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Dieser Beitrag ist Teil von Beschäftigung im Wandel: Wie KI, Demografie und Institutionen den Arbeitsmarkt verändern

Generative künstliche Intelligenz (KI) verändert die Arbeitsmärkte, indem sie Aufgaben und Berufe, die Nachfrage nach Qualifikationen und die Machtverhältnisse zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern verändert. Im Gegensatz zu früheren technologischen Umbrüchen betrifft KI auch Hochqualifizierte. Doch wie müssen wir darauf reagieren, wenn KI immer mehr Tätigkeiten übernehmen kann? Statt kurzfristiger Umschulungsprogramme braucht es langfristige Strategien, die die Widerstandsfähigkeit von Beschäftigten und Strukturen stärken – und so eine nachhaltige Anpassung des Arbeitsmarktes an die sich wandelnde technologische Landschaft ermöglichen.

Technologische Innovation verändert, wie und woran Menschen arbeiten, und verschiebt damit die Machtverhältnisse am Arbeitsmarkt. Auch das Aufkommen generativer künstlicher Intelligenz (KI) und ihre explosionsartige Verbreitung (Teubner et al., 2023) verändern unzählige Arbeitsprozesse. Gerade weil es sich bei generativer KI um eine General Purpose Technology handelt, also um eine Technologie wie das Smartphone, das Internet oder der Computer, die in unzähligen Anwendungsbereichen eingesetzt werden kann, ist damit zu rechnen, dass sie zu grundlegenden Veränderungen in unserem Umgang mit Daten, Informationen und Wissen – und den Prozessen, die diese erzeugen – führen wird. Daraus speist sich die Angst vieler, dass KI nicht nur Arbeitsprozesse erneuern wird, sondern auch Machtverhältnisse am Arbeitsmarkt grundlegend ändern und möglicherweise zu Massenarbeitslosigkeit führen könnte, wenn die KI in der Lage wäre, immer mehr Arbeitsschritte effektiver und effizienter auszuführen als menschliche Arbeitskräfte.

Die Angst vor sich rasant ändernden Machtverhältnissen am Arbeitsmarkt aufgrund technologischen Wandels ist nicht unbegründet. Ein solcher Wandel hat sich schließlich schon in mehreren Wellen seit Beginn der industriellen Revolution vor 250 Jahren ereignet und den Arbeitsmarkt dabei grundlegend verändert. So verdrängten Industriemaschinen die Handarbeit, die Elektrizität ermöglichte die Fließbandarbeit, der Computer digitalisierte Bürotätigkeiten und das Internet ermöglichte das Auslagern von Tätigkeiten sowie die Arbeit in global operierende Teams. Heute ist es die KI, die die bisher vorherrschenden Bedingungen und Prozesse der Wissensarbeit auf den Kopf stellt.

Historisch betrachtet zeigt sich also, dass Berufe, Tätigkeitsprofile, Arbeitsprozesse und einzelne Abläufe einem konstanten Wandel ausgesetzt sind. Sobald aber eine neue Technologie bestimmte Tätigkeiten obsolet macht, entstehen neue Beschäftigungsmöglichkeiten, die erst durch diese Technologie ermöglicht werden. Dieser Wandel ist nie reibungslos. Während sich der Arbeitsmarkt erneuert, bringt er Gewinner und Verlierer hervor (Frey, 2019) und verschiebt so die Machtverhältnisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, zwischen Jungen und Alten, oder zwischen Festangestellten und Freiberuflern. Genau wie in früheren Wellen technologischen Fortschritts sehen wir auch heute wieder Machtverschiebungen am Arbeitsmarkt, die nun mit dem Aufkommen von KI in Verbindung stehen.

