem Titel „Schieneninfrastruktur: wenig Mut zu radikalen Reformen“ von Alexander Eisenkopf. Jonas Becker vertritt in einer Replik eine andere Auffassung; im Anschluss erläutert Alexander Eisenkopf seinen Standpunkt in einer Erwiderung.
Replik zu „Schieneninfrastruktur: wenig Mut zu radikalen Reformen“
In der Mai-Ausgabe 2023 veröffentlichte der Wirtschaftsdienst einen Aufsatz mit dem Titel „Schieneninfrastruktur: wenig Mut zu radikalen Reformen“ von Alexander Eisenkopf. Jonas Becker vertritt in einer Replik eine andere Auffassung; im Anschluss erläutert Alexander Eisenkopf seinen Standpunkt in einer Erwiderung.
Alexander Eisenkopf (2023) argumentierte in seinem Beitrag, dass es wenig Mut zu radikalen Reformen bei der Schieneninfrastruktur gebe. Mit diesem Befund hat er recht, doch sein Lösungsansatz geht in die falsche Richtung.
Zunächst argumentiert Eisenkopf konsequent mit absoluten Zahlen bei der Bereitstellung von Mitteln aus dem Bundeshaushalt für die Schieneninfrastruktur und dem Finanzbedarf des Schienennetzes. Analog zur Betrachtung von absoluten Zahlen ohne Einordnung oder Vergleich etwa bei dem BIP oder bei Staatsschulden, ist dies auch bei infrastrukturpolitischen Themen wenig erkenntnisliefernd. Es ist aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive sogar irreführend, Investitionsvorhaben eines Nationalstaats als absolute Zahlen darzustellen, ohne diese in Relation zu anderen Investitionsvorhaben oder zu den Ausgaben vergleichbarer Staaten zu setzen. So lässt sich kein überzeugendes Argument vorbringen. Wie so oft sind relative Indikatoren wesentlich zielführender. Betrachtet man die von ihm erwähnten Zahlen im internationalen Vergleich, so zeigt sich, dass die Investitionen in die Schieneninfrastruktur in Deutschland pro Kopf weit hinter anderen europäischen Ländern zurückliegen. Vor allem Staaten, die allgemeinhin als Vorbilder für ein gut funktionierendes Schienennetz gelten, wie etwa Österreich oder die Schweiz, investieren mehr als das Doppelte bzw. fast das Vierfache pro Kopf in ihre Schieneninfrastruktur (vgl. Abbildung 1).
Abbildung 1
Pro-Kopf-Investitionen in die Schieneninfrastruktur (ausgewählte Länder), 2022
in Euro

Quelle: Allianz Pro Schiene (2023).
Das Hauptproblem der deutschen Schieneninfrastruktur sind daher nicht die (in absoluten Zahlen vermeintlich astronomischen) Summen, die aus Bundesmitteln in die Schieneninfrastruktur fließen. Vielmehr zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass die bereitgestellten Mittel relativ betrachtet auf einem international sehr niedrigen Niveau sind, insbesondere wenn man Länder betrachtet, in denen die Bahninfrastruktur als deutlich besser aufgestellt wahrgenommen wird. Selbst in Großbritannien, wo die groß angelegte Liberalisierung des Bahnsystems in den 1990er Jahren, die dem Dogma folgte, Wettbewerb werde auf der Schiene Effizienzgewinne, Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit bringen, krachend scheiterte und jüngst rückgängig gemacht wurde, sind die Investitionen pro Kopf höher als in Deutschland (o. V., 2023). In der Schweiz und in Österreich sorgt das System Netz und Betrieb in einer Hand integriert mit einer langfristig geplanten, sicheren und auskömmlichen Finanzierungsstruktur für Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit. Wie in anderen Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge zeigt sich also auch hier, dass das Ziel der Renditemaximierung und des Wettbewerbs eben nicht zu einer besseren Bereitstellung öffentlicher Daseinsvorsorge führt. Der Zielkonflikt zwischen betriebswirtschaftlicher Gewinnorientierung und bedarfsorientierter Bereitstellung elementarer Infrastruktur lässt sich nicht mit dogmatischen neoklassischen Wettbewerbsutopien lösen. Es ist ein politischer Aushandlungsprozess.
