Die Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose prognostiziert für das Jahr 2025 einen leichten Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts in Deutschland um 0,2 %. Im weiteren Prognosezeitraum stimuliert die expansive Finanzpolitik die Konjunktur. Die Institute prognostizieren für die kommenden beiden Jahre Expansionsraten von 1,3 % und 1,4 %. Strukturelle Probleme wie abnehmende Wettbewerbsfähigkeit und der demografische Wandel bleiben bestehen. Um Wachstumsperspektiven für die deutsche Wirtschaft zu schaffen, bedarf es einer umfangreichen Reformpolitik. Zur Orientierung präsentieren die Institute einen Zwölf-Punkte-Kompass für den Herbst der Reformen.
Die Weltwirtschaft steht im Herbst 2025 weiterhin stark unter dem Einfluss der US-Zollpolitik. Neue Handelsvereinbarungen, auch mit der Europäischen Union (EU), haben zwar etwas Planungssicherheit geschaffen, zugleich aber das deutlich höhere Zollniveau dauerhaft verankert (Abbildung 1). Trotz dieser Belastung und der anhaltend großen Unsicherheit zeigte sich die Weltkonjunktur bislang erstaunlich robust, gestützt vor allem durch erhebliche Vorziehimporte. Doch diese Sondereffekte dürften bald an Wirkung verlieren, sodass die Zölle Handel und Produktion in den kommenden Monaten immer deutlicher belasten.
Abbildung 1
Allgemeine und effektive US-Zollsätze für ausgewählte Länder
in %

Stand 10. September 2025. Im effektiven Zollsatz werden güterspezifische Abweichungen vom allgemeinen Zollsatz berücksichtigt. Für die EU-Länder wird im Gutachten unterstellt, dass die Autozölle auf 15 % gesenkt werden. Für Deutschland unterstellen die Institute deshalb einen niedrigeren effektiven Zollsatz von ebenfalls 15 %.
Quelle: Barbiero & Stein (2025).
Nach einer Phase gemeinsamer Zinssenkungen haben sich die Leitzinsen der großen Notenbanken seit Ende 2024 deutlich auseinanderentwickelt. Die Europäische Zentralbank hat ihren Einlagensatz schrittweise auf 2,0 % gesenkt, womit ihre Geldpolitik nun als weitgehend neutral gilt. In den USA dagegen liegt das Zinsniveau trotz einer jüngsten Senkung um 25 Basispunkte mit nun 4,0 % bis 4,25 % weiterhin deutlich höher. Dort zieht die Inflation zugleich wieder an, nicht zuletzt infolge der Zölle, während sie im Euroraum weitgehend im Einklang mit dem 2 %-Ziel der Notenbank verläuft. Die Finanzpolitik dürfte im Prognosezeitraum insgesamt leicht dämpfend wirken. In den USA bleibt das Haushaltsdefizit voraussichtlich hoch; zusätzliche Zolleinnahmen dürften es nur geringfügig verringern. Im Euroraum ergibt sich insgesamt wohl eine neutrale Wirkung, auch weil gelockerte Fiskalregeln mehr Spielraum für Verteidigungsausgaben eröffnen. Deutschland hingegen setzt einen klar expansiven Impuls und unterscheidet sich damit deutlich von den übrigen Ländern des Euroraums.
Die Weltproduktion wird im Prognosezeitraum voraussichtlich an Tempo verlieren. Für 2025 rechnen die Institute mit Zuwachsraten von 2,6 % und für 2026 von 2,3 %, bevor 2027 eine leichte Erholung auf 2,5 % erwartet wird. Die fortgeschrittenen Volkswirtschaften dürften dabei mit 1,5 % bis 1,7 % nur moderat expandieren, während die Schwellenländer voraussichtlich mit über 4 % deutlich dynamischer bleiben. Im Euroraum dürften steigende Realeinkommen und günstigere Finanzierungsbedingungen die Konjunktur stützen, zugleich aber Zölle und der starke Euro die Exportwirtschaft dämpfen. In den USA werden die hohen Zölle wohl Produktivität, Konsum und Wachstum belasten, sodass die Konjunktur in diesem Jahr spürbar schwächer ausfällt. Ab dem kommenden Jahr dürfte sie jedoch wieder etwas anziehen, gestützt durch Zinssenkungen und anhaltend starke Investitionen in Künstliche Intelligenz. In China dürfte sich die robuste Expansion abschwächen, gebremst durch die anhaltende Immobilienkrise und die Belastungen der US-Zölle für den Außenhandel.
