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Bei der Analyse der rückläufigen Innovations- und Wachstumsdynamik moderner Volkswirtschaften lassen sich neben ökonomischen Ursachen auch kulturelle bzw. ethische Einflussfaktoren feststellen. Edmund Phelps hat in seiner Theorie zur Innovationsfähigkeit der Marktwirtschaft die Bedeutung nicht-monetärer Motive unternehmerischer Tätigkeit hervorgehoben, die sich auch durch einen Rückblick in die Geschichte der Industriellen Revolution(en) finden lassen. Aus aktueller Perspektive zeigt sich, dass die Einführung am Shareholder Value orientierter Ansätze der Unternehmenssteuerung und der Übergang zu finanzmarktbasierten Benchmarks im ausgehenden 20. Jahrhundert zu einer radikalen Veränderung der Motivationskultur in der Finanz- und Realwirtschaft geführt haben.

Innovationen sind seit jeher die zentrale Quelle für den Wohlstand von Ländern und Wirtschaftsräumen. So verdankt Europa seinen wirtschaftlichen Aufstieg seit der Industrialisierung primär der Entwicklung neuer Energiequellen und Produktionsverfahren. Auch für die Zukunft steht außer Frage, dass das Gelingen der nachhaltigen Transformation und der Übergang zur CO2-Neutralität entscheidend vom technologischen Fortschritt abhängen werden. Gleichwohl wird die Innovationsfähigkeit der modernen Wirtschaft zunehmend angezweifelt, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des rückläufigen Produktivitätswachstums in den meisten Industrieländern (Gordon, 2016, 566-604).

Bei genauerer Betrachtung erweist sich die Verwirklichung von Innovationen als komplexer Prozess, der neben technologischem Know-how zugleich ökonomische und ethische bzw. kulturelle Faktoren voraussetzt. Der Philosoph Julian Nida-Rümelin (2010) hat dies folgendermaßen beschrieben: „Innovationen sind nicht planbar, aber sie haben kulturelle und ethische Voraussetzungen. Das gilt für die Wissenschaft und Kunst, wie für die Wirtschaft. Innovationen gedeihen in einem kreativen Klima, entlastet von unmittelbaren Verwertungszwängen besser“. Daher erscheint es angebracht, in Überlegungen zu Innovations- und Wachstumsschwächen moderner Volkswirtschaften auch eine wirtschaftsethische Perspektive zu integrieren, wobei ein Rückblick auf erfolgreiche Innovationen in der Vergangenheit hilfreich sein kann. Eine Grundlage dafür hat Edmund Phelps mit seiner Theorie zur Innovationsfähigkeit der Marktwirtschaft entwickelt, auf der dieser Beitrag aufbaut.

Theorie: Überlegungen zum Innovationspotenzial bei Edmund Phelps

Phelps stellt im Rahmen seiner Forschungen zur Makroökonomie und Wachstumstheorie grundsätzliche Überlegungen zu den Voraussetzungen für die erfolgreiche Verwirklichung von Innovationen an. Dabei leitet er Anforderungen an die Führung und die Managementstrukturen von Unternehmen ab und darüber hinaus auch für Investor:innen und Konsument:innen (vgl. Tabelle 1).

Tabelle 1
Voraussetzungen für die Verwirklichung von Innovationen
Schumpeter-Unternehmer Streben nach Entwicklung neuer Produkte und Verwirklichung innovativer Produktionsverfahren
Nelson-Phelps-Manager Fähigkeit zur Kalkulation der voraussichtlichen Erträge von Innovationen unter Unsicherheit
Marschak-Nelson-Investoren Fähigkeit zur Auswahl geeigneter Unternehmer und zur Steuerung der investitionsbezogenen Risiken
Bhidé-Konsumenten Bereitschaft zur Erprobung innovativer Produkte

Quelle: Phelps (2007, 552-554).

All diese Gruppen müssen sich gemäß Phelps einerseits durch persönliche Charaktereigenschaften auszeichnen, wie Pioniergeist und Wagemut, andererseits aber auch fachlichen Sachverstand mitbringen, um die Risiken kostspieliger Fehlinvestitionen in Grenzen zu halten. Dazu zählt Phelps akademisches Grundlagenwissen ebenso wie geschäftliche und lebenspraktische Erfahrungen.

