Die demografische Entwicklung, der Klimawandel und eine unzureichende Digitalisierung stellen (auch) für das deutsche Gesundheitssystem große Herausforderungen dar. Die SARS-CoV-2-Pandemie forderte das Gesundheitssystem zusätzlich heraus und hat die Stärken und Schwächen des Systems schlagartig deutlich gemacht sowie zumindest bei der Digitalisierung unmittelbar kleinere Reformen initiiert. So sind beispielsweise Videosprechstunden oder elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen heute eine Selbstverständlichkeit.
Um eine bedarfsgerechte, qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung – auch in ländlichen Regionen – sicherzustellen, den Kostensteigerungen wirksam entgegenzutreten sowie den Anschluss an internationale Gesundheitsstandards nicht zu verlieren, sind jedoch einschneidende Reformen notwendig. Vor diesem Hintergrund ist es generell zu begrüßen, dass die Bundesregierung in diesem Jahr zahlreiche, teils mutige Reformprojekte verabschiedet oder angestoßen hat.
Ein Reformschwerpunkt liegt dabei im stationären Sektor, dessen letzte grundlegende Umgestaltung vor über 20 Jahren mit der Einführung von Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups – DRGs) erfolgte. Mit dem am 28. März 2024 in Kraft getretenen Krankenhaustransparenzgesetz und dem im parlamentarischen Beratungsprozess befindlichen Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) wird die Krankenhauslandschaft deutlich verändert werden. Zusätzlich befindet sich das Gesetz zur Reform der Notfallversorgung im parlamentarischen Beratungsprozess, das unter anderem zu einer stärkeren Verzahnung des stationären mit dem ambulanten Sektor führen soll.
Ein zweiter Schwerpunkt der aktuellen Reformen liegt bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Anders als beim stationären Sektor, der seit Einführung der DRGs keinen wesentlichen Änderungen unterlag, werden seit über zwei Jahrzehnten in Deutschland immer wieder gesetzliche Maßnahmen ergriffen, um die Digitalisierung voranzutreiben. Ein prominentes Beispiel ist das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aus dem Jahr 2003. Im Jahr 2020 wurden in Deutschland als erstem Land weltweit Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) als verschreibungsfähige Therapien eingeführt. Zudem steht den gesetzlich Versicherten seit 2021 die elektronische Patientenakte (ePA) zur Verfügung, um den Zugang zu und die Verwaltung von Gesundheitsdaten zu erleichtern. Trotz dieser Fortschritte gibt es im internationalen Vergleich einen erheblichen Nachholbedarf, insbesondere im Vergleich zu Vorreitern wie Dänemark, Estland oder Israel. Im Jahr 2024 sind bisher drei Bundesgesetze zur Digitalisierung im Gesundheitswesen vom Kabinett verabschiedet worden: das Digital-Gesetz (DiGiG), das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) und das Gesundheits-Digitalagentur-Gesetz (GDAG). Die ersten beiden sind in diesem März in Kraft getreten, das dritte befindet sich im parlamentarischen Beratungsprozess.
Erster Reformschwerpunkt: stationärer Sektor
Die Reformnotwendigkeit im stationären Sektor wird mit Blick auf den Status quo der Krankenhausstruktur deutlich. Seit 1991 hat sich die Zahl der Krankenhäuser in Deutschland von gut 2.400 auf unter 1.900 verringert (minus 21 %). Im gleichen Zeitraum sank die Zahl der aufgestellten Betten sogar um knapp 30 % (Statistisches Bundesamt, 2023a). Dennoch verfügt Deutschland im internationalen Vergleich immer noch über eine überaus hohe Krankenhausbettendichte. Im Jahr 2021 kamen knapp acht Krankenhausbetten auf 1.000 Einwohner. Im OECD-Vergleich ist die Bettendichte nur in Japan und Korea höher, der OECD-Durchschnitt betrug gut 4,5 Betten (OECD, 2024). Werden jedoch nur die Betten berücksichtigt, die mit Personal ausgestattet sind und den Patienten zur Verfügung stehen, sinkt die Quote auf 5,7 (Statistisches Bundesamt, 2023b). Und hier zeigt sich bereits ein Problem der deutschen Krankenhauslandschaft: Der einerseits vorhandenen Überausstattung mit Betten stehen fehlende Möglichkeiten zu deren effektiver Nutzung gegenüber. Krankenhausbetten ohne medizinisches Personal sind nicht effizient. Es besteht also dringender Handlungsbedarf und damit stellt sich die Frage, ob wir mehr medizinisches Personal oder weniger Betten benötigen.
