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Als Bestandteil der Weltwirtschaft sieht sich die deutsche Industrie drei Herausforderungen gegenüber. Erstens, der unilateralen Handelspolitik von „Trump 2.0“ und ihre negativen Auswirkungen auf die globale Handelsordnung. Zweitens, der sinkenden globalen Nachfrage nach deutschen Exportgütern im Vergleich zu aufstrebenden Wettbewerbern aus dem Ausland. Drittens, dem gefährdeten Zugang zu wichtigen Ressourcen in der Lieferkette. Um diese Herausforderungen zu bewältigen, sollte die deutsche Politik den EU-Binnenmarkt vertiefen und strategische Partnerschaften anstreben, um gleiche Wettbewerbsbedingungen gegenüber aggressivem Unilateralismus zu schaffen. Deutsche Unternehmen sollten nach Investitionsmöglichkeiten im Ausland suchen und ausländische Unternehmen zu Joint Ventures einladen, um die Lieferketten zu stabilisieren und technologische Lücken zu schließen.

Der Jahresbeginn 2025 stellt die deutsche Wirtschaft außenwirtschaftlich vor drei Herausforderungen, die noch vor wenigen Jahren nicht relevant erschienen. Erstens kündigt die Regierung Trump einen harten protektionistischen Kurs an und bekämpft die multilaterale Handelsordnung. Zweitens kann sich Deutschland angesichts sinkender Wachstumsraten in vielen Schwellenländern (nicht nur in China) bei gleichzeitigen Technologiesprüngen von Konkurrenten nicht mehr auf den Nachfragesog dieser Länder verlassen, von dem die deutsche Wirtschaft viele Jahre profitierte. Drittens hat das Ende der russischen Gaslieferungen verdeutlicht, dass der verlässliche Zugang zu kritischen Rohstoffen – nicht nur Energie – ungesichert bleibt. Alle drei Herausforderungen erfordern einen Realitätscheck deutscher Interessen.

Implikationen und Handlungserfordernisse durch die neue Außenwirtschaftspolitik „Trump Style“

Präsident Trump definiert die Verunsicherung von Handelspartnern über sein Handeln als Markenkern seiner Außenwirtschaftspolitik. So ist nicht ausgemacht, dass Wahlkampfäußerungen oder seine „Agenda 47“ nach dem 20. Januar 2025 in konkrete, d. h. quantitativ messbare, außenwirtschaftspolitische Maßnahmen umgesetzt werden. Zur Verunsicherung gehört auch die Identifikation von Schwächen der Handelspartner und die Androhung sie auszunutzen. Gleichzeitig aber muss erwartet werden, dass er die Diskrepanz zwischen Wahlkampf und Regierungspolitik mit Rücksicht auf seine Unterstützer nicht zu groß werden lassen wird. Für die deutsche Wirtschaft und Politik ist es angesichts dieser bewusst herbeigeführten Verunsicherung wichtig, jenseits der noch nicht bekannten Maßnahmen Kernelemente von Trumps Außenwirtschaftspolitik zu antizipieren und darauf zu reagieren. Dabei stehen fünf Kernelemente im Vordergrund.

Erstens können an die Stelle selektiver Zölle Pau­schal­zöl­le auf alle Güterimporte treten („across-the-board“ Zölle). So hat Donald Trump angedroht, auf alle Güterimporte aus China einen Zoll (zusätzlich zu den bestehenden Zöllen) von 60 % (und mehr) zu erheben. Allen anderen Ländern hat er mit einem Zusatzzoll von 10 % (und mehr) gedroht. Hinter Pauschalzöllen steht nicht ein spezifisches Schutzziel einzelner heimischer Sektoren, sondern möglicherweise auch ein Einnahmeziel, um Senkungen der Einkommen- und Körperschaftsteuer zu kompensieren. Es ist zwar eindeutig, dass dieses Ziel verfehlt würde, da im Fiskaljahr 2023 Zolleinnahmen gerade einmal 2 % der Nettostaatseinnahmen der US-Bundesregierung ausmachten (49 % Einnahmen aus der persönlichen Einkommensteuer; 10 % aus der Körperschaftsteuer) (The White House, 2024). Zudem könnten hohe Zölle prohibitiv wirken, die Importe auf bestimmte Güter gegen Null sinken lassen und damit auch keine Einnahmen generieren. Hinzu käme, dass eine starke Binnenkonjunktur über steigende Zinsen den Dollar aufwerten ließe, die Importe verbilligte und die Zollwirkung teilweise verpuffen lassen könnte. Zölle könnten dadurch „redundant“ werden. Aber Donald Trump könnte diese mittelfristig auftretenden Wirkungen kurzfristig ignorieren.

