Der 8. März 2025 war kein guter Tag für beschäftigte Frauen. Passgenau zum Internationalen Frauentag lieferten CDU/CSU und SPD die Ergebnisse ihrer Sondierungsgespräche, die unter anderem vorsehen, Überstundenzuschläge bei Vollzeitbeschäftigung steuerfrei zu stellen. Das Vorhaben, mit monetären Anreizen längere Arbeitszeiten zu stimulieren und Knappheiten am Arbeitsmarkt zu mindern, wird nicht nur Frauen benachteiligen und die Kluft der bezahlten Arbeitszeiten zwischen den Geschlechtern ausweiten, sondern überzeugt auch beschäftigungspolitisch nicht.
Frauen haben deutlich schlechtere Chancen, von der geplanten Maßnahme zu profitieren. Gut die Hälfte aller weiblichen Beschäftigten leistet Teilzeitarbeit, ist also a priori von der Förderung ausgeschlossen. Außerdem leisten vollzeittätige Frauen durchschnittlich deutlich weniger Überstunden als Männer und dürften wegen der zwischen den Geschlechtern sehr ungleichmäßig verteilten Carearbeit kaum Spielraum für längere Arbeitszeiten haben.
Teilzeitbeschäftigte sollen aber nicht ganz leer ausgehen. Deshalb sehen die Sondierungsvereinbarungen vor, dass Arbeitgeber denjenigen, die ihre Arbeitszeit aufstocken, eine ebenfalls steuerlich begünstigte Prämie zahlen. Abgesehen davon, dass diese Subventionierung Turbulenzen in das betriebliche Lohngefüge bringen wird, geht es an den Ursachen der hohen Teilzeitquote, vor allem an der fehlenden Kinderbetreuung, völlig vorbei.
Noch völlig offen ist die Umsetzung der geplanten Maßnahme. Soll die Steuerbefreiung nur für zusätzliche, über das bisherige Niveau hinaus geleistete, oder für alle Überstunden gelten? Nur im ersten Fall ist ein Impuls für ein expandierendes Arbeitsvolumen zu erwarten. Generell stellt sich die Frage, wie die Überstunden erfasst werden. Grundvoraussetzung ist eine lückenlose und sichere Arbeitszeiterfassung. Noch aber verzichten etwa 10 % aller Betriebe hierauf. Ferner ist die Bezugsgrundlage zu klären. Überstunden unterliegen starken saison- und konjunkturabhängigen Schwankungen. Eine Referenzgröße ist festzulegen. Zusätzlicher bürokratischer Aufwand entsteht.
Grundsätzlich ist es perspektivisch zweifellos richtig, zusätzliche Arbeitsreserven zu mobilisieren. Allerdings stellt sich die Frage, ob längere Arbeitszeiten von Vollzeitbeschäftigten arbeitsmarkt- und sozialpolitisch sinnvoll sind. Empirisch ist in der arbeitswissenschaftlichen Forschung gut belegt, dass vor allem dauerhaft über acht Stunden täglich hinausgehende Arbeitszeiten die Risiken gesundheitlicher Beeinträchtigung, von Fehlhandlungen und Unfallträchtigkeit erheblich steigern. Langfristig ist mit erhöhten Zugängen in Renten wegen Erwerbsminderung und erhöhten Sozialkosten zu rechnen.
Beschäftigungs- und gleichstellungspolitisch erfolgversprechender erscheint dagegen, statt auf die rechnerischen Steuereinnahmen zu verzichten, vermehrt in öffentliche Kinderbetreuung und Pflege zu investieren. In dem Maße, wie das Angebot an solchen Einrichtungen steigt, werden Teilzeitbeschäftigte ihre Arbeitszeiten ausdehnen und in Vollzeit wechseln wollen. Das hierdurch mobilisierbare Arbeitsvolumen dürfte bei Weitem die zu erwartenden Effekte zusätzlicher Überstundenarbeit übertreffen. Im Jahr 2023 arbeitete ein knappes Drittel aller weiblichen Beschäftigten aus familiären Gründen nur Teilzeit. Könnten sie ihre Arbeitszeiten wie gewünscht ausweiten, würden sie zudem ihre Einkommens- und Karriereperspektiven verbessern, das Risiko der Altersarmut senken und zudem die Voraussetzungen für eine gleichmäßigere Verteilung von Erwerbs- und Carearbeit zwischen den Geschlechtern verbessern können. Die Subventionierung von Überstunden zementiert dagegen bestehende Strukturungleichgewichte.
Zweifel sind schließlich angebracht, ob es überhaupt zu dem angedeuteten Szenario kommen wird. Denn über eine Ausweitung der Überstunden entscheiden die Betriebe. Aus deren Sicht ist nicht zu erkennen, welche Vorteile ihnen dieser Schritt bieten könnte. Ohnehin wird die Mehrheit der Überstunden über Arbeitszeitkonten durch entsprechende Freizeit ausgeglichen und bleibt zudem unbezahlt. Das gilt für knapp 54 % der insgesamt im Jahr 2024 geleisteten 1,19 Mrd. Überstunden. In dem Maße, wie für Beschäftigte das Ansparen der Überstunden auf Zeitkonten durch monetäre Anreize unattraktiv wird, werden Betriebe die Überstunden auszahlen müssen – eine für Betriebe teure Zeit-Geld-Metamorphose. Zudem verlieren sie an Flexibilität, um über Nutzung von Zeitkonten flaue Auftragsphasen kostengünstig abzufedern. Alternativ zu teuren Überstunden werden Betriebe auf zusätzliche Einstellungen ausweichen. Beschäftigungspolitisch wäre das der ohnehin sinnvollere Weg. Die Arbeitslosenzahlen würden sinken, Kosten für Arbeitslosen- oder Bürgergeld ebenso.