KI als Treiber des technologischen Wandels auf dem Arbeitsmarkt

Erste empirische Studien zeigen, wie KI bereits begonnen hat, Arbeitsmärkte zu verändern. Eine umfassende Umfrage in Dänemark (Humlum & Vestergaard, 2025) hat gezeigt, dass die generative KI-Software ChatGPT rasch und breit in den Arbeitsalltag Einzug gehalten hat. Die Software wird über verschiedene Berufe hinweg und besonders von jüngeren und weniger erfahrenen Beschäftigten genutzt. Teutloff et al. (2025) enthält eine Abschätzung der Arbeitsmarkteffekte auf verschiedene Berufsgruppen, indem wir die Nachfrage nach Freiberuflern seit der Einführung von ChatGPT auf einer großen Onlineplattform analysierten. Im schnelllebigen Online-Freelancing-Markt zeigt sich bereits ein klares Muster: Für Tätigkeiten, die durch KI direkt ersetzbar sind – etwa das Verfassen einfacher Online-Texte oder Übersetzungen – brach die Nachfrage um 20 % bis 50 % ein, besonders bei kurzfristigen Projekten. Gleichzeitig wuchs die Nachfrage nach komplementären Fähigkeiten: Programmierung im Bereich maschinellen Lernens legte um rund ein Viertel zu, und für Entwickler KI-gestützter Chatbots gab es sogar eine Verdreifachung der Nachfrage.

Generative KI verschiebt die Nachfrage am Arbeitsmarkt also nicht pauschal in die eine oder andere Richtung, sondern entlang bestimmter Fähigkeits- und Tätigkeitsprofile. Damit bringt sie mehr Chancen für die einen und gleichzeitig mehr Risiken für andere. Das sogenannte task-based Framework (Acemoglu & Autor, 2011; Acemoglu & Restrepo, 2019) erklärt aus theoretischer Sicht, wie technologische Innovation sich in erster Linie auf bestimmte Tätigkeiten auswirkt, nicht auf ganze Berufe. Einzelne Tätigkeiten werden durch Maschinen ersetzt, während andere Aufgaben innerhalb eines Jobs an Bedeutung gewinnen.

Das gleiche Muster war beispielsweise bei der Computerisierung der Arbeitswelt, die in den 1980er Jahren begann, gut sichtbar. Routinemäßige Tätigkeiten wie z. B. das Abtippen handschriftlicher Notizen wurden durch Textsatzprogramme wie MS Word ersetzt, während gleichzeitig der Anteil hochqualifizierter Wissensarbeit (Planung, Projektmanagement) zunahm. In dieser Zeit kam es auch zu einer starken Zunahme oft einfacher Tätigkeiten im Dienstleistungssektor (Kundenservice, Security, etc.). All dies beförderte das „Hollowing out“ der Mittelschicht (Autor et al., 2003).

Was ist in Zeiten generativer KI anders? Heute stehen nicht primär die klassischen „Blue collar“-Jobs oder Routinetätigkeiten im Zentrum der technologischen Disruption, sondern hochqualifizierte „White collar“-Jobs, also solche, die traditionell als sicherer Weg zum beruflichen Aufstieg galten. Die Forschung zur „KI Exposition“ von Berufen (beispielsweise Eloundou et al., 2024 oder Felten et al., 2018) macht deutlich, dass Schriftsteller, Übersetzer, aber auch Programmierer und Wissenschaftler in besonderem Maße betroffen sind (del Rio-Chanona et al., 2025). Damit rücken Berufsgruppen ins Zentrum möglicher Automatisierung, die bisher als sicher galten.

Allerdings sagt die reine technologische Exposition einer Tätigkeit gegenüber KI noch nichts darüber aus, ob Arbeitsplätze tatsächlich verschwinden oder ob sie sich transformieren. KI kann bestehende Tätigkeiten ersetzen, sie kann sie aber auch unterstützen, indem sie menschliche Arbeit produktiver macht oder gänzlich neue Tätigkeitsfelder eröffnet. Es deutet sich an: Wie auch in früheren Wellen technologischen Wandels kommt es durch KI zu Machtverschiebungen am Arbeitsmarkt – zwischen Berufsgruppen, zwischen Berufseinsteigern und Erfahrenen sowie zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern.

Wie KI die Machtverhältnisse am Arbeitsmarkt verschiebt

Generative KI verspricht erhebliche Produktivitätsgewinne. Experimente zeigen, dass Tools wie ChatGPT beim Schreiben, Programmieren oder Recherchieren die Arbeitsleistung deutlich steigern können. Doch nicht jeder kann gleichermaßen von KI profitieren: Während bestimmte Tätigkeiten durch KI erheblich an Produktivität gewinnen, etwa in der Programmierung, wo neue Tools Effizienzsprünge ermöglichen, geraten andere, etwa klassische Übersetzungsarbeiten, zunehmend unter Druck.