Noch vor Frankreich und den Niederlanden sind die USA der wichtigste Exportmarkt für die deutsche Wirtschaft. Daher hätte ein Pauschallzoll eine direkte negative Wirkung für alle Zweige der deutschen Wirtschaft, die den amerikanischen Markt beliefern. Allerdings hinge diese Belastung stark von der Frage ab, ob die Exportgüter Alleinstellungsmerkmale in Qualität und Verbraucherpräferenz besäßen, die sie vor einem reinen Preiswettbewerb schützen würden. Zu diesen Merkmalen könnte auch der Intra-Konzernhandel gehören, durch den wichtige Kapitalgüter an amerikanische Töchter deutscher Unternehmen geliefert würden und deren Verteuerung Arbeitsplätze in den USA gefährden könnte. Bereits in der ersten Amtszeit von Präsident Trump wurde ihm dieser Zusammenhang sowie die Bedeutung der USA als wichtigster Produktionsstandort von deutschen Unternehmen, die Töchter in den USA haben, deutlich gemacht. Ende 2022 entfielen auf die USA 27 % der deutschen Direktinvestitionen im Ausland (Deutsche Bundesbank, 2024).

Die indirekten Wirkungen sind wichtiger. So können Handelsumlenkungseffekte deutsche Exporte beflügeln, wenn wichtige Partner (z. B. China) von den USA mit höheren Pauschalzöllen überzogen würden, darauf mit Vergeltungszöllen reagierten und deutschen Anbietern Wettbewerbsvorteile gegenüber amerikanischen Anbietern auf diesen Märkten eröffnen würden. Aber auch ohne Vergeltungsmaßnahmen der Partner entstünden für die deutsche Wirtschaft Vorteile, weil Pauschalzölle wie eine implizite Besteuerung amerikanischer Exporte wirken und somit den Wettbewerbsdruck für deutsche Konkurrenten amerikanischer Produkte mindern würden. Für die Antwort der EU auf US-Pauschalzölle hieße das, diese indirekten positiven Wirkungen mit in die Entscheidung darüber einzubeziehen, ob auf einen Pauschalzoll von 10 % mit Vergeltung reagiert werden sollte. Es könnte auch mit Blick auf mittelfristige Allianzen und Handelsabkommen mit den von Trump vor allem bedrohten Schwellenländern klug sein, auf tit-for-tat Vergeltung zu verzichten und sogar mutige vertrauensschaffende einseitige Maßnahmen zu ergreifen. Dazu könnte die Senkung des Meistbegünstigungszolls für importierte Elektroautos gehören, aber auch Maßnahmen im Bereich der persönlich erbrachten Dienstleistungen (vierte Erbringungsform), um Personen aus Drittländern die Erbringung von Diensten in der EU zu erleichtern. Für ein Handelsabkommen beispielsweise mit Indien wäre das sehr wichtig.

Zweitens droht mit einer Handelspolitik „Trump Style“ ein weiterer Niedergang der regelgebundenen multilateralen Handelsordnung. Pauschalzölle sind mit dieser Ordnung unvereinbar. Güterspezifische Zölle wurden in der Vergangenheit zumeist mit Rückgriff auf die Art. 19-21 GATT (Notfallklausel bei plötzlichem unerwarteten Importanstieg, Schutz von Umwelt und Menschenleben, nationale Sicherheit) oder auf besondere Abkommen (wie Landwirtschaft und Subventionskontrolle) gerechtfertigt. Der WTO-Streitschlichtungsmechanismus wäre auch ohne eine aktive Berufungsinstanz gelähmt.

