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Die Schuldenbremse wurde eingeführt um wahltaktische Ausgabenexzesse zu begrenzen und die (Schulden-)Trag­fähigkeit zu sichern. Zwar konnte die Schuldenquote gesenkt werden, doch um den Preis eines Investitionsstaus und anhaltender Leistungsbilanz­überschüsse. Ursache sind die im Inland nicht verwertbaren Sparüberschüsse der Haushalte. Übersteigen diese den Kapitalbedarf der Unternehmen, muss zwangsläufig entweder die Verschuldung des Staates oder die des Auslands ansteigen. Folglich führte die Senkung der Schuldenquote in den letzten Jahren zu einer höheren Verschuldung des Auslands. Angesichts der niedrigen Verzinsung dienen höhere Investitionen künftigen Generationen mehr als der niedrigere Schuldenstand.

Der öffentliche Investitionsstau und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom November 2023 haben zu einer Intensivierung der Diskussion um die Schuldenbremse geführt. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR Wirtschaft) empfiehlt eine Flexibilisierung der Schuldenbremse und eine leichte Lockerung, da sie in ihrer aktuellen Ausgestaltung „starrer [sei], als es für die Aufrechterhaltung der (Schulden-)Tragfähigkeit in Deutschland notwendig wäre“ (Grimm et al., 2024). Feld et al. (2024) schließen aus dem Vergleich der aktuellen Entwicklung mit einer sogenannten synthetischen Kontrollgruppe, welche ein „Deutschland ohne Schuldenbremse“ abbilden soll, dass die Schuldenbremse keinen negativen Effekt auf öffentliche Investitionen hat, jedoch erheblich zur Konsolidierung des Haushaltes beigetragen und die Zinskosten gesenkt habe. Mühlenweg et al. (2024) bestreiten das: Eine Verfeinerung der Methodik stütze (weiterhin) einen negativen Zusammenhang zwischen Schuldenbremse und gesamtstaatlichen Investitionen.

Die Konzentration der laufenden Debatte auf die Tragfähigkeit der Budgetfinanzierung und die Folgen der Schuldenbremse für die öffentlichen Investitionen ist insoweit zu eng, als sie die grundlegende historische Veränderung des Finanzierungssystems vernachlässigt. Nach wie vor legt die Debatte die „klassische“ Konstellation einer Knappheit an Ersparnissen und die Forderung einer (potenziellen) Rückzahlbarkeit der Staatsschulden zugrunde. Sie übersieht, dass es in Europa (und in Teilen Asiens) einen ausgeprägten Trend zu Sparüberschüssen gibt, und dass durch die zunehmende Bedeutung öffentlicher Investitionen den Staatsschulden zunehmend materielle (und auch immaterielle) Werte gegenüberstehen. Bereits im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts haben wohlstandsbedingtes Massensparen und geringerer Finanzierungsbedarf der Wirtschaft die These der Kapitalknappheit weitgehend obsolet werden lassen. Zunehmend ergaben sich Sparüberschüsse, die allerdings durch Kriege und Inflation zunächst aufgesogen wurden und insofern keine ernsteren Probleme aufwarfen. Spätestens seit Beginn des 21. Jahrhunderts dämpfen Sparüberschüsse jedoch Konsum und Wachstum. Die Verschuldungs­bereitschaft der Wirtschaft ist durch sinkende Kapitalintensität1 und schwaches Wachstum begrenzt und Regierungen streben nach Austerität, indem sie versuchen die Verschuldung des Staates tendenziell einzudämmen. An dieser Konstellation dürfte sich in absehbarer Zukunft wenig ändern.

Die Wirtschaftspolitik muss daher die grundlegende Beschränkung ihrer Maßnahmen durch die Trivialarithmetik der Saldenmechanik berücksichtigen, derzufolge die Summe der Ersparnisse gesamtwirtschaftlich (einschließlich Ausland) der Summe der Schulden entsprechen muss. Sofern die Ersparnisse der Haushalte nicht von der Wirtschaft im Wege der Verschuldung aufgenommen werden, muss sich jemand anderer verschulden. Das können nur der Staat oder das Ausland sein. Sind diese dazu nicht bereit, entsteht zwangsläufig eine rezessive Entwicklung, die die Beteiligten zu Anpassungen zwingt. Die Haushalte werden infolge sinkender Einkommen und Arbeitslosigkeit trotz höherer Unsicherheit weniger sparen können, der Staat wird durch sinkende Einnahmen zu höherer Verschuldung gezwungen, das Ausland zur Verschuldung durch höhere Importe, was zu einem Leistungsbilanzdefizit beiträgt.

