Im Jahreswirtschaftsbericht 2025 stellt das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK, 2025, S. 7) fest, dass das preis- und saisonbereinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP) Deutschlands im vierten Quartal 2024 in etwa auf dem Niveau des vierten Quartals 2019 lag. Das BMWK sieht dafür konjunkturelle, aber insbesondere auch strukturelle Gründe. Zudem hat sich die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in dieser Zeit verschlechtert. Dies kann beispielsweise am Ranking des International Institute for Management Development (IMD) abgelesen werden. In der aktuellen Ausgabe werden 67 Staaten anhand von 336 Kriterien verglichen (IMD, 2024, S. 52). Deutschland liegt in diesem Ranking auf Platz 24 (IMD, 2024, S. 50) und hat allein seit 2020 sieben Plätze verloren. China kommt auf Platz 14 und die USA belegen Platz 12. Die wettbewerbsfähigsten Staaten sind Singapur auf Platz 1 sowie Deutschlands Nachbarstaaten Schweiz auf Platz 2 und Dänemark auf Platz 3.
Um zeitnah zu analysieren, ob die abnehmende Wettbewerbsfähigkeit sowie die strukturellen Herausforderungen eine Abwanderung von Unternehmen aus Deutschland beziehungsweise einen Rückgang der Investitionen in Deutschland zur Folge haben, hat Rusche (2023; 2024) die Direktinvestitionsströme analysiert. Seit 2018 konnten außergewöhnlich hohe Nettoabflüsse für Deutschland festgestellt werden, die auf eine stattfindende Deindustrialisierung und Abwanderung hindeuten. Der vorliegende Artikel führt diese Analyse fort und erweitert sie.
Direktinvestitionsströme: Ein geeigneter Indikator für Abwanderungstendenzen?
Ausländische Direktinvestitionen sind ein wichtiger Faktor der internationalen Zusammenarbeit und der wirtschaftlichen Kooperation. Daher werden sie in internationalen Institutionen breit behandelt. So hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im Jahr 2008 bereits ihre vierte Benchmark-Definition von Direktinvestitionen veröffentlicht, die insbesondere in OECD-Mitgliedstaaten wie Deutschland zur Anwendung kommt. Durch diese gemeinsame Definition wird ein einheitliches Verständnis geschaffen und statistische Angaben der nutzenden Staaten werden vergleichbarer. Konkret wird unter einer ausländischen Direktinvestition das Investment eines Investors in ein Unternehmen verstanden, welches seinen Sitz nicht im Heimatland des Investors hat (OECD, 2008, S. 17). Zudem sollen nur langfristige, strategische Investitionen betrachtet werden. Die OECD legt daher einen Mindestanteil von 10 % der Stimmrechte fest, der durch die Investition erworben wird. Grenzüberschreitende Kreditvergabe zwischen verbundenen Unternehmen sowie reinvestierte Gewinne zählen ebenfalls zu den ausländischen Direktinvestitionen.
Ein langfristiges, strategisches Investment, welches ausländische Direktinvestitionen andeuten, wird tendenziell nur in Staaten und Projekten durchgeführt, die auch über positive ökonomische Aussichten verfügen. Zwar gibt es auch interessante Investitionsprojekte in stagnierenden oder schrumpfenden Wirtschaften. Dennoch dürften Investitionen in dynamische und investitionsfreundliche Volkswirtschaften attraktiver sein. Somit können Direktinvestitionsströme zeitnah Aufschluss darüber geben, ob Unternehmen tatsächlich vermehrt Investitionen in anderen Staaten durchführen. Dies gilt insbesondere für Neugründungen von Unternehmen (Greenfield-Projekte).
Jedoch zählen auch (Teil-)Übernahmen von bestehenden Unternehmen zu ausländischen Direktinvestitionen (Brownfield-Projekte). So können Unternehmen, die wirtschaftliche Probleme aufgrund der fehlenden Wettbewerbsfähigkeit des Heimatlands haben, zu attraktiven Übernahmeobjekten werden, falls sie beispielsweise über Know-how oder den Zugang zu wichtigen Patenten verfügen. Deutschland galt zur Jahrtausendwende als „kranker Mann Europas“. Dennoch führte die Übernahme der Mannesmann AG für rund 180 Mrd. Euro (Hubik, 2015) zu einem Rekordzufluss ausländischer Direktinvestitionen nach Deutschland. Somit sind Statistiken zu ausländischen Direktinvestitionen anfällig für große Einzelinvestitionen, die bei der Analyse berücksichtigt werden müssen. Doch der Kauf von oder die Beteiligung an Unternehmen in dynamischen und innovativen Volkswirtschaften erscheint tendenziell attraktiver.
