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In der Aprilausgabe 2024 veröffentlichte der Wirtschaftsdienst einen Aufsatz mit dem Titel „Die Abschaffung der steuerlichen Begünstigung von Agrardiesel ist überfällig“ von Berthold U. Wigger. Ulrich Blum vertritt in einer Replik eine andere Auffassung, im Anschluss erläutert Berthold U. Wigger seinen Standpunkt in einer Erwiderung.

Replik zur Forderung von Berthold Wigger, die Landwirtschaft in vollem Umfang der Kfz-Steuer zu unterziehen

Von Ulrich Blum

In der Aprilausgabe 2024 veröffentlichte der Wirtschaftsdienst einen Aufsatz mit dem Titel „Die Abschaffung der steuerlichen Begünstigung von Agrardiesel ist überfällig“ von Berthold U. Wigger. Ulrich Blum vertritt in einer Replik eine andere Auffassung, im Anschluss erläutert Berthold U. Wigger seinen Standpunkt in einer Erwiderung.

Der Beitrag des Kollegen Wigger konstatiert eine asymmetrische wirtschaftspolitische, insbesondere finanz- und klimapolitische Behandlung der Landwirtschaft. Diese Feststellung enthält eine Reihe von Annahmen, die sich vor allem aus ordnungsökonomischer Sicht kritisch zu hinterfragen lohnen:

  • die Bedeutung eines Sektors sei mit der Größe korreliert
  • die Steuertheorie sei grundsätzlicher Maßstab der Steuerpolitik
  • eine Umweltpolitik in der Landwirtschaft auf Basis der externen Kosten sei hinreichend
  • die Mineralölsteuer in der Landwirtschaft entfalte einen positiven Lenkungseffekt in Richtung Nachhaltigkeit

Tatsächlich stellt sich die im Beitrag von Wigger postulierte Asymmetrie der Wirtschafts- und insbesondere der Finanz- und Klimapolitik bei breiterer Betrachtung völlig anders dar, und das Nachdenken über die daraus entstehende Problematik könnte wegweisende Lösungen für andere Sektoren bereithalten. Hierzu im Einzelnen:

Was ist ein relevanter Sektor?

Die Regionalökonomik hat sich in den 1970er Jahren diese Frage vor allem im Kontext der Theorien des räumlichen ungleichgewichtigen Wachstums, insbesondere im Kontext der Polarisationstheorien, intensiv gestellt. Eine Grundlage war die Input-Output-Analyse. In deren Verflechtungsmatrix kann mittels der Forward linkages bzw. die Backward linkages, gemessen durch die relative Größe der Spaltensummen der invertierten Nachfragematrix bzw. der Zeilensummen oder invertierten Angebotsmatrix, die relative Bedeutung eines Sektors ausgewiesen werden. Die Matrix ist normiert, d. h. ihre Spalten- und Zeilensummen sind kleiner 1, eine hinreichende Bedingung für das Invertieren, weshalb die Größe des Sektors für seine Wirkung eine untergeordnete Rolle spielt. Die Summe einer Zeile gibt für den jeweiligen Sektor an, wie stark er andere bei Erhöhung der Nachfrage um eine Einheit „zieht“; analog weisen die Spaltensummen die Folgen einer Angebotserhöhung um eine Einheit, beispielsweise bei Arbeit, Kapital oder Importen, auf die nachgelagerten Sektoren aus (Blum, 2000, S. 243–253).

Ein ähnliches Ergebnis findet sich im Empirischen: Der Beitrag der Mineralöl- und Kokereiindustrie zur deutschen Wertschöpfung ist nicht üppig und liegt unter dem der Landwirtschaft. Sind also insbesondere Raffinerien noch unbedeutender als Agrarbetriebe? Kann man sie also abschaffen? Das anhand der Größe zu beantworten, ergibt offensichtlich keinen Sinn. Eine ökonomische Betrachtung würde sich auf die Substitutionsmöglichkeiten in den vor- oder nachgelagerten Wirtschaftsbereichen fokussieren, beispielsweise den Ersatz der Eigenproduktion durch Importe. Auf der Verwendungsseite wäre zu prüfen, ob z. B. synthetisches Fleisch das natürliche ersetzen könnte (in der Zukunft vielleicht möglich) oder Windenergie und E-Mobilität das Benzin im klassischen Fahrzeug. Zudem ist die Größe auch eine Funktion der Abgrenzung in der Statistik; bei weit abgegrenzten Sektoren werden interne Verflechtungen nicht abgebildet. Auch dies ist zu berücksichtigen.