Die gewandelte Finanzierungsstruktur

Angesichts der jahrhundertelang dominierenden Knappheit an Finanzierungsmitteln konzentrierte sich die wirtschaftsgeschichtliche Forschung auf die Finanzierung der Investitionen und inwieweit Industrialisierung und Wirtschaftswachstum durch Kapitalknappheit behindert wurden (Bergier, 1973, S. 412). Die Frage, woher die Finanzierungsmittel kamen, wer die Sparer waren und welche Motive sie hatten, wurde ebenso weitgehend vernachlässigt wie eventuelle Diskrepanzen zwischen Spar- und Investitionsplänen und deren Anpassung. Für die Wirtschaftstheorie – zumindest für ihren Mainstream – war die Frage nach möglichen Diskrepanzen zwischen Sparen und Investitions­finanzierung hingegen wenig interessant. Sie ging davon aus, dass der Zinssatz Angebot und Nachfrage nach Finanzierungsmitteln steuert und dafür sorgt, dass sich Angebot und Nachfrage stets ausgleichen. Abweichungen vom Spar-Investitionsgleichschritt könnten bestenfalls kurzfristige Übergangsprobleme sein. Das entsprach im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch der Realität, allerdings weniger als Folge effizienter Steuerung durch den Zinssatz, sondern als Folge der dominierenden Selbstfinanzierung. Die Hypothese der Steuerung durch den Zins prägt jedoch das Denken bis heute – zu Unrecht, denn schon bald traten als Folge der relativ geringen Zinselastizität sowohl von Investitionen als auch von Ersparnissen anhaltende Ungleichgewichte auf. Nicht nur der Zinssatz erwies sich als bloß einer von zahlreichen Bestimmungsgründen von (finanziellem) Sparen und Investitionsfinanzierung. Überdies wird er selbst weniger durch Spar-Investitionsdiskrepanzen bestimmt als durch Risikoeinschätzung und Inflationserwartungen.2

In der Periode der Klassischen Politischen Ökonomie sorgten die institutionellen Gegebenheiten dafür, dass Spar- und Investitionspläne de facto identisch waren. Mangels Ersparnissen der Bevölkerung mussten die industriellen Investitionen von den Unternehmern so gut wie vollständig selbstfinanziert werden3, die Infrastrukturinvestitionen (Kanäle, Eisenbahnen, etc.) in England durch Nobility und Gentry, am Kontinent durch Adel und Staat, wenn auch vielfach über den Weg der Aktienemissionen (Gille, 1973, S. 25). Im Laufe des 19. Jahrhunderts verbreiterte sich die Finanzierungsbasis: die Einkommenslage breiterer Bevölkerungsschichten verbesserte sich so weit, dass Vorsorgesparen möglich und üblich wurde (Wilke, 2016); zugleich stieg der Kapitalbedarf für Infrastruktur- (Eisenbahn, städtische Infrastruktur usw.) wie auch für Industrieinvestitionen, sodass Fremdfinanzierung an Bedeutung gewinnen musste. Die Gleichheit von Spar- und Investitionsplänen, die zuvor durch den hohen Selbstfinanzierungsgrad erzwungen worden war, war nicht mehr automatisch gegeben; der Rückgang der Zinssätze (Kugler, 2017) lässt jedoch bereits damals einen gewissen Sparüberschuss vermuten. Die Transmission der Ersparnisse in Kredite wurde durch zwei Finanzinnovationen der damaligen Zeit erleichtert: Kreditbanken (Crédit Mobilier, 1855) und wenig später Sparkassen. Ein erheblicher Teil der Ersparnisse floss, statt direkt in die Investitionen, zunächst zu den Finanzinstituten, die sie zur Investitions­finanzierung in Kredite transformieren mussten (Intermediation). Damit entstanden die bekannten Probleme der Instabilität, sowie der Fristen- und Risikentransformation.4