Ob Beschäftigte profitieren oder nicht, hängt entscheidend davon ab, ob sie die neue Technologie strategisch einsetzen können. Wer es schafft, KI in die eigene Arbeit zu integrieren, gewinnt an Effizienz. Wer den Umgang nicht lernt oder durch institutionelle Restriktionen gebremst wird, bleibt zurück. Erste Umfragen zeigen, dass die Nutzung entlang von Altersgruppen, Geschlechtern und Einkommensstufen stark variiert – sogenannte „Adoption gaps“ (Humlum & Vestergaard, 2025). Beispielsweise nutzen Frauen ChatGPT deutlich seltener für ihre Arbeit, und auch Beschäftigte mit ohnehin niedrigerem Einkommen greifen seltener auf das Tool zurück. Umgekehrt profitieren vor allem diejenigen, die bereits zuvor über höhere Einkommen verfügten, von den Möglichkeiten der KI-bedingten Produktivitätssteigerung.

Auch im schnelllebigen Markt des Online-Freelancings profitieren nicht alle gleichermaßen. Nach der Einführung von ChatGPT stieg vor allem die Nachfrage nach Freelancern mit komplementären Fähigkeiten zu KI, wie Abbildung 1 zeigt. Unter den Freelancern mit komplementären Fähigkeiten profitieren vor allem spezialisierte Experten, während die Chancen für Berufsanfänger zurückgehen (Teutloff et al., 2025). Daten aus den USA weisen in eine ähnliche Richtung. Eine Studie von Brynjolfsson et al. (2025) zeigt, dass insbesondere Berufseinsteiger in stark KI-exponierten Tätigkeiten unter Druck geraten: In der Altersgruppe der 22- bis 25-Jährigen sank die Beschäftigung um 13 % relativ zum gesamtwirtschaftlichen Trend, während die Nachfrage nach erfahrenen Arbeitskräften stabil blieb oder sogar zulegte. Besonders betroffen sind Tätigkeiten, in denen KI menschliche Arbeit eher ersetzt als ergänzt. Weitere Evidenz aus der Analyse von Lebensläufen und Stellenanzeigen in US-Unternehmen zwischen 2015 und 2025 bestätigt diesen Befund. In Unternehmen, die entsprechende KI-Tools eingeführt haben, gingen die Einstellungschancen für jüngere Beschäftigte deutlich zurück (Lichtinger & Hosseini Maasoum, 2025). KI schafft damit nicht nur neue Machtgefälle zwischen Nutzern und Nicht-Nutzern der Technologie, sondern verändert auch die Hierarchie zwischen Berufsanfängern und Experten.

Abbildung 1
Arbeitsnachfrageeffekt durch Einführung von ChatGPT auf einer Online-Freelancing-Plattform.
Arbeitsnachfrageeffekt durch Einführung von ChatGPT auf einer Online-Freelancing-Plattform.

Quelle: Teutloff et al. (2025).

Eine weitere Dimension ist das sich ändernde Machtgefüge zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Viel hängt davon ab, wie KI tatsächlich eingesetzt wird. Dient sie – ähnlich wie der Computer – vor allem als Werkzeug, das menschliche Arbeit produktiver macht, dann bleibt die Rolle von Beschäftigten im Wesentlichen unverändert. Ganz anders sieht es aus, wenn KI zunehmend zur direkten Ersetzung menschlicher Arbeitskraft eingesetzt wird, etwa durch autonome KI-Agenten. Dann sinkt die Abhängigkeit der Unternehmen von menschlicher Arbeitskraft und damit auch die Verhandlungsmacht der Beschäftigten. Noch ist das zum großen Teil Zukunftsmusik, doch erste Anzeichen dafür sind bereits erkennbar. Vor allem Berufseinsteiger in stark KI-exponierten Tätigkeiten spüren, dass ihre Chancen schwinden. Wenn menschliche Arbeitskraft weniger gebraucht wird, verschiebt sich die Balance Schritt für Schritt zugunsten der Arbeitgeber, die durch KI zunehmend unabhängiger vom Faktor Arbeit werden könnten.

