Der vorliegende Aufsatz beleuchtet den Fiskalföderalismus in Deutschland. Wir betrachten die Aufteilung staatlicher Aufgaben auf die föderalen Ebenen, die regionale Umverteilung im föderalen Staat, die Aufteilung von Steuereinnahmen und Besteuerungsrechten, und wir diskutieren den Reformbedarf und die Reformoptionen für Deutschland.
Kompetenzverflechtungen abbauen
Welche föderale Ebene sollte öffentliche Güter und Dienstleistungen (ÖGD) bereitstellen? Für Zentralisierung sprechen unter anderem Größenvorteile: ÖGD können zentralstaatlich teils günstiger bereitgestellt werden als dezentral im regionalen Kontext. Zudem werden Externalitäten im Raum berücksichtigt: Eine Straße stiftet beispielsweise nicht nur den Bewohnern der Gemeinde Nutzen, in der sie angesiedelt ist, sondern auch Bewohnern von Nachbargemeinden – letzteres wird von lokalen Entscheidungsträgern bei ihren Ausgabenentscheidungen aber nicht berücksichtigt (Musgrave, 1959).
Im Gegenzug ist der Kernvorteil einer dezentralen Ausgabenstruktur, dass regionale und lokale Differenzen in den ÖGD-Präferenzen abgebildet werden. Bürger können regional und lokal über Ausgabenpolitik entscheiden und können sich in Gemeinden und Bundesländern ansiedeln, die ihren ÖGD-Präferenzen entsprechen (Tiebout, 1956). Eine dezentrale Bereitstellung bietet zudem den Vorteil einer Vielzahl von Politikexperimenten, bei denen Formen der ÖGD-Bereitstellung hinsichtlich ihrer Qualitäts- und Kostenimplikationen beobachtbar werden und so Lernen im politischen Raum möglich wird.
Die Aufteilung der Ausgabenzuständigkeiten im deutschen föderalen System ist eng an den oben genannten Überlegungen ausgerichtet. So verantwortet der Bund vor allem Aufgaben, die durch überregionale Übertragungseffekte (sog. Spillover-Effekte) und Kostenvorteile bei zentraler Bereitstellung sowie ein geringes Maß an Präferenzheterogenität gekennzeichnet sind (beispielsweise auswärtige Angelegenheiten). Bei ÖGD auf Landes- und kommunaler Ebene variieren die Präferenzen und die Ausgabenhöhe hingegen erheblich – von Bildung bis zu Sport, Erholung, Kultur und Religion (Abbildung 1).
Abbildung 1
Ausgaben pro Kopf
Die Grafik zeigt Unterschiede in den aggregierten Ausgaben pro Einwohner auf Länder- und kommunaler Ebene in einer bestimmten Ausgabenkategorie, normalisiert auf den Median aller Bundesländer (BL). Zu sehen sind sogenannte Box-Plots, die das 10., 25., 75., und 90. Quantil der Verteilung und den Median darstellen. Eine ähnliche Heterogenität zeigt sich, wenn Ausgabenanteile in den entsprechenden Ausgabenkategorien verglichen werden.
Quelle: eigene Berechnungen auf Basis der Rechnungsergebnisse der Kern- und Extrahaushalte des öffentlichen Gesamthaushalts 2018, Statistisches Bundesamt (2023).
Anpassungsbedarf besteht aus unserer Sicht vor allem mit Blick auf Kompetenzverflechtungen bei Gesetzgebungs- und Verwaltungsaufgaben. Hier sind Zuständigkeiten und Verantwortung der politischen Entscheidungsträger durch die Einbindung verschiedener Ebenen verwässert. Zentral betrifft das den Themenkomplex soziale Sicherung. Hier liegt die Gesetzgebungskompetenz beim Bund, was konzeptionell auch sinnvoll ist. Das verhindert interregionalen Wettbewerb nach unten, d. h. einen „race-to-the-bottom“ in der Gewährung von Sozialleistungen, um Sozialhilfeempfänger zum Umzug in andere Regionen anzureizen. Länder und Kommunen spielen aber eine wichtige Rolle bei der Umsetzung und Verwaltung der Sozialpolitik. Unter anderem sind die Kommunen für die Kosten der Unterkunft für Bürgergeldbezieher zuständig. Aufwendungen für Sozialleistungen machen sogar das Gros kommunaler Ausgaben aus (Deutsche Bundesbank, 2016). Trotz Aufwendungserstattungen durch den Bund, geht diese Aufgabe für viele Kommunen mit Zusatzlasten einher,1 die über kommunale Schuldenaufnahme, Ausgabenreduktionen oder Steuererhöhungen kompensiert werden müssen (Wissenschaftlicher Beirat am BMWi, 2020). Teils leiden Investitionen, die gemeinhin als Residualgröße im Kommunalhaushalt fungieren. Die Kompetenzverflechtung führt damit zu einer zusätzlichen Schwächung strukturell schwacher Gemeinden und kann zu einer Erhöhung regionaler Disparitäten beitragen.