Mit diesen Überlegungen baut Phelps auf dem Gedankengut von Joseph Schumpeter (1961) auf, der die Leistungsfähigkeit des Kapitalismus maßgeblich darauf zurückgeführt hat, dass dynamische Unternehmer laufend mittels „schöpferischer Zerstörung“ neue Produkte und innovative Produktionsverfahren durchsetzen und dadurch dafür sorgen, dass die Entdeckungen von Erfindern und Wissenschaftlern in der Praxis verwirklicht werden. Festzuhalten ist dabei, dass Unternehmertum im Sinne Schumpeters zumeist auf nicht-monetären Motiven basiert, wie dem Wunsch nach Selbstverwirklichung und der Freude an kreativer Betätigung (Schumpeter, 1934, 92-94; Hecker, 2023). Diese intrinsische Motivation ist deswegen von großer Bedeutung, da sich die Vorteile von Innovationen nicht auf das jeweilige Unternehmen beschränken, sondern früher oder später der gesamten Gesellschaft zugutekommen. Es liegen also aus mikroökonomischer Sicht positive externe Effekte vor, für welche die Initiatoren im Durchschnitt nur unvollständig kompensiert werden.

Phelps erweitert Schumpeters Theorie, indem er die Unternehmer- und Erfinderfunktion verbindet. So legt er in seinen Ausführungen zum Thema „indigenous innovation“ dar, dass maßgebliche Innovationen der Vergangenheit oftmals nicht auf akademischer Grundlage, sondern durch die Experimentierfreude und den Entdeckergeist in Unternehmen entwickelt wurden (Phelps, 2017). Ähnlich wie Schumpeter betont Phelps (2013, 246) die Bedeutung nicht-monetärer Motive bei Unternehmer:innen und Manager:innen: „In modern capitalism, (…), the economy is largely driven by people who, while attending to the bottom line, want to make a difference – to contribute to society or to build monuments to themselves or connect with existing ventures – not just make money“. Dabei beschreibt Phelps (2013, 246-250) die Gefahr, dass übersteigertes Profitstreben zu einer Verdrängung intrinsischer Motivation und dadurch zu einem Rückgang der Innovationsfähigkeit führen kann, wobei er insbesondere die Verführung durch kurzfristige Renditechancen im Finanzsektor („money culture“) als Problem ansieht.

Empirie: Historische Annäherung an die Innovationsfähigkeit von Gesellschaften

Zur historischen Veranschaulichung der Bedingungen erfolgreicher Innovationen bietet sich vor allem die inzwischen vielfach untersuchte Industrialisierung Westeuropas und der USA seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts an, die später auch auf andere Teile der Welt übersprang. Der Wirtschaftshistoriker Joel Mokyr (2017) sieht die Grundlage dieser Industrialisierung in der Innovationskultur, die sich in Europa seit der Renaissance herausgebildet habe, wodurch mittels eines besseren Verständnisses der Natur die Möglichkeiten zur Gestaltung der Welt durch den Menschen sukzessive gewachsen seien. Mokyr (2017, 179-224) verweist dabei auf frühneuzeitliche Gelehrtennetzwerke, die durch Wettbewerbsprozesse („market for ideas“) die Generierung neuen Wissens förderten, wobei die erstrebten Vorteile in Form von akademischer Anerkennung vorwiegend immaterieller Natur waren. Analog dazu seien auch viele der Innovatoren im Kontext der industriellen Revolution ebenso wie maßgebliche Gelehrte der Renaissance und Aufklärung primär durch nicht-finanzielle Anreize motiviert worden, wie das Streben nach wissenschaftlicher Reputation oder nach Aufnahme in Elitenzirkel wie Akademien (Meisenzahl und Mokyr, 2011).