Nach der Kapitalknappheit der Wiederaufbauperiode begannen spätestens gegen Ende des 20. Jahrhunderts Sparüberschüsse zu dominieren. Nach Deutschland und Japan, die diesbezüglich eine bis um die Mitte der 1960er Jahre zurückreichende Tradition aufweisen, übersteigt die Geldkapitalbildung den Finanzbedarf in China und Korea seit der Mitte der 1990er Jahre. Korrespondierend weisen die USA seit den frühen 1980er Jahren erhebliche Spardefizite auf. Seit der Finanzmarktkrise 2008 hat auch die EU einen Finanzierungsüberschuss, da nicht nur die Haushalte kräftig sparen sondern sogar die Unternehmen (Abbildung 1); statt sich zwecks Investitions­finanzierung zu verschulden, gewähren sie selbst Kredite und erwerben Anteilswerte und (eigene) Aktien. Der Geldkapitalüberschuss der EU musste (saldenmechanisch zwangsläufig) von Ausland und öffentlicher Hand aufgenommen werden.

Abbildung 1
Finanzierungsalden in der EU
Finanzierungsalden in der EU

Quelle: Eurostat (2024a, S1-7: Contributions of sectors to the net lending (+) / net borrowing (-) of the European Union); Sektorsalden.

Die Ursachen des europäischen Sparüberschusses sind umstritten. Bernanke (2005), der den Begriff der Sparschwemme („savings glut“) prägte, löste damit eine heftige empirische Debatte darüber aus, ob zu viel gespart oder zu wenig investiert würde („investment drought“). Eggertsson und Mehrotra (2014) näherten sich dem Problem aus der Sicht der sekulären Stagnationshypothese, derzufolge die Nachfrage dauerhaft unzureichend, die Ersparnis demgemäß hoch sei, und der mit Vollbeschäftigung kompatible Zinssatz negativ sein müsste. Ursache der Stagnation seien vor allem langsames Wachstum von Arbeitskräftepotenzial und Produktivität, zunehmend ungleiche Einkommensverteilung und geringere Risikobereitschaft (Summers, 2014). Weizsäcker und Krämer (2019) begründeten den Spar­überschuss kapitaltheoretisch als Diskrepanz zwischen einer durch das Investitionsrisiko limitierten durchschnittlichen Produktionsperiode von etwa fünf Jahren und einer Sparperiode, die infolge der hohen Lebenserwartung mindestens zwölf Jahre beträgt.5 Generell erscheint der Sparüberschuss als ein Phänomen wohlhabender und langlebiger Gesellschaften.

Die Schuldenbremse im Licht von Sparüberschuss und Saldenmechanik

In Deutschland wird die saldenmechanische Problematik des Sparüberschusses wie durch ein Brennglas überdeutlich erkennbar. Die Haushalte sparen überdurchschnittlich – die Sparquote liegt um etwa ein Sechstel (2 Prozentpunkte) über der der EU, die Unternehmen investieren unterdurchschnittlich (Abbildung 2) und verschulden sich demgemäß wenig. Zuletzt (2023) wurden vom Nettogeldvermögen der Haushalte im Ausmaß von etwa 5,5 Mrd. Euro (brutto 7,75 Mrd. Euro) bloß rund 2 Mrd. Euro als Nettoverschuldung der Unternehmen in Anspruch genommen. Da der Staat überdies bis 2019 stets Finanzierungsüberschüsse von 1 % bis 2 % des BIP aufwies (Eurostat, 2024b) musste der Sparüberschuss vom Ausland aufgenommen werden: Demgemäß schwankte der deutsche Leistungsbilanzüberschuss zwischen 7 % und 9 % des BIP. Das widerspricht nicht nur massiv den Zielvorgaben im Rahmen des makroökonomischen Überwachungsverfahrens der Europäischen Union, sondern erscheint auch gesamtwirtschaftlich wenig effizient. Der Sparüberschuss ließ die deutschen Auslandsaktiva auf etwa 300 % des BIP steigen, die Nettoposition auf 60 %. Abgesehen von der Frage, warum die Deutschen fleißig arbeiten und sparen, um die Produkte dem Ausland auf Kredit zur Verfügung zu stellen, erwiesen sich Auslandsanlagen als schlechtes Geschäft. Zwischen 1975 und 2017 erzielten sie eine Rendite von bloß 4,9 %, halb so viel wie die der USA, Englands oder auch Kanadas (Hünnekes et al., 2023, S. 5). An der Wall Street spricht man angeblich von „stupid German money“.6

Abbildung 2
Der deutsche Sparüberschuss
Der deutsche Sparüberschuss

Brutto-Sparquote der privaten Haushalte in Prozent des verfügbaren Einkommens; Investitionsquote privater Unternehmen und Leistungsbilanz in Prozent des BIP.