An die Stelle multilateral gebundener Regeln für Zollerhöhungen würden dann einseitig erhobene nationale Regeln treten, wie das amerikanische Handelsgesetz, die Handelsverteidigungsmaßnahmen der EU oder die chinesischen Sicherheitsgesetze. Die Gefahr der Eskalation von Konflikten wäre bei nationalen Regeln hoch. Deeskalierend könnte für die EU wirken, in bilateralen Verhandlungen mit den USA einen Mechanismus „regulatorischer Kooperation“ zwischen den nationalen handelspolitischen Regeln zu vereinbaren. Damit würden den USA und der EU das Recht zur gegenseitigen Konsultation zugestanden, falls geplante handelspolitische Maßnahmen des Partners nachteilige Wirkungen für die eigenen Handelsinteressen haben könnten.

Die EU müsste aber gewärtigen, dass eine Regierung Trump versuchen könnte, regulatorische Kooperation zur extraterritorialen Geltung des amerikanischen Handelsgesetzes auszudehnen. Hier bestünde eine besondere Gefahr, wenn die USA ihre bilateralen Handelsbilanzdefizite bei Gütern und Unterschiede in den WTO-gebundenen Zöllen zwischen Partnern zur Richtschnur ihrer „deal“ Strategie erklärten. Auf die EU könnten beispielsweise Forderungen nach Senkung ihrer Agrarzölle (ohne Gegenleistung) auf das deutlich niedrigere Niveau der US-Zölle zukommen. Andernfalls würden die USA drohen, ihre Agrarzölle gegenüber Importen aus der EU auf das EU-Niveau anzuheben. Deutschland könnte auf die EU-Kommission einwirken, in Verhandlungen mit den USA das Recht zur Konsultation bei der Anwendung eines sogenannten „Trump Reciprocal Trade Act“ zu erhalten, der genau die einseitige Einebnung der Unterschiede in den MFN-Zöllen (most favoured nation, MFN, Zölle nach dem Meistbegünstigungsprinzip der WTO) zum Ziel hat.

Drittens würde die Handelspolitik der wichtigsten Handelspartner wieder auf Zölle zurückfallen, wie in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Der Trend zu nichttarifären Handelshemmnissen würde gestoppt. Dies hätte zwar den Vorteil der leichteren Schätzung der Effekte, so wie auch bei Agrargütern nichttarifäre Hemmnisse wie Quoten in der Vergangenheit abgeschafft und stattdessen in leichter messbare Äquivalenzzölle umgewandelt wurden („tariffication“). Im Unterschied zu damals aber würden bei einer Politik „Trump Style“ die nichttarifären Hemmnisse erhalten bleiben, sodass sie mit höheren Zöllen zusammen den Welthandel erheblich einschränken könnten. Hier könnte Deutschland auf die EU einwirken, den seit 2021 bestehenden US-EU Trade and Technology Council auf den Abbau nichttarifärer Handelshemmnisse der EU, wie technische und digitale Standards, zu konzentrieren, die dem amerikanischen Handelsbeauftragten zufolge die amerikanischen Exporte in die EU erheblich behindern. Die EU hätte eine starke Verhandlungsposition, da sie nach dem weitgehenden Ausschluss chinesischer Produkte vom amerikanischen Markt die Option besitzt, amerikanischer Technologie einen Zugangsvorteil gegenüber der chinesischen Technologie auf dem EU-Markt einzuräumen.

Viertens würde die neue Handelspolitik der amerikanischen Regierung auch den bislang von Zöllen nicht berührten Dienstleistungshandel beeinträchtigen, da durch eine sicherheitspolitisch begründete Kontrolle oder Einschränkung von amerikanischen Investitionsströmen im Ausland („outward screening“) auch die in der WTO verankerte dritte Erbringungsform von Dienstleistungen („commercial presence“) eingeschränkt würde. Diese Erbringungsform erfordert Niederlassungen im Ausland und betrifft vor allem den Finanz- und Versicherungsbereich. Zwar würden sich die direkten Effekte der Einschränkung auf den Handel zwischen den USA und China konzentrieren. Deutschen Investitionen in China aber könnte der Zugang zu amerikanischer Technologie durch das amerikanische „outward screening“ und somit auch die Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Technologieanbietern, beispielsweise chinesischen und amerikanischen Anbietern, erschwert werden. Deutschland sollte der amerikanischen Regierung den Unterschied zwischen chinesischen Unternehmen, die der Staatskontrolle unterliegen, und den aus amerikanischer Sicht vertrauenswürdigeren deutschen Unternehmen in China mit dem Hinweis auf deren Bedeutung für Arbeitsplätze in den USA darlegen, um weiterhin von Nachteilen des „outward screening“ der USA verschont zu bleiben.