Ob Automatisierung die Position von Beschäftigten stärkt oder schwächt, hängt nach einer neuen Theorie von Autor und Thompson (2025) davon ab, welche Aufgaben innerhalb eines Berufs wegfallen und welche hinzukommen. Werden eher einfache, wenig anspruchsvolle Tätigkeiten automatisiert, steigt das durchschnittliche Anforderungsniveau im Beruf. Dadurch wird der Zugang schwieriger, das Angebot an geeigneten Arbeitskräften kleiner – und Löhne tendenziell höher. Werden dagegen anspruchsvolle Aufgaben automatisiert, sinken die Zugangshürden: Mehr Menschen können den Beruf ausüben, das Angebot wächst – und die Löhne geraten unter Druck. Damit bietet KI potenziell eine große Chance: Während die Computerisierung vor allem Routinetätigkeiten verdrängte und so zur Aushöhlung der Mittelschicht beitrug, könnte KI spezialisierte Expertise breiter verfügbar machen. Indem sie Informationen, Regeln und Erfahrungen so kombiniert, dass sie anspruchsvolle Entscheidungsprozesse unterstützt, kann sie es Beschäftigten mit weniger formaler Ausbildung ermöglichen, Aufgaben zu übernehmen, die bislang hochqualifizierten Experten vorbehalten waren. Gelingt diese Integration, könnte KI Zugangshürden für Expertenjobs senken und damit neue Chancen für mittlere Qualifikations- und Einkommensgruppen eröffnen (Autor, 2024).

Ein Beispiel liefert die Medizin. Wenn KI den administrativen Routineaufwand übernimmt, bleibt der Kern des Arztberufs auf komplexe Diagnosen und Behandlungen fokussiert. Entscheidend bleibt die Fähigkeit zur qualifizierten Entscheidungsfindung. Der Beruf wird dadurch nicht leichter zugänglich, sondern im Gegenteil anspruchsvoller, und die Vergütung könnte steigen. Erleichtert KI jedoch die Diagnose und Behandlungen, sinken die Anforderungen. Dann könnte der Arztberuf leichter zugänglich, aber auch weniger lukrativ werden – mit individuellen Nachteilen für Ärzte, aber gesellschaftlichen Vorteilen durch breiteren und günstigeren Zugang zu medizinischer Versorgung.

Die bisherigen Betrachtungen zeigen: KI schafft Gewinner und Verlierer und verschiebt bestehende Machtverhältnisse am Arbeitsmarkt. Die Entwicklungen sind jedoch nicht technologisch determiniert. Sie werden erst durch das komplexe Wechselspiel bestimmt, mit dem die sich ändernden technologischen Rahmenbedingungen in Arbeitsmarkt, Wirtschaft, Gesellschaft und Politik aufgenommen werden (Arthur, 2009). Hier liegt auch der Ansatzpunkt, die technologische Transformation des Arbeitsmarktes zu steuern.

Der Arbeitsmarkt: ein komplexes System im ständigen Wandel

Wie können wir aus all den empirischen Anhaltspunkten eine fundierte Einschätzung darüber erreichen, wie sich der Arbeitsmarkt in weiterer Folge entwickeln wird und welcher Art von Eingriffen oder Steuerung es bedarf, um den Wandel zu gestalten?

Eine nützliche und bis dato in der Debatte kaum auftauchende Perspektive ist die Analyse des Arbeitsmarktes als komplexes System (Meadows, 2008). In aller Kürze sind komplexe Systeme durch Rückkopplungseffekte charakterisiert, die zu nichtlinearen Reaktionen auf externe wie interne Reize führen können. Genau dieses Verständnis des Arbeitsmarktes als komplexes System ist hilfreich.

