Die Einführung des Deutschlandtickets wird von verschiedenen Seiten kritisiert. So wird angeführt, dass durch das Deutschlandticket die Komplexität für Unternehmen im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zunehme, primär Gutverdienende begünstigt würden, Fehlanreize und Fehlsteuerungen verursacht würden und eine signifikante Verlagerung des Verkehrs nicht zu erwarten sei. Im Rahmen einer empirischen Untersuchung werden daher Fragen zur Nachfrageverlagerung, zu wohlfahrtsökonomischen Auswirkungen sowie zu Finanzierungsmöglichkeiten des Deutschlandtickets untersucht.
Die kontroversen Diskussionen zum Erfolg des Deutschlandtickets knüpfen mehr oder weniger lückenlos an die sehr unterschiedliche Bewertung des 9-Euro-Tickets an (Krämer & Korbutt, 2023). Bemängelt wird unter anderem, das Deutschlandticket (DT) erhöhe die betriebliche Komplexität im ÖPNV, komme primär Gutverdienenden zugute, verursache Fehlanreize und Fehlsteuerungen und führe nicht zu einer signifikanten Verkehrsverlagerung. So wendet Ingo Wortmann, Präsident des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), ein: „Was es noch nicht geleistet hat und vielleicht auch noch nicht leisten konnte, ist, wirklich einen Beitrag dazu zu leisten, mehr Menschen vom Auto auf den ÖPNV zu holen …“ (Kaiser & Thiele, 2024). Häufig wird dabei auf die bundesweite Studie des VDV Bezug genommen, die für das DT eine Verlagerung von 5 % der Fahrten mit dem DT vom Pkw ausweist (Mai bis Juli 2023) – auch zitiert durch den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags (2023). Selbst dieser Wert von 5 % wurde von Mobilitätsexperten vor Marktstart als maximal erwartbar, also überaus optimistisch, angesehen (DPA, 2023). Bedrohlich wird das Szenario dann, wenn das DT in den Kontext eines hochgradig induzierten Verkehrs und des Risikos von Überlastungen der bestehenden Kapazitäten gestellt wird – einhergehend mit entsprechend hohen volkswirtschaftlichen Kosten (Wallimann et al., 2024). Vor diesem Hintergrund werden in diesem Beitrag die folgenden Fragenkomplexe bearbeitet:
- Wie stark führt die Nutzung des DTs zu Nachfrageverlagerungen, also insbesondere zu einer Substitution des Autoverkehrs, und welchen Beitrag leistet das Angebot damit unter anderem zur Verkehrswende?
- Wie sind die wohlfahrtsökonomischen Wirkungen des DTs zu beurteilen? Welcher gesamtwirtschaftliche Betrag ergibt sich, wenn die Nutzenbeiträge und die direkt zuzurechnenden Kosten des Tickets in Beziehung zueinander gesetzt werden?
- Wie wird der ÖPNV seit Beginn der Coronapandemie finanziert und welcher Finanzierungsbedarf ergibt sich daraus vor dem Hintergrund des DTs?
- Welche Möglichkeiten für die Weiterentwicklung des DTs ergeben sich durch veränderte Ansätze der Finanzierung?
Die Beantwortung dieser Fragen erfolgt unter anderem auf der Basis einer empirischen Untersuchung, deren Ergebnisse mit anderen Datenquellen verzahnt sowie validiert werden, und weiterer verfügbarer Untersuchungsergebnisse.
Daten und Methodik
Im Folgenden werden Daten der Studie OpinionTRAIN, einer Kooperationsstudie der exeo Strategic Consulting AG und der Rogator AG, genutzt (Krämer, 2024). Es handelt sich dabei um eine repräsentativ angelegte Onlineerhebung, die bisher in mehreren Wellen durchgeführt wurde; die letzte fand im September/Oktober 2023 statt und hatte einen speziellen Fokus auf dem DT. Befragt wurden 2.484 Personen ab 18 Jahren in Deutschland (535 mit DT-Besitz; Nutzung eines Online-Access-Panels zur Rekrutierung der Probanden; 28.9. bis 3.10.2023; Dauer der Kernbefragung ca. 11,5 Minuten). Um die Repräsentativität der Daten sicherzustellen, wurden die Daten in einem mehrstufigen Prozess gewichtet. Zusätzlich wurden im Oktober 2023 im Rahmen einer experimentellen Studie spezielle Aspekte, wie Fragedesigns zur Fahrtenverlagerung bzw. die Messung der Zahlungsbereitschaft für das DT überprüft (exeo, 2023).
