Die Wahlprogramme für die anstehende Bundestagswahl versprechen, Bürger:innen zu entlasten und die Wirtschaft anzukurbeln. Im Wesentlichen sind sich die Parteien auch darin einig, dass massive und stetige öffentliche Investitionen nötig sind, um Deutschland zu modernisieren. Heilmann et al. (2024) beziffern den Bedarf (bis 2030) auf 782 Mrd. Euro.
Gezielte Konsolidierungen im Haushalt oder Veränderungen bei Steuern und Nutzerfinanzierung können einen Beitrag zu ihrer Finanzierung leisten, aber klar ist: Ohne zusätzliche Staatsverschuldung wird es nicht gelingen. Die deutsche Politik muss dafür von ihrem Dogma abrücken, das zusätzliche Staatsschulden grundsätzlich negativ beurteilt. Viele namhafte Ökonom:innen und Institutionen fordern nämlich, dass eine höhere Staatsverschuldung kein Tabu mehr sein darf, nicht zuletzt der Präsident des ifo Institut für Wirtschaftsforschung, Clemens Fuest (FAS, 2025). Doch findet diese Tabuisierung derzeit ihre Entsprechung in der Schuldenbremse des Grundgesetzes.
Der folgende Beitrag skizziert, wie eine ökonomisch sinnvolle Schuldenregel ausgestaltet sein könnte, und legt dar, dass eine reformierte Schuldenregel das Ziel nachhaltiger Staatsfinanzen besser sichert als die Schuldenbremse. Eine solche Reform ist eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende, Bedingung, damit die kommende Bundesregierung die nötigen Herausforderungen etwa bei Klima, Verteidigung, Bildung anstoßen kann.1
Wachstum und Wohlstand schaffen
Jede neue Bundesregierung steht vom ersten Tag an unter dem Druck, zu liefern. Das gilt für alle Dimensionen politischen Handelns. Die alte Weltordnung befindet sich im Niedergang und ein neues, verlässliches Modell für Sicherheit und Wohlstand fehlt. Die geopolitischen Fragen kann Deutschland nur europäisch beantworten. Aber für einen wesentlichen Teil der wirtschaftlichen Malaise sind wir unmittelbar selbst verantwortlich. Das bedeutet umgekehrt, dass wir es selbst in der Hand haben, die ökonomischen Bedingungen zu verbessern. Dazu ist eine beherzte Offensive mit stetigen produktiven Ausgaben und Reformen nötig, die die Bedingungen für Wohlstand und Wachstum wiederherstellt. Derzeit verhindert die Schuldenbremse eine solche, weil jede Politikmaßnahme, die Wachstum schafft, erst aus dem Haushalt „herausgespart“ werden muss.
Eine Schuldenregel ist dann ökonomisch sinnvoll, wenn sie nachhaltige Staatsfinanzen sichert. Die Schuldenbremse tut das nicht, weil sie gegenüber den beiden wesentlichen Faktoren fiskalischer Nachhaltigkeit – Zinsen und Wachstum – blind ist. Daher plädieren wir dafür, dass sich eine reformierte deutsche Schuldenregel an den europäischen Fiskalregeln orientiert. Das Verschuldungslimit wird dort im Grundsatz von makroökonomischen Bedingungen abhängig gemacht. Das sollte auch der Leitgedanke für eine Reform der Schuldenbremse sein.
Drei Prinzipien für eine neue Schuldenregel im Grundgesetz
Deutschland braucht mehr sinnvolle Staatsverschuldung, damit die Modernisierung gelingt, und hat den dafür notwendigen finanziellen Spielraum, ohne nachhaltige Staatsfinanzen infrage zu stellen. Die Prinzipien für eine sinnvolle Schuldenregel sind:
- Die neue deutsche Schuldenregel sollte am Ziel der fiskalischen Nachhaltigkeit ausgerichtet sein. Eine starre Obergrenze im Grundgesetz ist mit diesem Ziel nicht vereinbar.
- Die neue deutsche Schuldenregel sollte den verfügbaren Kreditspielraum an produktive, d. h. das langfristige Wachstum steigernde, Ausgaben koppeln. Denn erst Wachstum macht zusätzliche Finanzierungslasten tragfähig.
- Die neue deutsche Schuldenregel sollte die rechtliche Unsicherheit der derzeitigen Notlagenklausel beseitigen.
