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Die Welt steht vor einem Umbruch: Künstliche Intelligenz (KI) entwickelt sich mit atemberaubender Geschwindigkeit – nicht nur als nützliche Anwendung in Forschung, Verwaltung und Industrie, sondern als potenziell strukturverändernde Technologie. Fachleute halten es für möglich, dass schon in wenigen Jahren sogenannte „Artificial General Intelligence“ (AGI) entsteht – also eine KI, die den Menschen in nahezu allen kognitiven Bereichen erreicht oder übertrifft. In den USA wird diese Entwicklung längst als geopolitische und wirtschaftliche Herausforderung ersten Ranges verstanden. Deutschland hingegen wirkt unvorbereitet – politisch, infrastrukturell, institutionell.

Es gibt bisher kein schlüssiges Gesamtkonzept, keine ausreichenden Kapazitäten und keine institutionellen Strukturen, die der Geschwindigkeit und Tragweite dieser Entwicklung gerecht würden. KI wird in Berlin primär als ein Thema unter vielen im Bereich Digitalisierung behandelt, nicht als das, was es zunehmend ist: eine Schlüsseltechnologie mit potenziell tiefgreifenden Auswirkungen auf Wirtschaft, Sicherheit und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Will Deutschland nicht in eine dauerhafte Abhängigkeit geraten und seine wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit verlieren, muss es jetzt handeln. Drei strategische Prioritäten sind zentral.

Erstens gilt es KI-Infrastruktur als nationale Priorität zu begreifen. Die Grundlage jeder leistungsfähigen KI sind spezialisierte Rechenzentren mit enormer Kapazität. Deutschland verfügt bislang über Einzelprojekte wie den JUPITER-Supercomputer am Forschungszentrum Jülich, der mit rund 24.000 GPUs ausgestattet ist. Doch im globalen Vergleich liegt Deutschland damit weit zurück. Große US-Technologiekonzerne verfügen bereits heute über mehrere Hunderttausend GPUs – und bauen diese Kapazitäten mit staatlicher Unterstützung massiv aus. In den kommenden Jahren sollen allein in den USA im Rahmen des „Stargate“-Projekts 500 Mrd. US-$ in KI-Infrastruktur fließen. Auch China, Saudi-Arabien, Großbritannien und Frankreich investieren gezielt in den Aufbau leistungsfähiger Datenzentren. Deutschland hingegen plant eine „KI-Gigafabrik“ mit 100.000 GPUs – ein begrüßenswerter Schritt, aber bei Weitem nicht ausreichend. Es braucht einen schnellen, umfassenden Ausbau der Rechenkapazitäten – nicht nur für das Training neuer Modelle, sondern auch für deren Inferenz, also den Einsatz existierender Systeme in alltäglichen Anwendungen. Wenn intelligente Systeme künftig in Verwaltung, Industrie, Gesundheitswesen und Bildung breitflächig genutzt werden sollen, müssen sie auch zuverlässig betrieben werden können – im eigenen Land und möglichst unabhängig von ausländischen Cloudanbietern.

Der Ausbau der physischen Infrastruktur muss dabei mit dem Ausbau der Energieinfrastruktur Hand in Hand gehen. Rechenzentren sind stromhungrig und benötigen höchste Netzstabilität. Schon heute ist absehbar, dass der Energiebedarf durch den Einsatz von KI in den kommenden Jahren stark steigen wird – trotz potenzieller Effizienzgewinne. Der Umbau des Stromnetzes, die Identifikation geeigneter Standorte und die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren müssen daher zur politischen Priorität werden. Darüber hinaus ist Sicherheit zentral. KI-Modelle – insbesondere jene mit strategischer Relevanz – werden in Zukunft das Ziel strategischer Cyberangriffe sein. Ein gestohlenes Modell ist nicht einfach nur ein Datenverlust, sondern kann unmittelbar für militärische, politische oder wirtschaftliche Zwecke missbraucht werden. Derzeit gibt es wohl kein einziges Rechenzentrum, das ausreichend gegen staatlich finanzierte Cyberbedrohungen abgesichert wäre. Die Sicherheit muss daher integraler Bestandteil jeder neuen Infrastrukturmaßnahme sein – technisch, organisatorisch und politisch.