Fünftens wird die globale Handelspolitik nach Trump ihren bisherigen sui generis Status (geschützt durch die Regeldisziplin der Welthandelsordnung) verlieren und stattdessen in den Dienst einer von nationalen Interessen bestimmten Außen- und Sicherheitspolitik gestellt. Dieser Punkt verdient besondere Beachtung für Deutschland, das sich bislang in der Definition und offensiven Vertretung seiner nationalen Interessen schwergetan hat.

Merkmale und Erfordernisse zur Erneuerung der deutschen Exportwirtschaft

Fünf Merkmale stehen für Deutschlands Exportwirtschaft. Erstens ist Deutschland stark eingebettet in die intra-EU Lieferketten des Verarbeitenden Sektors und hat diese genutzt, auf wachstumsstarken Märkten außerhalb der EU eine bislang herausragende Wettbewerbsposition zu erlangen. Diese Erfolge werden aber zunehmend und in hoher Geschwindigkeit durch Schwächen in der eigenständigen Entwicklung und Umsetzung von IT-Technologie, durch hohe heimische Energiekosten, eine immer anfälligere Infrastruktur, und ein hohes Kontrollniveau bei Nachhaltigkeitsstandards in Frage gestellt.

Betrachtet man die aktuellen Entwicklungen, aber auch die Trends im deutschen Außenhandel über die letzten Jahre, werden die Schwächen insbesondere an den rückläufigen Zahlen bei den Güterexporten deutlich. So verzeichnete der deutsche Außenhandel im Oktober 2024 einen Rückgang um 2,8 % im Vergleich zum Vormonat (Statista, 2024b). Dies ist nicht nur der stärkste Rückgang im Jahr 2024, sondern auch im Vergleich mit dem Vorjahresmonat ein Rückgang um 2,8 %. Für die Einbettung in die intra-EU Lieferketten ist dies von besonderer Relevanz, da die beobachteten Rückgänge vor allem bei Investitions- und Vorleistungsgütern vorliegen und insbesondere die Warenexporte in den Euroraum zum Jahresende noch einmal deutlich um 5,6 % zurückgingen (Boysen-Hogrefe et al., 2024).1

Auch außerhalb der EU waren im Handel mit Deutschlands wichtigstem Handelspartner China (nach Gesamthandelsvolumen) die Güterexporte stark rückläufig (- 10 %). Dieser Trend besteht bereits über mehrere Jahre hinweg, der Sachverständigenrat (SVR, 2024, S. 57-58) spricht sogar von einer „Entkopplung“ der deutschen Warenexporte von der Expansion der chinesischen Wirtschaft.

Der Ausblick auf den deutschen Außenhandel im kommenden Jahr bleibt ebenfalls pessimistisch. So rechnet die deutsche Wirtschaft weiterhin mit Rückgängen bei den Exporten (ifo, 2024). Dies ist zum Teil der politischen Unsicherheit nach der US-Präsidentschaftswahl und den angekündigten Zöllen zuzuschreiben. Boysen-Hogrefe et al. (2024) rechnen für das Jahr 2025 mit einem Exportrückgang von 0,9 %.

Der Wandel vom Industrie- zum Technologiestandort ist bislang nicht gelungen. Der alternde heimische Markt taugt immer weniger als Testmarkt für den Weltmarkt, insbesondere nicht bei oft digital erbrachten Dienstleistungen, die immer größere Teile der Beschäftigung und der Wertschöpfung auf sich ziehen. Eine Umfrage zur Nutzung von digitalen Diensten von Statista aus 2022 zeigt, dass nur ca. ein Drittel der Deutschen zwischen einmal pro Woche und einmal im Monat digitale Dienstleistungen in Anspruch nimmt, und knapp 50 % der Deutschen selten bis nie (Statista, 2024a). Die aktuellen Daten für den Dienstleistungshandel bestätigen diese Beobachtung: Dienstleistungsimporte sanken im 3. Quartal 2024 um 2,4 %, und auch die Dienstleistungsexporte stagnierten, hier insbesondere im Bereich der Telekommunikations-, EDV- und Informationsdienstleistungen (Boysen-Hogrefe et al., 2024).