Unabhängigkeit von Mittelerhebung und -verwendung

Die Finanztheorie geht für Steuern vom Non-Affektationsprinzip aus, also die Unabhängigkeit von Mittelerhebung und -verwendung – anders als bei Beiträgen und Gebühren. Der Öffentlichkeit wurde eine tatsächliche Konnektivität offenbar, als die Steuererhöhung bei Tabakwaren im Jahr 2002 im Nachgang zum 11. September 2001 zur Finanzierung der deutschen Beiträge zum Kuweitkrieg als „Rauchen gegen den Terror“ apostrophiert wurde. Die Verkehrswissenschaft geht gerade bei Infrastrukturausgaben von einer Konnektivität aus. So soll das Halten eines Autos (unter anderem Platzbedarf auch bei Nichtnutzung) über die KFZ-Steuer (fließt den Ländern zu), die Nutzung aber über die Mineralölsteuer (fließt dem Bund zu) abgedeckt werden. Das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) von 1971 atmet den Geist einer starken Konnektivität: So wurde zunächst im Jahr 1967 die Mineralölsteuer erhöht; von den prognostizierten Zusatzeinnahmen von 660 Mio. DM sollten 40 % für Vorhaben zur Verbesserung des Öffentlichen Nahverkehrs verwendet werden. Handlungsleitend war die Idee, dass ein Ausbau bei Bus und Bahnen die Straßen unmittelbar entlaste und damit Straßenbau vermeidbar mache. Der Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestags hat sich im Jahr 2021 mit der Frage der Zweckbindung befasst und festgehalten, dass das Prinzip der Gesamtdeckung in § 7 Satz 1 Haushaltsgrundsätzegesetz (HGrG) und § 8 Satz 1 Bundeshaushaltsordnung (BHO) zwar normiert sei, dass aber Ausnahmen möglich seien, wenn eine Einnahme zweckgebunden sein solle, soweit dies durch Gesetz vorgeschrieben oder im Haushaltsplan zugelassen worden ist (§ 7 Satz 2 HGrG und § 8 Satz 2 BHO). Ergänzend sei die empirische Seite zur Verdeutlichung bemüht:

  • Üblicherweise nutzen landwirtschaftliche Fahrzeuge das überregionale Straßennetz kaum – Nichtlandwirte hingegen die landwirtschaftlichen Wege intensiv. Diese werden auch mit öffentlichen Mitteln gebaut, viel erheblicher sind aber die mit dem Bau erzwungenen Landabgaben der Bauern – neben der direkten Beteiligung an der Finanzierung durch flächenbezogene Umlagen. Müsste man hier nicht mindestens eine Gegenrechnung aufmachen? Weiterhin wird der überwiegende Teil des Treibstoffs auf den Feldern verbraucht.
  • Flugzeuge sind von der Mineralölsteuer befreit und nutzen nur in Notfällen Straßen. Der Verzicht auf eine Erhebung in Deutschland (Stichwort Kerosinsteuer) wird darüber hinaus mit sonst auftretenden Wettbewerbsnachteilen für die deutschen Luftverkehrsunternehmen aufgrund ungenügender Überwälzbarkeit im Konkurrenzkampf mit anderen Airlines begründet, weil bisher eine solche Steuer weder europäisch noch global konsensfähig sei. Da internationale Reisen ebenso wie die meisten „dieselintensiv“ erzeugten landwirtschaftlichen Produkte handelbare Güter darstellen, ist die Argumentation der deutschen Landwirtschaft mit der Wettbewerbslage durchaus mit der der Luftfahrtunternehmen vergleichbar. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass die Agrardieselbesteuerung in Europa von Land zu Land erhebliche Unterschiede aufweist – in vielen Ländern wird subventioniert oder nicht besteuert. Warum für die Luftverkehrsunternehmen ein Level-Playing-Field, nicht aber für die Bauern?
  • Konnektivität bestand früher auch bei der Gewerbesteuer, die den aus der unternehmerischen Betriebstätigkeit herrührenden Infrastrukturaufwand der Kommunen vor allem über die Gewerbekapitalsteuer abdecken sollte – und man stellte fest, dass manche Freien Berufe (gewerbesteuerfrei) mehr öffentlichen Raum beanspruchen als eine Softwareschmiede (meist gewerbesteuerpflichtig). Diese Erhebungsform der Gewerbesteuer wurde schließlich abgeschafft.