Strukturelle Defizite in Ambulantisierung, Arbeitsbelastung und Mengenorientierung der Fallpauschalen
Im internationalen Vergleich hinkt Deutschland bei der Ambulantisierung medizinischer Leistungen hinterher. Gründe dafür liegen in angebotsinduzierter Nachfrage (das Krankenhaus ist „um die Ecke“ und immer geöffnet), aber auch in einer zu geringen Verzahnung des ambulanten und stationären Sektors, insbesondere bei der Vergütung. Hinzu kommt eine angespannte Arbeitsmarktlage beim medizinischen Personal. Von einem generellen Fachkräftemangel zu sprechen, wäre allerdings unzutreffend. Im deutschen Gesundheitssystem stehen relativ viele medizinische Fachkräfte pro Einwohner zur Verfügung. Deren vergleichsweise hohe Arbeitsbelastung resultiert aus einer relativ hohen Zahl von Fällen bzw. Patienten pro Einwohner – nicht nur im stationären Sektor. Dies deutet auf strukturelle Schwächen des deutschen Gesundheitssystems hin, die allein durch mehr Personal nicht gelöst, sondern eher zementiert werden. Davon abgesehen ist vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und der angespannten Lage der öffentlichen Haushalte (inklusive der Parafiski) eine weitere Erhöhung der Zahl der medizinischen Fachkräfte unrealistisch (SVR Gesundheit und Pflege, 2024, S. XXII).
Ferner hat sich in den vergangenen 20 Jahren gezeigt, dass das auf Fallpauschalen basierende System der Krankenhausvergütung stark mengenorientiert ist. Es besteht deshalb ein Anreiz, Behandlungen nicht aufgrund medizinischer Erfordernisse, sondern auch (im schlimmsten Fall allein) zur Gewinnerzielung durchzuführen. Zusätzlich besteht ein Anreiz, bestimmte Leistungen weiter anzubieten, obwohl sie nur selten durchgeführt werden und deshalb wenig Erfahrung besteht. Qualitätsdefizite können die Folge sein.
Ein Abbau der Überkapazitäten im stationären Sektor, eine Konzentrierung von Krankenhausstandorten (und damit auch der Ressourcen), eine Reform der Vergütung sowie eine Vermeidung von Doppelstrukturen im ambulanten und stationären Sektor sind deshalb dringend erforderlich.
Vor diesem Hintergrund sind das Krankenhaustransparenzgesetz und das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz generell zu begrüßen. Mit dem digitalen Bundes-Klinik-Atlas, dem Kern des Krankenhaustransparenzgesetzes, soll deutschlandweit Transparenz über die stationäre Behandlungsqualität geschaffen werden. Diese Transparenz ist eine Voraussetzung, damit Patienten rationale Entscheidungen treffen können, und damit ein wichtiger Bestandteil des Wettbewerbs. Eine resultierende potenzielle Steigerung der Behandlungsqualität ist im Sinne des Patientenwohls ein anzustrebendes Ziel. Derzeit finden sich im Klinik-Atlas lediglich Informationen zur Zahl der Behandlungsfälle und des Pflegepersonals. Dies sollte um weitergehende Informationen z. B. zur Zahl der Komplikationen ergänzt werden, was auch geplant ist.
