Die folgenden Überlegungen stützen sich auf den Frankfurt Report 2024 „Ukraine’s Reconstruction: Policy Options for Building an Effective Financial Architecture“, der eine Reformagenda für den ukrainischen Finanzsektor skizziert.1 Ausgangspunkt der Studie ist die gegenwärtige Situation in der Ukraine, die mit Blick auf das Finanzsystem durch ein Missverhältnis zwischen der Leistungsfähigkeit des inländischen Finanzsektors einerseits und dem hohen Investitionsbedarf andererseits – bedingt durch den notwendigen Wiederaufbau des Landes und die Vorbereitungen auf einem EU-Beitritt – gekennzeichnet ist. Das Bankensystem erfüllt heute seine Rolle als Finanzier des Auf- und Umbaus des Unternehmenssektors nur unzureichend. Etwa drei Viertel der Bilanzsumme aller Großbanken zusammen sind – überwiegend kriegsbedingt – belegt mit Non-performing loans (NPLs) oder ukrainischen Staatsanleihen – für Investitionsfinanzierungen bleibt nur wenig Raum. Erschwerend kommt hinzu, dass die großen Banken heute staatseigene Institute sind, sodass politische Einflussnahme auf Kreditentscheidungen zu befürchten ist. Dadurch wird der Bankensektor heute nicht den Anforderungen gerecht, die zu seiner Rolle als Intermediär zwischen ausländischen Kapitalgebern und dem inländischen Unternehmenssektor gehört; es ist daher Teil einer Reformagenda, die Vertrauensbasis für private Kapitalflüsse in die Ukraine zu legen. Dazu bedarf es integren Leitungsstrukturen (good governance), Wettbewerb und Transparenz. Die dafür notwendigen Prozesse und Strukturen sollten erkennbar in ukrainischer Hand bzw. unter ukrainischer Leitung sein.
Vorgeschlagen werden zwei flankierende Institutionen für eine Koordination der Entwicklungspläne auf Seiten der Ukraine (National Reconstruction and Reform Council), und ebenso auf Seiten der potenziellen Geberländer (National Development Platform). Zudem soll als zentrale Neuerung die Ukraine Development Bank (UDB) nach dem Vorbild der KfW in Deutschland als Entwicklungsbank für den Wiederaufbau und die weitere wirtschaftliche Entwicklung des Landes gegründet werden. Diese soll dazu beitragen, privates und öffentliches Kapital für den Wiederaufbau anzuziehen. Hierzu zählt der Verzicht auf direkte Firmen- oder Projektfinanzierung und stattdessen eine Konzentration auf die Refinanzierung der Geschäftsbanken. Konkret soll die UDB bei der Finanzierung von Firmenkunden der Geschäftsbanken als Co-Finanzier auftreten. Sie soll sicherstellen, dass die betreffende Geschäftsbank, die in der Regel allein über detaillierte Kundeninformationen verfügt, sich ebenfalls am Ausfallrisiko einer Kreditbeziehung beteiligt, um dadurch Moralisches Risiko und Adverse Selektion zu begrenzen. Mittels Refinanzierung der UDB, die ihrerseits Gelder an Banken zur Kreditvergabe weiterleitet, können sowohl internationale Geber, wie auch die nationale Regierung gezielt Sektoren (Landwirtschaft, Kleinindustrie, Energie) oder Projekttypen (ESG, Innovation) unterstützen.
In den kommenden Jahren kann die UDB einen Beitrag zur Bereinigung des verkrusteten und wenig funktionalen Bankensektors leisten, indem es mit internationaler Hilfe die Wertbereinigung des NPL-Portfolios mittels einer Rekapitalisierung der Banken ermöglicht. Die in diesem Zuge erworbenen Eigentumsanteile können in den Folgejahren gezielt veräußert werden, wodurch eine von Wettbewerb und Corporate Governance gekennzeichnete leistungsfähige Eigentümerstruktur bei den – heute im Staatsbesitz befindlichen – Instituten entsteht. Eine Privatisierungsabsicht für Banken ist ein bisher nicht verwirklichter Teil des Regierungsprogramms. Auch kann die UDB Teile des Staatsanleiheportfolios der Geschäftsbanken übernehmen und dadurch den Banken liquide und verleihbare Mittel (Loanable funds) zur Verfügung stellen, wodurch Banken sich vermehrt ihrer eigentlichen Aufgabe, der Firmen- und Wachstumsfinanzierung, widmen können. Die Struktur der UDB als Tier-2-Bank, die sich auf Refinanzierungen statt auf direkte Kreditvergabe konzentriert, stellt sicher, dass sie private Finanzinstitute nicht verdrängt, sondern unterstützt. Dieses Modell fördert eine dezentrale Finanzarchitektur, die besonders vorteilhaft für die Förderung der regionalen Entwicklung und die Unterstützung mittelständischer Familienunternehmen ist. Durch die Weiterleitung von Mitteln über lokale Banken kann die UDB wirtschaftliche Aktivitäten auf regionaler Ebene ankurbeln und inklusives Wachstum im ganzen Land fördern.
Die Gründung der Ukraine Development Bank für den Wiederaufbau und die wirtschaftliche Modernisierung der Ukraine kann einen zentralen Beitrag leisten. Durch den Zugang zu internationalen Kapitalmärkten, die Sicherstellung einer verantwortungsvollen Mittelverwendung durch konditionale Kreditvergabe und die Unterstützung struktureller Reformen kann die UDB eine transformative Rolle beim Wiederaufbau der ukrainischen Wirtschaft spielen. Diese Institution kann dazu beitragen, die erhebliche Investitionslücke zu schließen, dezentralisiertes Wirtschaftswachstum zu fördern und das Finanzsystem der Ukraine mit den EU-Standards in Einklang zu bringen, wodurch der Weg für eine nachhaltige und prosperierende Entwicklung geebnet wird.