Substitution von Pkw-Fahrten durch das Deutschlandticket
Bei der Fahrtenverlagerung ist grundsätzlich zu unterscheiden, ob Fahrten mit dem DT ohnehin mit Bussen und Bahnen unternommen worden wären oder ob diese hinzugewonnen wurden. Dieser Zusatz- oder Mehrverkehr lässt sich wiederum auf induzierten Verkehr und Fahrtenverlagerungen aufteilen, wobei insbesondere die Verlagerung von Pkw-Fahrten positive Klimaeffekte verspricht. Laut eigener Studie handelt es sich bei 85 % aller Fahrten mit dem DT um bestehende Mobilität im Nahverkehr, 15 % der Fahrten sind Mehrverkehr, wobei das Verhältnis zwischen Fahrtenverlagerung und induziertem Verkehr etwa 4:1 ist (vgl. Abbildung 1). Substituiert werden demnach primär Autofahrten: Bei knapp 11 % der Fahrten mit dem DT handelt es sich um substituierte Pkw-Fahrten (ähnlich dazu Korbutt und Krämer (2024) oder die Ergebnisse zum Klimaticket Österreich (infas, 2023)).1 Bei einem Bestand von 11 Mio. DTs werden ca. 433 Mio. Pkw-Kilometer ersetzt bzw. verlagert. Bei der Substitution von Pkw-Fahrten durch das DT sind drei Effekte von Bedeutung (vgl. Abbildung 1):
Abbildung 1
Nachfrageverlagerung beim Deutschlandticket und die Konsequenzen eines reduzierten Pkw-Verkehrs
DT = Deutschlandticket, NV = Nahverkehr, FV = Fernverkehr;
1 Kumulierte Zahlungsbereitschaft oberhalb des Ticketpreises (Konsumentenrente).
2 Mittlerer Wert an aggregierten externen Effekten je km multipliziert mit den substituierten Pkm vom Pkw.
3 Durch das DT induzierte Mehrausgaben in Handel und Gastronomie.
4 Es werden nicht alle Effekte quantifiziert.
Quelle: eigene Darstellung.
- Die Ticketnutzer sind in der Lage, die Reisekosten insgesamt zu senken. Selbst, wenn nicht die Vollkosten der Pkw-Nutzung angesetzt werden (Krämer, 2016; Andor et al., 2020), ergeben sich pro Monat Kostensenkungen je DT-Nutzer von 22 Euro, hochgerechnet sind dies jährlich 2,5 bis 2,9 Mrd. Euro.
- Über die Abschätzung der substituierten Verkehrsleistung des Pkw und weiterer Parameter ist die Reduzierung an Klimagasen durch das DT pro Jahr bestimmbar (hochgerechnet ca. 2,5 bis 3,0 Mio. t CO2-Äquivalente). Diese Effekte sind zum weitaus größten Teil durch die Gruppe der Neu-Abo-Kunden bestimmt (Krämer, 2024; Korbutt & Krämer, 2024).
- Werden darüber hinaus die Verringerungen der externen Kosten betrachtet, die sich aus einer Substitution von Pkw-Fahrten ergeben, errechnet sich eine volkswirtschaftliche Entlastung in Höhe von mindestens 1,4 Mrd. Euro p. a. Angesetzt wurden dabei in einer konservativen Vorgehensweise ca. 9,45 Euro Ct. je Personenkilometer (Pkm) (Krämer, 2024), während aktuell auch deutlich höhere Kosten in die Diskussion eingebracht werden; Schröder et al. (2023) mit 16 Euro Ct. je Pkm oder Gössling et al. (2022) mit 21 bis 23 Euro Ct. je Pkm.