In der deutschen Verkehrspolitik kam dieser Aushandlungsprozess jahrzehntelang zu dem Schluss, dass die Straßeninfrastruktur prioritär gegenüber der Schieneninfrastruktur zu behandeln sei. Die Auswirkungen des damit geförderten Verkehrsaufkommens, das die Verkehrsverlagerungs- und Klimaziele untergräbt, bekommen wir nun immer stärker zu spüren. Der Straßenverkehr wurde durch Infrastrukturausgaben massiv gefördert, während der Schienenverkehr marode gespart wurde. Aufgrund dieser fehlgesteuerten Anreizsetzung gab es sowohl für Unternehmen als auch für Individuen wenig Gründe für eine Verkehrsverlagerung von der Straße auf die Schiene.1 Die jahrzehntelange falsche Priorisierung in der deutschen Verkehrspolitik ist der Grund für die Mängel im heutigen System Eisenbahn. Dies wird nun langsam korrigiert. Erst in den vergangenen Jahren wurden die Bundesmittel für die Schieneninfrastruktur stark erhöht. Erstmalig waren die im Bundeshaushalt 2022 unter diesem Titel aufgeführten Ausgaben für Investitionen in die Bundesschienenwege höher als die für die Bundesfernstraßen (vgl. Abbildung 2).2
Abbildung 2
Ausgaben für Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur
in Mrd. Euro

Quelle: Bundeshaushaltspläne 2012-2023 (2023).
Noch 2019 waren die Ausgaben für Investitionen in Bundesfernstraßen um 2,4 Mrd. Euro höher als die in die Bundesschienenwege. Die steigenden Ausgaben für Investitionen in die Bundesschienenwege der vergangenen drei Jahre sind aus verkehrs- und klimapolitischer Perspektive zu begrüßen, können jedoch keine kurzfristige Abhilfe schaffen angesichts der Versäumnisse der Jahre zuvor. Der enorme Sanierungsstau im Bereich der Schieneninfrastruktur lässt sich nicht auf die Schnelle lösen, sondern nur mit einem langen Atem. Die nun diskutierten Summen aus Bundesmitteln für die Schieneninfrastruktur mögen zwar absolut betrachtet sehr hoch erscheinen, sie haben allerdings auch die Aufgabe die Fehlentwicklungen der vergangenen Jahrzehnte zu korrigieren. Sieht man sich beispielhaft die indexierte Entwicklung der entscheidenden Titelgruppen im Einzelplan 12 des Bundeshaushalts an, lässt sich feststellen, dass die Mittel für Bau, Erhaltung und Betrieb der Bundesfernstraßen selbst in den vergangenen zehn Jahren noch wesentlich stärker gestiegen sind als der Infrastrukturbeitrag des Bundes an die Eisenbahnen des Bundes (vgl. Abbildung 3).
Abbildung 3
Entwicklung der Bundesmittel für Bundesfernstraßen und des Infrastrukturbeitrags für Bundesschienenwege
Index 100 = 2013

Quelle: Bundeshaushaltspläne 2013-2023 (2023) .
Das eigentliche „Fass ohne Boden“ der deutschen Verkehrspolitik ist (wenn man davon bei infrastrukturpolitischen Investitionen überhaupt sprechen kann) eher die Straßen- als die Schieneninfrastruktur. Daher ist es zu kurz gedacht, den derzeitig schlechten Zustand der Schieneninfrastruktur allein auf „grundlegende Governanceprobleme“ zu reduzieren und die chronische Unterfinanzierung der Schieneninfrastruktur aus dem Blick zu lassen.
Wenn es den gesellschaftlichen Wunsch nach einem intakten Schienennetz, einem pünktlichen und zuverlässigen System Eisenbahn gibt, dann gilt es, sich vielmehr konkret den derzeitigen Hauptproblemen anzunehmen:
- Jahrzehntelange Unterfinanzierung aus Bundesmitteln im internationalen Vergleich und im Vergleich zur Straßeninfrastruktur
- Renditemaximierung anstatt sinnvoller verkehrs- und klimapolitischer Vorgaben als Ziel der unternehmerischen Tätigkeit der DB AG
- Personalmangel in nahezu allen Bereichen des Schienennetzes und -betriebs
Diese Probleme lassen sich nicht über mehr Wettbewerb oder gar eine „Auflösung des integrierten Konzerns“ lösen, sondern über eine langfristig und strukturell sauber aufgestellte Infrastrukturfinanzierung sowie attraktive Arbeitsbedingungen in einem integrierten Konzern, um damit sowohl mehr Personal in die Bahnbranche zu bringen als auch Sicherheit über einen konzerninternen Arbeitsmarkt zu gewährleisten. Das gilt im Übrigen nicht nur für den Schienenpersonenverkehr, sondern auch für den Schienengüterverkehr. Ein leistungsfähiges und funktionierendes Schienennetz ist, ebenso wie das jahrzehntelang politisch prioritär behandelte Straßennetz, im elementaren Interesse sowohl von Individualreisenden als auch von Unternehmen.