Der Kern des KHVVG ist eine Reform der Krankenhausvergütung. Beim sogenannten 2-Säulen-Modell wird mit Vorhaltepauschalen in Höhe von 60 % der bisherigen Fallpauschalen (DRGs) das Vorhalten bestimmter Strukturen in Krankenhäusern weitgehend unabhängig von den erbrachten Leistungsmengen vergütet (1. Säule). Die verbleibenden 40 % werden weiterhin über Behandlungsfälle erwirtschaftet und mit im Vergleich zu vorher abgesenkten DRGs vergütet (2. Säule). Damit soll der Anreiz gesenkt werden, die Zahl der Fälle aus rein ökonomischen Gründen zu erhöhen. Vorhaltepauschalen erhalten Krankenhäuser jedoch nur für die Leistungsgruppen, bei denen sie die jeweils maßgeblichen Qualitätskriterien und Mindestmengen einhalten sowie für Leistungsgruppen, die ihnen von den Ländern zugewiesen werden. In der Folge wird es zu Konzentration von Leistungen in den Krankenhäusern kommen, die für eben diese Leistungen Vorhaltepauschalen erhalten. Die anderen Krankenhäuser werden diese Leistungen früher oder später nicht mehr anbieten, da die neuen Fallpauschalen allein nicht kostendeckend sein werden. Es wird dann Krankenhäuser auf verschiedenen Versorgungsstufen geben, bei denen jeweils eine qualitativ hochwertige Versorgung in „ihren“ Leistungsgruppen erfolgt. Krankenhäuser, die in keiner oder zu wenig Leistungsgruppe(n) die notwendigen Anforderungen erfüllen, werden unwirtschaftlich und aus dem Markt austreten. Um die Versorgung im ländlichen Raum zu sichern, sind Ausnahmen sowie der Ausbau sektorübergreifender, integrierter Gesundheitszentren vorgesehen. Die Länder und die gesetzlichen Krankenkassen sollen diesen Umbau der Krankenhauslandschaft finanzieren.
Das KHVVG greift wichtige, drängende Probleme der stationären Versorgung in Deutschland auf und liefert im Kern überzeugende Lösungsansätze. Die Konzentration von Leistungen in spezialisierten Kliniken und die Reduktion von Gelegenheitsversorgung wird die Behandlungsqualität steigern und in der Folge die Morbidität und Mortalität der Bevölkerung sowie die Kosten im Gesundheitssystem senken. Ferner werden personelle Ressourcen effizienter allokiert.
Kritisch zu bemerken ist allerdings, dass der ganz große Sprung zu einer sektorgleichen Vergütung von Leistungen nicht vollzogen wurde. Im Sinne der notwendigen Ambulantisierung von Leistungen wäre dies wünschenswert gewesen. Ferner ist im 2-Säulen-Modell kein Qualitätskriterium enthalten. Ein Ausbau zu einem 3-Säulen-Modell mit einem Qualitätszuschlag als dritter Säule, wäre deshalb zu begrüßen (SVR Gesundheit, 2023, Ziff. 429). Zu bezweifeln ist zudem, inwiefern das neue Nebeneinander von Finanzierungssystemen, also Vorhaltepauschalen und DRGs, zur Entbürokratisierung beitragen soll. Erstmal stellt es einen bürokratischen Mehraufwand dar, der bei einer dritten Säule natürlich noch größer wäre. Herausfordernd gestaltet sich zudem die Umsetzung in vielen Details wie der Berechnung der Höhe der Vorhaltevergütung oder die Festlegung (der Zahl) der Leistungsgruppen.
Schließlich kommt Kritik von den Ländern, die für die Krankenhausplanung zuständig sind. Befürchtet wird, dass sie zwar die Leistungsgruppen den Krankenhausstandorten zuweisen sollen, aber der Bund diese Gestaltungsoption durch seine strukturellen Vorgaben für Leistungsgruppen (unter anderem Mindestfallzahlen) einschränken wird. Aus politischer Sicht ist diese Kritik verständlich, aus ökonomischer Perspektive ist sie nicht zu teilen. Gerade im Hinblick auf hoch spezialisierte Kliniken (Maximalversorger), die infolge der dortigen Konzentration von Leistungen überregional für die Bevölkerung an Bedeutung gewinnen, scheint eine bundeslandübergreifende Struktur föderalismustheoretisch sinnvoll.