Die direkteste Lösung dieses Problems ist die Administration der Sozialleistungen von den Gemeinden an den Bund zu übertragen.2 Das behebt zum einen die beschriebene finanzielle Zusatzbelastung der Gemeinden. Zum anderen werden Kompetenzverflechtung abgebaut und Verantwortlichkeiten gestärkt. Im Zeitalter der Digitalisierung (in dem beispielsweise über Mietspiegel allgemeinzugänglich Informationen zu lokalen Wohnungsmärkten verfügbar sind) ist zudem nicht zu erwarten, dass ein solcher Schritt mit Friktionen in der ÖDG-Bereitstellung einhergeht.
Der Finanzausgleich in Deutschland
Der Föderalismus in Deutschland ist stark geprägt durch die Finanzausgleichssysteme. Der Finanzausgleich folgt Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG, der verlangt, dass Finanzkraftunterschiede zwischen den Ländern angemessen ausgeglichen werden, mit dem Ziel „gleichwertige“ Lebensverhältnissen im Bundesgebiet zu schaffen (Art. 72 Abs. 2; Art. 105 Abs. 2, Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2). Die Vorstellung ist, dass eine Mindestausstattung mit ÖGD (Infrastruktur, Ausbildungs- und Kulturgüter) regional und lokal gegeben sein muss, um eine gleichwertige soziale und ökonomische Teilhabe der Menschen im Bundesgebiet zu ermöglichen. Welche ÖGD und welche Finanzausstattung hierfür von Nöten sind, ist nicht näher spezifiziert. Der Gesetzgeber sieht sich damit bei der Ausgestaltung des Finanzausgleichs einem Zielkonflikt gegenüber: Ein stärkerer Ausgleich und damit ein höheres Maß an regionaler Umverteilung geht mit höheren Effizienzkosten einher.
Der Finanzausgleich in Deutschland ist im internationalen Vergleich (Dougherty & Forman, 2021) durch einen hohen Umverteilungsgrad gekennzeichnet. Erhöhen Bundesländer über wirtschafts- und finanzpolitische Maßnahmen ihre Steuereinnahmen, fließen diese Mehreinnahmen zu einem Großteil über den Finanzausgleich ab.3 Hierdurch können Anreize für gute Wirtschafts- und Finanzpolitik geschmälert werden.4 Das ist dann problematisch, wenn Landespolitik stark am Steuereinnahmeziel ausgerichtet ist (relativ zu anderen Zielen, wie der Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze) und wenn durch die betrachtete Wirtschaft- und Finanzpolitik genuin neue ökonomische Aktivität geschaffen wird. Bei wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die Menschen und ökonomische Aktivität aus anderen Bundesländern abwerben, ist eine Berücksichtigung der „Abwerbungsexternalität“ über das Finanzausgleichssystem hingegen wünschenswert (Köthenbürger, 2002). Der Finanzausgleich berücksichtigt zudem, dass die ÖGD in strukturschwachen Nehmerländern teils systematisch zur ökonomischen Aktivität und den Steuereinnahmen der Geberländer beitragen – vor allem bilden Nehmerländer über ihre Schulsysteme Menschen aus, die später – wie Migrationsdaten zeigen – vermehrt in strukturstärkere Geberländer migrieren. Demgegenüber stehen ökonomische Kosten des Finanzausgleichs, da Agglomerationsvorteile nicht voll ausgeschöpft werden: Produktionsfaktoren verbleiben in Regionen mit relativ gesehen niedrigerer Produktivität, was ökonomische Entwicklung schmälert (Henkel et al., 2021).