Darüber hinaus setzte die von Mokyr beschriebene Innovationskultur voraus, dass die politischen und intellektuellen Eliten ein Mindestmaß an Offenheit für neue Ideen zeigten und Innovationen nicht primär als Gefährdung ihres Machtanspruchs wahrnahmen (Mokyr, 2017, 59-69). Die Initialzündung für die Industrialisierung entstand aus Mokyrs Sicht durch die Verbindung wissenschaftlicher Expertise mit unternehmerischem Gestaltungsdrang und handwerklichem Können im Großbritannien des 18. Jahrhunderts, wobei deutliche Parallelen zu Phelps‘ Theorie der „indigenous innovation“ auffallen. Spätere Phasen der In­dus­tri­ali­sie­rung zeichneten sich vor allem durch ein intensives Zusammenwirken von universitärer Grundlagenforschung und praktischer Umsetzung in Unternehmen aus. So konnte Deutschland, dessen Universitäten um 1900 im Bereich der naturwissenschaftlichen Forschung an der Weltspitze lagen und das zudem über zahlreiche Technische Hochschulen verfügte, hier eine Vorreiterrolle spielen und den Vorsprung Großbritanniens einholen (Landes, 1999, 447-470). Hier zeigte sich, wie staatliches Engagement zur Forschungsförderung in Verbindung mit dem erfolgreichen Wirken von Pionierunternehmern, wie z. B. Werner von Siemens, Carl Zeiss oder Robert Bosch zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil werden konnte.

Auffallend ist, dass viele dieser Unternehmensgründer dem von Phelps verwendeten Begriff des „Schumpeter-Unternehmers“ insofern entsprachen, als sie bei der Verwirklichung von technischem Fortschritt ein hohes Maß an intrinsischer Motivation zeigten. Dies brachte beispielsweise Werner von Siemens (1943, 174) in seiner Autobiographie zum Ausdruck: „In der Regel war es zunächst das wissenschaftlich-technische Interesse, das mich einer Aufgabe zuführte. Ein Geschäftsfreund hänselte mich einmal mit der Behauptung, ich ließe mich bei meinen Unternehmungen immer von dem allgemeinen Nutzen leiten, den sie bringen sollten, fände aber schließlich immer meine Rechnung dabei“. Auch angestellte Manager erwiesen sich oftmals als Unternehmer im Sinne der Definition von Phelps und Schumpeter, beispielsweise indem sie Zukunftstechnologien auch gegen die kurzfristigen Gewinninteressen von Aktionären durchsetzten. So betonte Heinrich Nordhoff als Generaldirektor der Volkswagen AG auf einer Hauptversammlung im Jahr 1961, dass Dividendenzahlungen nur dann möglich seien, wenn die entsprechenden Gelder nicht für Zukunftsinvestitionen benötigt würden (Nordhoff, 1992, 284 f.).

Dass sich diese Sichtweise nicht auf Deutschland beschränkte, zeigt das Beispiel von Henry Ford, der sich nicht scheute, Teilhabern, die stärker am Gewinn als an Innovationen interessiert waren, öffentlich entgegenzutreten. Ford (1922, 269) beschrieb sein Verständnis unternehmerischen Handelns, wie folgt: „(…) if one has visions of service, if one has vast plans which no ordinary resources could possibly realize, if one has a life ambition to make the industrial desert bloom like the rose, and the work-a-day life suddenly blossoms into fresh and enthusiastic human motives of higher character and efficiency, then one sees in large sums of money what the farmer sees in his seed corn — the beginning of new and richer harvests whose benefits can no more be selfishly confined than can the sun’s rays)“. Gewinnstreben blieb nach dieser Sichtweise ein wesentliches Motiv unternehmerischer Tätigkeit, wobei Gewinne jedoch primär als Mittel zum Zweck weiterer Investitionen und weniger als finales Ziel verstanden wurden.

Selbst im globalen Finanzsektor ließ sich teilweise eine nicht-monetäre Motivation feststellen, wie ein Blick in die Memoiren des New Yorker Bankers David Rockefeller zeigt. Dort zitiert Rockefeller, unter anderem unter Bezugnahme auf Schumpeter, aus seiner im Jahr 1940 fertiggestellten Dissertation: „Entrepreneurship offers at once an opportunity to satisfy man’s creative, his power-seeking, and his gambling instincts. […] It would be misleading simple to ignore the fact that interest in the process of achievement is itself a goal to many who regard profit as a more-or-less worthwhile by-product)“ (Rockefeller, 2002, 96). Diese Sichtweise führte dazu, dass Rockefeller auch das Bankgeschäft unter der Zielsetzung der Mitgestaltung des technologischen und gesellschaftlichen Fortschritts betrieb, indem er, ganz im Sinne des von Phelps genannten „Marschak-Nelson-Investors“, innovative Geschäftsideen weltweit finanzierte (Rockefeller, 1964).

