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Dieser Beitrag ist Teil von Droht der deutschen Wirtschaft eine Deindustrialisierung?

Die Berichterstattung zur ökonomischen Zukunft Deutschlands zeichnet derzeit kein rosiges Bild. Ein Thema steht dabei immer wieder im Raum: Die „Deindustrialisierung“ der deutschen Wirtschaft. Gemeint ist damit nichts anderes als eine neue Abwanderungswelle der deutschen Industrieproduktion ins Ausland, motiviert durch die stark gestiegenen Energiepreise infolge des russischen Kriegs in der Ukraine. Doch wird hier medial ein Gespenst heraufbeschworen, das es so gar nicht gibt? Oder ist die Sorge vor dem wirtschaftlichen Abstieg Deutschlands durch eine neue Deindustrialisierungswelle berechtigt?

Auch aus der Industrie sind alarmierende Stimmen zu vernehmen. Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, sieht Deutschlands Geschäftsmodell unter „enormen Stress“ und hält die „Gefahr einer industriellen Abwanderung“ für „real“. Es gehe darum, „das Überleben der Industrie in Deutschland und Europa zu sichern“. Denn als beliebtes Abwanderungsziel der deutschen Industriebetriebe gelten vor allem die USA, weil dort die Energiepreise im Vergleich zu Deutschland besonders niedrig sind. Laut einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) vom Oktober 2022 würden rund 62 % der 3.100 befragten deutschen Unternehmen die aktuelle Geschäftslage in Nordamerika positiv bewerten. Fast 39 % gaben an, in den nächsten Monaten höhere Investition in den USA tätigen zu wollen. Investitionen in die Eurozone wollen dagegen nur 32 % erhöhen; 26 % der befragten Unternehmen wollen ihr Engagement sogar reduzieren (DIHK, 2022).

Um einzuschätzen, inwiefern die Folgen des Krieges in der Ukraine eine Deindustrialisierungswelle in Deutschland begünstigen, bedarf es zunächst einer Bestandsaufnahme. Welche Entwicklungen haben sich bereits in den vergangenen Jahren vollzogen und wo steht die deutsche Industrie heute?

Längerfristige Entwicklung der deutschen Industrie

Betrachtet man die Veränderung der deutschen Industrie in der längeren Frist, so wird deutlich, dass die Deindustrialisierung keine neue Entwicklung ist, sondern sich bereits seit Jahrzehnten vollzieht. Allgemein bekannt ist der Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft, der bereits in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eingesetzt hat. In den vergangenen beiden Jahrzehnten hat sich diese Entwicklung fortgesetzt, wie an den geleisteten Arbeitsstunden der Erwerbstätigen zu sehen ist: Während die Arbeitsstunden im Verarbeitenden Gewerbe – so der richtige Begriff für die Industrie nach der gültigen Wirtschaftszweigklassifikation – Anfang der 2000er Jahre rückläufig waren und seitdem stagnieren, stieg die Zahl der Arbeitsstunden in den Dienstleistungsbereichen, insbesondere im Informations- und Kommunikationssektor, weiter an (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1
Arbeitsstunden der Erwerbstätigen in Deutschland

Index 2000 = 100

Arbeitsstunden der Erwerbstätigen in Deutschland

Quelle: Statistisches Bundesamt, ifo Institut.

Der industrielle Strukturwandel zeigt sich jedoch nicht nur in der sektoralen Gesamtbetrachtung. Auch innerhalb des Verarbeitenden Gewerbes haben sich in den vergangenen Jahren tiefgreifende strukturelle Veränderungen vollzogen. Zum einen fiel die Beschäftigungsentwicklung in den einzelnen Industriezweigen teilweise sehr unterschiedlich aus. Während beispielsweise die Herstellung von Pharmazeutischen Erzeugnissen einen deutlichen Beschäftigungsaufbau verzeichnete, nahm die Zahl der Beschäftigten in der Metallerzeugung und -bearbeitung deutlich ab (vgl. Abbildung 2).

Abbildung 2
Beschäftigungsentwicklung in ausgewählten Industriezweigen

Index 2013 = 100

Beschäftigungsentwicklung in ausgewählten Industriezweigen

Quelle: Statistisches Bundesamt, ifo Institut.