Gegenrechnung von externen Erträgen

Wenn die externen Kosten der Landwirtschaft eine verstärkte Belastung der Bauern legitimieren sollen, müssen dann nicht deren externe Erträge gegengerechnet werden? Gerade dieses Ungleichgewicht ist politisch heikel, denn keiner will Kosten tragen, will diese also abwälzen, und der Staat erzwingt die Internalisierung mittels Steuern und Lizenzen bzw. Ge- und Verboten. Die Erträge hingegen sollen möglichst ohne Entgelt quasi verstaatlicht werden. So ist, abgesichert durch das Grundgesetz (Artikel 14/2), das Naturschutzgesetz und Bundeswaldgesetz, die Offenheit der Landschaft gewährleistet. Damit wird ein öffentliches Gut konstituiert, Ausschlüsse sind extrem schwierig anzuordnen, geschweige denn durchzusetzen, vom oft geduldeten, trotzdem zerstörerischen Extrembiking in den Wäldern, dem Beeinträchtigen der Ruhe des Wildes bis hin zur illegalen Nutzung der offenen Landschaft als Kippe für Müll, den der Eigentümer der Fläche dann auf eigene Kosten entsorgen muss.

Hier sollen vor allem die Potenziale der Land- und Forstwirtschaft als mögliche Klimagassenken angesprochen werden. Aktuell steht vor allem die Forstwirtschaft im Fokus, gerade auch wegen der massiven Trocknungsschäden und der Notwendigkeit einer Neuaufforstung. Aber auch für die Feld- und insbesondere die Wiesenwirtschaft kann dieses Potenzial durchaus relevant werden. Denn Emissionsquellen werden derzeit im öffentlichen Recht anders behandelt als -senken. So erzeugen Wälder in Deutschland unter Optimalbedingungen, insbesondere im Kurzumtrieb, pro Hektar jährlich einen Zuwachs an Holzmasse von etwa 10 Tonnen. Diese besteht zu 50 % aus Kohlenstoff. Das Molgewicht von Kohlenstoff beträgt 12, das von Sauerstoff 16, also ist 44 das Gewicht von CO2; 44/12 = 3,6. Der Lizenzpreis für CO2 beträgt voraussichtlich ab 2025 50 Euro pro Tonne. Somit absorbieren Wälder 18 Tonnen CO2 (3,6 x 10 x 0,5) pro Hektar und Jahr, und dem Waldbesitzer müsste folglich diese Leistung mit jährlich etwa 900 Euro bezahlt werden. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags (2019) gibt in der Realität rund 60 % des Zuwachses an, 3,4 Tonnen Zuwachs an Kohlenstoff pro Hektar und Jahr (Nettozuwachs von 38,5 Mio. Tonnen Kohlenstoff bei 11,4 Mio. Hektar), also 6 Tonnen Kohlendioxid. Diese „CO2-Ernte“ ist natürlich nur von Dauer, wenn das Holz anschließend nicht verrottet oder thermisch verwertet wird; es muss also beispielsweise in Möbeln und im Holzbau „geparkt“ werden – mit Verweildauern von vielen Jahrzehnten, quasi als Klimareserve, bis bessere CO2-Zeiten kommen.

