Deutschland altert und immer mehr Babyboomer werden in den Ruhestand eintreten. Je nach Annahmen über die Bevölkerungsentwicklung könnte die Zahl der Menschen im Erwerbsalter bis Ende der 2050er Jahre um 14 % bis 29 % abnehmen. Es müssen also alle Potenziale genutzt werden und zwar nicht nur kurz- sondern auch langfristig. Die Bildungspolitik hat dabei eine zentrale Bedeutung: Es geht unter anderem darum, die Kompetenzen von Schüler:innen zu verbessern sowie die Anteile in der Bevölkerung zu reduzieren, die keinen Schulabschluss oder beruflichen Abschluss haben. Es muss ferner das lebenslange Lernen gefördert werden. All dies sind wichtige und zentrale Ansatzpunkte für die Bildungspolitik der Zukunft. Aber es darf nicht nur kurz- und mittelfristig gedacht werden, vielmehr muss nachhaltig investiert werden: Es muss sehr viel früher angesetzt werden, nämlich bereits bei der frühen Bildung.
Wie die Theorie der Fähigkeitsentwicklung („skill formation“) von James Heckman und Ko-Autoren zeigt (z. B. Heckman, 2006; Cunha et al., 2006), ist es besonders effektiv und effizient, früh in Bildung zu investieren, da auf früh angelegten Fähigkeiten aufgebaut werden kann und sich somit später leichter neue Fähigkeiten erlernen lassen: „skills beget skills“. Frühe Bildungsinvestitionen haben allerdings nicht immer positive langfristige Effekte, teilweise wirken sie nur kurzfristig. Es hängt davon ab, wie sie ausgestaltet sind und wen sie adressieren. Wenn verhindert werden soll, dass Bildungsinvestitionen frühe Bildungsungleichheiten noch verstärken, sollten insbesondere bildungsbenachteiligte Gruppen zu diesen Angeboten Zugang haben bzw. diese Angebote nutzen. Außerdem muss eine gute pädagogische Qualität gewährleistet sein.
Der Status quo: frühe Bildung in der Familie
Frühe Bildung erfolgt zuallererst und von Anfang an in der Familie. Familien als erste Bildungsorte fördern Kinder in unterschiedlichem Maße. So entstehen bereits sehr früh Bildungsungleichheiten. Die Bildung in der Familie wird vielfach über die familiale Anregungsqualität in Form von Eltern-Kind-Aktivitäten beschrieben, wie z. B. dem Vorlesen, dem Unternehmen von Ausflügen oder auch der gemeinsame Umgang mit digitalen Medien. Diese Aktivitäten variieren sehr stark, abhängig von dem sozioökonomischen Hintergrund der Eltern.
Dies kann am Beispiel des Vorlesens illustriert werden, einer zentralen Aktivität, um die Entwicklung von Kindern zu fördern: Kinder, denen täglich oder sogar mehrmals am Tag etwas vorgelesen wird, verfügen über einen überdurchschnittlichen Wortschatz und erzielen im Zeitverlauf auch höhere Zuwächse. Im Mittel wird mehr als der Hälfte der Kinder zwischen zwei und unter sechs Jahren täglich von ihren Eltern vorgelesen. Bereits bei dieser zentralen frühkindlichen Bildungsaktivität zeigen sich aber auch Unterschiede nach elterlicher Bildung: Mit höherem Bildungsniveau der Eltern wird mehr vorgelesen. Im Pandemiejahr 2021 haben die Unterschiede zwischen niedrigem und hohem Bildungsniveau sogar noch zugenommen: Eltern mit niedrigem Bildungsabschluss lasen im Mittel 19 Tage im Monat vor, während höher gebildete Mütter ihren Kindern an 26 Tagen vorlasen. Bemerkenswert ist allerdings auch, dass, von der Sprache der Bücher unabhängig, Kindern mit Migrationshintergrund signifikant seltener vorgelesen wird, wobei dies nicht auf Eltern zutrifft, bei denen nur ein Elternteil einen Migrationshintergrund hat. Je nach elterlichem Bildungshintergrund variiert auch das gemeinsame Fernsehen, allerdings in die andere Richtung: Mit höherem Bildungsniveau der Eltern fällt die Häufigkeit des gemeinsamen Fernsehens geringer aus (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2022).