Kosten-Nutzen-Analyse zum Deutschlandticket
Um eine wohlfahrtsökonomische Analyse des DTs durchzuführen, werden die gesellschaftlichen Kosten und Nutzen einzeln monetarisiert und dann saldiert. Dabei stellt die Konsumentenrente eine wichtige Nutzenkomponente dar. Sie errechnet sich auf Individualebene als Differenz zwischen der maximalen Zahlungsbereitschaft der Nutzer und dem effektiv bezahlten Preis (de Rus, 2021). Als Methode zur Messung der maximalen Preisbereitschaft der Verbraucher kommt das von exeo entwickelte Instrument „PSM-Plus“ zum Einsatz (Krämer & Burgartz, 2022; Krämer, 2019). Entsprechende offene Abfragen werden auch in der Forschung als geeignete Instrumentarien zur Messung von Zahlungsbereitschaften bei Produkten gesehen, die im Markt etabliert sind (Schmidt et al., 2023).
Mit zunehmender Nutzung des Nahverkehrs nimmt der „Perceived Value“ des Tickets zu, die Preisbereitschaft ebenfalls. Da in der eigenen Studie sowohl Besitzer als auch Nicht-Besitzer des DTs befragt wurden, können die Besonderheiten der Ticket-Nutzer klar herausgearbeitet werden. Abbildung 2 zeigt zusätzlich zu diesem Kontrast auch die Unterschiede zwischen den beiden Teilgruppen der Ticket-Nutzer, und zwar Alt-Abo-Kunden (Personen, die bereits vor dem DT über eine ÖPNV-Zeitkarte im Abo verfügt haben) und Neu-Abo-Kunden, die vor Nutzung des DTs kein ÖPNV-Abo besessen haben. Als mittlere Konsumentenrente je DT und Monat errechnet sich ein Wert von 16,90 Euro. In der Hochrechnung ergibt sich bei einem Bestand von 11 Mio. DT-Besitzern eine kumulierte Konsumentenrente von 2,2 Mrd. Euro p. a. Auch dieser Betrag dürfte konservativ angesetzt sein, wird doch in der wissenschaftlichen Literatur neben dem Begriff der Zahlungsbereitschaft (Willingness-to-Pay, WTP) auch die Willingness-to-Accept (WTA) genutzt (Grutters et al., 2008) und argumentiert, der Betrag der WTA übertreffe den der WTP.
Abbildung 2
Herleitung der Konsumentenrente durch das Deutschlandticket
DT = Deutschlandticket;
1 Der Preis des Deutschlandtickets wird durch die Förderung der Bunderegierung möglich. Wenn Sie einmal an die Leistung des Deutschlandtickets denken (bundesweite Nutzung des Nahverkehrs): Welcher Preis für ein solches Ticket wäre für Sie ... 1. teuer, aber gerade noch angemessen, 2. so teuer, dass Sie das Ticket nicht mehr kaufen würden? Zahlungsbereitschaft aus den beiden Preispunkten ermittelt (Mittelwert).
2 80 % der DTs zum Preis von 49 Euro und 20 % der DTs zum Preis von 34 Euro.
Quelle: Krämer (2024).