Zweiter Reformschwerpunkt: Digitalisierung
Der zweite Reformschwerpunkt liegt im Bereich der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Sie bietet vielfältige Chancen, die sowohl für Einzelpersonen als auch für die Gesellschaft insgesamt von großer Bedeutung sind (SVR Gesundheit, 2021, S. 1). Die systematische Auswertung und Nutzung medizinischer Daten, die in der elektronischen Patientenakte (ePA) gespeichert werden, kann einen unmittelbaren Nutzen für den einzelnen Patienten haben. Beispielsweise können seltene Erkrankungen schneller diagnostiziert, unerwünschte Arzneimittelwirkungen (Pharmakovigilanz) rascher erkannt oder durch datenbasierte Entscheidungsunterstützungssysteme passgenauere Therapien identifiziert werden. Für Leistungserbringer im Gesundheitswesen erleichtert die ePA nicht nur die Diagnosestellung, sondern optimiert zudem Prozesse und Dokumentation und vereinfacht die Kommunikation sowohl mit Patienten als auch untereinander. Ferner bietet die Nutzung von ePA-Daten für Forschungszwecke eine wertvolle Grundlage für eine breitere und aktuellere Versorgungsforschung sowie für eine evidenzbasierte Bewertung politischer Maßnahmen. Dies kann letztlich zu einer Effizienzsteigerung im Gesundheitswesen führen, was angesichts angespannter öffentlicher Finanzen von erheblicher Bedeutung ist (SVR Gesundheit, 2021, S. 70–78).
Dennoch ist das Potenzial der ePA derzeit weitgehend ungenutzt: Bis Ende 2023 haben sie lediglich etwa 1,2 % der gesetzlich Versicherten genutzt (Janson, 2023), während sie für privat Versicherte praktisch nicht verfügbar war.
Mit dem Inkrafttreten des Digital-Gesetzes (DiGiG) am 26. März 2024 hat die Bundesregierung einen wichtigen Schritt zur Hebung der Potenziale der Digitalisierung im Gesundheitswesen unternommen. Ab Anfang 2025 wird die elektronische Patientenakte (ePA) für alle gesetzlich Versicherten verpflichtend eingeführt, wobei das bisherige Opt-in-Modell durch eine Opt-out-Option ersetzt wird. Eine weite Verbreitung und aktive Nutzung der ePA ist entscheidend für ihren Erfolg, da nur so Netzwerkeffekte entstehen (beispielsweise zwischen Leistungserbringern) und die Daten sinnvoll für Forschungszwecke genutzt werden können. Laut dem Telematikinfrastruktur-Atlas planen derzeit über die Hälfte der Versicherten, die ePA aktiv zu nutzen, während lediglich 4 % beabsichtigen, ihr zu widersprechen (gematik, 2024). Um die Vorteile der ePA in noch größerem Maße zu realisieren, wäre jedoch ein noch höherer Anteil aktiv Nutzender erforderlich. Mit dem DiGiG bleibt es dabei, dass die Patienten die Kontrolle über die Speicherung und Löschung ihrer Daten in der ePA behalten. Doch diese Regelung könnte den potenziellen Nutzen der ePA erheblich einschränken. Unvollständige Datensätze sind sowohl für die individuelle Diagnostik als auch für die Versorgungsforschung von begrenztem Wert.