Zum anderen hat sich die qualifikatorische Zusammensetzung der Beschäftigten im Verarbeitenden Gewerbe verändert. Während die Zahl klassischer Produktionsberufe in der Fertigung seit 2013 stagniert und am aktuellen Rand sogar rückläufig ist, stieg die Zahl der fertigungstechnischen Berufe weiter an (vgl. Abbildung 3). Hierunter fallen etwa technische Forschungs-, Entwicklungs-, Konstruktions- und Produktionssteuerungsberufe. Berufe in Unternehmensführung und -organisation konnten ebenso zulegen, jedoch lag ihr Wachstum leicht unter dem der Gesamtbeschäftigung im Verarbeitenden Gewerbe. Mit einem Plus von 15 % konnten die IT- und naturwissenschaftlichen Dienstleistungsberufe den größten Zuwachs verzeichnen; ihr Wachstum ist seit 2013 ungebrochen. Deutlich ausgeprägter fällt diese Entwicklung in zwei der bedeutendsten Zweige der deutschen Industrie aus. 2021 lag sowohl im Maschinenbau als auch in der Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen die Zahl der IT- und naturwissenschaftlichen Berufe um etwa 40 % über dem Niveau von 2013 (vgl. Abbildung 4 und 5). Die rückläufige Entwicklung der klassischen Fertigungsberufe in der Industrieproduktion ist unter anderem auf zwei Faktoren zurückzuführen. Zum einen schreitet die Automatisierung weiter voran, sodass weniger Beschäftigte in der Produktion benötigt werden. Zum anderen spiegelt sich darin eine Tendenz zur Deindustrialisierung wider. Denn anstatt Produktionskapazitäten in Deutschland aufzubauen, werden klassische Fertigungsberufe ins Ausland verlagert. Wie aus Daten der Deutschen Bundesbank zu ausländischen Direktinvestitionen hervorgeht, sind es im Verarbeitenden Gewerbe insbesondere Unternehmen der chemischen Industrie, des Maschinenbaus und der Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen, die im Ausland investieren.

Abbildung 3
Beschäftigungsstruktur im Verarbeitenden Gewerbe

Index 2013 = 100

Beschäftigungsstruktur im Verarbeitenden Gewerbe

Quelle: Statistisches Bundesamt, ifo Institut.

Abbildung 4
Beschäftigungsstruktur in der Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen

Index 2013 = 100

Beschäftigungsstruktur in der Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen

Quelle: Statistisches Bundesamt, ifo Institut.

Im Gegensatz zu den klassischen Fertigungsberufen steigt die Bedeutung von hochqualifizierten fertigungstechnischen Berufen, Berufen in der Unternehmensführung sowie IT- und naturwissenschaftliche Dienstleistungsberufen in der Industrie weiter an. Die inländischen Standorte der deutschen Industrieunternehmen entwickeln sich damit mehr und mehr zu Zentren der Unternehmensführung und der Forschung und Entwicklung, wohingegen die eigentliche Produktion vermehrt im Ausland stattfindet. Dadurch gewinnt die Erstellung hochwertiger Unternehmensdienstleistungen in Deutschland an Bedeutung.

Abbildung 5
Beschäftigungsstruktur im Maschinenbau

Index 2013 = 100

Beschäftigungsstruktur im Maschinenbau

Quelle: Statistisches Bundesamt, ifo Institut.

Neue Deindustrialisierungswelle durch steigende Energiepreise?