Die Risiken für die Weltwirtschaft bleiben hoch. Neben geopolitischen Konflikten stehen handelspolitische Unsicherheiten im Vordergrund, da das Abkommen zwischen der EU und den USA noch nicht umgesetzt ist und mit China weiterhin keine Einigung erzielt wurde. Darüber hinaus könnten die drastisch erhöhten US-Zölle preistreibender wirken als angenommen. Zugleich verändert die neue Rolle Chinas die globalen Produktionsmuster, und die unzureichende Budgetkonsolidierung in einigen europäischen Ländern wirft Zweifel an der Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen auf.
Deutsche Konjunktur
Die deutsche Wirtschaft befand sich in den vergangenen zwei Jahren in der Rezession (Abbildung 2). Die jüngst stark revidierten Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen zeigen, dass die Krise deutlich ausgeprägter war als bislang ausgewiesen. Mit einer Stagnation in der ersten Hälfte dieses Jahres dürfte die deutsche Wirtschaft die konjunkturelle Talsohle erreicht haben.
Abbildung 2
Bruttoinlandsprodukt
Preis-, saison- und kalenderbereinigt
1 Zahlenangaben: Veränderung der Ursprungswerte gegenüber dem Vorjahr in %.
Quelle: Statistisches Bundesamt; Berechnungen der Institute; ab dem dritten Quartal 2025: Prognose der Institute.
Eine breit angelegte Erholung ist allerdings nicht zu erwarten, denn grundlegende strukturelle Schwächen dauern an. Die im internationalen Vergleich hohen Lohnstück- und Energiekosten, der Fachkräftemangel und eine weiterhin abnehmende Wettbewerbsfähigkeit lasten auf den Wachstumsperspektiven (Abbildung 3). Stabilisierend hat seit vergangenem Jahr ein kräftigerer privater und öffentlicher Verbrauch gewirkt. Bei weiter nachlassendem Preisauftrieb haben starke Lohnzuwächse die real verfügbaren Einkommen steigen lassen und die Wertschöpfung in den konsumnahen Dienstleistungsbereichen gestützt. Im Produzierenden Gewerbe lässt eine Belebung noch auf sich warten, was sich bis zuletzt auch in weiterhin abnehmenden Investitionen in Ausrüstungen und Bauten niederschlägt.
Abbildung 3
Wichtige Indikatoren für die deutsche Wirtschaft
Quelle: Statistisches Bundesamt; ifo Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung. Berechnungen der Institute; ab dem dritten Quartal 2025: Prognose der Institute.
Die Warenexporte und der deutsche Produktionsindex sind saison- und kalenderbereinigt zu konstanten Preisen. Der Welthandel entspricht dem globalen Importvolumen.
Quelle: Berechnungen der Institute; Statistisches Bundesamt.
Der Fachkräftemangel entspricht dem Anteil der Unternehmen, die dies als Produktionsbehinderungsgrund angegeben haben. Der Trend ist ein Hodrick-Prescott-Filter mit Glättungsparameter λ = 1.600.
Quelle: ifo Konjunkturumfrage; Statistisches Bundesamt.
Quelle: Berechnungen der Institute; Statistisches Bundesamt.
Quelle: ifo Konjunkturumfrage.
Das zugrundeliegende Produktionspotenzial basiert auf MODEM.
Quelle: Statistisches Bundesamt; Berechnungen der Institute; 2025 bis 2027: Prognose der Institute.