Grundsätzlich sollte das Finanzausgleichssystem so ausgestaltet sein, dass die Finanzierung des Mindestniveaus der ÖGD gesichert ist und zudem Externalitäten über Bundesländer hinweg berücksichtigt werden. Darüberhinausgehende Ausgaben sollten die Bundesländer autonom verantworten – nicht nur hinsichtlich der Ausgabenstruktur, sondern auch über Steuersatzautonomie auf der Einnahmenseite. Heterogenität in der ÖGD-Präferenz der lokalen Bevölkerung kann so abgebildet werden: Sind zusätzliche ÖGD-Ausgaben gewünscht, können diese über höhere Steuersätze und zusätzliche Einnahmen realisiert werden. Um echte Autonomie sicherzustellen, müssen die entsprechenden Steuereinnahmen vom Finanzausgleich ausgenommen werden.
Zusätzlicher Anpassungsbedarf im Finanzausgleichsystem ergibt sich aus unserer Sicht in zweierlei Hinsicht. Erstens ist der Ansatz regional unterschiedlicher Kosten für die Berechnung des Finanzierungsbedarfs zu reformieren. Die Gewichtung der Einwohner nach den kommunalen Anforderungen und Aufgaben, die sog. Einwohnerveredelung, im aktuellen System ist zu hinterfragen. Es gibt keine eindeutige empirische Evidenz, dass die Kosten für die Bereitstellung von ÖGD mit der Einwohnerzahl zunimmt. Zweitens sollten Preisniveauunterschiede berücksichtigt werden. Die gestiegenen Immobilienpreise seit 2010 haben bereits bestehende lokale Preisniveauunterschiede zwischen den Bundesländern verstärkt. Bundesländer mit einem größeren Anteil der Bevölkerung in Regionen mit hohem Preisniveau – oft Geberländer im Finanzausgleichssystem – benötigen mehr Geld für die Bereitstellung von ÖGD, für die Grund, Boden und Immobilien relevant sind (beispielsweise für Schulen). Auch Unterschiede in den Kosten für lokale Serviceleistungen können ins Gewicht fallen. Durch die aktuelle Nichtberücksichtigung dieser Preisunterschiede kann es zu einer Übernivellierung im Finanzausgleich kommen.
Aufteilung staatlicher Besteuerungskompetenzen
Welche Vorteile bietet Steuerautonomie von Ländern und Kommunen? Und welche Steuern bieten sich für tiefere föderale Einheiten an?
Öffentliche Aufgaben können entweder durch eigene Steuerinstrumente mit Steuersatzrecht oder über Zuweisungen/Anteile an Gemeinschaftsteuern finanziert werden.
Steuerautonomie mit Steuersetzungsrecht bietet Vorteile
Erstens wird föderalen Ebenen keine Staatsquote oktroyiert. Haben Bürger regional unterschiedliche Präferenzen hinsichtlich des Umfangs der bereitgestellten ÖGD, können diese Präferenzunterschiede über das Steuersatzrecht abgebildet werden.5
Steuerautonomie birgt zudem den Vorteil eines Mehr an Budgetflexibilität. Das ist insbesondere mit Blick auf die Bundesländer von Bedeutung, die seit 2020 unter der Schuldenbremse strukturell ausgeglichene Haushalte haben müssen. Die Abfederung von Schocks muss aktuell aufgrund des geringen Maßes an Steuerautonomie fast vollständig über Anpassungen der Ausgabenseite erfolgen; ein autonomes Steuerinstrument würde erlauben auch über Steuersatzanpassungen für Ausgleich zu sorgen.
Zudem stärkt Steuerautonomie effizienzfördernden „Yardstick Wettbewerb“ zwischen Gebietskörperschaften. Beobachten Wähler, dass in einer Nachbarjurisdiktion ÖGD zu niedrigeren „Steuerkosten“ bereitgestellt werden als in ihrer eigenen Jurisdiktion, steigt der Druck auf die lokale Politik eine effizientere ÖGD-Bereitstellung zu realisieren. Neuere Forschung zeigt zudem, dass Lokalpolitiker mit eigenen Steuereinnahmen umsichtiger umgehen als mit Einnahmen, die ihnen zugewiesen werden.