Es handelt sich also bei der Schieneninfrastruktur nicht anscheinend, sondern nur scheinbar um ein „Fass ohne Boden“. In den vergangenen Jahrzehnten wurde die Infrastruktur kaputtgespart, obwohl es eine stark steigende Nachfrage nach einem funktionierenden Schienenverkehr sowie die klimapolitische Notwendigkeit einer intakten Schieneninfrastruktur im Sinne der Verkehrsverlagerung gab. Seit der Bahnreform 1994 wurde das Schienennetz aufgrund von Sparvorgaben und der profitversprechenden Fokussierung auf Hauptverkehrsverbindungen zurückgebaut, während die Verkehrsleistung beim Schienenpersonenverkehr im selben Zeitraum stark zulegte (vgl. Abbildung 4).
Abbildung 4
Entwicklung des Streckennetzes und der Verkehrsleistung
Index 100 = 1995

Quelle: Railisa UIC Statistics (2023).
Dies untermauert, dass der derzeitige Zustand des Systems Eisenbahn in Deutschland auf politische Fehlentscheidungen und die betriebswirtschaftlich begründete Fokussierung auf Profitabilität zurückzuführen ist. Dieser Weg, den auch die Monopolkommission (2023) mit ihren aktuellen Vorschlägen weiter gehen möchte, führt jedoch nicht zu einer echten sozial-ökologischen Verkehrswende. Mehr Wettbewerb klingt lukrativ für viel befahrene Strecken mit zahlungskräftiger Kundschaft. Für eine echte Verkehrswende braucht es allerdings auch die Reaktivierung stillgelegter Strecken und ein flächendeckend breites und zuverlässiges Angebot an Zugverbindungen. Eine ideologisch begründete Versteifung auf mehr Wettbewerb würde dieses Ziel beerdigen.
Es ist wenig radikal, die ewige Trennungsdebatte wieder aus der Mottenkiste zu holen, um Liberalisierungs- und Wettbewerbsutopien der 1990er Jahre wiederzubeleben. Wirklich radikal wäre es, die Bahn nicht als Unternehmen zu betrachten, dass Gewinne erwirtschaften muss, sondern als einen Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge, der klima- und verkehrspolitische Zielvorgaben erfüllen muss. Wirklich radikal wäre eine auskömmliche finanzielle Ausstattung, um ein langfristig leistungsstarkes Netz zu garantieren, sowie den Betrieb über Arbeitsplatzsicherheit und gute Löhne in der Eisenbahnbranche attraktiv für Fachkräfte zu machen. Damit wäre der infrastrukturellen Daseinsvorsorge im Sinne des Gemeinwohls mehr gedient als mit lähmenden, realitätsfernen und ideologisch motivierten Debatten über superiore Strukturformen.
Der Autor gibt seine persönliche Meinung wieder.
- 1 Daraus resultiert auch das in den Prognosen für das Verkehrsaufkommen des Bundesverkehrswegeplans stets angenommene starke Wachstum des Straßenverkehrs; eine Fortschreibung des Aufkommens, die auf der eigenen Investitionstätigkeit basiert.
- 2 Dies auch nur durch den Taschenspielertrick die Planungskosten für Straßenbau nicht als Teil der Investitionen aufzuführen (Schwietering, 2023).
Literatur
Eisenkopf, A. (2023), Schieneninfrastruktur: wenig Mut zu radikalen Reformen, Wirtschaftsdienst, 103(5), 286-287, https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2023/heft/5/beitrag/schieneninfrastruktur-wenig-mut-zu-radikalen-reformen.html
Monopolkommission (2023), Sektorgutachten Bahn, https://www.monopolkommission.de/index.php/de/gutachten/hauptgutachten/423-9-sektorgutachten-bahn-2023-time-to-go.html (20. Juli 2023).
o. V. (2023), Regierung will Bahnprivatisierung teilweise rückgängig machen, ZEIT Online, https://www.zeit.de/mobilitaet/2021-05/grossbritannien-bahn-privatisierung-rueckgaengig-preise (20. Juli 2023).