Nachhaltige Staatsfinanzen sichern
Die neue Schuldenregel sollte sich an dem Grundsatz ausrichten, nachhaltige Staatsfinanzen zu sichern. Nachhaltig sind sie, wenn der Staat in der Lage ist, heutige und künftige Verpflichtungen gegenüber Bürger:innen und Gläubiger:innen einzuhalten, ohne dafür drastische Einschnitte bei Staatsausgaben vornehmen zu müssen. Das erfordert einerseits die Fähigkeit, Schulden zu bedienen, und andererseits, jeder Generation die Möglichkeit zu geben, in Wohlstand zu leben. Staatsverschuldung ist nur dann tragfähig, wenn sich ihre Kosten und ihr Nutzen in einem angemessenen Verhältnis bewegen und fair zwischen den Generationen verteilt werden.
Deshalb muss eine neue Schuldenregel makroökonomische Veränderungen – vor allem von Zinsen und Wachstum – berücksichtigen, damit finanzielle Nachhaltigkeit gesichert werden kann. Das spricht für eine Orientierung an den europäischen Fiskalregeln, die eine plausiblere Abwägung zwischen Nachhaltigkeitsrisiken zum Prinzip machen. Die EU nutzt eine Nettoprimärausgabenregel und projiziert mithilfe von Debt Sustainability Analysis (DSA) den Schuldenstand über 14 bis 17 Jahre. Dadurch fließen Veränderungen bei Zinsen und Wachstum direkt in die Festlegung des fiskalischen Rahmens ein, und der Fokus auf Primärausgaben bedeutet ein stärkeres Gewicht auf wachstumsfördernde Staatsausgaben.
Eine Anlehnung an die EU-Fiskalregeln könnte den Verschuldungsspielraum gegenüber der heutigen Schuldenbremse erhöhen. Guttenberg und Redeker (2024) zeigen, dass ein zusätzlicher Spielraum von bis zu 20 Mrd. Euro jährlich möglich ist, nach Auslaufen des Sondervermögens der Bundeswehr sogar bis zu 40 Mrd. Euro. Zwar würde das nicht den gesamten Finanzbedarf decken, doch die fiskalischen Möglichkeiten wüchsen spürbar und gewährten mehr Spielraum für zukunftsorientierte Ausgaben.
Sollte sich die neue deutsche Schuldenregel nicht an den EU-Fiskalregeln orientieren, stehen mehrere Alternativen im Raum. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, die Bundesbank oder das Institut der deutschen Wirtschaft schlagen Regelungen vor, die das Verschuldungsniveau an Zinsentwicklung, Schuldenstand oder Nettoinvestitionen koppeln. Zentral bleibt in jedem Fall, dass sich ein solcher fiskalischer Rahmen regelmäßig an geänderte makroökonomische Bedingungen anpasst. Nur so lässt sich eine dynamische Schuldenregel gestalten, die das Ziel nachhaltiger Staatsfinanzen besser sichert als die derzeitige, starre Obergrenze im Grundgesetz. Das Grundgesetz sollte stattdessen die hier erläuterten Prinzipien vorgeben.
Tabelle 1
Abgrenzung produktiver Ausgaben
produktiv | nicht-produktiv | |
---|---|---|
konsumtiv |
|
|
investiv |
|
|
Quelle: eigene Darstellung.
Spielraum für produktive Verschuldung schaffen
Wirtschaftswachstum macht Staatsverschuldung tragfähig und stärkt damit die finanzielle Nachhaltigkeit. In der deutschen Debatte fällt dieser Aspekt oft unter den Tisch: Man sorgt sich um den Schuldenstand und die künftigen Zinslasten, vergisst aber, dass kreditfinanzierte Staatsausgaben auch Nutzen stiften. Eine neue deutsche Schuldenregel sollte deshalb nicht nur quantitativ begrenzen, wie viele Schulden aufgenommen werden, sondern auch qualitativ sicherstellen, dass sie produktive Ausgaben finanzieren. Produktive Ausgaben steigern das Produktionspotenzial und erhöhen langfristig das Steueraufkommen. Dieses Wachstum erleichtert es künftigen Generationen, Zinskosten zu finanzieren, und schafft einen fairen Ausgleich zwischen Kosten und Nutzen.
Damit sich Kredite ökonomisch lohnen, muss das Geld in Ausgaben fließen, die den Kapitalstock, das Arbeitskräftepotenzial oder die Produktivität erhöhen – also in produktive Ausgaben. Sie steigern das Produktionspotenzial der Wirtschaft. Auch ausgewählte, derzeit als „konsumtiv“ betitelte Ausgaben können produktiv wirken, sofern sie die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft dauerhaft steigern (Tabelle 1).