Dezentrale Besteuerung birgt aber auch Herausforderungen. Probleme entstehen insbesondere dann, wenn Gebietskörperschaften im Wettbewerb um eine mobile Steuerbasis stehen. Werden Unternehmen beispielsweise – wie bei der Gewerbesteuer – lokal besteuert, haben Gemeinden einen Anreiz über eine Senkung des Gewerbesteuerhebesatzes Firmen und Investitionen aus anderen Gemeinden „abzuwerben“. Diese fiskalischen Externalitäten steigen mit zunehmender räumlicher Mobilität. Bei einer sehr mobilen Steuerbasis kann Steuerwettbewerb die Möglichkeit der Besteuerung unterminieren. Aktuelle Forschung zeigt, dass Unternehmen eine höhere Mobilität aufweisen als Menschen, und dass die Mobilität zwischen kleineren räumlichen Einheiten (wie Gemeinden) größer ist als zwischen größeren räumlichen Einheiten (wie Bundesländern).
Zudem können Effizienzverluste durch politische Einflussnahme und Lobbying bei Besteuerung durch untere föderale Ebenen höher ausfallen. Auf gesamtstaatlicher Ebene betrifft Steuergesetzgebung eine Vielzahl von Steuerpflichtigen, „Steuergeschenke“ an Lobbygruppen sind dann mit hohen ökonomischen Kosten verbunden und daher meist politisch schwer umsetzbar. Im lokalen Kontext können hingegen einzelne, große Steuerzahler die Steuerbasis dominieren und hierüber leichter Einfluss auf die Politikwahl nehmen. Riedel und Simmler (2021) zeigen beispielsweise, dass eine größere Konzentration der Gewerbesteuerbasis auf Gemeindeebene mit niedrigeren Gewerbesteuerhebesätzen einhergeht.
Mehr Steuerautonomie für die Bundesländer
Steuerautonomie auf Ebene der Bundesländer ist aktuell gering. Das einzige Instrument, bei dem die Bundesländer den Steuersatz autonom wählen können, ist die Grunderwerbsteuer. Und diese ist, wie im Folgenden dargestellt, als Autonomieinstrument wenig geeignet.
Erstens ist die Steuerbasis der Grunderwerbsteuer klein und der Spielraum für steuerseitige budgetäre Anpassung entsprechend gering: Steuereinnahmen aus der Gewerbesteuer machen nur rund 5 % der Einnahmen der Länder aus. Zweitens sind die Grunderwerbsteuereinnahmen entscheidend über Faktoren bestimmt, die sich dem Einfluss der Landesregierungen entziehen. Das hohe Leitzinsniveau der vergangenen Jahre hat die Grunderwerbsteuereinnahmen beispielsweise erheblich einbrechen lassen (Statistisches Bundesamt, 2024). Drittens wirkt die Steuer stark verzerrend: Die Grunderwerbsteuer reduziert das Transaktionsvolumen im Grund-, Boden- und Immobilienmarkt in relevantem Maß. Büttner (2017) schätzt beispielsweise, dass eine Verdopplung des Steuersatzes die Steuerbasis der Grunderwerbsteuer um 40 % reduziert. Transaktionen, die ökonomisch sinnvoll sind, werden hier in relevantem Maß unterbunden. Das kann die Mobilität von Menschen im Raum reduzieren, und die effiziente Nutzung von Wohnraum einschränken, z. B. die Verkleinerung von Haushalten nach Auszug der Kinder.
Zudem gibt das Finanzausgleichssystem Anreize zur Überbesteuerung (Büttner & Krause, 2018): Denn Grunderwerbsteuereinnahmen werden anhand eines Durchschnittsteuersatzes im Finanzausgleich berücksichtigt: Erhöht ein Land seine Grunderwerbsteuer, steigen mechanisch die Steuereinnahmen, und gleichzeitig erhöhen sich die Zuweisungen aus dem Finanzausgleich (da die Steuerbasis sinkt). Der Durchschnittssteuersatz steigt und die anderen Länder werden im Finanzausgleich „reicher“. Konsistent mit diesen Überlegungen haben alle Bundesländer außer Bayern seit 2006 den Grunderwerbsteuerhebesatz signifikant erhöht, der durchschnittliche Steuersatz ist von 3,5 % in 2007 auf 5,3 % in 2023 gestiegen.