Schwietering, C. (2023), Mehr Investitionen in die Schiene?: Bundesrechnungshof kritisiert Ampel-Haushalt, Tagesspielgel, https://www.tagesspiegel.de/politik/mehr-investitionen-in-die-schiene-bundesrechnungshof-kritisiert-ampel-haushalt-9074428.html (24. Juli 2023).
Erwiderung: Gegenrede zu Jonas Becker
Jonas Becker thematisiert in seiner Replik zu „Schieneninfrastruktur: Wenig Mut zu radikalen Reformen“ vermeintliche Schwächen meines Leitartikels aus dem Mai-Heft dieser Zeitschrift.
Im ersten Abschnitt formuliert er den Kritikpunkt, dass die von mir verwendeten absoluten Zahlen zu öffentlich finanzierten Infrastrukturinvestitionen (der Bahn) wenig aussagekräftig und aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht sogar irreführend seien. Die Zahlen seien in Relation zu anderen Investitionsvorhaben oder den Ausgaben vergleichbarer Staaten zu setzen. Als Beispiel für ein „überzeugendes Argument“ führt er die von der Lobbyorganisation „Allianz Pro Schiene“ publizierten Pro-Kopf-Investitionen in die Schieneninfrastruktur ausgewählter europäischer Länder an. Wichtiger ist allerdings das Monitum, dass mein Beitrag die chronische Unterfinanzierung der Schieneninfrastruktur „aus dem Blick lasse“ und deren schlechten Zustand auf grundlegende Governanceprobleme reduziere. Dieses Argument wird ausführlich und in verschiedenen Facetten diskutiert sowie daraufhin zugespitzt, dass die Schieneninfrastruktur in den vergangenen Jahrzehnten „kaputtgespart“ worden sei. Dies stelle – zusammen mit der massiven Bevorzugung der Straße, die das eigentliche Fass ohne Boden bilde – den tatsächlichen Skandal dar.
Als „wirklich radikale“ Lösung bietet Jonas Becker schließlich an, „die Bahn nicht als Unternehmen zu betrachten, das Gewinne erwirtschaften muss, sondern als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge, der klima- und verkehrspolitische Zielvorgaben erfüllen muss.“ Tatsächlich hat sich mein Leitartikel primär mit den erheblichen Schwächen der Governance der Schieneninfrastruktur und ihrer Finanzierung beschäftigt. Mein zentrales Argument war, dass „auch (sehr) viel mehr Geld keine dauerhafte und nachhaltige Behebung der Misere herbeiführen [kann], wenn die grundlegenden systemischen Governanceprobleme nicht erkannt, sauber analysiert und gelöst werden.“ Auf dieses Argument geht Jonas Becker in keiner Weise ein. Er verunglimpft stattdessen ohne sachliche Begründung und empirische Argumente (vermeintliche) Renditemaximierung und „neoklassische Wettbewerbsutopien“, die angeblich nicht „zu einer besseren Bereitstellung öffentlicher Daseinsvorsorge führen“. Zudem wird eine jahrzehntelange falsche Priorisierung in der deutschen Verkehrspolitik primär für die Mängel im heutigen System Eisenbahn verantwortlich gemacht.