Charakteristisch für spätere Stufen der Industrialisierung war zudem der Übergang zum Massenkonsum auf der Grundlage innovativen Konsumverhaltens (im Sinne von „Amar-Bhidé-Konsumenten“). Zunächst in den USA, aber spätestens ab Mitte des 20. Jahrhunderts auch in Westeuropa, wurden immer mehr Produkte nicht für den Bedarf des Staates oder den Luxuskonsum der Oberschicht hergestellt, sondern für breite Bevölkerungsschichten, die durch gestiegene Löhne über die erforderliche Kaufkraft verfügten und innovative Produkte, wie Kühlschränke oder Autos, nachfragten. Dadurch verwirklichte sich zugleich das volkswirtschaftliche Prinzip der Konsumentensouveränität, denn Unternehmen konnten nun in der Regel dann die größten Erfolge verbuchen, wenn sie ihre Tätigkeit am Bedarf möglichst vieler Konsument:innen ausrichteten (Schröter, 1999, 113-115). Zudem spielte der Finanzsektor seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert eine zunehmende Rolle bei der Umsetzung von Innovationen, da der Kapitalbedarf für die erforderlichen Investitionen immer seltener von einzelnen Unternehmern aufgebracht werden konnte.

Zwischenfazit

Im Rückblick auf die verschiedenen Phasen der In­dus­tri­a­li­sie­rung Westeuropas und später der Weltwirtschaft ist festzustellen, dass – wie von Phelps dargestellt – intrinsisch motiviertes Unternehmertum und Managementfähigkeiten in der Praxis ebenso relevant waren wie die Bereitschaft und Fähigkeit von Investor:innen zur Finanzierung der erforderlichen Technologien. Und nachfrageseitig trugen kaufkräftige und innovationsbereite Konsument:innen dazu bei, dass der industrielle Fortschritt seit Mitte des 18. Jahrhunderts nicht versiegte.

Insgesamt lassen sich die Faktoren, die für das Innovationspotenzial ausschlaggebend waren, in Tabelle 2 zusammenfassen. Diese Faktoren werden nun im folgenden Abschnitt zur Untersuchung des gegenwärtigen Innovationspotentials herangezogen, um mögliche Innovationshemmnisse zu identifizieren. Dabei werden sowohl die globale Ebene als auch die Situation in Deutschland betrachtet.

Tabelle 2
Faktoren für das Innovationspotenzial
Kulturelle/ethische Voraussetzungen
Innovationskultur Erfindergeist, Akzeptanz neuer Produkte und lebensweltlicher Veränderungen
Risikoneigung Risikobereitschaft, Inkaufnahme von Misserfolgen
Motivationskultur intrinsisch motiviertes Forschungsinteresse, Attraktivität nicht-monetärer Anreize (Selbstverwirklichung, Sozialprestige als Erfinder, akademische Reputation, …)
Ökonomische Faktoren
Ordnungspolitische Rahmenbedingungen Garantie von Eigentumsrechten, Anreize für Investitionen in Sach- und Humankapital
Kapitalverfügbarkeit Leistungsfähiger Finanzsektor, Ersprarnisbildung
Kapitalallokation Staatliche Finanzierung von Grundlagenforschung und öffentlichen Gütern, Konsumentensouveränität als Steuerungsinstrument

Quelle: eigene Darstellung.

Aktuelle Bestandsaufnahme

Innovationskultur und Risikoneigung: keine auffälligen Veränderungen

Was die Innovationskultur anbelangt, so lassen sich derzeit weder in Deutschland noch weltweit Anhaltspunkte für einen Rückgang gegenüber früheren Epochen erkennen (Mokyr, 2019). Auch die Bereitschaft zur Akzeptanz neuer Technologien kann nicht bezweifelt werden, wie die aktuelle Nachfrage nach digitalisierten Dienstleistungen eindrucksvoll belegt, nicht zuletzt im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz.

Hinsichtlich der Risikoneigung erscheint auf globaler Ebene kein eindeutiges Urteil möglich, da dem Aufstiegswillen und der Risikobereitschaft von Teilen der Weltbevölkerung (z. B. in Südostasien) Tendenzen zur Besitzstandswahrung und Statusabsicherung in den saturierten und alternden Volkswirtschaften Europas gegenüberstehen. So ist beispielsweise die Angst vor unternehmerischem Scheitern in Deutschland stärker ausgeprägt als in anderen Industrieländern, aber mit rückläufiger Tendenz (Metzger, 2019).