Weist man die Grunderwerbsteuer als Instrument für Steuerautonomie der Bundesländer zurück, stellt sich die Frage nach möglichen Alternativen. Um in relevantem Maß Autonomie herbeizuführen, bietet sich ein Zuschlagsrecht auf eine der Gemeinschaftssteuern an. Zuschlagsrechte bei der Körperschaft- oder Umsatzsteuer sind hierbei aufgrund der hohen räumlichen Mobilität von Firmen und aufgrund von grenzüberschreitenden Einkäufen (crossborder shopping) erwartbar mit höheren Effizienzkosten verbunden als ein Zuschlag bei der Einkommensteuer. Menschen sind hinsichtlich ihrer Wohnortwahl im Raum mobil, aber empirische Evidenz legt nahe, dass ihr Mobilitätsgrad deutlich geringer ist als der von Firmen. Wohnortentscheidungen richten sich zudem nach der Kombination von ÖGD und Einkommensteuerlast – eine Vielzahl der regionalen ÖGD richten sich in erster Linie an die Wohnbevölkerung, sodass hier ein hohes Maß an Kongruenz zwischen ÖGD und Steuerleistung gegeben ist.6 Stehen einer erhöhten Steuerlast ein Mehr an ÖGD gegenüber, ergibt sich nicht notwendigerweise ein Abwanderungsanreiz. Reflektiert der hohe Steuersatz hingegen Ineffizienzen in der ÖGD-Bereitstellung, erfolgt durch Abwanderung eine wünschenswerte Disziplinierung der regionalen Politik.
Um zu berücksichtigten, dass Bundesländer teils auch ÖGD für Firmen bereitstellen, könnte ein zweigeteiltes Zuschlagsrecht bei den Gemeinschaftsteuern, das teilweise nach dem Wohnort, und teilweise nach dem Arbeitsort zuteilt, in Erwägung gezogen werden.
Steuerautonomie der Gemeinden
Gemeinden verfügen aktuell über zwei Steuerinstrumente, in denen sie den Hebesatz autonom wählen können: die Gewerbe- und die Grundsteuer.
Unternehmensteuern sind ökonomisch stark verzerrend — und die Gewerbesteuer ist keine Ausnahme. Empirische Evidenz legt nahe, dass Gewerbesteuererhöhungen negative Rückwirkungen auf lokale Firmeninvestitionen (Link et al., 2022), Unternehmensansiedelungen (Riedel et al. 2020) sowie Forschung- und Entwicklungsaktivitäten haben (Lichter et al., 2024). Steuersatzdifferenzen zwischen Gemeinden verzerren ökonomische Aktivität im Raum und gehen mit signifikanten Wohlfahrtsverlusten einher (Riedel et al., 2020; Fajgelbaum et al., 2019).7 Die Einnahmen aus der Gewerbesteuer sind zudem volatil und im Konjunkturzyklus prozyklisch – Gemeinden sehen sich in Rezessionen wegbrechenden Einnahmen gegenüber und müssen Ausgaben reduzieren, mit potentiell rezessionsvertiefender Wirkung.
Abbildung 2
Gewerbe- und Grundsteuer: Entwicklung und Korrelation mit der Verschuldungsquote
Quelle: eigene Berechnungen auf Basis Realsteuervergleich und jährliche Schulden der Kernhaushalte der Gemeinden/Gemeindeverbände (Statistische Ämter des Bundes und der Länder, 2024).
Dennoch zeigen Abbildung 2(a) und (b), dass Gewerbesteuerhebesätze (genau wie die realen Steuereinnahmen) in den letzten Jahren gestiegen sind. Das ist bemerkenswert. Denn nationale Unternehmensteuersätze sind im selben Zeitraum – konsistent mit Wettbewerb um mobile Firmen und Investitionen – weltweit gesunken. Ein Erklärungsansatz ist, dass Budgetengpässe in den kommunalen Haushalten, z. B. überdurchschnittlich hohe Soziallasten oder Überschuldung (Merlo et al., 2023; Fremerey et al., 2022), Gewerbesteuerhebesätze signifikant erhöht haben, siehe auch Abbildung 2 (c) und (d). Zudem können Anreize im Finanzausgleichssystem eine Rolle spielen (Büttner, 2006; Egger et al., 2010).8 Neuere Arbeiten legen dabei nahe, dass die aktuellen Gewerbesteuerhebesätze ineffizient hoch sind: Erhöhungen des Hebesatzes gehen mit derart starken Reduktionen der Steuerbasis einher, dass kein Mehr an Gewerbesteuereinnahmen resultiert (z. B. Blesse et al., 2019). Dass Gemeinden ihre Hebesätze dennoch erhöhen, könnte unter anderem daran liegen, dass Lokalpolitiker den negativen Steuereffekt auf Firmenaktivität und Steuerbasis systematisch unterschätzen (siehe Blesse et al., 2019, für empirische Evidenz).