Das erste Argument von Jonas Becker erinnert an den Schopenhauer’schen Kunstgriff, recht zu behalten, indem man von etwas anderem redet, als eigentlich aufgestellt wurde (ignoratio elenchi – Verkennung des Gegenbeweises; Schopenhauer, 2012, 37). Selbstverständlich ist es interessant, die Ausgaben für die Schieneninfrastruktur als relative Größe zu analysieren. Das war aber nicht mein Thema. In diesem Fall sind Investitionen pro Kopf in verschiedenen Ländern ein denkbar schlechtes Kriterium für die Analyse, da sie die jeweiligen Leistungen des Schienenverkehrs (und weitere Imponderabilien) ausklammern. Ohne deren Kenntnis könnte man auch auf die Idee kommen, dass die Schweiz sich eine „Teuerbahn“ leistet, und wir in Deutschland sehr effizient wirtschaften. Zumindest letzteres ist aber fraglich. Vergleicht man z. B. die Investitionen des Bundes pro Leistungskilometer (Personen- und Tonnenkilometer) in Deutschland, sind die relativen Mittel für die Schiene 2022 rund sechsmal so groß wie für die Straße. Nach Berechnungen von Pro Mobilität (2022) anhand der Ist-Ausgaben des Bundes für die Schiene und der Nettoausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden für die Straße, lag die Schiene 2019 bei 5,13 Eurocent je Leistungskilometer (einschließlich Ausgaben für das BEV) und die Straße bei 1,82 Eurocent. Auch in der Schweiz regt sich mittlerweile Kritik an der auskömmlich finanzierten Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit der Bahn: „Die finanzielle Schieflage der SBB hat auch ihr Gutes: Sie zwingt die Politik zu mehr Ehrlichkeit. Auf jeden Franken, den das Unternehmen mit dem Verkauf von Tickets und Abos verdient, kommt heute ein Subventionsfranken“ (Häberli, 2023).
Ohne dauerhafte Subventionen scheint ein Eisenbahnbetrieb in Europa, der den verkehrspolitischen Wunsch- und Zielvorstellungen nahekommt, kaum zu gewährleisten. Jeder weiß, dass das vor allem an der teuren und heute noch verhältnismäßig ineffizient genutzten Infrastruktur liegt. Gerade das erhöht jedoch die Anforderungen an die finanzielle Governance und die effiziente Mittelverwendung.
Ökonomische Effizienz scheint jedoch für Jonas Becker ein Fremdwort zu sein. Aus seinen Ausführungen spricht bedauerlicherweise ein grundsätzliches Misstrauen in eine an ökonomischen Kriterien orientierte Unternehmensführung bei der Deutschen Bahn bzw. eine Ausrichtung des Eisenbahnsektors an grundlegenden wirtschaftlichen Erfordernissen und Ressourcenknappheiten. Ohne differenziert auf die verschiedenen Unternehmensbereiche der DB AG und ihre jeweiligen verkehrspolitischen, marktlichen und wettbewerblichen Probleme einzugehen, würgt er die Diskussion um „superiore Strukturreformen“ mit dem Totschlagargument der „Daseinsvorsorge“ ab. Aus der Mottenkiste holt er die Begriffe „Gemeinwohl“ und „Daseinsvorsorge“, vorsorglich aufgeladen durch das Mantra der „echten“ sozial-ökologischen Verkehrswende im Sinne der „klimapolitischen Notwendigkeit“. Ein solch pauschales Verständnis der „Bahn“ als Teil eines diffusen öffentlichen Daseinsvorsorgebegriffs erinnert an längst überwunden geglaubte Zeiten des Sondervermögens Deutsche Bundesbahn und gewerkschaftliche Träume von einem mitbestimmten staatlichen Eisenbahnkombinat, das nicht auf knappe gesellschaftliche Ressourcen Rücksicht nehmen muss. Gerd Aberle, einer der Väter der Bahnreform von 1994, hat dieses Treiben immer wieder als „Selbstbedienungsladen ohne Kasse“ persifliert (Wieland, 2007).
Tatsächlich sind aber gesellschaftliche Ressourcen, die zur Disposition der Deutschen Bahn gestellt werden, nach wie vor knapp und sollten daher effizient bewirtschaftet werden. Jonas Becker hat recht, dass es bezüglich der Subventionen für den Schienenverkehrssektor und insbesondere für die Schieneninfrastruktur eines gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses bedarf. Dieser muss jedoch in transparenter Weise und unter Berücksichtigung aller relevanter Zuwendungen aus Steuermitteln sowie der realisierbaren Nutzungen geführt werden – einschließlich der Frage der relevanten Anreizstrukturen im Bahnsystem.