Entsprechend der Unterschiede in der familialen Anregungsqualität zeigen sich bereits im frühen Kindheitsalter Unterschiede in kindlichen Entwicklungsmaßen. Gleichwohl für Deutschland relativ wenig repräsentative Befunde zu frühen kognitiven und sozio-emotionalen Kompetenzen von Kindern im frühen Kindesalter vorliegen, zeigen diese, dass sich bereits in den frühen Jahren Unterschiede in den Kompetenzen von Kindern nach sozioökonomischem Hintergrund der Eltern beobachten lassen. Kinder aus Elternhäusern mit hohem Bildungsniveau weisen einen höheren deutschen Wortschatz auf als Kinder von Eltern mit niedrigerem Bildungsabschluss. Auch wenn alle Kinder im Zeitverlauf von vier Lebensjahren denselben Zuwachs um etwa 15 Kompetenzpunkte verzeichnen, führt derselbe Zuwachs bei unterschiedlichem Ausgangsniveau auch zu Beginn der Grundschule zu einem deutlichen Gefälle in Abhängigkeit vom höchsten Bildungsabschluss der Eltern (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2022). Allerdings berücksichtigen diese Befunde nicht, dass einige dieser Kinder früher als andere eine Kindertageseinrichtung besucht haben, worauf zusätzliche Unterschiede in den Fähigkeiten zurückzuführen sind. Darüber hinaus ist die Befundlage aufgrund weniger repräsentativer Daten nicht sehr umfassend.1 Für eine evidenzbasierte Politik ist dies keine gute Ausgangslage.
Frühe Bildung in der Familie nachhaltig fördern
Unabhängig davon stellt sich die Frage, wie der Lernort Familie durch bildungspolitische Maßnahmen verbessert werden kann. In Deutschland werden Maßnahmen zur Förderung der familialen Anregungsqualität häufig mit dem Begriff der „frühen Hilfen“ beschrieben. Frühe Hilfen zielen auf eine Stärkung elterlicher Kompetenzen ab. Sie bieten Eltern Unterstützung, Beratung und Begleitung. Angebote der frühen Hilfen kommen insbesondere aus dem Bereich der Kinder- und Jugendhilfe, dem Gesundheitswesen, der Frühförderung und der Schwangerschaftsberatung. Fachkräfte dieser Bereiche arbeiten eng zusammen, um Eltern bei der Betreuung und Förderung ihrer Kinder zu unterstützen; die Angebote umfassen Hausbesuchsprogramme und Programme außerhalb der Familie. Die Wirkung solcher Hausbesuchsprogramme wurde auf der Basis kausalanalytischer Ansätze primär für US-amerikanische Beispiele belegt. Für Deutschland existieren nur wenige bildungsökonomische Studien, welche die Wirkung solcher Programme zur Unterstützung der elterlichen Erziehungskompetenz belegen (z. B. Sandner et al., 2018; Camehl et al., 2020). Diese Arbeiten belegen, dass die Wirkung entsprechender Programme nicht nur direkt die Entwicklung der Kinder verändert, sondern die Wirkung teilweise auch indirekt über eine Förderung des mütterlichen Wohlbefindens erfolgt, was wiederum kindliche Entwicklungsmaße positiv beeinflussen kann (z. B. Gupta et al., 2023). Darüber hinaus existieren im anglo-amerikanischen Raum Studien, welche die große Wirkung von sehr niederschwelligen und kostengünstigen Angeboten zur Förderung der familialen Anregungsqualität belegen. Dabei werden beispielsweise Programme untersucht, in denen Eltern über Textnachrichten regelmäßig daran erinnert werden, ihren Kindern vorzulesen. Entsprechende Studien belegen die Effizienz dieser Programme und geben Hinweise darauf, wann sie besonders effektiv sind (z. B. Duncan et al., 2022). Hier können kostengünstig deutlich höhere Effekte erzielt werden, als mit kostenintensiveren Hausbesuchsprogrammen oder ähnlichem.