Werden neben den Nutzenkomponenten (1) Konsumentenrente und (2) Vermeidung externer Effekte auch noch (3) positive Wirkungen durch das Ticket für Handel und Gastronomie einbezogen, erreichen die kumulierten Nutzenwirkungen eine Höhe von fast 4 Mrd. Euro jährlich (vgl. Abbildung 3). Dabei werden nicht alle Nutzenkomponenten monetarisiert, z. B. werden keine Geldbeträge für Imagegewinne für den Standort Deutschland und den Nahverkehr, für den Initialpunkt zu strukturellen Veränderungen oder für verbesserte soziale Teilhabe angesetzt. Diesem kumulierten Nutzenbetrag sind Kosten entgegenzustellen. Diese betreffen in erster Linie entgangene Einnahmen der Verkehrsunternehmen im Nahverkehr, die sich in der dargestellten Logik auf etwa 2,1 Mrd. Euro belaufen. Dazu wurden die individuellen Ausgaben der DT-Besitzer vor und mit Ticketbesitz verglichen. Dieser Betrag ist geringer als die Kosten von 3 Mrd. Euro, die Bund und Länder als Finanzhilfe für den Nahverkehr zur Verfügung stellen und die vereinfachend als „Kosten des DTs“ beschrieben werden. De jure handelt es sich bei den Ausgleichsmitteln für die nicht-gedeckten Ausgaben im öffentlichen Personennahverkehr im Zusammenhang mit dem DT um Billigkeitsleistungen nach § 53 LHO (Mietzsch, 2024), d. h. es besteht ein Anspruch nur nach Mittelverfügbarkeit in den öffentlichen Haushalten. Aufgrund der Vorgaben des Europäischen Beihilfenrechts (VO 1370/2007) müssen staatliche Ausgleichsleistungen an Verkehrsunternehmen im Falle der Vorgabe eines Höchsttarifes für alle Verkehrsunternehmen (darum handelt es sich beim DT) auf der Grundlage eines Vergleichs der Soll-Fahrgeldeinnahmen im Ohne-Fall (d. h. ohne die Tarifvorgabe) mit den Ist-Fahrgeldeinnahmen im Ist-Fall (d. h. mit der Tarifvorgabe) erfolgen.2
Abbildung 3
Volkswirtschaftliche Wirkungen des Deutschlandtickets
DT= Deutschlandticket, NV = Nahverkehr, FV = Fernverkehr;
1 Kumulierte Zahlungsbereitschaft oberhalb des Ticketpreises (Konsumentenrente).
2 Mittlerer Wert an aggregierten externen Effekten je km multipliziert mit den substituierten Pkm vom Pkw.
3 Durch das DT induzierte Mehrausgaben in Handel und Gastronomie.
4 Es werden nicht alle Effekte quantifiziert.
Quelle: Krämer (2024).
Vor diesem Hintergrund sehen die von Bund und Ländern bei Einführung des DTs verabredeten Muster-Richtlinien einen Ausgleich nicht-gedeckter Ausgaben im öffentlichen Personennahverkehr im Zusammenhang mit dem DT aus Bundes- und Landesmitteln vor. Hierzu erfolgt ein Abgleich der für einen Kalenderjahrzeitraum um entsprechende Tarifanpassungen seit 2019 hochgerechneten (Soll-)Fahrgeldeinnahmen und der tatsächlichen (Ist-)Fahrgeldeinnahmen des betreffenden Jahres (eine Ausnahme war 2023, da hier das DT erst zum 1. Mai eingeführt worden war). 2019 als letztes „normales“ Wirtschaftsjahr vor Ausbruch der Pandemie dient dabei als Referenz zur Bestimmung der Soll-Fahrgeldeinnahmen im Ohne-Fall, da in den Corona-Jahren ein starker Nachfrageeinbruch eingetreten ist, der auf dieser Basis unmöglich einen Vergleich bezüglich der durch das DT entgangenen Fahrgeldeinnahmen zulässt. Insofern bildet der Kompromiss von Bund und Ländern bezüglich des Ausgleichsbedarfs für die Verkehrsunternehmen die Untergrenze des Finanzierungsbedarfs der Verkehrsunternehmen ab. Denn neben den pandemiebedingten Einnahmeausfällen sind seit 2019 die Kosten für das Fahrpersonal sowie die Kraftstoffe erheblich gestiegen.
Zusätzliche Einnahmenverluste entstehen im Schienenpersonenverkehr, wenn Fahrgäste vom DB Fernverkehr oder FlixTrain auf Nahverkehrszüge umsteigen oder im Busverkehr, wenn Kunden von FlixBus statt des Fernbusses den Bahnregionalverkehr nutzen.
Nicht angesetzt sind in der Kalkulation zusätzliche Kapitalkosten für den Aufbau von Beförderungskapazitäten, weil die Nachfrage Anfang 2023 immer noch etwa 10 % niedriger war als 2019 (Destatis, 2024). In diesem Kontext führt traffiQ-Chef Reinhold aus: „Das Deutschlandticket sprengt unsere Kapazitäten (ÖPNV in Frankfurt) nicht“ (Pfeiffer-Goldmann, 2024). Insgesamt errechnet sich ein Netto-Nutzen von ca. 1,7 Mrd. Euro p. a.