Auch der „CO2-Ertrag“ von Wiesen und Feldern könnte in Rechnung gestellt werden, würde die Bewirtschaftung umgestellt. Allerdings hängt die dauerhafte Speicherung mit Zuwächsen von rund 1 bis 2 Tonnen Kohlenstoff pro Hektar und Jahr neben der Art der Bewirtschaftung zunächst vom Bodenaufbau ab – es handelt sich hier weitgehend um Fließgleichgewichte, deren Stabilität entscheidend ist. Ein kritischer Faktor für den Kohlenstoff­eintrag ist in jedem Fall das Wurzelwerk, dessen Umfang eine besondere Bedeutung für den Humusaufbau und die Verweildauer spielt sowie die Verfügbarkeit organischer Bestandteile (Zwischenfrucht, tierischer Dünger, der vergoren ist und dessen Gas – weitgehend Methan – energetisch genutzt wird, usw.; vgl. unter anderem Poepleau, 2021; Gattinger & Wiesmeier, 2022; Skadell et al., 2023). Bis zu 200 Euro pro Jahr und Hektar ließen sich aktivieren. Tatsächlich ist der Humusaufbau in Europa Ergebnis einer nachhaltigen Landwirtschaft über Jahrhunderte, teilweise in die neolithische Revolution zurückreichend, von der die aktuellen Betriebsformen im Agrarbereich zehren.

Wenn unter einem sozial-marktwirtschaftlichen Ordnungsrahmen den ökologischen Wirtschaftsformen die Erträge aus den Emissionslizenzen zufließen würden, ein symmetrisches „Bestrafen“ von Emissionen und „Belohnen“ von Senken erfolgte, würde die Landwirtschaft vermutlich schneller umgestaltet, als dies durch die aktuellen Zwangsmaßnahmen möglich erscheint. Und es wäre von der Rationalität besser als die aktuellen Aufforstungshilfen, um die Folgen der Trockensommer zu lindern (Blum, 2020). Andere Initiativen könnten davon profitieren, z. B. der Aufbau von Hecken und Randbepflanzungen bei Feldern als Schutz vor Erosion und Austrocknung.

Es bedürfte also eines eigenständigen Emissionsrechts der Land- und Forstwirtschaft im Rahmen des EU-weiten Umweltzertifikatehandels, ein Auflösen des monopolistischen Angebots, das auch ordnungsökonomisch unter der Voraussetzung von klaren Zertifizierungs- und Akkreditierungsregeln als geboten erscheint. Die sogenannten freiwilligen Kompensationen, oft als Carbon Compensations (CC) (z. B. als UNFCC oder Gold Standard vom WWF) angeboten, sind im Rahmen des unternehmerischen Berichtswesens durchaus sinnvoll, bieten aber vor allem dann, wenn die Gegenrechnungen mit internationalen Senken erfolgen, viele Ansätze für Betrug. Sie ersetzen die hier vorgeschlagenen dezentralen Emissionsrechte unter dem EU-Zertifikatehandel nicht und können auch nicht mit diesen verrechnet werden.

Batterietechnik ungenügend entwickelt

Die bisherige Batterietechnik erlaubt der Landwirtschaft mittelfristig kaum einen Umstieg – das ist auf das Gewicht der Batterie zurückzuführen, das massiv zur Bodenverdichtung beitragen würde. Dadurch würden die Anstrengungen des oben genannten Humusaufbaus zunichtegemacht werden. Auch sind Kapazität, Investitionskosten und Ladedauer noch inakzeptabel. Ein Traktor läuft in der Saison häufig 16 bis 18 Stunden am Stück – lange Ladevorgänge sind dann nicht möglich und Batterietauschsysteme benötigen eine Normung, die noch nicht einmal beim Pkw gelungen ist – die Technologie wird aktuell nur in China von einem Hersteller verfolgt.