Zusammenfassend ist die Gewerbesteuer im lokalen Kontext mit erheblichen ökonomischen Verzerrungen verbunden. Und sie verstärkt regionale Disparitäten. Eine Abschaffung wäre wünschenswert.
Die Grundsteuer ist der Gewerbesteuer in vielerlei Hinsicht als autonomes Steuerinstrument auf lokaler Ebene deutlich überlegen. Die Steuerbasis ist räumlich (zumindest kurzfristig) immobil. Zudem besteht ein enger Konnex zwischen der lokalen Grundbesteuerung und den kommunalen ÖGD, beispielsweise in der Daseinsvorsorge und im Wohnungsbau. Lokale ÖGD kapitalisieren sich in Haus- und Wohnungspreisen, was eine Äquivalenz zwischen ÖGD und Steuerzahlungen herstellt, die ansonsten nur selten gegeben ist. Zu guter Letzt sind die Grundsteuereinnahmen im Zeitablauf wenig volatil und nicht konjunkturabhängig – und bilden damit einen verlässlichen Einnahmenstrom für die Kommunen. Konsistent mit diesen Überlegungen sind Grund- und Immobiliensteuern in vielen Ländern ein wichtiger Pfeiler der Gemeindefinanzierung.
Wie in Abbildung 2(b) dargestellt, ist der Hebesatz der Grundsteuer in Deutschland in den letzten Jahrzehnten signifikant angestiegen. Aufgrund der nominal konstanten Bemessungsgrundlage dienen diese Hebesatzanstiege aber teilweise lediglich dem Inflationsausgleich.9 Im internationalen Vergleich ist die Bedeutung der Grundsteuer in Deutschland unterentwickelt (siehe beispielsweise Megden, 2023). Dies kann sich im Nachgang der aktuellen Reform der Grundsteuer ändern. Mit der Anpassung der Definition der Steuerbasis von den veralteten Einheitswerten aus 1935/1964 an die tatsächlichen Werte, steigt die Gerechtigkeit der Verteilung der Steuerlast und ermöglicht eine Aufwertung der Grundsteuer im lokalen Kontext. Die Grundsteuer als „schlafender Riese“ (Zimmermann & Döring, 2019) kann geweckt werden. Da die aktuelle Grundsteuerreform vorsieht, dass Neubewertungen von Grundstücks- und Immobilienwerten lediglich alle sieben Jahre stattfinden sollen, wäre hierbei eine Inflationsindexierung der Steuerbasis wünschenswert, um inflationsbedingte Hebesatzanpassungen und damit verbundene Transaktionskosten (Gemeinderatsitzungen, Bürgerinformation etc.) obsolet zu machen.
Fazit
Es gibt im fiskalföderalistischen System einigen Reformbedarf. Auf der Ausgabenseite sollten Verflechtungen von Verwaltung und Gesetzgebungskompetenz gelöst werden. Im Finanzausgleich ist eine Orientierung an realen Größen (d. h. eine Berücksichtigung von regionalen Preisunterschieden) angezeigt. Zudem gehört die Einwohnerveredelung auf den Prüfstand. Wir plädieren für ein Mehr an Steuerautonomie für die Bundesländer. Hier bietet sich ein Zuschlagsrecht auf die Einkommensteuer an – die Grunderwerbsteuer ist als autonomes Steuerinstrument der Länder hingegen problembehaftet. Auf lokaler Ebene zeigen wir auf, dass die Gewerbesteuer mit erheblichen ökonomischen Verzerrungen einhergeht und plädieren für eine Abschaffung. Die Grundsteuer ist hingegen als autonomes Steuerinstrument lokaler Ebenen sehr gut geeignet und die Anpassung der veralteten Einheitswerte birgt Möglichkeiten die Grundsteuer im lokalen Kontext aufzuwerten.