Die Finanzierung des Nahverkehrs während und nach der Coronapandemie
Im Folgenden wird weniger der Frage nachgegangen, wie viel Geld das DT die Nahverkehrsbranche wirklich kostet (also primär, wie hoch die entgangenen Einnahmen durch das DT sind), sondern wie der Finanzierungsbedarf der Branche als Ganzes gedeckt werden könnte (einschließlich des Ausgleichs der durch das DT induzierten Einnahmenverluste der Verkehrsunternehmen). Vor diesem Hintergrund erscheint die Frage berechtigt, wie denn die Situation im Nahverkehr aussähe, würde das DT nicht angeboten. Auch in diesem Szenario stünde die berechtigte Forderung im Raum, dass die Branche dringend Geld benötigt, z. B. für den Kapazitätsausbau. Allerdings dürfte unter diesen Rahmenbedingungen die gesellschaftliche Akzeptanz für eine höhere Mittelausstattung des Nahverkehrs geringer sein als derzeit. So ist zu berücksichtigen, dass der Bestand an DTs im Jahr 2023 bei durchschnittlich ca. 11 Mio. pro Monat lag, allerdings haben insgesamt 20 Mio. Menschen das Ticket seit Mai 2023 zumindest in einem Monat genutzt (VDV, 2024a). Damit hat der ÖPNV, ausgelöst durch die Debatte um das 9-Euro-Ticket und nun durch das DT, einen hohen Grad an öffentlicher Aufmerksamkeit erreicht (Grotemeier, 2023; Helferich et al., 2024). Darauf ließe sich aufbauen im Hinblick auf eine auskömmliche und nachhaltig gesicherte Finanzierung des Nahverkehrs auf Straße und Schiene.
Insofern das DT einen wohlfahrtsökonomischen Nutzen stiftet (vgl. Abbildung 3), ist es gerechtfertigt, auch über eine Finanzierung nachzudenken, die beim konkreten Nutzengewinn ansetzt. Dies setzt eine Quantifizierung sowohl des gesamtgesellschaftlichen als auch einzelwirtschaftlichen Nutzens voraus. Neben der finanziellen Entlastung der Ticketnutzer wird der größte gesamtgesellschaftliche Nutzen des DTs in seinem Beitrag zur Verkehrsverlagerung weg vom motorisierten Individualverkehr (MIV) hin zum ÖPNV gesehen, d. h. konkret bei der Einsparung von Treibhausemissionen (Helferich et al., 2024; Krämer, 2024).
Einen Ansatzpunkt zur Rechtfertigung einer stärkeren auch staatlichen, d. h. steuerfinanzierten Finanzierung des DTs könnte demnach insbesondere die Verringerung der spezifischen Negativfolgen des MIV darstellen. Aktuellen Untersuchungen zufolge betragen die externen Kosten des Pkw-Verkehrs in Deutschland mehr als 100 Mrd. Euro p. a. (FÖS, 2024), der Großteil dieser Kosten wird nicht internalisiert.
Ein weiteres, bei den Nutznießern eines durch das DT verbesserten ÖPNV-Angebots ansetzendes mögliches Instrument zur Internalisierung, d. h. Abschöpfung dieser bislang der Allgemeinheit (sozialisierten) aufgebürdeten externen Kosten des MIV, könnten Abgaben darstellen, die entweder alle Bewohner eines Gebietes oder nur die betreffenden Kfz-Halter bzw. Kfz-Nutzer oder auch nur die jeweiligen Arbeitgeber als Verkehrsverursacher (Pendlerverkehre ihrer Mitarbeiter) für die ÖPNV-Nutzung entrichten müssen. Im Falle einer alle Bewohner betreffenden Nahverkehrsabgabe (Bürgerticket) sollten die Nutzer des ÖPNV dann ihre jeweiligen ÖPNV-Fahrkarten dagegen rechnen können, um eine Doppelbelastung und damit faktische Bestrafung derjenigen, die den ÖPNV bereits nutzen, zu vermeiden.