Bremsend wirken neue Handelshemmnisse. Diese haben durch die Zollpolitik der USA im Vergleich zum vergangenen Jahr deutlich zugenommen. Vorgezogene Käufe aus dem Ausland, die in Erwartung einsetzender Zölle getätigt wurden, haben die Exporte zu Jahresbeginn außergewöhnlich stark steigen lassen. Ein entsprechender Rückprall folgte im zweiten Quartal. In der Prognose der Institute ist unterstellt, dass die Regelungen für Zölle in dem von der EU und den USA zusammen veröffentlichten Einigungsentwurf Bestand haben werden. Insgesamt dürften die höheren Zölle die Ausfuhren dauerhaft belasten, die sich im Prognoseverlauf daher wohl nur verhalten entwickeln werden. Dies dürfte die Aussichten des deutschen Verarbeitenden Gewerbes beeinträchtigen.
Effekt erweiterter Verschuldungsspielräume
Die erweiterten Verschuldungsregeln ermöglichen in den kommenden Jahren zusätzliche expansive finanzpolitische Impulse. Bei deren Quantifizierung müssen einige Faktoren berücksichtigt werden. Erstens dürften Mittel, beispielsweise für Baumaßnahmen, aufgrund von längeren Planungs-, Beschaffungs- und Vergabezeiten wohl deutlich langsamer abfließen als in den Haushaltsplänen der Bundesregierung unterstellt. Zweitens dürfte ein Teil der Kredite lediglich dazu dienen, eine Konsolidierung zu vermeiden, die im laufenden Jahr ohne Grundgesetzänderung hätte vorgenommen werden müssen. Drittens entsteht im Jahr 2027 trotz der verschobenen Mittel aus den erweiterten Kreditmöglichkeiten ein erheblicher Konsolidierungsbedarf, was den finanzpolitischen Impuls mindert. Ausgedrückt als jährliche Veränderung des strukturellen Primärsaldos des Staates (auf Basis der Potenzialschätzungsmethode der Institute, MODEM) im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt des Vorjahres betragen die finanzpolitischen Impulse in den kommenden beiden Jahren 1,3 und 0,8 Prozentpunkte (Abbildung 3f).
Die Konjunktur dürfte in den kommenden zwei Jahren durch die finanzpolitischen Impulse stimuliert werden. Während die Dienstleistungsbereiche, insbesondere im öffentlichen Sektor, weiterhin kräftig zulegen, wird die Erholung im Produzierenden Gewerbe wohl nur verhalten ausfallen. Vor allem dürfte sich die Auslandsnachfrage nach deutschen Waren nicht zuletzt infolge der US-Zollpolitik weiterhin nur schleppend entwickeln. Die geplanten öffentlichen Ausgaben für Verteidigung und Infrastruktur können dies nur begrenzt abfedern. Denn ein erheblicher Teil der Mittel fließt in die Rüstungsindustrie bzw. den Tiefbau und damit in Bereiche, in denen die bestehenden Kapazitäten bereits gut ausgelastet sind und die nur einen kleinen Teil der Gesamtwirtschaft ausmachen. Daher dürfte es zu deutlichen Preiseffekten in diesen Bereichen kommen. Zudem ist davon auszugehen, dass ein wesentlicher Teil der Rüstungsbeschaffungen Güter und Vorleistungen aus dem Ausland benötigt. Insgesamt dürfte es in den kommenden beiden Jahren zu Kapazitätsausweitungen und entsprechenden privaten Investitionen in Bereichen kommen, die von den Verteidigungs- und Infrastrukturausgaben sowie von weiteren wirtschaftspolitischen Maßnahmen wie dem „Investitionsbooster“ profitieren. Allerdings belasten die weiterhin unsicheren wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen das allgemeine Investitionsklima.