- 1 Das liegt nicht notwendigerweise an einer systematischen Unterfinanzierung: Vielmehr werden die übertragenen Aufgaben – um Anreize für eine effiziente Erfüllung zu geben – nicht entlang der tatsächlichen Aufwendungen, sondern pauschal erstattet. Gemeinden mit überdurchschnittlichen Kosten entstehen hier Zusatzlasten.
- 2 Die alternative Lösung, eine Kompensation der tatsächlichen Verwaltungskosten, würde zwar die entsprechenden Finanzierungsprobleme beheben, aber Anreize für eine effiziente Bereitstellung der Verwaltungsaufgaben schmälern.
- 3 (Grenz-)Abschöpfungsraten messen, welcher Anteil eines zusätzlichen durchschnittlichen Steuereuros nach Finanzkraftausgleich und Bundesergänzungszuweisungen in einem Bundesland verbleibt. Vor der Umstellung zum „Finanzkraftausgleichsystem“ lagen die Abschöpfungsraten bei rund 60 % für Geberländer und zwischen 80 % und 90 % für Nehmerländer (Burret et al., 2018). Nach der Neukonzeption 2020 sind die Abschöpfungsquoten für Geberländer auf etwa 50 % gesunken (IAW, 2023). Aufgrund hoher Auffüllquoten bei den Bundesergänzungszuweisungen bleiben die Abschöpfungsquoten für Nehmerländer hoch. Die Grenzabschöpfungsraten für zusätzliche Lohnsteuereinnahmen liegen für die Nehmerländer sogar bei mehr als 100 %, da am Lohnsteueraufkommen sowohl Länder als auch Gemeinden beteiligt sind und die Gemeindeinnahmen anteilig zur Finanzkraft der Länder rechnen (Scherf, 2020).
- 4 Da die Raten der oben beschriebenen Abschöpfung insbesondere in Nehmerländern hoch sind, werden Anreize hier überproportional stark geschmälert, was regionale Disparitäten verstärken kann. Empirische Evidenz zu Anreizeffekten ist rar, und fokussiert auf die Steuererhebung. Z. B wurde gezeigt, dass höhere Abschöpfungsraten Anstrengungen zur Steuererhebung reduzieren, da ein höherer Teil der zusätzlichen Einnahmen in den Finanzausgleich abfließt (Baretti et al., 2002; Bönke et al., 2017).
- 5 Sind öffentliche Güter und Dienstleistungen normale Güter, würde die Nachfrage nach ihnen beispielsweise mit dem regionalen Pro-Kopf-Einkommen ansteigen.
- 6 Die Mobilitätsanreize können zudem weiter gesenkt werden, wenn das Zuschlagsrecht so ausgestaltet ist, dass es keine Progressionswirkung entfaltet, da gut ausgebildete Hochlohnverdiener im Raum eine erhöhte Mobilität aufweisen.
- 7 Der Konnex zwischen der Gewerbesteuer und den von Gemeinden bereitgestellten ÖGD ist dabei eher schwach, da viele ÖGD sich in erster Linie an lokale Haushalte richten. Riedel et al. (2020) zeigen empirisch, dass Unternehmensvorteile aus lokal bereitgestellten ÖGD, die durch eine Gewerbesteuererhöhung finanziert werden, die Nachteile für Unternehmen aus der höheren Besteuerung nicht aufwiegen.
- 8 Analog zur Grunderwerbsteuer geht die Steuerbasis der Gewerbesteuer zu einem Referenz- bzw. Durchschnittssteuersatz in den kommunalen Finanzausgleich ein. Damit ergeben sich Anreize für Steuererhöhung analog zur Grunderwerbsteuer (weiter oben im Text). Agglomerationsrenten – d. h. Vorteile, die Firmen durch Kolokation mit anderen Firmen (beispielsweise in derselben Industrie) erhalten – können Mobilität in lokalen Kontexten reduzieren und zu höheren Gewerbesteuersätze beitragen (Koh et al., 2013).
- 9 In den Hochinflationsjahren ab 2022 wurden dabei die hohen Inflationsraten nicht voll über Anhebungen der Grundsteuersätze kompensiert.
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