Balance zwischen Datenschutz und Datennutzung
Der verstärkte Einsatz von Telemedizin, Telecare, digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs), technischen Assistenzsystemen sowie Kommunikations- und Weiterbildungsplattformen kann dazu beitragen, den gesellschaftlichen Herausforderungen des demografischen Wandels effektiver zu begegnen, insbesondere angesichts der zunehmenden Zahl älterer Patienten und der sinkenden Zahl von Fachkräften. In diesem Kontext ist der durch das DiGiG ermöglichte Ausbau von Videosprechstunden sowie die Ausweitung der DiGAs auf Medizinprodukte höherer Risikoklassen positiv zu bewerten. Diese Maßnahmen tragen dazu bei, die Gesundheitsinfrastruktur an die veränderten Bedürfnisse der Bevölkerung anzupassen.
Den vielfältigen Chancen der Digitalisierung im Gesundheitswesen stehen zentrale Herausforderungen gegenüber. Erstens ist eine ausgewogene Balance zwischen Datenschutz und der sinnvollen Nutzung von Daten erforderlich. In der gesellschaftlichen Diskussion, vor allem außerhalb der Gesundheitspolitik, dominiert weiterhin die Vorstellung, dass informationelle Selbstbestimmung gleich Datenschutz ist und dieser in erster Linie durch Datensparsamkeit gewahrt werden sollte. Dabei wird häufig übersehen, dass informationelle Selbstbestimmung auch das Recht beinhalten kann – und vielleicht sogar muss –, persönliche Daten zum eigenen oder zum gesellschaftlichen Wohl einzusetzen (SVR Gesundheit, 2021, S. 11–18).
In diesem Zusammenhang sollte der Datensicherheit eine größere Bedeutung beigemessen werden. Die im DiGiG vorgesehene Stärkung der Cybersicherheit steht im Einklang mit diesem fortschrittlicheren Verständnis von Datenschutz und ist daher zu begrüßen. Darüber hinaus geht die Bundesregierung mit dem Gesundheits-Digitalagentur-Gesetz (GDAG) einen weiteren Schritt in die richtige Richtung. Dieses Gesetz überträgt der Digitalagentur Gesundheit hoheitliche Aufgaben zur Gefahrenabwehr, einschließlich der Möglichkeit, Bußgelder zu verhängen, was die Sicherheitsstruktur im digitalen Gesundheitswesen weiter stärken könnte.
Zweitens besteht nach wie vor dringender Handlungsbedarf bei der Verbesserung der technischen Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen. Dazu gehören unter anderem ein flächendeckender, stabiler Breitbandzugang in ganz Deutschland und die Interoperabilität der Gesundheitsdaten, um die Fragmentierung der digitalen Strukturen im Gesundheitswesen zu überwinden. Besonders wünschenswert wäre auch die Möglichkeit, Gesundheitsdaten mit sozioökonomischen Datenquellen zu verknüpfen, um umfassendere Analysen zu ermöglichen. Die im Digital-Gesetz und im Gesundheits-Digitalagentur-Gesetz angestrebte Verbesserung der Interoperabilität ist grundsätzlich positiv zu bewerten. Jedoch bleibt die mittlerweile über zwei Jahrzehnte alte Telematikinfrastruktur unangetastet, was kritisch hinterfragt werden sollte. Moderne Softwarelösungen könnten den bestehenden Konnektoren in Bezug auf Sicherheit, Kosten und Benutzerfreundlichkeit möglicherweise überlegen sein.
Das Gesundheitsdatennutzungsgesetz
Das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) setzt wichtige Impulse, indem es eine nationale Datenzugangs- und Koordinierungsstelle für Gesundheitsdaten – etwa aus der ePA oder von den Krankenkassen – etabliert und die Abstimmungsprozesse mit Datenschutzbeauftragten unterstützt. Diese Maßnahmen könnten eine sinnvolle Nutzung von Gesundheitsdaten für die Forschung erheblich erleichtern. In Kombination mit dem entstehenden Europäischen Gesundheitsdatennutzungsraum könnten so auch in Deutschland in den kommenden Jahren Gesundheitsdaten in großem Umfang für die Forschung verfügbar werden. Dies setzt jedoch voraus, dass das GDNG zügig verabschiedet und umgesetzt wird. Unverständlich bleibt, warum der Schutz von Gesundheitsdaten in Deutschland weiterhin fragmentiert geregelt bleiben soll. Die neue Koordinierungsstelle soll lediglich die Abstimmung zwischen den 17 Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern erleichtern, bundeseinheitliche Datenschutzregelungen im Gesundheitsbereich zu schaffen, ist nicht vorgesehen.