Fiskalpolitik kann außerdem eine keynesianische Funktion haben, indem sie in wirtschaftlichen Schwächephasen Nachfrage schafft und so Vollauslastung ermöglicht. Das verhindert, dass die Wirtschaft in einer Rezession dauerhaft an Potenzial verliert. Höhere Löhne, stärkere Steuereinnahmen und geringere Transferbedarfe stabilisieren die Staatsfinanzen dann zusätzlich. Die Konjunkturkomponente der Schuldenbremse gleicht zwar teilweise Einnahmeausfälle aus, ist aber zu schwach, um Vollauslastung zu fördern.
Abbildung 1
Implementierung der haushaltspolitischen Regel


Quelle: eigene Darstellung.
Eine Schuldenregel, die beide Pfeiler – Wachstum durch produktive Ausgaben und Stabilisierung bei Unterauslastung – einschließt, reflektiert das Zusammenspiel von Wirtschaftswachstum und finanzieller Nachhaltigkeit besser. So könnten künftige Regierungen mithilfe eines an den EU-Fiskalregeln orientierten Ansatzes aus Schulden „herauswachsen“ und so die langfristige Tragfähigkeit der Staatsfinanzen sichern.
Handlungsfähigkeit in der Krise sichern
Die neue Schuldenregel muss sicherstellen, dass der Staat in jeder Krisensituation finanziell handlungsfähig bleibt. Zwar erlaubt die Konjunkturkomponente moderate wirtschaftsstabilisierende Maßnahmen über Kredite, und die Notlagenklausel ermöglicht Kreditaufnahmen bei Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen, staatlich unkontrollierbaren Notsituationen. Die Coronapandemie und die Energiekrise infolge des Ukrainekriegs konnte Deutschland so bewältigen. Doch das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts von November 2023 hat gezeigt, dass die Notlagenklausel eine Autorisierungslücke schafft, weil der Gesetzgeber den Veranlassungszusammenhang zwischen Notlage und Kreditaufnahme umso detaillierter darlegen muss, je länger die Krise andauert. Besteht eine Notlage also fort, wird es zunehmend schwieriger, den fehlenden staatlichen Einfluss und damit das Recht auf kreditfinanzierte Maßnahmen zu belegen.
Die rechtliche Unsicherheit lässt sich am Beispiel des Ukrainekriegs verdeutlichen. Obwohl Deutschland den Kriegsverlauf nicht allein bestimmen kann, trägt es durch eigene politische Entscheidungen dazu bei, wie sich die Lage entwickelt. Der Krieg dauert bereits drei Jahre. Er stellt eine außergewöhnliche finanzielle Herausforderung dar, die eine Notlage nach dem bisherigen Verständnis sein könnte. Es ist allerdings schwer zu belegen, dass sich die Ereignisse vollständig der staatlichen Kontrolle entziehen. Im Extremfall müsste der Staat nötige Krisenmaßnahmen durch Kürzungen anderer Ausgaben finanzieren, wenn er die Kreditaufnahme nicht rechtssicher über die Notlagenklausel abbilden kann.
Damit der Staat in jeder Krisensituation handlungsfähig bleibt, braucht es eine robustere Schuldenregel. Erstens sollte man den Kreditspielraum in Konjunkturkrisen stärker am Ziel der Vollauslastung ausrichten. Zweitens bedarf es einer weniger restriktiven Klausel für Notlagen, um länger andauernde Ausnahmesituationen rechtlich sauber zu erfassen. Einen Missbrauch dieser Klausel kann man durch verbindliche Tilgungsverpflichtungen vermeiden, die künftige Haushaltsspielräume begrenzen. So bleibt der Staat handlungsfähig, ohne nachhaltige Staatsfinanzen zu gefährden.
Umsetzung einer neuen Schuldenregel
Der vorgestellte Vorschlag will nachhaltige Staatsfinanzen sichern und zugleich mehr Handlungsspielraum für produktive Ausgaben schaffen. Das Kernprinzip ist das folgende: Jede neue Bundesregierung gibt sich zu Beginn der Legislaturperiode eine haushaltspolitische Regel, die das Ziel der nachhaltigen Staatsfinanzen konkretisiert. Unser Vorschlag ist, dabei die EU-Fiskalregeln zu übernehmen. Dieses Prinzip ist unvereinbar mit starren Grenzen für das strukturelle Defizit im Grundgesetz und rückt stattdessen die Abwägung zwischen Zinskosten und Wachstumschancen in den Fokus. Wichtige Entscheidungen über Verschuldung und Ausgaben werden damit immer wieder neu zu Beginn der Legislatur gestellt und demokratisch beantwortet.