Entwicklung der Direktinvestitionsströme: Analyse und Einordnung
Die Deutsche Bundesbank veröffentlicht in der Regel im Februar Zahlen zu den Direktinvestitionen ausländischer Investoren in Deutschland und deutscher Investoren im Ausland für das vorhergehende Jahr. Diese Zahlen sind zum Teil vorläufig und können nachkorrigiert werden. So sind die Zahlen im vorliegenden Beitrag trotz gleicher Tendenz nicht mit den Angaben von Rusche (2023; 2024) identisch, da die Bundesbank die Zahlen rückwirkend korrigiert hat. Dennoch ermöglichen sie einen ersten Eindruck, ob deutsche Unternehmen vermehrt im Ausland investieren beziehungsweise ausländische Investoren Deutschland zunehmend meiden. Abbildung 1 stellt die Entwicklung der ausländischen Direktinvestitionen in Deutschland (Zufluss), die deutschen Investitionen im Ausland (Abfluss) sowie die Differenz aus beiden (Nettoabfluss bzw. -zufluss) für die vergangenen 20 Jahre dar. In nahezu jedem Jahr haben deutsche Investoren mehr im Ausland investiert, als ausländische Investoren in Deutschland. Einzige Ausnahme ist das Jahr 2020. Hier dürften die Unsicherheiten der Pandemie zu mehr Zurückhaltung bei deutschen Investoren, aber auch zu mehr Investitionen in als sicher erachteten Staaten geführt haben, zu denen Deutschland auf Basis seines AAA-Ratings (o. V., 2020) gehörte und gehört. Im Zeitraum bis 2018 konnten lediglich in den Jahren 2007 und 2014 mit jeweils rund 65 Mrd. Euro vergleichsweise hohe Nettoabflüsse festgestellt werden. Seit 2019 sind solche Nettoabflüsse abgesehen von 2020 jedoch die Regel geworden. So wurden 2019 bereits rund 85 Mrd. Euro mehr im Ausland investiert als ausländische Investoren im Inland investierten. 2021 waren es mehr als 81 Mrd. Euro und 2022 musste mit 112 Mrd. Euro sogar ein Rekordabfluss festgestellt werden. Die vergangenen beiden Jahre waren mit rund 67 beziehungsweise 65 Mrd. Euro im langjährigen Vergleich ebenfalls von außergewöhnlich hohen Abflüssen gekennzeichnet. Die Konstanz dieser hohen Nettoabflüsse nach 2018 deutet nicht auf Einzelfälle, sondern tatsächlich auf strukturelle Ursachen hin. Dies unterstreichen die fallenden Zuflüsse an Investitionen seit 2020, die sich trotz einer leichten Erholung 2024 im langjährigen Vergleich äußerst niedrig darstellen. Deutschland scheint in den vergangenen Jahren für ausländische Investoren an Attraktivität verloren zu haben. Dagegen haben deutsche Investoren 2018 bis 2022 außergewöhnlich viel im Ausland investiert. Diese Investitionstätigkeit ist zwar zuletzt gesunken, dennoch flossen auch zuletzt 100 Mrd. Euro ins Ausland. Diese Zahlen beweisen zwar noch nicht, dass eine Deindustrialisierung stattfindet, dennoch liefern sie erste Hinweise für eine solche Entwicklung.
Abbildung 1
Entwicklung der Direktinvestitionsströme Deutschlands 2005 bis 2024


Stand: Februar 2025.
Quelle: Deutsche Bundesbank (2025a); eigene Darstellung.
Um diese Hinweise zu erhärten, ist eine Einordnung in den Gesamtkontext sinnvoll. Dazu werden der Euro/US-Dollar-Wechselkurs und die weltweite Investitionstätigkeit über 20 Jahre betrachtet, um langfristige Trends zu identifizieren. Die Wechselkursentwicklung zeigt, dass Investitionen in Deutschland seitens Investoren aus bedeutenden Herkunftsländern wie den USA, Japan oder China (OECD, 2025), welche sich am US-Dollar orientieren dürften, in den vergangenen Jahren attraktiver geworden sind: Im Jahr 2005 war ein Euro durchschnittlich rund 1,25 US-Dollar wert, während es 2024 nur rund 1,08 US-Dollar waren (Deutsche Bundesbank, 2025b). Der höchste Wechselkurs wurde 2008 (1,47 US-Dollar) verzeichnet. Seit 2014 (rund 1,33 US-Dollar für einen Euro) fällt der Wechselkurs im Trend. Somit sind Investitionen deutscher Investoren außerhalb des Euro-Währungsraums zuletzt teurer geworden, während Investitionen in Deutschland potenziell attraktiver geworden sind. Die Entwicklung der Wechselkurse kann einen Beitrag zur Erklärung der hohen Abflüsse im Jahr 2010 und der niedrigen Zuflüsse 2014 (Abbildung 1) leisten. Die Entwicklung der Direktinvestitionen seit 2019 kann jedoch nicht erklärt werden: Trotz eines schwachen Euros und somit niedriger Dollarpreise für Investitionen in Deutschland finden diese kaum statt. Zudem stiegen zuletzt die Investitionen des deutschen Verarbeitenden Gewerbes und energieintensiver Sektoren in den USA (Deutsche Bundesbank, 2024, S. 33).