Bildungsort Kindertageseinrichtung (Kita)
Neben der Familie haben Kindertageseinrichtungen eine zentrale Bedeutung als frühe Lernorte (z. B. Spieß, 2017 und 2021a). In Westdeutschland hat die Kita-Inanspruchnahme von Kindern unter drei Jahren in den letzten Jahren von 10 % im Jahr 2007 auf 37 % im Jahr 2024 stark zugenommen, d. h. inzwischen besucht mehr als jedes dritte Kind dieser Altersgruppe eine Kita oder eine Kindertagespflege2. In Ostdeutschland ist im gleichen Zeitraum die Kita-Nutzung von 41 % auf 55 % gestiegen. Kinder im sogenannten Kindergartenalter (drei Jahre bis Schuleintritt) weisen schon seit vielen Jahren höhere Nutzungsquoten auf. Die Nutzungsquote der Drei- bis Fünfjährigen liegt aktuell bei etwa 90 % und unterscheidet sich kaum zwischen West- und Ostdeutschland. Bereits seit 1996 haben Kinder im Alter von drei Jahren und älter einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz. Seit August 2013 gibt es einen Kita-Rechtsanspruch ab dem zweiten Lebensjahr. Immer mehr Kinder nutzen Kita-Angebote auch ganztägig bzw. bis in den Nachmittag hinein. Insgesamt ist also festzuhalten, dass der Trend einer Kita-Nutzung ab dem zweiten Lebensjahr weiterhin zunimmt. Damit sind Kitas zu einem wichtigen Bestandteil der frühen Bildung geworden.
Kita-Nutzungsunterschiede und ungedeckte Bedarfe
Allerdings gibt es nach wie vor große Unterschiede in der Nutzung von Kindertageseinrichtungen, insbesondere bei Kindern unter vier Jahren. Hier sind jene Gruppen unterrepräsentiert, die von einem Kita-Ausbau besonders profitieren würden. Dies sind z. B. Kinder aus Familien, die zu Hause überwiegend kein Deutsch sprechen, deren Eltern ein geringeres formales Bildungsniveau haben, die armutsgefährdet oder alleinerziehend sind. Die Nutzungsquote von Kindern aus Familien, die zu Hause überwiegend kein Deutsch sprechen, belaufen sich bei Zweijährigen zum Beispiel auf 40 %, bei den anderen Kindern sind es 66 %. Ähnliche Unterschiede zeigen sich auch für andere Altersgruppen (Abbildung 1). Bei zweijährigen Kindern aus armutsgefährdeten Familien sind es 35 % und bei der Vergleichsgruppe 70 %. Hinzukommt, dass diese Unterschiede schon viele Jahre zu beobachten sind (Schmitz et al., 2023).
Abbildung 1
Kita-Nutzungsquoten und ungedeckter Bedarf nach der dominierenden Sprache im Elternhaus

Quelle: Huebener et al. (2023).
Nun könnte es sein, dass diese Familien keinen Kita-Bedarf haben. Dies ist aber keinesfalls so. Insgesamt bekommt in Deutschland jede fünfte Familie mit Kindern zwischen ein und unter drei Jahren keinen Kita-Platz, obwohl ein Bedarf besteht. Bei Familien, die zu Hause kein Deutsch sprechen, sind es insgesamt 39 % – bei den Zweijährigen z. B. 38 % (Abbildung 1) und bei armutsgefährdeten Familien 33 %. Besonders betroffen sind auch bildungsferne Familien und alleinerziehende Elternteile (Huebener et al., 2023). Die benachteiligten Gruppen geben außerdem an, dass sie viel größere Schwierigkeiten bei der Kita-Suche haben. Darüber hinaus sind andere Gründe für die größeren ungedeckten Bedarfe bei Kindern aus grundsätzlich benachteiligten Familien festzumachen. Sie sind häufig über die Wege einer Kita-Bewerbung, die Kita-Kosten etc. weniger gut informiert als ihre Peers (Hermes et al., 2021). Hinzu kommt, dass gegenüber Gruppen, die einen Migrationshintergrund zu haben scheinen, auch häufiger diskriminiert wird, wenn es um die Kita-Aufnahme geht als gegenüber jenen, bei denen dies nicht der Fall ist (Hermes et al., 2023).