Zweitens gilt es Deutschlands Stärken gezielt und entschlossen zu nutzen. Auch wenn Deutschland technologisch nicht zu den führenden KI-Nationen zählt, verfügt es über Stärken, die im Zeitalter von AGI strategisch wertvoll sein können: industrielle Umsetzungskompetenz, domänenspezifische Datenbestände und akademisches Potenzial. Zum einen kann kaum ein anderes Land die von KI generierten Ideen so effizient in physische Produkte und Prozesse überführen wie Deutschland. Die breit diversifizierte Industrie – vom Maschinenbau über Robotik bis zur Medizintechnik – bietet ideale Voraussetzungen, um „intelligence on demand“ produktiv zu nutzen. Selbst wenn die stärksten KI-Modelle zunächst in den USA entstehen, braucht es Produktionskompetenz, um aus digitalen Lösungen reale Innovationen zu machen. Hier liegt eine große Chance, wenn Unternehmen bereit sind, sich stärker mit KI zu verzahnen.

Zum anderen verfügen viele deutsche Unternehmen über hochqualitative Indus­triedaten, die sich ideal für spezialisierte KI-Anwendungen eignen. Diese Daten sind ein strategisches Gut. Wer sie klug einsetzt, kann Modelle trainieren, die etwa in der Produktion, der Logistik oder der Energienutzung präziser und nachhaltiger arbeiten. Gerade in energieintensiven Branchen kann das einen erheblichen Wettbewerbsvorteil bedeuten. Schließlich hat Deutschland eine starke akademische Landschaft. Hochschulen bilden exzellente KI-Talente aus, doch zu viele wandern ins Ausland ab. Wer diese Talente halten oder zurückholen will, muss ihnen attraktive Bedingungen bieten: Rechenressourcen, Kapital, Gründungsunterstützung und ein innovationsfreundliches regulatorisches Umfeld. Zudem sollte Deutschland aktiv den Schulterschluss mit demokratischen Partnern suchen, um ein Gegengewicht zu den USA und China zu entwickeln, durch gemeinsame Projekte und Standards.

Drittens braucht es strategische Führung und staatliche Handlungsfähigkeit. Die bisherigen politischen Reaktionen auf die rasante KI-Entwicklung bleiben zu fragmentiert. Das neue Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung bietet die Chance, Kompetenzen zu bündeln. Doch es braucht mehr: KI muss als strategisches Querschnittsthema verstanden und auf höchster Ebene koordiniert werden. Dazu gehören nicht nur industrie- und technologiepolitische Maßnahmen, sondern auch vorausschauende Sicherheitsstrategien. Mit dem Fortschritt von AGI entstehen neue Risiken – von Desinformationskampagnen bis hin zu KI-gestützten Cyberangriffen. Die Einrichtung eines nationalen AI Security Institute wäre ein zentraler Baustein – mit interdisziplinärer Expertise, internationaler Vernetzung und direkter Anbindung an die politischen Entscheidungszentren. Darüber hinaus sollte der Aufbau von KI-Kompetenz in allen Verwaltungsebenen vorangetrieben werden – über Fortbildungen, eigene Ressourcen und gezielte Rekrutierung technischer Fachkräfte.

Auch auf internationaler Ebene muss Deutschland aktiver werden. Die Frage, wer künftig Zugang zu Hochleistungs-Chips hat und zu welchen Bedingungen, ist nicht nur wirtschaftlich, sondern auch geopolitisch entscheidend. Die Bundesregierung sollte sich mit Nachdruck für faire, verlässliche und resiliente Lieferbeziehungen einsetzen – im europäischen Schulterschluss und mit Blick auf strategische Abhängigkeiten von Drittstaaten. Es geht nicht um Autarkie, sondern um Handlungsfähigkeit. Deutschland muss lernen, KI nicht nur als technische Innovation zu begreifen, sondern als strategische Herausforderung. Derzeit droht eine Situation, in der andere Staaten die Spielregeln schreiben – technologisch, wirtschaftlich und sicherheitspolitisch. Wenn Deutschland nicht entschlossen handelt, könnte es in wenigen Jahren vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Es geht um weit mehr als Digitalisierung. Es geht um Wettbewerbsfähigkeit, Souveränität und Gestaltungsfähigkeit im 21. Jahrhundert. Jetzt ist die Zeit, die richtigen Weichen zu stellen.

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© Der/die Autor:in 2025

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DOI: 10.2478/wd-2025-0120