Quelle: Eurostat (2024b), OECD, WKO (2024a, 2024b).

Die Kritik an der wenig beeindruckenden Rendite der deutschen Auslandsanlagen darf allerdings nicht übersehen, dass diese nicht Folge einer bewussten Strategie waren, sondern sich zwangsläufig aus dem im Inland nicht verwertbaren Sparüberschuss ergaben. Statt die Schuldenbremse angesichts der Konstellation Sparüberschuss und unzureichende Infrastrukturinvestitionen zu lockern, wurde versucht die Anlage der kontinuierlichen Spar­überschüsse im Ausland ex post als Strategie der Altersvorsorge zu rechtfertigen. Wenn die (derzeit) sparende Generation aus dem Berufsleben ausscheidet, könne sie auf (ihre?) Auslandsersparnisse (via Leistungsbilanzdefizit) zurückgreifen, sodass sie die kommende nicht belastet. Die Argumentation ist allerdings wenig überzeugend; die Strategie erscheint wenig effizient. Den unterdurchschnittlichen Erträgen stehen neben den üblichen Anlagerisiken zum Teil auch Wechselkursrisiken gegenüber.

„[…] German returns on foreign assets were considerably lower than the returns on domestic assets and we find little evidence that foreign returns have positive effects for consumption insurance. The return on Germany’s external assets is highly correlated with German economic activity – even more so than domestic returns – and thus provides no hedge against domestic consumption shocks. Moreover, 70 % of Germany’s foreign assets are invested in other advanced economies that face similar demographic risks. In the past decade, less than 10 % of capital flows went to younger, more dynamic economies outside of Europe or North America, even though emerging markets now account for more than 50 % of world GDP.“ (Hünnekes et al., 2023, S. 4)

Die reale (gütermäßige) Rückführung der Auslandsersparnis wird durch die Anlage in demografisch ähnlichen Ländern erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht.

Die Folgen für die Wirtschaftspolitik

Solange die deutschen Haushalte mehr sparen als die deutsche Wirtschaft zur Finanzierung ihrer Investitionen benötigt, muss sich die öffentliche Hand im Ausmaß des Überschusses verschulden, sofern man die (nicht unproblematischen) Auslandsanlagen nicht noch weiter anwachsen lassen möchte. Weder die internationale noch erst recht die deutsche Entwicklung lassen Anzeichen erkennen, dass sich die ausgeprägte Diskrepanz zwischen Ersparnissen und privaten Investitionen in Deutschland in absehbarer Zeit verringern könnte. Selbst eine stärkere Rezession würde wenig ändern, weil sie die privaten Investitionen vermutlich stärker beträfe als die Spartätigkeit. Versuche, das Haushaltssparen zur Beseitigung der Sparschwemme zu bremsen, wären gesellschaftspolitisch problematisch und wirtschaftspolitisch vermutlich erfolglos. Die deutsche Staatsverschuldung wird daher künftig weiter steigen, ob gewollt oder ungewollt, ob mit oder ohne Schuldenbremse. Das erscheint auch keineswegs problematisch, sofern man sich von der deutschen Schuldenphobie löst.7 Der Bedarf an öffentlichen Gütern, auch über die strikt materiellen Investitionen hinaus, ist enorm; die meisten von ihnen „rentieren“ sich auch, vielfach sogar betriebswirtschaftlich, so gut wie immer wohlstandsmäßig. Überdies stehen den Schulden Werte in Form öffentlicher Güter gegenüber; die sprichwörtliche „nächste Generation“ wird somit nicht belastet, sie profitiert!