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Energiepreis-Schock infolge des Kriegs in der Ukraine eine große Herausforderung für die deutsche Industrie darstellt und noch darstellen wird. Doch auch vor dem Kriegsausbruch war Deutschland bereits ein Industriestandort mit vergleichsweise hohen Energiepreisen. Der Strompreis für Industriekunden in Deutschland lag schon seit längerem über dem europäischen Durchschnitt. Seit 2014 betrug die Preisdifferenz für Industriestrom zwischen Deutschland und der Europäischen Union in etwa 0,05 Ct. je Kilowattstunde (vgl. Abbildung 6). Mit dem starken Energiepreis-Anstieg in der ersten Jahreshälfte 2022 hat sich diese Preisdifferenz jedoch verringert. Damit könnte das europäische Ausland als Investitionsziel für die deutsche Industrie an Bedeutung verlieren, wohingegen die USA weiter in den Fokus rücken dürften. Denn obwohl die Energiepreise in den USA ebenso anstiegen, liegen die dortigen Preise für beispielsweise Erdgas weiterhin deutlich unter europäischem Niveau (vgl. Abbildung 7). Das dürfte auch mittel- bis langfristig so bleiben, wie eine Analyse der Futures-Preise für Erdgas und Strom zeigt. Zu den Hauptgründen dafür zählen die Mehrkosten, die in Europa durch die technische Umstellung von Erdgasimporten über Pipelines auf Importe von LNG entstehen. Auch die höheren Transportkosten bei der Umstellung auf weiter entfernte Lieferanten dürfte zur anhaltend hohen Preisdifferenz beitragen (SVR, 2022). Hervorzuheben ist jedoch, dass Energiepreise nicht der einzige Faktor in der Standortentscheidung von Industrieunternehmen sind. Faktoren wie die Nähe zu Rohstoffen und wachsenden Absatzmärkten (z. B. China) spielen oft eine ebenso wichtige Rolle.

Abbildung 6
Strompreise für Nichthaushaltskunden mittlerer Größe1
Strompreise für Nichthaushaltskunden mittlerer Größe

1 Jahresverbrauch zwischen 500 und 2.000 MWh; alle Steuern und Abgaben inbegriffen.

Quelle: Eurostat, ifo Institut.

Abbildung 7
Erdgaspreise

Durchschnittliche monatliche Spotmarktpreise

Erdgaspreise

Quelle: Internationaler Währungsfonds 2022, ifo Institut.

Zu betonen ist, dass die Energiepreise in Deutschland im internationalen Vergleich schon seit längerem höher ausfielen und es zu erwarten war, dass sich die Energiepreise in Deutschland auch künftig auf vergleichsweise hohem Niveau bewegen dürften. Das liegt zum einen an der Rohstoffarmut Deutschlands selbst und zum anderen an politischen Entscheidungen, wie dem Verzicht auf Fracking, dem notwendigen Vollzug der Energiewende und dem Ausstieg aus der Kernenergie. Unternehmen, die in Deutschland produzieren, haben sich also bereits mit den Umständen hoher Energiepreisen arrangiert. Sie haben sich diversifiziert, indem sie energieintensive Produktion ins Ausland verlagert haben, energieintensive Vorprodukte aus dem Ausland beziehen und/oder in energieeffizientere Technik investiert haben. Unternehmen, die in dieser Hinsicht noch nicht gehandelt haben und weiter am Tropf billiger russischer Energie hängen, laufen Gefahr, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren.

Welche Branchen des Verarbeitenden Gewerbes leiden besonders unter der Energiekrise?

Zu den energieintensiven Industriezweigen, deren Anteil am Gesamtenergieverbrauch der Industrie besonders hoch ist, zählen die Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln, die Herstellung von Papier, Pappe und Waren daraus, die Kokerei und Mineralölverarbeitung, die Herstellung von chemischen Erzeugnissen, die Herstellung von Glas und Glaswaren, Keramik, Verarbeitung von Steinen und Erden sowie die Metallerzeugung (vgl. Tabelle 1). Alle sechs energieintensiven Industriezweige waren 2020 für 81,7 % des Gesamtenergieverbrauchs in der Industrie verantwortlich. Sie stellen etwa 23,2 % der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Industrie und sind für etwa 20,7 % der industriellen Bruttowertschöpfung verantwortlich.

