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In den vergangenen 60 Jahren sind die Geburtenraten in den OECD-Ländern um die Hälfte gefallen. 1960 lag die zusammengefasste Geburtenziffer (Total Fertility Rate, TFR) im OECD-Durchschnitt noch bei 3,3 Kindern pro Frau, bis 2022 war sie auf 1,5 Kinder pro Frau gesunken, deutlich unter dem „Reproduktionsniveau“ von 2,1 Kindern pro Frau, auf dem die Bevölkerung ohne Berücksichtigung von Migration konstant gehalten würde. Die höchste TFR verzeichnete 2022 Israel mit 2,9 Kindern pro Frau, gefolgt von Mexiko und Frankreich mit 1,8 Kindern pro Frau. Der OECD-Niedrigrekord wird schon seit Jahren von Korea gehalten; dort ist die TFR 2023 auf nur noch 0,7 Kinder pro Frau gefallen und für 2024 wird ein weiteres Absinken erwartet. In Europa befinden sich Italien und Spanien mit 1,2 Kindern pro Frau am unteren Ende der Tabelle. Solch niedrige Geburtenraten werden in vielen OECD-Ländern zu einem Bevölkerungsrückgang führen. Die Zahl der über 65-Jährigen pro 100 Personen im erwerbsfähigen Alter wird sich den Prognosen zufolge im gesamten OECD-Raum von 30 im Jahr 2020 auf 59 im Jahr 2060 verdoppeln. Ein zweiter Trend ist das zunehmende Durchschnittsalter der Mütter bei der Geburt, das von 28,6 Jahren (2000) auf 30,9 Jahre (2022) gestiegen ist. Auch die Kinderlosigkeit hat in vielen OECD-Ländern zugenommen. Vergleicht man die Geburtsjahrgänge 1935 und 1975, so hat sich der Anteil der kinderlosen Frauen in Estland, Italien, Japan, Litauen, Polen, Portugal und Spanien verdoppelt. Dauerhafte Kinderlosigkeit betraf 23 % bzw. 24 % der Frauen der 1975 geborenen Kohorte in Italien und Spanien und 28 % in Japan.

Die Möglichkeit, Familie und Beruf gut kombinieren zu können, ist ein wichtiger Faktor für die Entscheidung für oder gegen Kinder. Wenn Frauen gezwungen sind, zwischen Beruf und Familie zu wählen, werden sich einige für (mehr) Kinder und weniger Erwerbsbeteiligung entscheiden, andere dagegen für bezahlte Arbeit und weniger oder keine Kinder. Frauen erreichen mittlerweile überall in der OECD im Durchschnitt höhere Bildungsniveaus und Einkommen, damit ist der Abschied aus dem Arbeitsmarkt für Frauen mit größeren Kosten verbunden. Heute gehen höhere Geburtenraten mit höheren Beschäftigungsquoten von Frauen einher, während in der Vergangenheit Länder mit hohen weiblichen Beschäftigungsraten niedrigere Geburtenraten aufwiesen. Traditionell haben die skandinavischen Länder, aber auch Frankreich, höhere Geburtenraten; ihre umfassenden Angebote an familienpolitischen Leistungen, wie bezahlte Elternzeiten und frühkindliche Bildung und Betreuung, sind wichtige Gründe. Heute aber liegen die Geburtenraten auch in diesen Ländern nur noch um den OECD-Durchschnitt. Arbeits- und familienpolitische Maßnahmen allein reichen offenbar nicht mehr aus, um die internationalen Unterschiede in den Geburtenraten zu erklären.

Der OECD-Bericht Society at a Glance 2024 zeigt, dass zusätzliche Faktoren eine Rolle spielen. Die seit Mitte der 2010er Jahre in fast allen OECD-Ländern stark angestiegenen Kosten für Wohnraum, machen es jungen Erwachsenen schwer, eine eigene Familie zu gründen, zumal immer mehr von ihnen in ihren 20er und 30er Jahren aus finanziellen Gründen noch bei den Eltern leben. Kosten für private Schulen und zusätzliche Bildung können ebenfalls ein Hindernis für (mehr) Kinder darstellen, wie z. B. in Korea, aber dies trifft nicht für alle OECD-Länder zu. Wirtschaftliche Unsicherheit spielt ebenfalls eine Rolle und es ist wenig überraschend, dass sich Arbeitslosigkeit negativ auf die Geburtenraten auswirkt. All diese Faktoren können nur einen Teil der Entwicklung erklären. Andere Gründe, die schwieriger zu quantifizieren sind, sind Veränderungen der sozialen Normen und die Zukunftsperspektiven, die von jüngeren Generationen häufig pessimistisch gesehen werden. Die rasche Abfolge globaler Krisen, Kriege und der Klimawandel haben dies zuletzt verstärkt. Junge Menschen finden auch öfter ein Leben ohne Kinder sinnstiftend und Kinderlosigkeit wird gesellschaftlich besser akzeptiert.

Mehr familien- und gleichstellungspolitische Maßnahmen, die es einfacher machen, Kinderwünsche zu realisieren, sind nach wie vor die beste Antwort auf fallende Geburtenraten. Zusätzlich aber sind Reformen notwendig, die jungen Menschen wirtschaftliche und finanzielle Eigenständigkeit ermöglichen, wie die Förderung von bezahlbarem Wohnen und der nachhaltigen Integration in den Arbeitsmarkt. Aufgrund der veränderten Präferenzen jüngerer Generationen ist es jedoch eher unwahrscheinlich, dass die Geburtenraten wieder auf frühere Werte steigen. Ohnehin würde sich jeglicher Anstieg der Geburtenraten heute erst in 20 Jahren in einer größeren Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter niederschlagen. Insofern sollten sowohl die Erwartungen als auch die politischen Maßnahmen auf langfristig niedrige Geburtenraten ausgerichtet werden, z. B. durch Einbeziehung der Zuwanderung, Eingliederung von unterrepräsentierten Gruppen in den Arbeitsmarkt und Maßnahmen zur Steigerung der Produktivität, um die wirtschaftlichen Auswirkungen einer schrumpfenden Erwerbsbevölkerung abzufangen.

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© Der/die Autor:in 2024

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DOI: 10.2478/wd-2024-0114