Schließlich ist es notwendig, die digitale Gesundheitskompetenz und ihre ungleiche Verteilung in der Bevölkerung zu adressieren. Eine erfolgreiche Digitalisierung des Gesundheitswesens erfordert einen umfassenden Aufbau von Kompetenzen in allen gesellschaftlichen Schichten (SVR Gesundheit, 2021, S. 277; Deutscher Ethikrat, 2018). Die verpflichtende Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) ab 2025 könnte hierzu einen wichtigen Beitrag leisten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sowohl die Nutzung digitaler Gesundheitstools als auch die Bereitschaft, persönliche Daten zu Forschungszwecken zur Verfügung zu stellen, derzeit signifikant von sozioökonomischen Faktoren beeinflusst werden. Männer und Personen mit höherem Bildungsstand sind signifikant häufiger bereit, eine ePA zu nutzen, als Frauen und Personen mit mittlerem oder niedrigem Bildungsstand. Zudem sind Frauen, ältere Menschen und Personen mit niedrigem Bildungsstand seltener bereit, ihre Gesundheitsdaten für Forschungszwecke freizugeben (SVR Gesundheit, 2021, elektronischer Anhang IV). Diese Ungleichheiten könnten, insbesondere in einer Zukunft mit vermehrter Datennutzung für die Forschung, die Ergebnisse verzerren und bestehende soziale Ungleichheiten verstärken. In den aktuellen Gesundheitsgesetzen der Bundesregierung ist bislang keine Strategie erkennbar, wie diese Herausforderung bewältigt werden soll.
Fazit
Deutschland hat im internationalen Vergleich zu viele Krankenhausbetten an zu vielen Standorten und ein zu wenig digitalisiertes Gesundheitssystem. Beides führt dazu, dass das Potenzial für eine flächendeckende, bedarfsgerechte, qualitativ hochwertige Versorgung der Bevölkerung nicht ausgeschöpft wird und finanzielle und personelle Ressourcen suboptimal eingesetzt werden. Alle erwähnten Reformen behandeln diese Problematik und gehen – trotz Kritik an einzelnen Aspekten – in die richtige Richtung. Wichtig ist nun eine zügige Umsetzung der Gesetze sowie eine mutige Adressierung kritischer und offener Punkte.
Literatur
Deutscher Ethikrat. (2018). Big Data und Gesundheit – Datensouveränität als informationelle Freiheitsgestaltung.
gematik. (2024, 26. August). TI-Atlas.
Janson, M. (2023, 20. November). Das E-Rezept nimmt Fahrt auf, die EPA schwächelt noch. Statista.
OECD. (2024, 23. Juli). Anzahl von Krankenhausbetten in OECD-Ländern in den Jahren 2020-2022 (je 1.00 Einwohner) [Data set]. Statista.
Statistisches Bundesamt. (2023a, 13. Dezember). Krankenhäuser – Einrichtungen, Betten und Patientenbewegung [Data set], destatis.
Statistisches Bundesamt. (2023b, 2. September). Betten in Krankenhäusern [Data set], destatis.
SVR Gesundheit – Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. (2021). Digitalisierung für Gesundheit - Ziele und Rahmenbedingungen eines dynamisch lernenden Gesundheitssystems. Verlag Hogrefe.
SVR Gesundheit – Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. (2023). Resilienz im Gesundheitswesen – Wege zur Bewältigung künftiger Krisen. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft.
SVR Gesundheit und Pflege – Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen und in der Pflege. (2024). Fachkräfte im Gesundheitswesen – Nachhaltiger Einsatz einer knappen Ressource.