Pädagogische Qualität variiert stark
Man kann außerdem empirisch belegen, dass Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Familien in Kitas mit einer schlechteren pädagogischen Qualität Aufnahme finden, sofern sie einen Kita-Platz erhalten. Auch wenn hier differenzierte Analysen zeigen, dass dies nicht auf alle Gruppen in gleichem Maße zutrifft (Stahl et al., 2018). Insgesamt und unabhängig von Nutzungsunterschieden nach sozioökonomischen Merkmalen sind große regionale Qualitätsunterschiede in Deutschland auszumachen. Dies wird seit vielen Jahren immer wieder kritisiert und bemängelt. Entsprechend hat der Bund mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Teilhabe in der Kindertagesbetreuung (KiQuTG, 2019, kurz „Gute-KiTa-Gesetz“) versucht, in Richtung einer einheitlicheren pädagogischen Qualität die Länder zu unterstützen. Ein aus Bundesmitteln mitfinanzierter Maßnahmenkatalog ermöglichte es den Ländern, selbst zu wählen, welche Handlungsfelder sie priorisieren. Dabei sind jedoch keine bundeseinheitlichen Qualitätsmindeststandards als Zielvorgabe für alle Länder geschaffen worden. Nach einem Monitoring und einer Evaluation des Gute-Kita-Gesetzes wurde dieses unter dem Namen „KiTa-Qualitätsgesetz“ ab Januar 2023 bis Ende 2024 verlängert. Ziel war dabei die bundesweite Steigerung der Qualität in der Kindertagesbetreuung – es sollte ein Schritt zur Entwicklung eines Qualitätsentwicklungsgesetzes mit bundesweiten Standards noch in der nun abgelaufenen Legislaturperiode sein. Ein Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung des KiTa-Qualitätsgesetzes wurde im August 2024 im Bundeskabinett beschlossen, das parlamentarische Verfahren konnte allerdings nicht mehr abgeschlossen werden. Über den im Gesetzentwurf festgelegten Zeitraum hinaus fordert der Bundesrat die Bundesregierung dazu auf, auch ab 2025 die finanzielle Verantwortung bei der Kindertagesbetreuung sicherzustellen (Bundesrat, 2024).
Allerdings wollen die Länder auch keinerlei weitergehende qualitative Anforderungen an die Finanzierungsbeteiligung des Bundes knüpfen, was aus einer Wirkungsperspektive sinnvoll wäre – so könnte eine zielgerechte Verausgabung der Mittel sichergestellt werden. Dies ist mit dem bisherigen Modell nicht zwingend möglich, da den Ländern die Finanzmittel vom Bund über eine veränderte Verteilung der Umsatzsteuereinnahmen übermittelt werden. Aus ökonomischer Perspektive unstrittig ist, dass der Bund sich an den Kosten beteiligt. Vor dem Hintergrund der Überlegungen, welche Nutzungsströme der Gesellschaft und Volkswirtschaft mit einem Kita-Besuch zukommen, ist eine Beteiligung des Bundes an den Ausgaben für die frühe Bildung und Betreuung in Kitas zu rechtfertigen (Spieß, 2021b). So profitiert der Bund kurzfristig über die Einkommenssteuermehreinnahmen und -minderausgaben in anderen Bereichen, die beispielsweise mit der gestiegenen Erwerbstätigkeit von Müttern verbunden sind – eine Zunahme im Erwerbsvolumen, was auf einen weiteren Kita-Ausbau für Kinder unter drei Jahren zurückgeht (z. B. Müller & Wrohlich, 2020). Langfristig profitiert der Bund auch über die „Bildungsfunktion“ von Kitas, da mit einer guten frühen Bildung in Kitas im Erwachsenenalter der Kinder höhere Einkommen und geringere Fürsorgeausgaben verbunden sein können (z. B. Havnes & Mogstad, 2011). Im Übrigen können mit einer besseren pädagogischen Qualität auch höhere Löhne bei Müttern erzielt werden (Stahl & Schober, 2020), was darauf hindeutet, dass auch über eine bessere Bildungsqualität dem Bund zusätzliche Mehreinnahmen entstehen können.