Insbesondere muss dem Bürger und Steuerzahler reiner Wein dahingehend eingeschenkt werden, dass die in meinem Beitrag genannten hohen absoluten öffentlichen Mittel für die Schieneninfrastruktur im Wesentlichen aus Steuereinnahmen stammen oder zu Neuverschuldung führen, während die Finanzierungssituation des Straßenverkehrs seit Jahren recht komfortabel aussieht. So schreibt der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesverkehrsministerium in einem Gutachten zur Straßenverkehrsfinanzierung 2022: „Derzeit generieren die Abgaben aus dem Straßenverkehr, allen voran die Energiesteuer auf Kraftstoffe, beträchtliche Einnahmen für die öffentlichen Haushalte, die in der Größenordnung der Kosten der Straßeninfrastruktur liegen“ (Wissenschaftlicher Beirat, 2022, 5). Laut Wissenschaftlichem Beirat lag das Aufkommen aus der Energiesteuer auf Kraftstoffe 2019 bei 37,2 Mrd. Euro, hinzu kamen 9,4 Mrd. Euro Kfz-Steuer und 7,5 Mrd. Euro Lkw-Maut, insgesamt also 54,1 Mrd. Euro. Zu ergänzen sind Einnahmen der Kommunen aus Parkgebühren, die jedoch statistisch kaum erfasst sind, und seit 2021 die Einnahmen aus der CO2-Abgabe nach dem Brennstoffemissionshandelsgesetz (Wissenschaftlicher Beirat, 2022, 8). Die jährlichen Kosten des (gesamten) deutschen Straßennetzes werden vom Beirat in Ermangelung aktueller Wegekostenrechnungen auf 24 bis 36 Mrd. Euro geschätzt. Bereits die letzte verfügbare vergleichende Wegekostenrechnung für 2007 kam zum Ergebnis, dass inländische Pkw und Lkw ihre Wegekosten vollumfänglich decken, während der Schienenverkehr nur einen durchschnittlichen Wegekostendeckungsgrad von 47 % erreichte (Link et al., 2009). Dieser dürfte heute deutlich niedriger liegen und im Güterverkehr aufgrund der Trassenpreissubventionen gegen null gehen.
Mit dem neuen CO2-Aufschlag wird sich das Lkw-Maut-Aufkommen in Deutschland beinahe verdoppeln; die zusätzlichen Mittel sollen dann vor allem der Schiene zugutekommen. Das Institut der Deutschen Wirtschaft hat daher recht, wenn es titelt: „Der Lkw zahlt bald für Alle“ (Puls, 2023). Anders als Jonas Becker meint, ist die Straße also kein „Fass ohne Boden“, sondern ein ergiebiger Quell, dessen stetiger Fluss in Zukunft auch die Schiene speisen kann – solange Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor unterwegs sind.
Literatur
Häberli, S. (2023), Dass die SBB im Schuldensumpf stecken, liegt nicht nur an der Pandemie. Was ist schiefgelaufen?, Neue Züricher Zeitung, 19. Juni, https://www.nzz.ch/wirtschaft/sbb-weg-aus-schuldensumpf-fuehrt-ueber-steuergelder-ld.1734369 (11. August 2023).
Link, H., K. Kalinowska, U. Kunert und S. Radke (2009), Wegekosten und Wegekostendeckung des Straßen- und Schienenverkehrs in Deutschland im Jahre 2007, Politikberatung kompakt, 53, DIW Berlin.
Pro Mobilität (2022), Verkehrsetat 2022/23. Informationen zu den Haushaltsberatungen von Bundestag und Bundesrat, https://www.promobilitaet.de/fileadmin/user_upload/ProMob_Zahlen_Daten_Fakten_Verkehretat_2022_23.pdf (11. August 2023).
Puls, T. (2023), Der Lkw bezahlt bald für Alle – Mauteinnahmen und Verkehrsinvestitionen des Bundes, IW-Kurberich, 38/2023, https://www.iwkoeln.de/studien/thomas-puls-mauteinnahmen-und-verkehrsinvestitionen-des-bundes.html (11. August 2023).
Schopenhauer, A. (2012), Die Kunst recht zu behalten, in achtunddreißig Kunstgriffen dargestellt.
Wieland, B. (2007), Laudatio zur Verleihung der Ehrendoktorwürde an Herrn Prof. Dr. rer. pol. habil. Gerd Aberle am 31.1.2007, Diskussionsbeiträge aus dem Institut für Wirtschaft und Verkehr, 1.
Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesminister für Digitales und Verkehr (2022), Kompensation zukünftiger Einnahmeausfälle des Staates aufgrund der Antriebswende im Straßenverkehr, Gutachten vom 20.Juli, https://bmdv.bund.de/SharedDocs/DE/Anlage/G/kompensation-zukuenftiger-einnahmeausfaelle.pdf?__blob=publicationFile (11. August 2023).