Der Sachverständigenrat führt in seinem Jahresgutachten den Verlust an preislicher Wettbewerbsfähigkeit als vornehmlichen Grund dafür an, dass der deutsche Außenhandel nicht mehr gleichermaßen vom globalen Wachstum profitiert wie früher (SVR, 2024, S. 58). Dies zu korrigieren, erfordert eine Konzentration auf technologieintensive Dienstleistungen, bei denen die USA und China deutsche Unternehmen vielfach nach unten durchgereicht haben.

Zweitens war Deutschland in der Vergangenheit stärker als andere EU-Mitglieder auf Wachstumsmärkten in Schwellenländern (nicht nur aber vor allem in China) engagiert. Auch wenn die gegenwärtige konjunkturelle Flaute diesen Ländern zusetzt, bleiben sie die Wachstumsmärkte der Zukunft. Würde hier der Anschluss verloren, könnte dies nicht durch den Binnenmarkt ersetzt werden.

Gleichwohl bleibt die Vollendung des Binnenmarktes, insbesondere im Finanz- und Dienstleistungsbereich, von zentraler Bedeutung für die Verhandlungsmacht der EU gegenüber den USA und China. Schwellenländer sind oft autokratisch geprägt, priorisieren kurzfristige Wachstumserfolge vor langfristiger Nachhaltigkeit und setzen dem Versuch der EU, die Nachhaltigkeitsstandards der EU in diese Länder zu „exportieren“, sichtbaren Widerstand entgegen. Das bedeutet, dass in sehr wünschenswerten Handels- und Investitionsabkommen mit diesen Ländern weitaus mehr als in der Vergangenheit das Prinzip der regulatorischen Kooperation und der gegenseitigen Anerkennung von Mindeststandards in der Nachhaltigkeit gelten sollte. Die Verhandlungen mit Mercosur, Indien und Vietnam zeigen dazu erste Ansätze. Sie könnten aber durch die ab 2026 einseitig erhobene EU-CO2 Grenzabgabe auf Importe gefährdet werden.

Drittens besteht für Deutschland weiterhin das Problem der energetischen Abhängigkeit vom Ausland. Es wurde im fossilen Bereich bei der Abkopplung der Gaslieferungen aus Russland schmerzlich sichtbar und letztlich nur durch den Ersatz anderer Lieferquellen (LNG, Gas aus Norwegen) übertüncht. Denn die jüngsten Drohungen Qatars, Lieferungen von LNG einzustellen, wenn es durch das Lieferkettengesetz bestraft werden sollte, zeigen, dass die Abhängigkeit von Importen nicht vom Tisch ist (Financial Times, 2024). Im nichtfossilen Energiebereich wird die Lücke zwischen eigener Produktion und Nachfrage nach grünem Strom nicht zuletzt auch wegen der Datenmenge, die der Einsatz von KI erfordert, größer werden. Deutschland wird ein großer Nettoimporteur von Strom aus erneuerbaren Energieträgern werden. Beschaffungsmärkte außerhalb der EU zu erschließen und durch staatliche Garantien zu unterstützen, bleibt daher eine wichtige Aufgabe für die deutsche Wirtschaft.

Viertens dominierten auch beim wichtigsten strategischen Gut außerhalb der Rohstoffbranche, den Halbleitern und Mikrochips, bislang Käufe vor Direktinvestitionen. Hier sind mit die größten Lerndefizite zu verzeichnen. Technologiewissen kann nicht mehr verkauft, sondern muss immer mehr eingekauft werden. Über Joint Ventures mit den Technologieführern in den Bereichen Lerndefizite abzubauen, wäre ein Weg.