Tabelle 1
Kenngrößen energieintensiver Industrien
WZ-Code Industrie Anteil am Energieverbrauch der Industrie 2020, % Anteil Energiekosten an Bruttoproduktionswert 2020, % Marge SV Beschäftigte, % der Industriebeschäftigung Bruttowert-schöpfung 2020, % BWS Industrie Preiserwartungen (Saldo) Okt. 2022
10 Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln 5,70 2,02 1,06a 9,36 5,71 70,6
17 Herstellung von Papier, Pappe und Waren daraus 6,70 4,19 1,15b 1,77 2,17 27
19 Kokerei und Mineralölverarbeitung 10,00 0,86 1,07 0,33 4,28 n.a.
20 Herstellung von chemischen Erzeugnissen 29,30 3,29 1,24c 4,91 2,17 33,1
23 Herstellung von Glas, Glaswaren, Keramik, Verarbeitung von Steinen und Erden 8,10 4,90 1,17d 2,98 1,44 72,1
24 Metallerzeugung und -bearbeitung 21,90 4,91 1,18e 3,84 4,88 50,3
Summe / Durchschnitt 81,70 3,36 1,16 23,19 20,65 50,62

a inklusive WZ 11 & 12; b inklusive WZ 16 & 18; c inklusive WZ 21; d inklusive WZ 22; e inklusive WZ 25.

Quellen: Statistisches Bundesamt; Bundesagentur für Arbeit; Deutsche Bundesbank (2017); ifo Konjunkturumfrage Oktober 2022.

Der Anteil der Energiekosten am Bruttoproduktionswert in allen energieintensiven Industrien liegt bei durchschnittlich 3,4 % und somit über dem Durchschnittswert des Verarbeitenden Gewerbes (1,6 %). Dieser Anteil mag zunächst relativ gering erscheinen – insbesondere im Vergleich zu den Personalkosten (20,6 % im Verarbeitenden Gewerbe). Ein starker Anstieg der Energiepreise, wie wir ihn in diesem Jahr erlebt haben, drückt dennoch erheblich auf die Gewinnspanne, wenn Unternehmen die gestiegenen Kosten nicht über Preise weitergeben können. Besonders betroffen dürften daher Branchen sein, die bereits vor der Energiekrise aufgrund der Wettbewerbsbedingungen relativ geringe Margen hatten, wie beispielsweise die Nahrungs- und Futtermittelindustrie (Deutsche Bundesbank, 2017).

Für diese Branchen kommt es also besonders darauf an, die gestiegenen Energiekosten in Form höherer Verkaufspreise an die Kunden weitergeben zu können. Wie die Ergebnisse der ifo Konjunkturumfrage vom Oktober 2022 zeigen, wollen vor allem die Hersteller von Nahrungs- und Futtermitteln (70,6 Punkte) sowie die Hersteller von Glas, Glaswaren, Keramik und der Verarbeitung von Steinen und Erden (72,1 Punkte) mehrheitlich die Preise erhöhen.1 Dagegen hat nur ein geringer Anteil der Unternehmen in der Herstellung von Papier, Pappe und Waren daraus positive Preiserwartungen (27,0 Punkte) bei vergleichsweise geringer Marge. Auch in der chemischen Industrie haben mit 33,1 Saldenpunkten relativ wenige Unternehmen positive Preiserwartungen.

Insgesamt zeigt sich also: Einige Branchen des Verarbeitenden Gewerbes sind vom Energiepreis-Schock stark betroffen. Allerdings stellen diese nur einen Ausschnitt des Verarbeitenden Gewerbes dar.

Rahmenbedingungen müssen verbessert werden

Vor dem Hintergrund der hier präsentierten Zahlen scheint die in der öffentlichen Debatte geschürte Angst einer neuen Deindustrialisierungswelle durch die Energiekrise übertrieben. Das heißt jedoch nicht, dass Unternehmen infolge des Energiepreis-Schocks nicht aus dem Markt ausscheiden werden. Betroffen sind davon vor allem diejenigen Unternehmen, die bislang ihre Produktionsstruktur nicht ausreichend diversifiziert haben und/oder in Energieeffizienz investiert haben. Dass die Angst um den industriellen Exodus Deutschlands ein Stück weit unbegründet ist, zeigt auch eine Umfrage des BDI vom September 2022. Darin wurden knapp 600 deutsche Industrieunternehmen gefragt, inwiefern die aktuelle Preisentwicklung die Standort-Planungen beeinflusst. Knapp die Hälfte, nämlich 48 % der befragten Unternehmen, plant demnach nur Investitionen in Deutschland (BDI, 2022). Bemerkenswert ist hier: Im Vergleich zum Februar 2022 entspricht das einem Plus von 6 Prozentpunkten. Hierin könnte sich auch die aufkeimende Debatte um Re-shoring widerspiegeln, also die Rückverlagerung von Produktionsstandorten nach Deutschland, um beispielsweise Außenhandels-Abhängigkeiten von einzelnen Ländern zu reduzieren. Demgegenüber stehen 17 %, die konkret über eine zeitnahe Verlagerung von Unternehmensanteilen/Arbeitsplätzen ins Ausland nachdenken – ein Minus von 5 Prozentpunkten seit Februar 2022.