In Baden-Württemberg wird seit einiger Zeit intensiv über ein neues Landesmobilitätsgesetz (LMG) diskutiert, welches als Finanzierungsinstrument zur Beteiligung der Nutznießer des öffentlichen Verkehrs den „Mobilitätspass“ vorsieht (Baden-Württemberg, 2024). Fassen die für wesentliche Angelegenheiten auf kommunaler Ebene zuständigen Gemeinderäte bzw. Kreistage einen entsprechenden Beschluss, sollen sie demnach ermächtigt werden, die erforderlichen Umlagen zu erheben.
Drei dieser Finanzierungsinstrumente (Bürgerticket, Kfz-Haltebeitrag, Straßenbenutzungsgebühr) wurden in vier Modellkommunen seit 2019 intensiv diskutiert, die Ergebnisse wurden der Öffentlichkeit am 20. November 2020 in einem Gutachten vorgestellt (IGES, 2020). Das vierte Instrument, ein verpflichtender Arbeitgeberbeitrag nach französischem Vorbild3 oder Wiener Modell4, wurde bislang aus grundsätzlichen, auch finanzverfassungsrechtlichen Erwägungen nicht weiterverfolgt. Im Koalitionsvertrag von CDU und Bündnis 90/Die Grünen zur Bildung der Landesregierung für die Legislaturperiode 2022 bis 2027 in Nordrhein-Westfalen wird Kommunen, die dies wünschen, die Einführung einer Drittnutzerfinanzierung ermöglicht. Eine Konkretisierung dieser Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag NRW hat bislang jedoch nicht stattgefunden.
An dieser Stelle soll allerdings nicht verschwiegen werden, dass eine Umlagefinanzierung des ÖPNV (d. h. eine jenseits der allgemeinen Steuerfinanzierung auf individualisierten Beiträgen beruhende Finanzierungsbasis) an finanzverfassungsrechtliche Grenzen stößt (Mietzsch & Gramlich, 2023).
Umso erfolgversprechender sind daher Modelle der auf freiwilliger Basis beruhenden ÖPNV-Finanzierung. Schon vor Einführung des DTs haben sich zahlreiche Arbeitgeber auf Vertragsbasis mit Verkehrsunternehmen bzw. ÖPNV-Verbünden auf Finanzierungsmodelle geeinigt, denen trotz aller Unterschiedlichkeit im Detail eines gemein ist: Je mehr Tickets abgenommen werden, umso höher ist der Rabatt beim Fahrpreis. Die ökonomische Rechtfertigung dafür findet sich in der höheren Planbarkeit der Verkehrsunternehmen hinsichtlich ihrer Einnahmen als Voraussetzung für die Aufwandsbemessung im Hinblick auf die eingesetzten Fahrzeuge bzw. das Personal. Dabei finden sich unterschiedliche Ausprägungen bei den Rabattstufen, je nach der Abnahmemenge. Die höchsten Rabatte sind bei einem sogenannten Vollsolidarmodell möglich, d. h. der Arbeitgeber bestellt für alle seine Mitarbeiter Jobtickets unabhängig davon, ob diese das ÖPNV-Angebot in Anspruch nehmen oder nicht. Leider wurde mit Einführung des DTs lediglich ein fakultatives Jobticket eingeführt, das nach Schätzungen mittlerweile rund 15 % bis 20 % aller verkauften DTs ausmacht. Auch wenn das „Deutschlandticket Job“ erfreulicherweise – im Gegensatz zu den meisten herkömmlichen Jobticketmodellen – keine Mindestabsatzmenge durch den betreffenden Arbeitgeber vorsieht (wodurch sich bei Klein- und Kleinstabnehmern allerdings der Verwaltungsaufwand für die Ticketvertreiber erhöht) und bei einer Arbeitgeberbeteiligung von 25 % ein Preisnachlass von 5 % auf den jeweiligen Preis des DTs gewährt wird (Abgabepreis ist derzeit 34,30 Euro), wäre eine Ausweitung auf alle Mitarbeiter der Unternehmen und Behörden wünschenswert gewesen, um einen fühlbaren Beitrag zur Verkehrsverlagerung zu erzielen. Im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2024 plant die Bundesregierung die pauschale Versteuerung von sogenannten Mobilitätsbudgets mit 25 %, die die Arbeitgeber für die Mobilität ihrer Mitarbeiter zur Verfügung stellen können.5 Inwieweit damit ein Anreiz gegeben wird, dass die Unternehmen nicht nur für die bestehenden ÖPNV-Pendler unter ihren Beschäftigten, sondern für alle Beschäftigten ein solches Mobilitätsbudget bereitstellen, das dann z. B. in Form eines solidarischen DTs Job an alle Beschäftigte ausgegeben wird, bleibt abzuwarten.