Damit soll natürlich nicht für eine undifferenzierte Aufhebung der Schuldenbremse plädiert werden, selbst wenn dieses europäische Spezifikum einen isolierten Sonderweg darstellt. Ihr primitives Regelwerk kann eine ökonomisch sinnvolle Bewertung von Budgetdefiziten und Staatsschulden nicht ersetzen. Die Schuldenbremse wurde eingeführt, um wahltaktisch oder populistisch motivierte Ausgabenexzesse der Politiker zu begrenzen; ihre Aufhebung würde nicht zwangsläufig zu höheren Investitionen führen. Denn die Politiker ziehen laufende Ausgaben den investiven zumeist vor: deren Folgen sind sichtbarer, sie wirken rascher und sind damit populärer. Eine Reform der Schuldenbremse müsste daher sowohl berücksichtigen, wofür die Schulden aufgenommen werden (Verwendungszweck der Ausgaben) als auch den Typ der Verschuldung. Es macht einen enormen Unterschied, ob den Schulden inländische Sparüberschüsse gegenüberstehen, ob sie mit der Kreditnachfrage der Wirtschaft konkurrieren oder ob sie im Ausland (eventuell sogar in ausländischer Währung) aufgenommen werden.

Dass zwar ertragreiche Investitionen, nicht aber laufende Ausgaben schuldenfinanziert werden dürfen, ist ein altes Konzept, das unter der Bezeichnung „Golden rule“ firmiert. Es wird von den Schuldenbremse-Anhängern abgelehnt, weil es angeblich nicht operationalisierbar ist und Umgehungen ermöglicht. Das ist nicht ganz falsch, doch gibt es genügend Vorschläge einer tragbaren Abgrenzung (Anderson & Darvas, 2020; Begg & Cicak, 2024). Selbst wenn sich manche Umgehungen nicht vermeiden lassen, wäre eine Form der Goldenen Regel als richtiges, wenn auch imperfektes Konzept dem gegenwärtigen falschen zweifellos vorzuziehen.

  • 1 Der expandierende Dienstleistungssektor ist im Durchschnitt deutlich weniger kapitalintensiv als die Industrie.
  • 2 Siehe dazu die ausführlichere Darstellung in Tichy (2019).
  • 3 „Self-financing was the rule at the start of industrialisation“ (Bergier, 1973, S. 413). Selbst bekannte Firmen wie Bosch oder Krupp mussten die Gründung ihrer Betriebe überwiegend durch Verwandtendarlehen finanzieren, die weiteren Investitionen aus dem Gewinn (Engelmann, 1970, S. 73–74; Pierenkämper, 1990, S. 91; Hertz-Eichenrode, 2004, S. 48–49).
  • 4 Die größere Instabilität zeigte sich nicht zuletzt im Börsencrash 1873. Die anderen Probleme hingegen wurden damals noch nicht schlagend: Die Transformation spielte eine geringere Rolle als heute. Die begüterten Sparer zogen zwecks höherer Erträge eine längere Bindung vor, sparten mehr in Form von Wertpapieren und der rasante Ausbau der Infrastruktur wurde vielfach direkt finanziert (Selbstfinanzierung, Anleihen, Aktien). Auch die mit der Fremdfinanzierung verbundene Gefahr übermäßiger Verschuldung wurde nicht schlagend, weil Krieg und Inflation Schulden wie Geldanlagen noch vor Eintreten einer eventuellen Überschuldung vernichteten.
  • 5 Ohne Staatsverschuldung müsste der reale Gleichgewichtszinssatz, der zu gleich hohen Investitionen und Ersparnissen führt, kleiner Null sein. Insofern ist die savings glut Folge von Sparplänen, die die Investitions- bzw. Verschuldungsbereitschaft zwangsläufig übersteigen.
  • 6 Ein ursprünglich von der US-amerikanischen Filmwirtschaft geprägter Begriff für Gelder aus geschlossenen Medienfonds des deutschlandspezifischen grauen Kapitalmarkts. Diese Fonds wurden ab der Jahrtausendwende wegen hoher Abschreibungsmöglichkeiten als Steuersparmodell genutzt.
  • 7 Als wichtiger Grund für das beharrliche Ignorieren des systemischen Charakters und der Persistenz der gegenwärtigen Sparschwemme durch die deutsche Öffentlichkeit und Politik sind wohl mikroökonomische Analogien und moralisierend-ideologische Ansätze zu nennen. Die Analogie zur „schwäbischen Hausfrau“, für die Sparen zu Recht eine Tugend ist, verstellt den Blick von Öffentlichkeit, Medien und Politik auf die makroökonomischen Folgen: dass eine übersteigerte Spartätigkeit der Gesellschaft die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und in weiterer Folge Beschäftigung und Wohlstand reduziert.

Literatur

Anderson, J. & Darvas, Z. (2020). New life for an old framework: redesigning the European Union’s expenditure and golden fiscal rules.