Ansatzpunkte für eine Kita-Politik der nächsten Legislaturperiode
All dies verdeutlicht, wie wichtig weitere Reformen und weitere Investitionen im Bereich der frühen Bildung in Deutschland wären. Gleichwohl Kita-Politiken letztlich Sache der Länder und Kommunen sind, hat der Bund hier eine Steuerungs- und Gesetzgebungskompetenz, die er nutzen kann. Er könnte an folgenden Punkten ansetzen.
- Entwicklungsstand der Kinder früher erheben – Grundlagen für eine evidenzbasierte Kita-Politik schaffen. Eine evidenzbasierte Bildungspolitik setzt die Kenntnis darüber voraus, wie Bildungsungleichheiten und frühe Kompetenzunterschiede verteilt sind. Vielfach findet im deutschen Bildungssystem aber primär eine Inputsteuerung statt, ohne dabei auch Outcome-Maße miteinzubeziehen. Dies trifft insbesondere auch auf den Bereich der frühen Bildung zu. Von daher sollte es ein Ziel sein, einheitliche Standards zur Abbildung des Entwicklungsstands von Kindern im Kita-Alter zu etablieren. Hier könnten Lernstandserhebungen im schulischen Bereich ein Vorbild sein, die aber an die entsprechenden Altersgruppen und Bildungsphasen angepasst werden müssten (Roßbach & Spieß, 2019). Dies würde es ermöglichen, Entwicklungsunterschiede frühzeitig zu erkennen und zu adressieren. Die Sprachstandserhebungen in einigen Bundesländern gehen bereits in diese Richtung, sind aber noch nicht ausreichend.
- Weiterer und nachhaltiger Ausbau der frühen Hilfen. Um den Bildungsort Familie zu stärken, sollten die frühen Hilfen weiterhin ausgebaut werden, um gezielt jene Familien zu unterstützen, deren Anregungsqualität verbessert werden kann. Diese frühen Hilfen müssen Eltern und Kinder im Blick haben. Aus einer bildungsökonomischen Perspektive ist das Wohlbefinden der Eltern für die kindliche Entwicklung von hoher Relevanz. Insofern sollte auch die Bildungspolitik das Wohlbefinden von Eltern stärker in den Blick nehmen. Der Bund hat bisher vor allem Modellprojekte unterstützt – was aufgrund der Zuständigkeit des Bundes in diesem Bereich auch vielfach nicht anders möglich ist. Was benötigt wird, sind jedoch nachhaltige Angebote, welche die Familien in ihrem sozialen Nahraum unterstützen. Hinzu kommt, dass niederschwellig und kostengünstige digitale Unterstützungsangebote ausgebaut werden könnten, um die elterliche Anregungsqualität in Familien zu verbessern.
- Weiterer Ausbau der Kindertagesbetreuung. Da nach wie vor Kita-Plätze fehlen und insbesondere die Bedarfe der Gruppen, die von einer guten Bildung in Kitas besonders profitieren, nicht gedeckt werden können, muss der Ausbau der Kita-Platzkapazitäten weiter voranschreiten – und zwar vor allem für Kinder im zweiten und dritten Lebensjahr. Dabei ist eine wohnortnahe Bereitstellung des Platzangebots für Familien mit ungedeckten Bedarfen von besonderer Bedeutung. Hier sind vor allem die Kommunen und die Länder gefragt. An diesem Ausbau muss sich aber auch der Bund weiterhin finanziell beteiligen. Dies muss in Abhängigkeit der Bedarfe in den Regionen geschehen, denn insbesondere in Ostdeutschland gibt es sogar Regionen mit Überkapazitäten.