Aufnahme der Landwirtschaft in das ETS-Zertifikatesystem

Die Wettbewerbslage landwirtschaftlicher Betriebe erlaubt nur in wenigen Fällen ein Vor- oder Rückwälzen von Steuerlasten. Das liegt an den Machtverhältnissen in Bezug auf die vor- und nachgelagerten Marktstrukturen. Die Inzidenz liegt also auf den landwirtschaftlichen Einkommen – man sollte dann bei der Einführung der vollen Mineralölsteuer auf Agrardiesel auch klar sagen, dass man diesen Einkommensverlust bewusst in Kauf nimmt und ihn nicht zur politischen Marginalie erklären. Folge des Einkommensverlustes wäre eine weitere Aufgabe von Betrieben. Welche Rolle sollen Regionalität, Erzeugung sicherer Lebensmittel, Unabhängigkeit vom Ausland usw. künftig spielen? Will man bei den Nahrungsmitteln wirklich so enden wie bei Medikamenten, Energieversorgung oder kritischen Mineralien? Gerade die gewünschte Ökolandwirtschaft wird aufgrund ihres erhöhten Dieselbedarfs durch die Agrardieselsteuer verstärkt benachteiligt. Bezogen auf den Einkommensverlust fragt man sich weiterhin, weshalb Landwirte weniger wert sein sollen als normale Lohnbezieher – die aktuelle Mindestlohndebatte stößt einem dann besonders auf. Und schließlich: Lenkungseffekt und Erhebungsfunktion schließen sich aus. Der optimale Lenkungseffekt entstünde, wenn Landwirte eigenerzeugtes Methan aus anaerob vergorener Gülle als Treibstoff auf Basis der bisherigen Technologie nutzten; dann geht der Fiskus leer aus. Auch hier kann der Steuerstaat natürlich zu Zwangsmaßnahmen greifen, beispielsweise verplombte Zapfstellen auf Höfen durchsetzen. Damit zerstört er aber alle Bemühungen, durch Produktionsintegration und innovative Wertschöpfungsketten Treibhausgase einzusparen. Die kürzlich beschlossene „Rülpssteuer“ auf landwirtschaftliche CO2-Emissionen in Dänemark, sogenannt wegen der vor allem starken Belegung der Viehbetriebe und damit der methanerzeugenden Wiederkäuer, ist ein nach bisherigen Informationen gut gemeintes, aber wenig anreizinkompatibel ausgestaltetes Instrument. Landwirte können den Methan­ausstoß durch spezielle, leichter verdauliche Futtersorten reduzieren oder in Ställen abfangen – letzteres aber steht dem gewünschten Tierwohl entgegen. Besser wäre es, mit dem vergorenen Dung zu einem gezielten Humusaufbau – und damit einer CO2-Senke – beizutragen, durch ETS-Zertifikate eine Kompensation zu ermöglichen und das Methan intern energetisch zu nutzen, um sich so gesamtbetrieblich „Zero-Carbon“ anzunähern. Auch das Umweltbundesamt (2019) proklamiert diesen Weg der energetischen Nutzung. An Dritte verkauftes Methan würde selbstverständlich als potenzielle Klimagasquelle unter das Lizenzsystem fallen.

Eine Aufnahme der Landwirtschaft in das ETS-Zertifikatesystem – mit oder ohne eigene Gutschriften bei Senken – müsste im Sinne der Gleichbehandlung mit anderen Wirtschaftszweigen in die Cross-Border-Adjustement-Mechnismen (CBAM) der EU, bisher bei Stahl und Chemie angedacht, aufgenommen werden. Dies würde neben Fleischimporten vor allem auch Reis, dessen Anbau eine der größten globalen Methanquellen ist, drastisch verteuern, und womöglich zu völlig adversen Effekten in den Anbaugebieten des globalen Südens führen.