Motivationskultur: Grundlegender Wandel durch Shareholder-Value-Orientierung

Mit Blick auf die Motivationskultur in Unternehmen hingegen lässt sich seit den 1980er Jahren weltweit ein Wandel feststellen, der mit dem Übergang zu shareholder-value-orientierten Steuerungsansätzen verbunden ist. So war die Einführung shareholder-value-basierter Managementtechniken stets mit einer Umstellung des betrieblichen Rechnungswesens auf kapitalmarktorientierte Benchmarks verbunden (Hecker, 2018). Seitdem wird in der Managementliteratur und von Investoren die Forderung erhoben, dass Unternehmen mindestens ihre sogenannten Kapitalkosten verdienen müssen, die für das Eigenkapital anhand möglicher Alternativrenditen an den Finanzmärkten ermittelt werden (Hecker, 2021a, b). Dementsprechend gilt, dass Investitionen nur noch dann getätigt werden sollen, wenn ihre prognostizierten Erträge in risikoadjustierter Betrachtung durchschnittlich erzielbare Kapitalmarktrenditen übertreffen.

Im Zuge dieses Wandels wurden seit den 1980er Jahren Manager in den USA und später auch in Deutschland durch entsprechende Vergütungssysteme mit hohen Boni dazu motiviert, shareholder-value-orientierte Investitionsstrategien zu verfolgen. Große Industrieunternehmen steuerten nunmehr ihre Forschungs- und Innovationspolitik nach dem Maßstab von Finanzinvestitionen und entdeckten die Finanzmärkte als lukrative Alternative zu realwirtschaftlichem Wachstum. Ein anschauliches Beispiel für diese Sichtweise bietet die Autobiographie des langjährigen CEO von General Electric, Jack Welch (2001, 101), der die Vorzüge des Finanzsektors gegenüber der Industrie folgendermaßen beschrieb: „You didn‘t have to invest heavily in R(esearch)&D(evelopment), build factories, and bend metal day after day“. Hier wird exemplarisch deutlich, wie sehr sich Managementziele verändert hatten, denn gegenläufig zu Rockefeller, der wenige Jahrzehnte vorher als Banker realwirtschaftliche Ziele verfolgt hatte, relativierte nunmehr der Chemieingenieur Welch das Streben nach technologischem Fortschritt zugunsten von Finanzinvestitionen.

Intrinsisch motiviertes Unternehmertum im Sinne von Phelps und Schumpeter passte ganz offensichtlich nicht in die Welt eines shareholder-value-orientierten Managementdenkens, das Investitionen ausschließlich an finanzmarktbasierten Rendite-Benchmarks maß (und trotz aller Bekenntnisse zu CSR-Zielen weiterhin praktiziert wird). Die volkswirtschaft­lichen Folgen zeigten sich im Laufe der Zeit, denn inzwischen wurde der Rückgang von Investitionen aufgrund shareholder-value-orientierter Steuerungsansätze durch zahlreiche ökonometrische Studien für die USA und für Europa belegt (Lazonick und O’Sullivan, 2001). In der Literatur wurde diese Investitions- und Innovationszurückhaltung auch als „investment-less growth“ beschrieben (Gutierrez und Philippon, 2016).

Ordnungspolitische Rahmenbedingungen: unauffälliges Bild

Im Hinblick auf die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen lassen sich weltweit keine auffallenden Veränderungen feststellen. Weder der Schutz von Eigentumsrechten noch der Bestand unternehmerischer Freiheit erscheinen auf globaler Ebene stärker gefährdet als in früheren Jahrzehnten.1

Für Deutschland wird bisweilen die Kritik erhoben, dass sich Investitionen aufgrund von Bürokratie oder hohen Belastungen durch Steuern und Sozialabgaben nicht mehr lohnen würden. Diese Argumentation kann jedoch nicht überzeugen, wenn man sie im langfristigen Kontext betrachtet. So ist im Hinblick auf die steuerliche Belastung von Einkommen und Unternehmensgewinnen in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg kein Anstieg feststellbar, sondern ganz im Gegenteil bestanden in den wachstumsstarken Jahren der frühen Nachkriegszeit deutlich höhere Spitzensteuersätze bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer (Bach, 2019). Daher wäre im Hinblick auf die Investitionsanreize lediglich eine relative Verschlechterung Deutschlands gegenüber dem Ausland denkbar. Eine generelle Erklärung für rückläufiges Produktivitätswachstum bietet sich hierdurch jedoch nicht, da dieses Problem weltweit auftritt.