Begg, I. & Cicak, D. (2024). The EU’s future prosperity: What role for the fiscal framework. econpolFORUM, 25(3), 32–36.

Bergier, J. F. (1973). The industrial bourgeoisie and the rise of the working class, 1700-1914. In C. Cipolla (Hrsg.), The Fontana economic history of Europe: Volume 3: The industrial revolution (S. 397–451). Collins/Fontana.

Bernanke, B. S. (2005, 10. März). The Global Saving Glut and the U.S. Current Account Deficit (Speech delivered for the Sandridge Lecture at the Virginia Association of Economists).

Eggertson, G. B. & Mehrotra, N. R. (2014). A model of secular stagnation. NBER Working Paper, 20574.

Engelmann, B. (1970). Krupp. Legenden und Wirklichkeit. dtv.

Eurostat. (2024a, 10. September). Haushaltssparquote [Datensatz].

Eurostat. (2024b, 10. September). Defizit/Überschuss, Schuldenstand des Staates und damit zusammenhängende Daten [Datensatz].

Feld, L. P., Hassib, J., Langer, M., Nientiedt, D. & Weber, P. (2024). Schuldenbremse und öffentliche Investitionen: Erwiderung auf Mühlenweg et al. Wirtschaftsdienst, 104(7), 476–481.

Gille, B. (1973). Banking and industrialisation in Europe. 1730-1914. In C. M. Cipolla (Hrsg.), The Fontana economic history of Europe: Volume 3: The industrial revolution (S. 255–300). Collins/Fontana.

Grimm, V., Malmendier, U., Schnitzer, M., Truger, A. & Werding, M. (2024). Die Schuldenbremse nach dem BVerfG-Urteil: Flexibilität erhöhen – Stabilität wahren. SVR Policy Brief, 1/2024.

Hertz-Eichenrode, A. (2004). Süsses Kreditgift: die Geschichte der Unternehmensfinanzierung in Deutschland. Frankfurter Allgemeine Buch.

Hünnekes, F., Konradt, M., Schularick, M., Trebesch, C. & Wingenbach, J. (2023). Exportweltmeister: Germany’s foreign investment returns in international comparison. Kiel Working Paper, 2133.

Kugler, P. (2017). Sinkende Zinsen im Lauf der Geschichte. Die Volkswirtschaft, 5, 6–11.

Mühlenweg, L., Kaczmarczyk, P., Hornung, L. & Kleimeier, N. (2024). Die Schuldenbremse – ein Garant für nachhaltige Haushaltspolitik? Eine Replik auf Feld et al. Wirtschaftsdienst, 104(7), 470–475.

Pierenkämper, T. (1990). Zur Finanzierung von industriellen Unternehmensgründungen im 19. Jahrhundert, mit einigen Bemerkungen über die Bedeutung der Familie. In D. Petzina (Hrsg.), Zur Geschichte der Unternehmensfinanzierung (S. 69–97). Duncker & Humblot.

Summers, L. (2014, 7. März). Why austerity is counterproductive in the new economy. Huffington Post.

Tichy, G. (2019). Das vernachlässigte Massensparen. Die wirtschaftspolitischen Folgen zunehmender Intermediation. WIFO-Monatsberichte, 92(8), 583–597.

von Weizsäcker, C. C. & Krämer, H. (2019). Sparen und Investieren im 21. Jahrhundert: Die große Divergenz. Springer Gabler.

Wilke, F. (2016). Sparen für unsichere Zeiten. Springer.

WKO – Wirtschaftskammer Österreich. (2024a). Investitionsquoten.

WKO – Wirtschaftskammer Österreich. (2024b). Leistungsbilanzsalden.

Title:A Balance Sheet Mechanics Perspective on the Debt Brake

Abstract:The debt brake was introduced to limit electoral spending excesses and ensure (debt) sustainability. Although the debt ratio has been reduced, this has come at the cost of an investment backlog and persistent current account surpluses. The reason for this is the household savings surplus that cannot be utilised domestically. If these savings exceed the capital requirements of companies, either government debt or foreign debt inevitably increases. Consequently, the reduction in the debt ratio in recent years has led to higher foreign debt. In light of low interest rates, higher investments will benefit future generations more than lower debt levels.

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© Der/die Autor:in 2024

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DOI: 10.2478/wd-2024-0198