In der Industrie wird intensiv an Klimagasvermeidungsstrategien gearbeitet. Jede strukturelle Änderung in einem Sektor betrifft auch andere Sektoren. Deshalb sind diese zu bedenken. Die Zementindustrie steht aktuell wegen ihrer CO2-Emissionen unter Druck. Tatsächlich aber nimmt der abbindende Zement über die Zeit – je nach Stärke und Art des verbauten Materials – im Sinne eines Fließgleichgewichts sukzessive wieder CO2 auf und absorbiert über die Jahre rund 50 % der ursprünglichen Emissionen (Xi et al., 2016). Werden Bauteile recycelt und für die Wiederverwertung gemahlen, erhöht sich dieser Wert noch einmal. Man kann noch weitergehen: Eisensilikatschlacke, sogenannter Fayalit, kann CO2 durch Karbonatisierung dauerhaft binden, es entsteht sogenannter Siderit. Der Prozess findet sein Analogon im Verpressen von CO2 in tiefen Gesteinsschichten, beispielsweise in Island, oder der oft diskutierten Düngung von Ackerflächen mit Basaltgestein, um CO2 aus der Atmosphäre zu ziehen. Allerdings stellen Zementwerke keinen Fayalit her und Unternehmen, die diese Schlacken in Größenordnungen bei pyrometallurgischen Prozessen erzeugen, können bisher hierfür keine Lizenzen ausgeben. Einziger aktueller Ausweg: Die Zementindustrie kauft im Rahmen ihrer Net-Zero-Strategie Metallschmelzen. Das kann ordnungsökonomisch nicht gewollt sein und ohne derartige Verrechnungen bleiben entsprechende Innovationen sinnlos.

Dies mündet in folgende Forderungen: Umweltzertifikatesysteme müssen Quellen und Senken symmetrisch behandeln. Nur dann erfolgt eine anreizkompatible Anpassung der Landwirtschaft (bzw. auch vieler anderer Sektoren) an die Anforderungen des Klimaschutzes – leider fehlt gerade dieser Aspekt in dem Beitrag von Wigger. Kluge Wirtschaftspolitik sollte solche Maßnahmen fördern, die in Richtung von gleichen Wettbewerbsbedingungen gehen, nicht sich von diesen entfernen. Schließlich gilt es, aus ordnungsökonomischer Sicht, den Markt der Umweltlizenzen von monopolistischen Strukturen zu befreien, denn jegliche Vermachtung behindert den Wettbewerb und den für diesen konstitutiven Innovationsprozess.

Literatur

Blum, U. (2000). Volkswirtschaftslehre – Studienhandbuch (4. Aufl.). Oldenbourg-Verlag.

Blum, U. (2020). Rettet den Wald – aber bitte nachhaltig und ökonomisch rational. Land – Verbandszeitschrift der Familienbetriebe Land und Forst e.V., 2, 56–59.

BHO – Bundeshaushaltsordnung. (1969). Bundesgesetzblatt Nr. 81, 1284–1303.

Gattinger, A. & Wiesmeier, M. (2022). Humusmanagement für eine klimaresiliente Landwirtschaft [Vortrag anlässlich der Tagung des Kuratoriums für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft e.V.], 38–42.

GVFG – Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz. (1971). Gesetz über Finanzhilfen des Bundes zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden. Bundesgesetzblatt Nr. 2. 24, 239.

HGrG – Haushaltsgrundsätzegesetz. (1969). Gesetz über die Grundsätze des Haushaltsrechts des Bundes und der Länder. Bundesgesetzblatt Nr. 81, 1273–1283.

Poeplau, C., Don, A. & Schneider, F. (2021). Roots are Key to Increasing the Mean Residence Time of Organic Entering Temperate Agricultural Soils. Global Change Biology, 27(19), 4921–4934.

Skadell, L. E., Schneider, F., Gocke, M. I., Guigue, J., Amelung, W., Bauke, S. L., Hobley, E. U., Barkusky, D., Honermeier, B., Kögel-Knabner, I., Schmidhalter, U., Schweitzer, K., Seidel, S. J., Siebert, S., Sommer, M., Vaziritabar, Y. & Don, A. (2023). Twenty Percent of Agricultural Management Effects on Organic Carbon Stocks Occur in Subsoils – Results from Ten Long-Term Experiments. Agricultural Ecosystems Environment, 356, 108619.

Umweltbundesamt. (2019). Aktuelle Entwicklung und Perspektiven der Biogasproduktion aus Bioabfall und Gülle. TEXTE 41.

Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestags. (2019). Einzelaspekte zur CO2-Absorption durch Wälder, WD 8 - 3000 – 077/19.

Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestags. (2021). Haushaltsrechtliche Einordnung der Zweckbindung von Einnahmen und staatlicher Kreditaufnahme und -vergabe, WD 4 - 3000 – 062/21.

Xi, F. et al. (2016). Substantial Global Carbon Uptake by Cement Carbonation. Nature Geoscience, 9(12), 880–883.

Der Autor dankt Steffen Ehrlich, Felix Schultz und Ralf Wehrspohn für ihre Anregungen zu einer früheren Fassung des Texts.

Eine Erwiderung auf die Replik von Ulrich Blum

Von Berthold U. Wigger

Ulrich Blum hinterfragt an meiner kürzlich in dieser Zeitschrift erschienenen Analyse zur Begünstigung von Agrardiesel vier tatsächliche oder vermeintlich getroffene Annahmen: Erstens wie ich die Bedeutung der Landwirtschaft hinsichtlich Wertschöpfung und Klima einordne, zweitens dass ich die Steuertheorie für geeignet halte, die Agrardieselbegünstigung steuerlich zu bewerten, drittens dass ich eine Einbeziehung der Landwirtschaft in die CO2-Bepreisung befürworte und viertens dass ich annehme, die Energiesteuer könne in der Landwirtschaft einen positiven Lenkungseffekt auslösen.

In meinem ursprünglichen Beitrag weise ich auf die asymmetrische Bedeutung der Landwirtschaft für Wertschöpfung und Klima hin. Erstere ist mit einem trendmäßigen Anteil von weniger als 1 % an der Bruttowertschöpfung in Deutschland vergleichsweise gering, letztere mit einem Anteil von mehr als 7 % an den Treibhausgasemissionen vergleichsweise hoch, wobei in den Emissionen noch nicht solche aus dem Verbrauch von Kraftstoffen enthalten sind. Die beiden aggregierten Zahlen dienen als motivierender Hintergrund für meine ökonomische Kritik an der Begünstigung von Agrardiesel. Die Zahlen liefern nach meiner Auffassung sowohl eine Information über die wirtschaftliche Bedeutung der Landwirtschaft als auch über ihre Rolle als Emittent von Treibhausgasen. An dieser Auffassung ändern auch die etwas kryptischen Ausführungen Blums zur Input-Output-Analyse nichts. Ich schließe aus den Zahlen freilich nicht, wie Blum offenbar glaubt, man könne die Landwirtschaft „abschaffen“. Über Existenz und Umfang wirtschaftlicher Sektoren sollte am besten in Wettbewerbsmärkten entschieden werden – zumindest dann, wenn kein Marktversagen vorliegt.

Was die Bewertung der steuerlichen Begünstigung von Agrardiesel anbelangt, bin ich anders als Blum in der Tat der Auffassung, dass die Steuerlehre (nicht nur die theoretische, sondern auch die empirische) Maßstäbe für die Steuerpolitik setzen kann oder sogar sollte. Die Steuerlehre liefert Anhaltspunkte für die Auswirkungen der Agrardieselbesteuerung in der Landwirtschaft. Vorliegende empirische Evidenz zeigt, dass die Steuerbegünstigung in hohem Maße kapitalisiert wird, d. h. zu höheren Preisen für landwirtschaftliche Böden und Pachten führt (Latruffe & Le Mouël, 2009). Deren Nutznießer sind deshalb vor allem vermögende Landeigentümer.