Fünftens fällt unter die Sicherung von Handelsrouten nicht nur die militärische Absicherung zum Schutze dieser. Zwar kam es in den vergangenen Jahren häufiger auch zu Lieferkettenschwierigkeiten aufgrund von Piraterie und Konflikten, wie beispielsweise durch die Huthi-Rebellen im Roten Meer (Kamin & Hinz, 2024). Jedoch geht es vermehrt um die Kontrolle von Handelswegen durch strategische Investitionen, wie etwa China sie im Rahmen seiner Belt-and-Road-Initiative (BRI) weltweit in Infrastruktur tätigt. Die von Farell und Newman (2019) beschriebenen „chokepoint effects“ entstehen vornehmlich durch Macht und Kontrolle einzelner Staaten über Hubs, welche als zentrale Knotenpunkte für die Flüsse von Gütern und Daten fungieren. Ein aktuelles Beispiel dafür ist der wachsende Einfluss Chinas im Panama Kanal und die Reaktion der USA, befeuert durch die Sorge, Peking könnte die Macht über den wichtigen Seeweg als Druckmittel nutzen (Marti, 2024). Umso wichtiger ist es für deutsche Unternehmen, an technologischen Vorsprüngen in der digitalen Abwicklung und Finanzierung des internationalen Handels einzelner Länder zu partizipieren, und den Technologietransfer mitzukontrollieren. Die Global Gateway Initiative der EU ist ein guter erster Schritt, muss jedoch noch mit glaubwürdiger Finanzierung und entsprechender Einbindung europäischer Unternehmen hinterlegt werden, um es überhaupt mit dem strategischen Charakter der BRI aufnehmen zu können.

Sicherung des Zugangs zu kritischen Rohstoffen

Dem Zugang zu kritischen Rohstoffen kommt in der Debatte um Strategie und Geoökonomik in der deutschen Außenwirtschaftspolitik aus vier Gründen eine besondere Bedeutung zu.

Erstens ist Deutschland in besonderem Maße abhängig von Importen kritischer Rohstoffe, hat es doch in der Vergangenheit ebenso wie bei Energie und strategischen Gütern, wie Mikrochips und Halbleitern, seinen Bedarf vor allem durch Importe, nicht aber durch Investitionen gedeckt. Während Deutschland pro Jahr Rohstoffe im Wert von ca. 200 Mrd. Euro einführt (GTAI, 2024a), sind die Auslandsbeteiligungen deutscher Unternehmen im Bergbau von 90 im Jahr 2011 in vier Ländern2 auf 22 im Jahr 2020 gesunken. Diese 22 Beteiligungen begrenzen sich nun ausschließlich auf die USA (Fremerey & Iglesias, 2024).

Zweitens haben kritische Rohstoffe besondere Bedeutung für drei strategische Bereiche: kritische Technologien, Transformation der Wirtschaft und Verteidigung. So werden diese Rohstoffe für die Produktion kritischer Technologien wie Halbleiter benötigt. Sollen Abhängigkeiten bei diesen Gütern verringert werden, macht die Ansiedlung der Produktion ebendieser in Europa und Deutschland nur dann Sinn, wenn keine Abhängigkeiten bei Vor- und Zwischenprodukten bestehen. Für die Transformation der Wirtschaft hin zur Klimaneutralität bis 2050 werden für die Herstellung von Batterien, Elektromotoren und Brennstoffzellen sowie für den Ausbau von Windkraft und Solarenergie kritische Rohstoffe benötigt (Godart et al., 2023). Und auch im Verteidigungssektor bedarf es kritischer Rohstoffe zur Herstellung von Verteidigungssystemen und -ausrüstung. Die NATO veröffentlichte im Dezember 2024 eine Liste von zwölf verteidigungsrelevanten Rohstoffen (NATO, 2024). Diese sind für die Herstellung fortschrittlicher Verteidigungssysteme und -ausrüstung unerlässlich. In allen drei Bereichen ist aufgrund der strategischen Wichtigkeit dieser mit einem starken Nachfrageanstieg in den kommenden Jahren zu rechnen.

Drittens findet vermehrt eine „weaponization“ des Handels mit diesen Rohstoffen statt. China hat sich in den vergangenen Jahren einen beträchtlichen Vorsprung in der Herstellung und Verarbeitung kritischer Rohstoffe erarbeitet. In den vergangenen Monaten kam es zu sukzessiven eingeführten Exportkontrollen seitens Chinas für Antimon, Gallium, Germanium, und andere, insbesondere für die Batterieproduktion wichtige Rohstoffe und Dual-use-Güter (GTAI, 2024b). Die Exportbeschränkungen sind zwar eine Antwort auf die US-amerikanischen Exportkontrollen gegenüber 140 chinesischen Firmen, dennoch sind sie durch die internationale Handelsverflechtung auch relevant für deutsche und europäische Unternehmen.