Was sind also die wesentlichen Elemente, die das System Arbeitsmarkt bestimmen, und wie wirkt technologischer Fortschritt durch KI auf dieses? Die bestimmenden Einflussfaktoren sind Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage. Diese beiden Größen sind selbst nicht stabil, sondern ändern sich über die Zeit und sind über Rückkopplungsschleifen miteinander verbunden. So ist es zwar richtig, dass gesteigerte Effizienz in Arbeitsprozessen durch KI ceteris paribus die Arbeitsnachfrage verringert, weil weniger Arbeit notwendig ist, um eine gegebene Menge an Output zu erzeugen. Allerdings setzt dieser Prozess wiederum Arbeitskraft frei, die dann an anderer Stelle Verwendung finden kann. Wie die oben angeführten empirischen Beispiele zeigen, entstehen bereits neue Tätigkeitsfelder, die für höhere Arbeitsnachfrage sorgen.

Gleichzeitig beeinflusst nicht nur KI den Arbeitsmarkt. Ein anderer Megatrend wirkt langsamer, hat aber einen nachhaltigen Einfluss auf den Bestand an zur Verfügung stehenden Arbeitskräften: der demografische Wandel. Dieser ist seit Jahrzehnten bekannt und hat jetzt, in den 2020er Jahren, in denen auch KI am Arbeitsmarkt sich Bahn bricht, eine neue Dynamik entfaltet, da viele “Babyboomer” den Arbeitsmarkt verlassen. Die Wirkung des demografischen Wandels auf den Arbeitsmarkt geht also klar in eine Richtung: das Arbeitsangebot sinkt und KI kann gerade hier helfen, den Verlust an Arbeitskraft durch gesteigerte Produktivität auszugleichen.

Zugleich gibt es weitere Faktoren, die den Arbeitsmarkt maßgeblich prägen: der Klimawandel und die nachhaltige Transformation der Wirtschaft, Migration und sich ändernde Präferenzen und gesellschaftliche Normen, was die Rolle von Arbeit in der Gesellschaft insgesamt anbelangt (Partizipation von Frauen am Arbeitsmarkt, neue Arbeitszeitmodelle, Hybridarbeit und Home Office). Angesichts all dieser gleichzeitig wirkenden Megatrends ist es schlicht unmöglich und letztlich irreführend, den isolierten Effekt von KI auf den Arbeitsmarkt identifizieren zu wollen – denn er tritt ja ohnehin nicht in Isolation auf. Statt sich also auf ein genaues Abschätzen der Zahl an Millionen von Jobs, die durch KI verloren gehen, zu konzentrieren, ist es zielführender, basierend auf der systemischen Perspektive des Arbeitsmarktes Maßnahmen abzuleiten, die die durch gesteigerte Produktivität in manchen Bereichen des Arbeitsmarktes freiwerdende Arbeitskraft so umzulenken, dass sie in den anderen Bereichen produktiv eingesetzt werden kann. Hierfür sollten wir versuchen zu verstehen, was Arbeitnehmer in Zeiten schnellen technologischen Fortschritts brauchen, um flexibel auf sich ändernde Rahmenbedingungen zu reagieren.

Resilienz statt Reskilling

Die bisherigen Betrachtungen zeigen: Der Einfluss von KI auf den Arbeitsmarkt ist kaum eindeutig abzuschätzen. Denn die KI Revolution wirkt nicht in Isolation, sondern trifft auf andere Megatrends – etwa den demographischen Wandel oder die Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft. Diese Entwicklungen überlagern sich und verstärken oder kompensieren sich gegenseitig. In einem solchen Umfeld ist es illusorisch, präzise vorherzusagen, welche konkreten Fähigkeiten in fünf oder zehn Jahren gefragt sein werden. Daher greift die oft formulierte Forderung nach Reskilling zu kurz (Jacobs, 2025). Sie unterstellt, wir könnten heute wissen, auf welche konkreten Berufe oder Fertigkeiten wir Menschen vorbereiten sollten. Doch ob Python-Programmierung oder Prompt-Engineering – all das kann schon in wenigen Jahren wieder überholt sein. Zudem wirkt KI auf Jobs mit ähnlichen Anforderungsprofilen gleichermaßen. Wenn wir also Buchhalter zu Finanzberatern umschulen und KI auch diese Jobs ersetzt, dann haben wir nichts gewonnen. Dann führt Reskilling zu kurzfristigen Scheinlösungen, nicht zu echter Zukunftssicherheit.