Ein weiterer Aspekt, den es zu beachten gilt, ist die Entwicklung der weltweiten Direktinvestitionen. Dazu werden die Direktinvestitionen aus Deutschland sowie die Investitionen in Deutschland mit Hilfe der Angaben der OECD (2025) ins Verhältnis zu den weltweiten Zuflüssen bzw. Abflüssen gesetzt (Abbildung 2). Im Durchschnitt entfielen in den vergangenen 20 Jahren rund 6,3 % aller jährlichen Direktinvestitionen auf Investoren aus Deutschland, während der Anteil Deutschlands an den weltweiten Zuflüssen im Schnitt 2,6 % betrug. Die Bundesrepublik ist somit ein bedeutender Investor, während die Bedeutung als Investitionsziel geringer ist. Auch im Verhältnis zur weltweiten Entwicklung sind die Abflüsse aus Deutschland seit 2018 außergewöhnlich. Insbesondere 2018 mit rund 10 % und 2019 mit rund 12 % der weltweiten ausländischen Direktinvestitionen waren die Abflüsse sehr hoch. Im Jahr 2024 sind die Abflüsse unter den Durchschnitt gefallen. Die Zuflüsse nach Deutschland liegen seit 2021 unter dem langjährigen Durchschnitt.
Abbildung 2
Entwicklung der Direktinvestitionsströme Deutschlands im weltweiten Vergleich 2005 bis 2024*


Stand: Januar 2025; * Q1 bis Q3.
Quelle: OECD (2025); eigene Berechnung.
Fazit
Die außergewöhnliche Entwicklung der Direktinvestitionsströme begann im Jahr 2018. Auch die Industrieproduktion im Verarbeitenden Gewerbe nimmt seit Mai 2018 tendenziell ab (Grömling & Matthes, 2020), was einen Zusammenhang nahelegt. Eine mögliche Erklärung für diesen Rückgang stellt die Schwäche der Automobilindustrie in Deutschland unter anderem als Folge von Regulierung dar (Rusche, 2023). Somit befindet sich Deutschland tatsächlich in einer Strukturkrise. Diese hat sogar noch eher angefangen, als es der Jahreswirtschaftsbericht (BMWK, 2025) nahelegt. Die Betrachtung von Direktinvestitionsströmen liefert zwar keinen unwiderlegbaren Beweis, dass die Deindustrialisierung sowie die Abwanderung von Unternehmen begonnen haben. Sie gibt aber qualitative Hinweise darauf, dass diese Entwicklungen als Resultat der deutschen Strukturkrise tatsächlich stattfinden.
Literatur
BMWK – Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. (2025). Jahreswirtschaftsbericht 2025.
Deutsche Bundesbank. (2024, Oktober). Internationale Verflechtung Deutschlands über Direktinvestitionen: aktuelle Entwicklungen. Monatsbericht.
Deutsche Bundesbank. (2025a, Februar). Zahlungsbilanzstatistik.
Deutsche Bundesbank. (2025b, Februar). Wechselkursstatistik (Aktualisierte Ausgabe).
Grömling, M. & Matthes, J. (2020). Industriekrise ist lang und tief. IW-Kurzbericht, Nr. 9. Institut der deutschen Wirtschaft Köln e. V.
Hubik, F. (2015, 14. Februar). Wie der „Haifisch“ das „Hirn“ besiegte. 15 Jahre Mannesmann-Übernahme. Handelsblatt.com.
IMD – International Institute for Management Development. (2024). World Competitiveness Ranking 2024.
OECD – Organisation for Economic Co-operation and Development. (2008). OECD Benchmark Definition of Foreign Direct Investment 2008 (Fourth Edition).
OECD – Organisation for Economic Co-operation and Development. (2025). Most recent FDI statistics for OECD and G20 countries.
o. V. (2020, 18. Januar). Fitch bestätigt Bestnote „AAA“ für Deutschland. Handelsblatt.com.
Rusche, C. (2023). Deindustrialisierung – Eine Analyse auf Basis von Direktinvestitionen. IW-Kurzbericht, Nr. 43. Institut der deutschen Wirtschaft Köln e. V.
Rusche, C. (2024). Deindustrialisierung – Aktuelle Entwicklungen von Direktinvestitionen. IW-Kurzbericht, Nr. 14. Institut der deutschen Wirtschaft Köln e. V.