Zunehmende Probleme der Kapitalallokation trotz verbesserter Kapitalverfügbarkeit

Was die Kapitalverfügbarkeit anbelangt, so sind in den vergangenen Jahrzehnten die Möglichkeiten zur Finanzierung von Investitionen durch grenzüberschreitende Finanztransaktionen weltweit exorbitant gewachsen. So können Kapitalien inzwischen per Mausklick dorthin fließen, wo sich lukrative Anlagemöglichkeiten auftun, wodurch sich auch die Möglichkeiten zur Finanzierung von Innovationen grundsätzlich vervielfacht haben. Gleichzeitig häufen sich ausweislich diverser Krisen (Dotcom Bubble, Finanzsystemkrise ab 2008, Staatsschuldenkrise, …), jedoch auch die Beispiele für spektakuläre Fehlallokationen von Kapital aufgrund systemischer Fehlsteuerungen im Finanzsektor.

Ganz offensichtlich ist die weltweite Verflechtung der Kapitalmärkte in den vergangenen Jahrzehnten mit strukturellen Problemen bei der Kapital­allokation einhergegangen. Ein anschauliches Beispiel aus deutscher Perspektive war der Erwerb komplexer Finanzprodukte (wie Asset Backed Securities) durch zahlreiche Banken, der im Zuge der Finanzmarktkrise ab 2008 zu riesigen Verlusten führte und Kapital in unwirtschaftliche Verwendungen lenkte, wie überhitzte Immobilienmärkte. Als Ursachen für dieses Allokationsversagen im Finanzsektor lassen sich in erster Linie Fehlanreize für Entscheidungsträger sowie Regulierungsdefizite identifizieren, wie kurzfristig orientierte Boni-Systeme, fehlende Haftung für Risiken und Moral-Hazard-Probleme durch Banken, die als „too big to fail“ galten (Hecker, 2016). Dabei erweist sich gerade Moral Hazard in Form von Spekulationen auf staatliche Unterstützung im Krisenfall als Kontrapunkt zu dem von Phelps beschworenen Willen zur eigenverantwortlichen Pro­blem­lösung. Insgesamt zeigt sich, dass viele der Ursachen in enger Verbindung mit den bereits beschriebenen Veränderungen in der Motivationskultur in Unternehmen (insbesondere durch Einführung kurzfristiger Renditeziele und daran orientierter Vergütungssysteme) stehen, die Industrie und Finanzsektor gleichermaßen betreffen.

Eine weitere Beeinträchtigung der Kapitalallokation stellt die zunehmende Marktmacht großer Unternehmen dar, insbesondere im Technologiebereich (Wambach und Müller, 2020, 79-84). Problematisch erscheint diese Tendenz nicht nur aufgrund der damit verbundenen Schädigung der Verbraucher:innen durch Monopolrenten, sondern insbesondere durch die Beeinträchtigung der Konsumentensouveränität (Falkinger, 2023). So lässt sich beispielsweise im Bereich des Onlinemarketings regelmäßig feststellen, wie technologischer Fortschritt weniger für die Erfüllung von Bedürfnissen der Konsument:innen eingesetzt wird als für die Beeinflussung des Verbraucherverhaltens im Sinne der Plattformanbieter. BigTechs, die aufgrund der von ihnen gesammelten Daten über Marktmacht verfügen, müssen sich dementsprechend weniger um Innovationen im Interesse der Konsument:innen bemühen. Hier wird die Konsumentensouveränität in ihr Gegenteil verkehrt, mit der Folge, dass technologischer Fortschritt und knappe Ressourcen für Zwecke eingesetzt werden, die nicht zur Lösung dringlicher Probleme beitragen.

Hinzu kommt ein weiteres Allokationsproblem, da viele derzeit benötigte Innovationen, insbesondere im Bereich des Umwelt- und Klimaschutzes, den Charakter öffentlicher Güter haben, für die keine private Zahlungsbereitschaft besteht. Daher kommt anstelle der von Phelps beschriebenen „Bhidé-Konsumenten“ nur der Staat als Nachfrager infrage, dessen finanzielle Mittel in Zeiten multipler Krisen ohnehin stark beansprucht werden.