Konjunkturelle Belebung stützt Arbeitsmarkt und Konsum
Im Zuge der konjunkturellen Belebung dürfte sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt deutlich verbessern. So ist in den kommenden beiden Jahren mit einem Beschäftigungsaufbau zu rechnen, der zusammen mit steigenden real verfügbaren Einkommen den Konsum der privaten Haushalte und die konsumnahen Dienstleistungsbereiche stützen dürfte. So ist zu erwarten, dass der private Verbrauch in den beiden kommenden Jahren robust expandiert. Die Verbraucherpreisinflation bewegt sich im Prognosezeitraum bei 2 %. Insgesamt dürfte das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr mit einem Anstieg um 0,2 % kaum mehr als stagnieren. Die Prognose liegt damit um 0,1 Prozentpunkt höher als im Frühjahr, was vor allem auf die Revision der Vorjahresdaten zurückzuführen ist; die unterjährige Dynamik wird als etwas schwächer als noch im vorherigen Gutachten eingeschätzt. Im Zuge der Belebung im weiteren Prognosezeitraum steigt das Bruttoinlandsprodukt im kommenden Jahr um 1,3 % und im Jahr 2027 um 1,4 %. Dabei sind 0,3 und 0,1 Prozentpunkte der höheren Zahl an Arbeitstagen zu verdanken. Die Rate für das Jahr 2026 ist gegenüber der Frühjahrsprognose unverändert.
Die deutsche Finanzpolitik und die US-amerikanische Zollpolitik beeinflussen die Konjunktur im Prognosezeitraum. Die hiesigen expansiven finanzpolitischen Impulse dürften in den beiden kommenden Jahren den Anstieg des Bruttoinlandsprodukts mit 0,8 bzw. 0,4 Prozentpunkten spürbar erhöhen, nicht aber schon im laufenden Jahr. Die Effekte fallen somit für das Jahr 2026 etwas kräftiger aus als im Frühjahr prognostiziert, da die finanzpolitischen Impulse höher veranschlagt werden. Hingegen dämpfen die größeren Handelshemmnisse den deutschen Außenhandel und senken die Expansionsraten im laufenden Jahr um 0,2 und im kommenden Jahr um 0,5 Prozentpunkte; im Jahr 2027 sind keine nennenswerten Effekte auf die Zuwachsrate mehr zu erwarten. Die Institute schätzen die Verwerfungen des Handelskonflikts zwischen den USA und der EU etwas größer ein, als es noch im Frühjahr der Fall war, da der unterstellte effektive Zollsatz deutlich höher ausfällt und nicht zuletzt die US-Wirtschaftspolitik zu einer merklichen Euro-Aufwertung beigetragen haben dürfte.
Damit ergibt sich ein anderes Konjunkturbild als in früheren Aufschwungphasen: Kräftige Zuwächse bei den Exporten fallen dieses Mal als Treiber aus. Gestützt durch die expansive Finanzpolitik konzentriert sich der Aufschwung in den kommenden Jahren auf die Binnenwirtschaft. Allerdings werden die strukturellen Probleme bislang nur kaschiert, denn grundlegende standortstärkende Reformen bleiben aus, sodass sich die Wachstumsperspektiven weiter verschlechtern. Das zeigt sich in der Schätzung des Produktionspotenzials, die unter Status-quo-Bedingungen weiter abnehmende Wachstumsraten auf 0,2 % bis zum Ende des Jahrzehnts erwarten lässt.
Beträchtliche Risiken für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland gehen weiterhin vom Handelsstreit zwischen den USA und der EU aus. Ein großes Konfliktpotenzial stellen dabei die Zusagen von Seiten der EU dar, deren Einhaltung nicht in der Macht der Regierungen liegt. So könnte der Konflikt bei der Konkretisierung dieser Zusagen in einem Handelsabkommen oder bei einer Nichteinhaltung erneut eskalieren. Die negativen Wirkungen auf beide Wirtschaftsräume dürften dann beträchtlich sein. Zudem ist die Schätzung der gesamtwirtschaftlichen Effekte durch die finanzpolitischen Impulse mit großen Unsicherheiten behaftet. Je nach tatsächlicher Ausgestaltung der Maßnahmen können die gesamtwirtschaftlichen Effekte daher deutlich stärker, aber auch deutlich schwächer sein als in dieser Prognose unterstellt.