Zukunft Deutschlandticket: Veränderte Sicht auf die Frage der Finanzierung
Eine veränderte Sicht auf die Frage der Finanzierung des ÖPNV und insbesondere das DT ist schon deshalb dringend erforderlich, weil ab 2025 höhere Preise für die bundesweit gültige Monatskarte notwendig erscheinen, um den steigenden Finanzierungsbedarf in der Branche abzusichern. Allerdings besteht hier die Gefahr, nicht nur die in den letzten Monaten dynamisch erweiterten Bestandszahlen zu reduzieren, sondern auch die Bestandsstruktur so zu verändern, dass die positiven Wohlfahrtswirkungen des Tickets zumindest zum Teil verloren gehen. Wie Abbildung 4 illustriert, handelt es sich bei der Gruppe der Besitzer des DTs, die den ÖPNV vor Mai 2023 nicht häufig oder gar nicht genutzt haben, um die Kunden, die primär das Nachfragewachstum, aber auch Verlagerungswirkungen vom Pkw, bestimmt haben. Diese Kundensegmente sind durch vergleichsweise geringe Zahlungsbereitschaften gekennzeichnet. Folglich ist das Abwanderungsrisiko bei Preiserhöhungen hier besonders hoch. Diese Abhängigkeiten, die sich bereits beim 9-Euro-Ticket zeigten (Krämer et al., 2022), sind auch beim DT zu beobachten (Krämer, 2024). Damit besteht das Risiko, dass sich durch eine deutliche Preiserhöhung zwar kurzfristig die Finanzierungslücke im Nahverkehr verringert, diese aber mittelfristig erhöht würde. Positive Wirkungen in Richtung Verkehrswende und Vermeidung von klimaschädlichen Emissionen sowie externen Kosten des Pkw-Verkehrs drohten dann verloren zu gehen.
Abbildung 4
Segmentspezifische Nachfragewirkungen beim Deutschlandticket
DT = Deutschlandticket;
¹ Bezogen auf Ihre letzte Nutzung des Deutschlandtickets: Was hätten Sie gemacht, wenn Sie das Deutschlandticket nicht besessen hätten? Validierung über Hintergrundinformationen; Gewichtung anhand der Nutzungstage je Monat. Und: Wie oft sind Sie in einer normalen Woche im Januar bis April 2023 durchschnittlich mit den Bussen und (U-/S-/Straßen-/Regional-)Bahnen an Ihrem Wohnort und der Umgebung gefahren?
Quelle: Krämer (2024).
Ausblick
In der öffentlichen Diskussion entsteht durch eine übermäßige Fokussierung auf die Probleme der Finanzierung des Nahverkehrs und hier insbesondere des DTs der Eindruck, das DT zum Preis von monatlich 49 Euro wäre eine volkswirtschaftliche Belastung. Wie die eigenen Schätzungen belegen, ist das Gegenteil der Fall. Das DT generiert bei konservativer Betrachtung einen Wohlfahrtsgewinn von knapp 2 Mrd. Euro jährlich, der sich ausbauen lässt, wenn es gelingt, den Anteil der Neu-Abo-Kunden oder ÖPNV-Systemeinsteiger zu erhöhen. Die positive gesamtwirtschaftliche Bewertung lässt eine Perspektivenerweiterung sowohl in Hinblick auf eine weitergehende Finanzierung des ÖPNV aus dem allgemeinen Steueraufkommen als auch mit Blick auf den einzelwirtschaftlichen Nutzen durch Beiträge der Nutznießer eines guten ÖPNV-Angebotes zu, und zwar dahingehend, dass es gelingen könnte, den Preis des DTs relativ stabil zu halten (und damit planbar) und gleichzeitig den ÖPNV finanziell besser auszustatten.