Fazit

Es zeigt sich also, dass die von Phelps beschriebenen und historisch beobachtbaren Faktoren der Innovationsfähigkeit von Gesellschaften eine gute Basis für die Identifikation von Innovationshindernissen in der Gegenwart bieten. Dabei lassen sich primär Motivations- und Allokationsprobleme feststellen, die sich vielfach gegenseitig verstärken. So ging die Höhergewichtung von Profitzielen im Rahmen shareholder-value-orientierter Management­ansätze, die sich nicht zuletzt im exorbitanten Anstieg von Managergehältern und Banker-Boni widerspiegelte, mit einem Bedeutungszuwachs des Finanzsektors einher, der wiederum zur Folge hatte, dass Fehlsteuerungen innerhalb dieses Sektors immer größere Auswirkungen auf die Realwirtschaft zeitigten. Zugleich beeinträchtigte das Wachstum des Finanzsektors die Investitionsbereitschaft in anderen Bereichen der Wirtschaft, und es kam zu einer Verlagerung von Humankapital aus der Real- in die Finanzwirtschaft (Cecchetti und Kharroubi, 2015). Hier bietet sich ein Erklärungsansatz dafür an, dass sich Innovationen, die ja – insbesondere im Bereich der Digitalisierung – weiterhin laufend entstehen, in jüngerer Zeit deutlich schwächer in Produktivitätssteigerungen und Wachstumsraten niedergeschlagen haben als während der industriellen Revolutionen der Vergangenheit.

Auch wenn bei diesen Prozessen vielfältige Ursachen zusammenwirken, liegt ein entscheidender Faktor in den Anreizen und Motiven ökonomischer Aktivitäten. So droht eine Beeinträchtigung des Innovationspotenzials insbesondere dann, wenn profitorientierte Motive die Oberhand gewinnen und finanzmarktbasierte Benchmarks zur Steuerung von Investitionen herangezogen werden. Es lohnt sich also, bei der Suche nach Ursachen für derzeitige Innovations- und Wachstumsschwächen über den ökonomischen Tellerrand hinauszublicken und kulturelle bzw. ethische Aspekte einzubeziehen.

Hieraus lässt sich die Erkenntnis gewinnen, dass zur Förderung von Innovationen und Wachstum mehr erforderlich ist als staatliche Subventionen und Konjunkturpolitik. Auch wenn die Motivation von Akteuren und die dahinterstehende moralische Orientierung nicht direkt durch die Wirtschaftspolitik verändert werden können, bestehen hierfür zumindest indirekte Ansatzpunkte. So könnte beispielsweise in Vorgaben zur Definition von Nachhaltigkeit (wie der EU-Taxonomie-Verordnung zur Nachhaltigkeit) deutlich gemacht werden, dass Unternehmen, die als nachhaltig eingestuft werden sollen, nicht anhand finanzmarktorientierter Benchmarks gesteuert werden dürfen. Auch gesetzliche Vorgaben zur Begrenzung von Managergehältern und Boni würden dazu einen Beitrag leisten.

Der vorliegende Beitrag stellt ausschließlich die persönliche Meinung des Autors dar.

  • 1 Als Beleg dafür kann der vom Fraser Institute ermittelte Economic Freedom of the World Index herangezogen werden. Vgl. zur Entwicklung seit 2000 Fraser Institute (2022, 15).

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Title:The Contribution of Ethical Factors to Explaining the Decline in Innovation Dynamics

Abstract:When analysing the declining innovation and growth dynamics of modern economies, cultural and ethical influencing factors can be identified alongside economic causes. In his theory on the innovative capacity of the market economy, Edmund Phelps emphasised the importance of non-monetary motives for entrepreneurial activity, which can also be substantiated by looking back at the history of the industrial revolution(s). From a current perspective, the introduction of shareholder value-oriented approaches to corporate management and the transition to financial market-based benchmarks at the end of the 20th century led to a radical change in the culture of motivation in the financial and real economy. As a result, the ability to innovate was impaired by reduced investment in research and development, which was exacerbated by the misallocation of capital in the financial sector.

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DOI: 10.2478/wd-2024-0052