Ferner gehen von den bislang ausbleibenden Konsolidierungsmaßnahmen der Bundesregierung erhebliche Risiken aus. Ohne strukturelle Anpassungen droht eine zunehmende Belastung durch die Demografie aufgrund steigender Sozialausgaben. Eine fehlende Konsolidierungsperspektive bei gleichzeitig hohen Ausgaben für Verteidigung, Infrastruktur und Klimaschutz könnte mittelfristig zu einer Ausweitung der strukturellen Defizite führen. In einem Umfeld schwachen Wachstums und ausgeschöpfter fiskalischer Spielräume steigt die Gefahr, dass das Vertrauen in die Nachhaltigkeit der deutschen Fiskalpolitik schwindet und die finanzpolitische Handlungsfähigkeit schließlich eingeschränkt wird. Kurzfristig würden unterbleibende Konsolidierungsbemühungen die Konjunktur zwar anschieben, den späteren Reformdruck aber erhöhen. Ein Aufwärtsrisiko geht von den noch ausstehenden angebotsseitigen Reformen aus. Würden notwendige Reformen für mehr Arbeitsanreize sowie ein moderneres und schlankeres Staatswesen umgesetzt, dürfte dies nicht nur das langfristige Wachstumspotenzial der deutschen Wirtschaft stärken, sondern bereits kurzfristig stimulieren und den Konsolidierungsdruck mindern.
Wirtschaftspolitik
Deutschland steht wirtschaftspolitisch an einem Wendepunkt, denn die Wachstumsaussichten verschlechtern sich zusehends. Die Wirtschaftspolitik sollte wieder stärker auf zentrale Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft, vor allem den Preismechanismus, ausgerichtet werden. Die Politik sollte Zielkonflikte – etwa zwischen Preisstabilität, Beschäftigung und Wachstum – offen benennen und priorisieren, um aktuelle Herausforderungen zu meistern. Erstens steht die deutsche Exportwirtschaft unter erheblichem Druck, da der zunehmende Wettbewerb aus China, protektionistische Maßnahmen der USA und geopolitische Umbrüche in Europa die internationalen Absatzmärkte, Lieferketten und die wirtschaftliche Planungssicherheit massiv belasten. Zweitens führen der demografische Wandel und hohe Abgaben dazu, dass das Erwerbspersonenpotenzial schrumpft, die Beschäftigung sinkt, Arbeitsanreize schwinden und die steigenden Sozialversicherungsbeiträge den Arbeitsmarkt zusätzlich belasten. Drittens bremsen sinkende private Investitionen und ein schwacher Produktivitätsfortschritt das Wirtschaftswachstum in Deutschland, während steigende Staatsausgaben – insbesondere für Gesundheit und soziale Sicherung – über die damit verbundene zunehmende Abgabenlast die gesamtwirtschaftliche Dynamik ebenfalls dämpfen. Viertens ist die Stabilitätsorientierung der öffentlichen Finanzen gefährdet, da die neuen Verschuldungsspielräume und Ausnahmen für Verteidigungsausgaben die öffentliche Neuverschuldung nicht wirksam begrenzen, sodass steigende Zinsausgaben den zukünftigen Handlungsspielraum einschränken und Gefahren für die Finanz- und Preisstabilität im Euroraum zunehmen. Zur Orientierung präsentieren die Institute einen wirtschaftspolitischen Kompass.
Wirtschaftspolitischer Kompass der Institute
Außenwirtschaft
1. Stabile weltwirtschaftliche Rahmenbedingungen fördern und nationale Alleingänge vermeiden
Die exportorientierte deutsche Wirtschaft ist auf faire internationale Wirtschaftsbeziehungen angewiesen. Globale protektionistische Tendenzen schaden der deutschen Wirtschaft. Gemeinsam mit den Partnern in der EU sollte die Wirtschaftspolitik den internationalen Handel stärken. Das Mercosur-Abkommen zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen, wäre etwa ein Schritt in die richtige Richtung.