Statt sich auf die Steuerlehre zu beziehen, scheint Blum der Auffassung zu sein, gegen eine Abschaffung der Agrardieselbegünstigung spreche, dass der Staat auf eine Besteuerung von Kerosin in der Luftfahrt verzichtet. Landwirtschaft und Luftfahrt lassen sich indessen steuerlich schlecht vergleichen. Kerosin unterliegt zwar nicht der Energiesteuer, Abflüge von deutschen Flughäfen aber der Luftverkehrsteuer. Deutschland gehört in Europa zu den Ländern mit den höchsten Luftverkehrsteuersätzen. Die deutsche Politik weist darauf hin, dass die Luftverkehrsteuer statt einer Kerosinsteuer erhoben wird (z. B. Deutscher Bundestag, 2024). Luftfahrtgesellschaften könnten einer Kerosinbesteuerung durch Betanken ihrer Flugzeuge im Ausland ausweichen. Dagegen werden Luftverkehrsteuern in hohem Maße auf Fluggäste überwälzt (Falk & Hagsten, 2018; Helmers & van der Werf, 2022). Anders verhält es sich in der Landwirtschaft. Dort spielt der namensgebende Faktor Land eine zentrale Rolle. Weil Land immobil ist, belastet eine höhere Besteuerung von Agrardiesel insbesondere Landeigentümer.

Weiterhin moniert Blum meine kritische Haltung dazu, dass Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft, die nicht der mobilen oder stationären Verbrennung von Kraftstoffen zuzurechnen sind, weder der nationalen noch der europäischen CO2-Bepreisung durch Emissionszertifikate unterliegen. Als Gegenargument führt er an, dass in der Landwirtschaft CO2-Senken wie Wälder und Böden Treibhausgase absorbieren. Tatsächlich sollte bei der Bepreisung landwirtschaftlicher Treibhausgasemissionen das Anlegen solcher Senken gegengerechnet werden. Dazu bedarf es aber keines abgekoppelten landwirtschaftlichen CO2-Bepreisungssystems. Vielmehr sollten die Opportunitätskosten von Treibhausgasemissionen in verschiedenen Sektoren einander möglichst gleichen, was für ein integriertes System spricht.

Schließlich bemängelt Blum meine Annahme, die Mineralölsteuer könne einen positiven Lenkungseffekt in der Landwirtschaft auslösen. In seiner Kritik macht sich Blum das Argument landwirtschaftlicher Interessenvertreter zu eigen, demzufolge landwirtschaftliche Betriebe nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten auf CO2-ärmere oder -neutrale Antriebe ausweichen können. Anpassungen landwirtschaftlicher Produktionsprozesse an sparsamere Verbrennungsmotoren oder Elektromotoren sind aber durchaus möglich (Balmann, 2024). Dass solche Anpassungen bislang ausgeblieben sind, dürfte auch damit zu tun haben, dass es dafür in der Vergangenheit keine ausreichenden Anreize gab.

Insgesamt bewegen mich die Ausführungen von Ulrich Blum nicht zu einer Neueinschätzung der steuerlichen Begünstigung von Agrardiesel. Wie ich in meinem ursprünglichen Beitrag darlege, lässt sich ihre Abschaffung ordnungs-, verteilungs- und umweltpolitisch gut begründen. Sie war daher überfällig.

Literatur

Balmann, A. (2024, 15. Januar). Kürzung und Streichung der Agrardiesel-Beihilfe – Eine Einordnung. Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung im Finanzausschuss des Deutschen Bundestags.

Deutscher Bundestag. (2024). Entwurf eines zweiten Haushaltsfinanzierungsgesetzes 2024. BT-Drucksache 20/9999.

Falk, M. & Hagsten, E. (2018). Short-run impact of the flight departure tax on air travel. International Journal of Tourism Research, 21(1), 37–44.

Helmers, V. & van der Werf, E. (2022). Did the German Aviation Tax Affect Passenger Numbers? New Evidence Employing Difference-in-differences. VfS Annual Conference 2022 (Basel): Big Data in Economics 264118.

Latruffe, L. & Le Mouël, C. (2009). Capitalization of Government Support in Agricultural Land Prices: What Do We Know? Journal of Economic Surveys, 23(4), 659–691.

Title:Agricultural Diesel: Reply and Rejoinder

Abstract:In the April 2024 issue, Wirtschaftsdienst published an article entitled ‘The abolition of tax breaks for agricultural diesel is overdue’ by Berthold U. Wigger. Ulrich Blum takes a different view in a reply, after which Wigger explains his position in a rejoinder.

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© Der/die Autor:in 2024

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DOI: 10.2478/wd-2024-0182