- Familien gezielt über Kita-Zugänge und Kita-Leitungen über die Bedeutung dieser Zugänge informieren. Dem ungedeckten Bedarf, insbesondere der Familien, die von einem Kita-Besuch besonders profitieren, sollte entsprochen werden. Sie müssen bessere und umfangreichere Informationen zu Kita-Zugängen erhalten – dies muss eine gemeinsame Aufgabe der Kommunen, der Länder und des Bundes sein. Familienkassen können beispielsweise Familien aktiv über ihr Anrecht auf einen Kita-Platz informieren. Zentrale Kita-Anmelde- und Vergabeverfahren, die konsequent angewandt werden, könnten den Suchaufwand für Familien signifikant verringern. Es wäre auch sinnvoll, potenziell benachteiligten Familien proaktiv einen Kita-Platz vorzuschlagen. Bei einem solchen Opt-Out-Verfahren hätten Familien, die momentan keinen Bedarf sehen oder andere Betreuungsvorstellungen haben, die Option, den vorgeschlagenen Platz abzulehnen (Huebener et al., 2023). Eine weitere Möglichkeit zur besseren Bedarfsdeckung könnte in einer finanziellen Incentivierung bestehen, sodass Einrichtungen eine höhere Förderung erhalten, wenn sie Kinder aufnehmen, die bisher unterrepräsentiert sind. Angesichts der häufigen Nennung von Kostengründen bei der Nichtnutzung durch potenziell benachteiligte Familien sollte bei bestehenden Kita-Gebühren eine Gebührenstaffelung bundesweit festgeschrieben werden, die das Familieneinkommen berücksichtigt (Huebener et al., 2023).3 Darüber hinaus sollten Kita-Leitungen explizit dafür sensibilisiert werden, Bewerbungen von grundsätzlich benachteiligten Familien besonders zu prüfen. Diskriminierungen bei dem Zugang zu Kitas dürften nicht vorkommen, sondern hier müssen Strukturen geschaffen werden, die dies verhindern.
- Einheitliche Mindeststandards für Kita-Qualität festlegen. Um Ungleichheiten in der Kita-Qualität zu verhindern, seien sie regionaler oder sozioökonomischer Art, sind weiterhin einheitliche Qualitätsmindeststandards im Bereich der Strukturqualität (dazu zählen etwa maximale Gruppengrößen, der Kind-Fachkraft-Schlüssel, Ausbildungsstandards etc.) notwendig, um allen Kindern die gleiche Kita-Mindestqualität zu garantieren. Obwohl sich dies die „Ampel-Koalition“ vorgenommen hatte, kam es nicht zu deren Umsetzung. Dieses Vorhaben auf Bundesebene sollte aber dringend weiterverfolgt werden. Die Regionen, die darüber hinaus mit niedrigeren Geburtenraten und damit verbundenen Kita-Überkapazitäten konfrontiert sind, sollten diese nutzen, um den Kind-Fachkraft-Schlüssel zu verbessern – pädagogische Fachkräfte sollten, soweit möglich, in ihrem Berufsfeld gehalten werden.
- Mehr pädagogische Fachkräfte gewinnen, fort- und weiterbilden. Einer der maßgeblichsten Faktoren für einen Kita-Ausbau und eine bessere Kita-Qualität ist die Aus- und Weiterbildung des pädagogischen Fachpersonals. Die Qualifizierung frühpädagogischer Fachkräfte, wie sie der Bund z. B. mit der Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (WiFF) begonnen hat, sollte nachhaltig und mit verstärkter Kraft vorangetrieben werden. Es bedarf einer fachlich fundierten und bundesweit einheitlichen Verständigung darüber, was die notwendigen Qualifikationen und Kompetenzen der frühpädagogischen Fachkräfte sein sollen. Sie sollten dann bundesweit in den Ausbildungs- und Studiengängen vermittelt werden, die auf die Arbeit in frühpädagogischen Einrichtungen vorbereiten. Um mehr Fachkräfte für diesen zentralen Zukunftsbereich zu gewinnen, müssen – wie in der Pandemie immer wieder betont wurde – diese systemrelevanten Berufe entsprechend aufgewertet werden. Das betrifft insbesondere die Entlohnung von pädagogischen Fachkräften. Darüber hinaus sollten pädagogische Fachkräfte aus allen Gruppen der Bevölkerung rekrutiert werden, also mehr Fachkräfte mit Migrationshintergrund und mehr Männer. Ein weiterer Ansatzpunkt ist die Etablierung von multiprofessionellen Teams, um die pädagogischen Fachkräfte bei ihren Arbeiten zu entlasten. Darüber hinaus ist in den Kitas eine Personalpolitik notwendig, die es pädagogischen Fachkräften ermöglicht, bis zum Rentenalter in ihren Berufen zu arbeiten.