Deutsche Unternehmen verlieren an Wettbewerbsfähigkeit, wenn nationale Regulierung umfassender ist als diejenige in Partnerländern. Internationale Vereinbarungen, etwa zum Schutz von Umwelt oder von sozialen Rechten, sollten daher nicht bürokratischer ausgestaltet sein als in anderen Ländern. Es sollte vermieden werden, dass deutsche Unternehmen aufgrund nationaler Regeln aus Märkten ausscheiden, ohne dass in der Sache eine Verbesserung erreicht wird. Globale Probleme lassen sich nur durch globale Kooperation lösen.
2. Diversifikation und Kreislaufwirtschaft
Auf die Gefährdung globaler Lieferketten durch kurzfristige Unterbrechungen oder geostrategische Maßnahmen von Handelspartnern sollte vor allem mit Diversifikation und nachhaltiger Nutzung von wiederverwertbaren Ressourcen reagiert werden. Auch in zentralen Bereichen wie Versorgung mit Medikamenten und Rüstungsgütern ist der Bedarf nur durch internationale Arbeitsteilung zu decken. Kritische Güter sollten einer staatlich überwachten Bevorratung unterliegen, wie es etwa bei der Mineralölbevorratung oder den Gasspeichern der Fall ist.
Beschäftigung
3. Sozialversicherungsbeiträge stabilisieren
Die Kosten für das Gesundheitswesen steigen überproportional. Um die Sozialversicherungsbeiträge stabilisieren zu können, ist eine Effizienzsteigerung im Gesundheitssystem unerlässlich. Kurzfristig ließe sich die Effizienz des Gesundheitssystems durch eine Eigenbeteiligung der Patienten an den Behandlungskosten steigern. Längerfristig sind weitere Effizienzgewinne z. B. durch die Einführung einer modernen ePatientenakte möglich (Augurzky & Karagiannidis, 2025).
Das Umlagesystem der gesetzlichen Rentenversicherung gerät durch die niedrige Geburtenrate und die trendmäßig steigende Lebenserwartung immer mehr unter Druck. Die Bestandsrenten sollten langsamer zunehmen als die Nominallöhne (etwa mit der Inflationsrate), damit etwaiger Produktivitätsfortschritt zur Stabilisierung der Beiträge verwendet werden kann (zu Reformvorschlägen für die Gesetzliche Rentenversicherung siehe Holtemöller et al. (2024)). Ein erster Schritt in die richtige Richtung wäre, den Nachhaltigkeitsfaktor wieder aufleben zu lassen.
4. Arbeitsanreize verbessern
In den unteren Einkommensgruppen führt ein höheres Bruttoeinkommen bei höherem Beschäftigungsumfang kaum zu spürbar höheren Nettoeinkommen, sofern einkommensabhängige Transfers bezogen werden. Hinzukommt, dass das Gesamtsystem der Transferleistungen intransparent ist und mit Mehrfachaufwand in verschiedenen Behörden einhergeht. Das Transfersystem sollte grundlegend entschlackt werden und finanzielle Unterstützungsleistungen für Bedürftige aus einem Guss vorsehen (Peichl et al., 2023). Bedürftige sollten individuell unterstützt werden, nicht indirekt durch Unternehmenssubventionen oder durch pauschale staatliche Bereitstellung privater Güter.
Auch die Arbeitsanreize für Ältere sollten gestärkt werden. Dazu sind Anreize für einen Renteneintritt vor Erreichen der Regelaltersgrenze, wie etwa die Altersrente für besonders langjährig Versicherte (“Rente mit 63”) und Beschäftigungshemmnisse für Ältere, etwa auf dem Gebiet des Arbeitsrechts, abzubauen. Steuerliche Anreize sind hier hingegen nicht geeignet, denn die Besteuerung individueller Einkünfte sollte sich an der Leistungsfähigkeit, nicht an der spezifischen Art der Einkünfte orientieren.
