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Das Arbeitszeitgesetz steht in der Kritik. Arbeitgeberverbände, CDU/CSU und FDP wehren sich gegen die Einführung einer obligatorischen Arbeitszeiterfassung. Die Vorgeschichte beginnt mit dem im Mai 2019 vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) gefällten Urteil, das Arbeitgeber verpflichtet, „ein objektives, verlässliches und zugängliches System“ einzurichten, mit dem die von jedem Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Das Urteil soll für besseren Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer sorgen und ausufernde Arbeitszeiten eindämmen. Auf dieser Grundlage hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) am 13. September 2022 festgestellt, dass die Arbeitgeber ein System einführen und anwenden müssen, mit dem Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeiten einschließlich der Überstunden erfasst werden. In einem weiteren konkretisierenden Schritt hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im April 2023 einen Referentenentwurf vorgelegt, der umstritten ist. Er sieht eine elektronische, tagesaktuelle Erfassung vor, räumt bei der Form der Erfassung Betrieben je nach Größe Übergangsfristen bis zu fünf Jahren ein, befreit Betriebe bis zu zehn Beschäftigten völlig von der elektronischen Aufzeichnung und lässt Ausnahmeregelungen per Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung für bestimmte Personengruppen zu. Wann daraus ein konkreter Gesetzentwurf wird, ist derzeit unklar, noch wird um einzelne Punkte gerungen.

Kritiker befürchten, eine verpflichtende Arbeitszeiterfassung könnte zeitliche Flexibilität einschränken, das Ende der Vertrauensarbeitszeit bedeuten und wenden sich gegen eine taggenaue Zeiterfassung. Was nun können bisherige Erfahrungen lehren? In der Realität ist eine Erfassung der Arbeitszeiten weitgehend üblich. Nach Daten der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA)-Arbeitszeiterhebung gehört sie mittlerweile für etwa 80 % der Beschäftigten zum routinemäßigen Arbeitsalltag. Bei fast der Hälfte geschieht dies betrieblich, ein weiteres Drittel dokumentiert die tägliche Arbeitszeit selbst. Da nur spezielle Beschäftigtengruppen (z. B. leitende Angestellte) von den Verpflichtungen des Arbeitszeitgesetzes (§18) ausgenommen waren, kann man von einer nahezu flächendeckenden Befolgung der BAG-Entscheidung ausgehen. Noch unklar ist, ob die bislang befreiten Beschäftigtengruppen das auch weiterhin sein werden.

Nun könnte man sagen, so weit so gut, also grünes Licht für die noch ausstehende Revision des Arbeitszeitgesetzes geben. Denn auch die Befürchtung, eine obligatorische Zeiterfassung könnte die Flexibilität der Arbeitszeiten einschränken, hat sich nicht bewahrheitet. Die bisherige Praxis spricht eher für das Gegenteil. Zeiterfassung scheint zeitliche Flexibilität zu fördern. Organisieren Beschäftigte ihre Arbeitszeit mit Hilfe eines Zeitkontos, gehört die Zeiterfassung zum Standard (95 %). Das überrascht nicht. Denn Zeitkonten erlauben, die Arbeitszeit täglich zu variieren und die Bewegungen lassen sich registrieren, um den tariflich oder individualvertraglich vereinbarten Durchschnittswert überprüfen zu können. Arbeitgeber wollen wissen, ob die Beschäftigten die vereinbarte Arbeitszeit als Durchschnittswert innerhalb eines vereinbarten Zeitintervalls auch erbringen. Zeiterfassung erhöht zudem die Prozesstransparenz betrieblicher Abläufe und dient der Optimierung der Arbeitsprozesse. Beschäftigte wollen die tatsächlichen Arbeitszeiten effektiv kontrollieren. Das bietet ihnen zum einen eine Grundlage für eine „arbeitszeitsensible Gefährdungsbeurteilung“, um psychische Belastungen erkennen, bewerten und vermeiden zu können. Zum anderen lässt sich nachhalten, ob die geleistete Arbeitszeit auch vergütet wird.

Die letztgenannte Erwartung erfüllt die Zeiterfassung bislang nur unzureichend. Sie verringert zwar das Risiko, dass Überstunden nicht bezahlt oder durch Freizeit ausgeglichen werden. So hat die Zahl der unbezahlten Überstunden nach der IAB-Arbeitszeitrechnung zwar abgenommen, sie liegt aber durchschnittlich immer noch deutlich über den bezahlten. Auch Befürchtungen, die Arbeitszeiterfassung könnte das Ende der Vertrauensarbeitszeit bedeuten, erscheinen übertrieben. Die Möglichkeit, dass Beschäftigte entscheiden können, wann sie arbeiten und wie sie sich ihre Arbeitszeit einteilen, bleibt grundsätzlich unangetastet. Denn die Arbeitszeiterfassung dient nicht dazu, die vereinbarte Arbeitszeit zu überwachen, sondern die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes, also Höchstarbeitszeiten, Mindestruhezeiten und Pausenzeiten. Darüber hinaus ist relativierend zu betrachten, dass Vertrauensarbeitszeit besonders unter leitenden Angestellten verbreitet ist. Und diese Beschäftigtengruppe bleibt wohl auch weiterhin vom Arbeitszeitgesetz ausgenommen. Schließlich spricht für eine taggenaue Registrierung, dass es dem Arbeitgeber ansonsten kaum möglich ist, die Einhaltung der täglichen Ruhezeit von elf Stunden zu überwachen. Dazu braucht er Informationen über die am Vortag geleisteten Stunden und deren Arbeitsende am Tag der Kontrolle. Letztlich geht es also um Details. Die Zeit für eine Revision der Arbeitszeiterfassung ist gekommen.

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© Der/die Autor:in 2024

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DOI: 10.2478/wd-2024-0043