Viertens die derzeit begrenzte Verfügbarkeit von Energieträgern, Rohstoffen, und den daraus hergestellten Zwischen- und Endprodukten somit nicht nur eine unmittelbare Gefahr für die deutsche Wirtschaft und ihr Geschäftsmodell dar (Bachmann et al., 2022), sondern durch die Abhängigkeiten und Bedarfe in der Verteidigungsindustrie auch eine zu lösende Sicherheitsproblematik im Bereich der nationalen Sicherheit. Die deutsche und europäische Politik ist sich der Abhängigkeiten bewusst und hat in den vergangenen Jahren mit diversen Initiativen, wie dem Critical Raw Materials Act der EU und der Rohstoffstrategie der Bundesregierung, Grundsteine zum Gegensteuern gelegt. Der von der KfW gegenfinanzierte Rohstofffonds der Bundesregierung ist im Oktober 2024 gestartet und signalisiert einen wichtigen Schritt in Richtung vermehrter deutscher Investitionen in Rohstoffprojekte. Im europäischen und internationalen Vergleich haben jedoch andere Länder beträchtliche zeitliche Vorsprünge in der Rohstoffgewinnung und -verarbeitung (Fremerey & Iglesias, 2024). Daher ist es für Deutschland unerlässlich, Rohstoffpartnerschaften wie mit Chile und Kasachstan zu nutzen und sich weiter um Handelspartner als Rohstofflieferanten zu bemühen. Das Mercosur-Abkommen ist vielversprechend, da insbesondere auf Ausfuhren verschiedener Rohstoffe aus Brasilien und Argentinien in die EU, z. B. Nickel, Kupfer, Aluminium, Stahlrohstoffe, Germanium oder Gallium, keine Steuern vorgesehen sind (Gijs et al., 2024). Jedoch muss das Handelsabkommen im EU-Rat von mindestens 15 Mitgliedern gebilligt werden, die 65 % der Gesamtbevölkerung repräsentieren, bevor es in Kraft tritt.

Schlussfolgerungen

Externe Schocks wie die befürchtete Kehrtwende in der amerikanischen Handelspolitik und die „weaponization“ des Zugangs zu Rohstoffen durch Autokratien haben sich mit hausgemachten internen Schwächen des deutschen Standorts zu einer gefährlichen Belastung der deutschen Außenwirtschaft und damit der gesamten Wirtschaft vereinigt.

Der deutschen Politik obliegt die Verantwortung, die Konsequenzen dieser Belastung für den Wohlstand in der gesamten EU in Brüssel deutlich zu machen und sich gegen die Wagenburgpolitik einer Festung Europa zur Wehr zu setzen. Stattdessen muss die Vollendung des Binnenmarktes Hand in Hand gehen mit der Einladung an wichtige Partner, in der EU unter deren Bedingungen zu investieren und Handels-, Investitions- und Zugangsbarrieren für Rohstoffe durch Abkommen verlässlich zu senken.

Den deutschen Unternehmen kommt die Aufgabe zu, diejenigen ausländischen Unternehmen zu identifizieren und sich mit ihnen zusammenzuschließen, von denen das Wissen über neue Technologien erworben werden kann. Im Ergebnis derartiger Zusammenschlüsse können sowohl deutsche Investitionen im Ausland als auch Investitionen von ausländischen Unternehmen in Deutschland entstehen und Handel stimulieren. Dabei könnte Deutschland die angekündigt aggressive Politik einer Regierung Trump gegen Schwellenländer zu seinem Vorteil nutzen und an die Stelle von Unsicherheit Berechenbarkeit als Grundlage von Investitionen setzen.

  • 1 Die Importe haben sich moderat entwickelt: 3. Quartal: Warenimporten mit einem Zuwachs von 1,3 %; 4. Quartal: Rückgang der Importe um 0,5 %; 2025: voraussichtliche Zunahme um 0,8 %, im dann folgenden Jahr um 2,7 % (Boysen-Hogrefe et al., 2024).
  • 2 Russland, Brasilien, Kanada und USA.