5. Humankapital stärken
In einer von ständigem Strukturwandel geprägten Wirtschaft müssen Beschäftigte befähigt sein, die Art ihrer beruflichen Tätigkeit wechseln zu können. Eine gute allgemeine Ausbildung ist dafür die beste Voraussetzung. Die individuelle Förderung von Aus- und Weiterbildung im gesamten Lebenszyklus sollte daher verbessert werden.1
Die Attraktivität Deutschlands für die Zuwanderung (Hoch-)Qualifizierter sollte gestärkt werden. Dazu sollten Hürden für internationale Talente durch transparentere, schnellere und weniger bürokratische Arbeitseinwanderungsverfahren so gering wie möglich gehalten werden. Zudem sollte der Arbeitsmarktzugang durch vereinfachte und erweiterte Anerkennung ausländischer Abschlüsse und Arbeitsverfahren flexibler gestaltet werden (Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose, 2024, Kapitel 5).
Wirtschaftswachstum
6. Standort- statt Industriepolitik
Die Wirtschaftspolitik sollte nicht einzelne Unternehmen fördern, sondern die allgemeinen Standortbedingungen verbessern, um die erwartete Rendite von Investitionen in Deutschland zu stärken. Die Bedienung der Partikularinteressen einzelner Wirtschaftszweige ist dazu nicht geeignet. Vielmehr sollten Bürokratie- und Abgabenlast für alle Unternehmen gesenkt werden (Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose, 2023, Kapitel 4).
7. In der Energiewende auf Preissignale setzen
Die Umstellung der Wirtschaft auf Treibhausgasneutralität geht in einer Übergangsphase mit hohen volkswirtschaftlichen Kosten einher, die die privaten Konsummöglichkeiten einschränken. Diese Kosten lassen sich minimieren, wenn ein einheitlicher CO2-Preis als marktwirtschaftliches Instrument genutzt wird. Nachhaltige Energiepolitik setzt an der Ausweitung des umweltverträglichen Energieangebotes und an der Sicherstellung der Energieversorgungsstabilität an, nicht an der Subventionierung der Energienachfrage einzelner Verbraucher, wie etwa beim Industriestrompreis.
8. Effizienz des Staates erhöhen
Die Beschäftigung wächst seit geraumer Zeit vor allem im öffentlichen Sektor. Es ist dringend notwendig, die Effizienz der öffentlichen Verwaltung zu erhöhen. Dazu ist es notwendig, das Personal in Verwaltungsbereichen zu reduzieren und Produktivitätsfortschritt etwa durch Digitalisierung stärker voranzubringen.
9. Ausgabenseitige Konsolidierung des Staatshaushalts durch Kürzung konsumtiver Staatsausgaben ist wachstumsfreundlicher als einnahmeseitige Konsolidierung durch Erhöhung der Abgabenlast
Im Bundeshaushalt 2027 bestehen noch Deckungslücken. Allgemeine Steuererhöhungen würden vor dem Hintergrund der ohnehin sehr hohen Einnahmequote des Staates die Abgabenlast des Produktionsfaktors Arbeit weiter erhöhen und/oder die Rendite privater Investitionen weiter reduzieren. Beides würde die Wachstumsaussichten der deutschen Wirtschaft zusätzlich schmälern.
10. Innovationshemmnisse abbauen
Zentral für den gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritt ist die Verlagerung von Produktionsfaktoren (Arbeit und Kapital) von weniger produktiven zu höher produktiven Unternehmen. Daher sollten Marktaustrittskosten für nicht (mehr) erfolgreiche Unternehmen reduziert, Subventionen zum Erhalt nicht (mehr) produktiver Unternehmen abgebaut und die Bedingungen für Neugründungen und für das Wachsen kleiner und junger Unternehmen verbessert werden (siehe Drüssler et al. (2025) zum wirtschaftspolitischen Handlungsbedarf auf dem Gebiet junger und wachsender Unternehmen).