Eine unabhängige Überprüfung könnte evaluieren, ob die Haushaltsregel auf plausiblen Annahmen beruht, eingehalten wird und ob die Ausgaben im Kreditfinanzierungsplan der Regierung tatsächlich produktive Wirkungen haben (Abbildung 1). Zwar liegt die Entscheidungshoheit mit Blick auf die demokratische Legitimation der Finanzpolitik allein beim Gesetzgeber, aber eine unabhängige Evaluation kann den öffentlichen Druck auf die Regierung, nur tatsächlich wachstumsfördernde Maßnahmen mit Schulden zu finanzieren und die Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen genau zu überwachen, deutlich steigern. Unser Reformvorschlag stärkt auf diese Weise die Rolle von Rechenschaftspflichten als wirksamer Kontrollmechanismus der Haushaltspolitik. Indem Staatsverschuldung enger an ihre produktiven Wirkungen gekoppelt wird, nähern wir uns außerdem einer evidenzbasierten, wirkungsorientierten Haushaltspolitik an.
Deutschland erneuert sich nicht ohne Reform der Schuldenbremse
Eine Reform der Schuldenbremse des Grundgesetzes würde Spielraum für zusätzliche Kreditaufnahme schaffen und helfen, die großen Modernisierungsbedarfe zu finanzieren. Zugleich reicht Geld allein nicht aus. Auch strukturelle Reformen sind nötig, insbesondere solche, die das Arbeitsangebot der Wirtschaft erhöhen. Nur dann können zusätzliche Mittel – ob eingespart oder kreditfinanziert – tatsächlich verbaut, investiert und in Wohlstand übersetzt werden. Solche Reformen könnten das Steuersystem, den Sozialstaat und die Rente, die Zuwanderung, aber auch die öffentliche Verwaltung umfassen. Die neue Regel könnte Teil einer umfassenderen Modernisierungsagenda werden, bei der der Gesetzgeber zunächst ein Reformpaket schnürt und damit verbundene Einsparpotenziale identifiziert, bevor er das Grundgesetz ändert.
Reformen und Staatsverschuldung bedingen einander. Einerseits lassen sich neue Finanzmittel nur dann nachhaltig in Wachstum verwandeln, wenn die öffentliche Verwaltung effizient ist und genügend Arbeitskräfte verfügbar sind. Andererseits kosten viele dieser Reformen selbst Geld, bevor sie zusätzliche Steuereinnahmen generieren. Sie müssen also vorfinanziert werden. Das gelingt sinnvoll nur durch Kredite, denn das „Heraussparen“ der Mittel aus dem laufenden Haushalt erzeugt oft schädliche wirtschaftliche Nebenwirkungen und mindert die Unterstützung für Reformen in der Gesellschaft. Eine Schuldenregel, die Verschuldung an produktive Effekte koppelt, erlaubt solche Vorfinanzierungen und sichert so nachhaltige Staatsfinanzen. Wenn die Modernisierung Deutschlands gelingen soll, braucht es also mehr Staatsverschuldung und kluge Reformen zugleich. Die Weiterentwicklung der Schuldenbremse zu einer ökonomisch sinnvollen Schuldenregel wäre ein erster Schritt.
- 1Dieser Beitrag beruht auf dem im Erscheinen befindlichen Policy Paper „Eine ökonomisch sinnvolle Schuldenregel: Reformvorschlag für die Schuldenbremse im Grundgesetz“ (Schuster-Johnson et al.).
Literatur
FAS – Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. (2025, 6. Januar). Ifo-Präsident Clemens Fuest: Elon Musk redet groben Unfug.
Guttenberg, L. & Redeker, N. (2024). Luft nach oben: Wieso die EU-Fiskalregeln Spielraum für eine Reform der Schuldenbremse lassen. Bertelsmann Stiftung.
Heilmann, F., Krahé, M., Sigl-Glöckner, P., Steitz, J. & Schuster-Johnson, F. (2024). Was kostet eine sichere, lebenswerte und nachhaltige Zukunft? Dezernat Zukunft.
Schuster-Johnson, F., Heilmann, F., Krahé, M., Sigl-Glöckner, P. & Steitz, J. (im Erscheinen). Eine ökonomisch sinnvolle Schuldenregel: Reformvorschlag für die Schuldenregel im Grundgesetz. Dezernat Zukunft.
Title: From the Debt Brake to an Economically Sensible Debt Rule
Abstract: A fiscal rule is economically sensible if it ensures sustainable public finances. The German debt brake does no such thing because it is blind to the two key determinants of fiscal sustainability – interest rates and growth. We therefore propose modelling a reformed German fiscal rule on the principles of the European fiscal rules, which relates the borrowing limit to macroeconomic conditions, in particular interest rates and growth. A dynamic fiscal rule is incompatible with rigid limits on the structural deficit in the constitution. Moreover, the new fiscal rule should tie government borrowing to productive spending, improving potential growth and debt sustainability in the long term.