Literatur

Bachmann, R., Baqaee, D., Bayer, C., Kuhn, M., Löschel, A., Moll, B., Peichl, A., Pittel, K. & Schularick, M. (2022). Was wäre, wenn…? Die wirtschaftlichen Auswirkungen eines Importstopps russischer Energie auf Deutschland. ifo Schnelldienst, 75(Sonderausgabe April), 06-14.

Boysen-Hogrefe, J., Groll, D., Hoffmann, T., Jannsen, N., Kooths, S., Schröder, C. & Sonnenberg, N. (2024). Deutsche Wirtschaft im Winter 2024: Kein Aufschwung in Sicht. Kieler Konjunkturbericht, 12/2024. Kiel Institut für Weltwirtschaft.

Deutsche Bundesbank. (2024). Direktinvestitionsstatistiken. Aktualisierte Ausgabe. Statistische Fachreihe. 30.04.2024.

Farrell, H., & Newman, A. L. (2019). Weaponized interdependence: How global economic networks shape state coercion. International security, 44(1), 42–79.

Financial Times. (2024, 21. Dezember). Qatar will stop EU gas sales if fined under due diligence law.

Fremerey, M. & Iglesias, S. G. (2024). Geringe Anzahl und Diversität bei Rohstoffbeteiligungen im Ausland. IW-Kurzbericht, 11/2024. Institut der deutschen Wirtschaft.

Gijs, C., Verhelst, K. & Busvine, D. (2024, 10. Dezember). Here’s what’s new in the EU-Mercosur trade deal. POLITICO.

GTAI – Germany Trade and Invest. (2024a, 11. September). Deutschland lässt kritische Rohstoffe in Zentralasien liegen.

GTAI – Germany Trade and Invest. (2024b, 4. Dezember). China verschärft Exportkontrolle gegenüber USA.

Godart, O., Abel, P., Bode, E., Heimann, T., Herrmann, C., Kamin, K., Peterson, S. & Sandkamp, A. (2023). Resilienz der Langfriststrategie Deutschlands zum Klimaschutz. Kiel Institut für Weltwirtschaft.

ifo – Institut für Wirtschaftsforschung. (2024, 18. Dezember). Exporterwartungen: Unternehmen rechnen mit weniger Exporten.

Kamin, K. & Langhammer, R. J. (2022). Deutschland muss eine geoökonomische Strategie entwickeln. Kiel Focus, 04/22. Kiel Institut für Weltwirtschaft.

Kamin, K. & Hinz, J. (2024). Lieferketten: Geoökonomie im Roten Meer. Wirtschaftsdienst, 104(2), 74.

Marti, W. (2025, 8. Januar). Trump spricht von Rückholung des Panamakanals: Völkerrechtlich ein No-Go, aber Pekings wachsender Einfluss ist tatsächlich ein Problem für die USA. Neue Zürcher Zeitung.

NATO. (2024, 11. Dezember). NATO releases list of 12 defence critical raw materials.

Statista. (2024a). Digitale Angebote – Nutzung von digitalen Diensten nach Häufigkeit in Deutschland 2022. D21 Digital Index 2022.

Statista. (2024b). Deutsche Exporte und Importe von Oktober 2023 bis Oktober 2024.

SVR – Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. (2024). Versäumnisse angehen, entschlossen modernisieren. Jahresgutachten 2024/25:

The White House. (2024, 12. Juli). Tariffs as a Major Revenue Source. Implications for Distribution and Growth.

Die Inhalte repräsentieren nicht Positionen der Siemens AG, sondern geben die wissenschaftlichen Standpunkte von Katrin Kamin wieder.

Title: Mastering the Geo-Economic Challenges Facing the German Economy

Abstract: The paper analyses drivers and implications of three challenges facing the German industry as part of the world economy: first, “Trump 2.0” unilateral trade policies and their negative impact on the global trading order; second, decreasing global demand for German exports relative to emerging competitors from abroad; and third, vulnerable access to critical resources in the supply chain. To address these challenges, German policymakers should deepen the EU-internal market and seek strategic partnerships to achieve a level playing field against aggressive unilateralism. German companies should look for investment opportunities abroad and invite foreign companies to joint ventures in order to stabilise supply chains and to close technology gaps.

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© Der/die Autor:in 2025

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DOI: 10.2478/wd-2025-0015