Finanz- und Preisstabilität
11. Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen sichern
Durch die Ausnahme der Verteidigungsausgaben jenseits einer Schwelle von 1 % in Relation zum Bruttoinlandsprodukt von der Begrenzung der Nettokreditaufnahme des Bundes gibt es keinen wirksamen nationalen institutionellen Mechanismus mehr zur Begrenzung der öffentlichen Neuverschuldung. Bei der geplanten Reform der Schuldenbremse sollte darauf geachtet werden, dass permanente Verteidigungsausgaben mittelfristig wieder in den Kernhaushalt überführt und durch Steuereinnahmen finanziert werden. Die Institute schlagen daher vor, die Defizitgrenze der Bereichsausnahme Verteidigung in jährlichen Schritten von beispielsweise 0,5 Prozentpunkten anzuheben. Verteidigungsausgaben mögen sicherheitspolitisch notwendig sein, aber sie erhöhen nicht die zukünftige Wirtschaftsleistung. Die steigende Zinslast, die mit einer permanenten Schuldenfinanzierung von Verteidigungsausgaben einherginge, würde den finanziellen Handlungsspielraum künftiger Regierungen immer weiter einengen und Mittel für Investitionen, Bildung und soziale Sicherheit verdrängen.
Bei der Bereitstellung öffentlicher Infrastruktur sollte stärker auf Nutzerfinanzierung gesetzt werden. Dies vereinfacht die Kreditfinanzierung sowohl von bestandserhaltenden als auch von kapazitätserweiternden Maßnahmen, weil diesen entsprechende Einnahmen gegenüberstehen.
12. Finanzpolitik europäisch denken
Die Stabilität der nationalen öffentlichen Finanzen ist in einem gemeinsamen Währungsraum mehrerer Staaten zentral. Die Finanzpolitik steht in der Verantwortung, der Europäischen Zentralbank eine auf die Preisstabilität ausgerichtete Geldpolitik zu ermöglichen. Dazu gehört, realistische und transparente mittelfristige Finanzpläne aufzustellen. Der gegenwärtige finanzstrukturelle Plan Deutschlands geht von unplausibel hohen Annahmen bezüglich des Wirtschaftswachstums aus (Deutsche Bundesbank, 2025, S. 139). Hier ist eine vorsichtigere Planung anzuraten.
1 Zur Bedeutung von Bildung und Forschung für das Wirtschaftswachstum siehe Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2015, Kapitel 4).
Literatur
Augurzky, B. & Karagiannidis, C. (2025). Gesundheitsagenda 2030: Ohne Reformen drohen Sozialabgaben von 50 % und mehr. RWI Impact Notes.
Barbiero, O. & Stein, H. (2025, 30. September). The impact of tariffs on inflation. The Economist.
Deutsche Bundesbank. (2025). Öffentliche Finanzen. Monatsbericht August 2025.
Drüssler, S., Eigemann, J., Fuest, C. & Schöneberger, H. (2025). Start-ups in Deutschland: Aktuelle Entwicklung und wirtschaftspolitischer Handlungsbedarf. ifo Schnelldienst, 5/2025, 4-9.
Holtemöller, O., Schult, C. & Zeddies, G. (2024). Reformvorschläge für die Gesetzliche Rentenversicherung in Deutschland. IWH Policy Notes, 1/2024.
ifo. (2025, 25. August). ifo Geschäftsklimaindex leicht gestiegen.
Peichl, A., Bonin, H., Stichnoth, H., Bierbrauer, F., Blömer, M., Dolls, M., Hansen, E., Hebsaker, M., Necker, S., Pannier, M., Petkov, B. & Windsteiger, L. (2023). Zur Reform der Transferentzugsraten und Verbesserung der Erwerbsanreize. Forschungsbericht, 629, Bundesministerium für Arbeit und Soziales.
Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose. (2015). Deutsche Konjunktur stabil - Wachstumspotenziale heben. Gemeinschaftsdiagnose Herbst 2015.
Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose. (2023). Inflation im Kern hoch – Angebotskräfte jetzt stärken. Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2023.
Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose. (2024). Deutsche Wirtschaft kränkelt – Reform der Schuldenbremse kein Allheilmittel. Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2024.