Statt also den technologischen Entwicklungen hinterherzulaufen und auf Basis unsicherer Prognosen kurzfristige Fortbildungsmaßnahmen zu entwerfen, sollten wir die Resilienz der Arbeitskräfte und des gesamten Systems stärken. Resilienz bedeutet, Kompetenzentwicklung, Flexibilität und Sicherheit so miteinander zu verbinden, dass Menschen dazu befähigt werden, auf Wandel selbstbestimmt reagieren zu können – egal, ob er durch KI, Klimawandel oder eine alternde Gesellschaft ausgelöst wird. Diese gesellschaftliche Resilienz sollte auf drei zentralen Säulen ruhen:

Kompetenz: Ausbildung und Weiterbildung müssen stärker auf grundlegende Fähigkeiten setzen – kritisches und analytisches Denken, Lernfähigkeit und unternehmerische Initiative. Diese „Meta-Skills“ ermöglichen es, die eigene Arbeitsweise durch neue Technologien zu modernisieren und ganz neue Tätigkeiten auszuführen, wenn bestimmte Prozesse automatisiert werden.

Flexibilität: Die Arbeitsmärkte müssen Mobilität zwischen Branchen und Tätigkeiten erleichtern – nicht starre Berufsbilder und Erwerbsbiographien von Ausbildung bis Renteneintritt, sondern stete Weiterentwicklung und ein experimentelles Mindset, sich auch in neue Berufsfelder und Tätigkeitsbereiche zu wagen, die es bis dato gar nicht gab.

Sicherheit: Um Wandel selbstbestimmt und aktiv gestalten zu können, benötigen Menschen verlässliche soziale Sicherheiten. Deshalb muss eine moderne Arbeitsmarktpolitik Übergänge absichern. Verlässliche Einkommenssicherung in Phasen der beruflichen Neuorientierung und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind genauso zentrale Bausteine eines modernen „Flexicurity“-Ansatzes wie Anreize für unternehmerisches Risiko und ein flexibler Renteneintritt (Stichwort Aktivrente).

Diese Elemente von „Flexicurity“ können die Selbstanpassung des Arbeitsmarktes unterstützen, ohne dass Einzelne die Risiken, die mit dem technologischen Wandel einhergehen, allein tragen müssen. Damit schaffen wir ein System, das nicht auf Vorhersagen angewiesen ist, sondern auf strukturell verankerte Anpassungsfähigkeit in Zeiten steten Wandels baut. Es sind also die gleichen systemisch ansetzenden Reformen, die bereits im Zuge des demographischen Wandels und des Fachkräftemangels diskutiert wurden, die nun auch der Schlüssel sind, um den Arbeitsmarkt in Zeiten schnellen technologischen Wandels widerstandsfähig zu machen. Gesellschaftliche Resilienz ist damit nicht nur eine Antwort auf KI, sondern das zentrale Prinzip einer modernen, zukunftsfähigen Arbeitswelt.

Literatur

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Meadows, D. (2008). Thinking in Systems. Chelsea Green Publishing.

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Teutloff, O., Einsiedler, J., Kässi, O., Braesemann, F., Mishkin, P. & del Rio-Chanona, R. M. (2025). Winners and losers of generative AI: Early Evidence of Shifts in Freelancer Demand. Journal of Economic Behavior & Organization, 106845.

Title:Resilience instead of reskilling: How AI is changing the labor market and how we need to respond

Abstract:Generative artificial intelligence (AI) reshapes labour markets by altering tasks and occupations, demand for skills, and power relations between workers and employers. Unlike past waves of technological change, AI now challenges high-skilled, white-collar professions that were once considered secure. Evidence shows that displacement occurs in tasks such as translation and writing, while complementary skills benefit, and new occupations emerge. To support a more sustainable transformation of the labour market in light of the ever-increasing capabilities of AI, building a resilient labour force that can adjust to an evolving technological landscape will become more important than reskilling programmes for people in occupations with a high automation risk.

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DOI: 10.2478/wd-2025-0184