- Eltern und Kinder gemeinsam in Zentren für Familien adressieren. Die frühe Bildung in den Familien und auch Kitas sollte Eltern und Kinder adressieren. Entsprechende Befunde zeigen, dass eine gemeinsame Fokussierung am effektivsten und effizientesten ist. Entsprechend könnten Kitas zu Zentren für Familien ausgebaut werden. In jedem sozialen Nahraum und insbesondere in jenen mit einem hohen Anteil grundsätzlich benachteiligter Kinder sollten diese Zentren Eltern und Kinder adressieren (Spieß, 2020; Schmitz & Spieß, 2019). Pädagogische Fachkräfte sollten sich deshalb mit einer entsprechenden Aus- und Weiterbildung in diesem Bereich spezialisieren können. Darüber hinaus sollten sich Kitas weiter öffnen und breite Förderangebote integrieren. Eine Entwicklung hin zu familienorientierten Zentren, wie sie teilweise schon begonnen wurde, kann Investitionen in die frühe Bildung noch rentabler und nachhaltiger machen, da die Familien als Ganzes und nicht das Kind allein als Adressat des Bildungsauftrags gelten.
- Bildungsfonds und Kita-Programm auf Bundesebene. Die frühe Bildung ist zentral für alle weiteren Bildungsetappen. Eine Finanzierung der frühen Bildung durch die Kommunen, Länder und Bund – wie sie bisher stattfindet – führt jedoch zu großen Unterschieden in den Angeboten. Von daher sollte die Idee eines bundesweiten Bildungsfonds weiterverfolgt werden. Dies sollte ein Fond sein, der von jährlichen Haushaltsverhandlungen ausgeschlossen wäre und der sich aus Steuergeldern finanzieren könnte – er könnte endlich mit einer dauerhaften Finanzierungsbeteiligung des Bundes an den Kosten einer Kita verbunden sein. Darüber hinaus könnte aus einem solchen Bildungsfonds letztlich auch eine Art „Startchancenprogramm“ für Kitas finanziert werden, da auch im Kita-Bereich über die oben genannten Maßnahmen hinaus gezielt jene Einrichtungen zu fördern sind, welche in Einzugsgebieten mit vielfach benachteiligten Familien liegen. Einschlägige Vorschläge, wie die Gelder aus einem Bildungsfonds auf der Basis eines Sozialindexes für Kindertageseinrichtungen vergeben werden könnten, liegen bereits vor (Espenhorst, 2024).
Eine neue Bundesregierung hat demnach vielfältige Ansatzpunkte, um weiter und vermehrt in eine gute frühe Bildung zu investieren und entsprechende Rahmenbedingungen festzusetzen. Nur so können wir vermeiden, dass wir in einer alternden Gesellschaft jene knapper werdenden Potenziale nicht voll ausschöpfen.
- 1 Frühkindliche Kompetenzen wurden in Deutschland beispielsweise in der Neugeborenenkohorte des Nationalen Bildungspanels (NEPS) erfasst, wobei diese Kinder inzwischen schon im Schulalter sind.
- 2 In der Kinder- und Jugendhilfestatistik wird die Kindertagesbetreuung in die Bereiche der Kindertageseinrichtungen und der Kindertagespflege unterteilt, wobei die Kindertagespflege eine geringere Bedeutung hat. Im Jahr 2024 gab es 1,0 % mehr Kitas als im Vorjahr, jedoch 3,8 % weniger Tagesmütter und -väter als in 2023 (Statistisches Bundesamt, 2024).
- 3 Eine komplette Gebührenabschaffung, als auch der Vorschlag eines kostenfreien Mittagessens ist mit großen Mitnahmeeffekten bei einkommensstärkeren Gruppen verbunden und von daher wenig effizient.
Literatur
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