- 1 Insgesamt zeigen die Ergebnisse bezüglich der Nachfrageeffekte eine große Spannbreite (VDV, 2024a; Krämer & Mietzsch, 2024), die primäre Verlagerungswirkung vom Pkw wird aber durch Tracking- oder Panelstudien bestätigt (VDV, 2024b; Helferich et al., 2024). Zu den methodischen Problemen bei der Messung und Kalibrierung siehe exeo (2023).
- 2 Die Ausgleichsleistung darf den Betrag nicht überschreiten, der dem finanziellen Nettoeffekt der Summe aller (positiven oder negativen) Auswirkungen der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen auf die Kosten und Einnahmen des Betreibers eines öffentlichen Dienstes entspricht. Die Auswirkungen werden beurteilt anhand des Vergleichs der Situation bei Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung mit der Situation, die vorläge, wenn die gemeinwirtschaftliche Verpflichtung nicht erfüllt worden wäre. Für die Berechnung des finanziellen Nettoeffekts geht die zuständige Behörde nach dem folgenden Modell vor: (1) Kosten, die in Verbindung mit einer gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung oder einem Paket gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen entstehen, die von einer oder mehreren zuständigen Behörden auferlegt wurden und die in einem öffentlichen Dienstleistungsauftrag und/oder in einer allgemeinen Vorschrift enthalten sind, (2) abzüglich aller positiven finanziellen Auswirkungen, die innerhalb des Netzes entstehen, das im Rahmen der betreffenden gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung(en) betrieben wird, (3) abzüglich Einnahmen aus Tarifentgelten oder aller anderen Einnahmen, die in Erfüllung der betreffenden gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung(en) erzielt werden, (4) zuzüglich eines angemessenen Gewinns, ergeben (5) den finanziellen Nettoeffekt.
- 3 Beim „Versement de Transport“ handelt es sich um eine Lohnsummenabgabe für Arbeitgeber im öffentlichen und privaten Sektor Frankreichs ab elf Mitarbeitern.
- 4 Bei der Dienstgeberabgabe oder U-Bahn-Steuer handelt es sich um einen von allen Arbeitgebern in Wien zu zahlenden Beitrag von derzeit 2 Euro pro Arbeitnehmer pro angefangener Arbeitswoche.
- 5 § 40 EkStG wird wie folgt geändert: a) Absatz 2 wird wie folgt geändert: aa) Satz 1 wird wie folgt geändert: aaa) In Nummer 7 wird der Punkt am Ende durch ein Komma ersetzt. bbb) Folgende Nummer 8 wird angefügt: „8. oder auf seine Veranlassung ein Dritter den Arbeitnehmern zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn Leistungen aus einem Mobilitätsbudget gewährt, soweit die Leistungen den Betrag von 2.400 Euro im Kalenderjahr nicht übersteigen. Mobilitätsbudget in diesem Sinne ist das den Arbeitnehmern zur Verfügung gestellte Angebot zur Nutzung von außerdienstlichen Mobilitätsleistungen unabhängig vom Verkehrsmittel in Form eines Sachbezugs oder Zuschusses. Satz 2 gilt nicht für Luftfahrzeuge, private Kraftfahrzeuge und den Arbeitnehmern dauerhaft überlassene Kraftfahrzeuge einschließlich betrieblicher Kraftfahrzeuge im Sinne des § 6 Absatz 1 Nummer 4 Satz 2. Eine Pauschalierung nach § 40 Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 schließt die Pauschalierung der Lohnsteuer im Zusammenhang mit dem Mobilitätsbudget aus.“
Literatur
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