Gibt das Anlass zur Entwarnung? Nein, denn es bestand schon vor der aktuellen Krise eine erhebliche Unsicherheit über die Zukunft der deutschen Energieversorgung, die möglicherweise Investitionsentscheidungen in Deutschland gebremst hat (Berger et al., 2022). Die Unsicherheit hat sich mit der Energiekrise verstärkt. Eine realistische Strategie für die künftige deutsche Energieversorgung ist daher unabdingbar, damit Unternehmen sich auf langfristige Investitionen in Deutschland einlassen.

Angesichts des rasanten demografischen Wandels muss sich Deutschland darüber hinaus als rohstoffarmes Land auf seine Stärken im Humankapital besinnen. Dabei sollte ein Fokus auf die Stärkung von Aus- und Weiterbildung gelegt werden, um das Qualifikationsniveau an die neuen Anforderungen einer digitalen Industrie von Morgen auszurichten. Neue internationale Vergleichsstudien zeigen zwar, dass Deutschland nach dem PISA-Schock Anfang der 2000er aufgeholt hat, jedoch bei der Schülerleistung zuletzt wieder deutlich zurückgefallen ist. Diese Entwicklung dürfte sich angesichts des Umgangs des Bildungssektors mit der Coronapandemie weiter verstärkt haben (Zeit Online, 2021).

Auch der Abbau von Regeln und der damit verbundene Bürokratieabbau muss stärker vorangetrieben werden. Denn Unternehmen brauchen in einem unsicheren, sich schnell verändernden Marktumfeld mit hohem Kostendruck nicht noch mehr Regulierung, sondern weniger. Eng damit verbunden ist auch die Debatte, wie restriktiv wir mit dem Rohstoff Daten umgehen und wie wir die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung voranbringen. In beiden Bereichen hat sich gezeigt, dass in Deutschland noch enormes Verbesserungspotenzial besteht (Falck et al., 2021).

Doch braucht es auch eine aktive Industriepolitik? Eher nicht, denn die bisherigen Erfahrungen damit fallen nicht positiv aus. Für Länder an der internationalen Technologiegrenze, wozu auch Deutschland zählt, kommt es vielmehr darauf an, Technologieoffenheit hochzuhalten und auf mehr Wettbewerb zu setzen, statt weniger (Aghion und Howitt, 1997; Falck, 2019). Die wettbewerbliche öffentliche Beschaffung von Innovationen oder die wettbewerbliche öffentliche Förderung von Forschung und Entwicklung, wie sie in den US-amerikanischen ARPAModellen (Advanced Research Projects Agency) vorgesehen sind, sollten hier vielmehr als Vorbild dienen als das chinesische Modell. Letzteres war sehr erfolgreich, um China in vielen Bereichen an die Welttechnologiegrenze zu bringen. Ob es jedoch auch taugt, um die Grenze nach außen zu verschieben, ist mehr als fraglich.

  • 1 Die Saldenpunkte bei den ifo-Preiserwartungen geben an, wie viel Prozent der Unternehmen per saldo ihre Preise erhöhen wollen. Der Saldo ergibt sich, indem man vom prozentualen Anteil der Unternehmen, die ihre Preise anheben wollen, den prozentualen Anteil derer abzieht, die ihre Preise senken wollen. Wenn alle befragten Unternehmen beabsichtigten, ihre Preise zu erhöhen, läge der Saldo bei plus 100 Punkten. Würden alle ihre Preise senken wollen, läge er bei minus 100.

Literatur

Aghion, P. und P. Howitt (1997), Endogenous Growth Theory, MIT Press.

Berger, R., C. Fuest, H.-W. Sinn, C. Theis und P.-A. Wacke (2022), Wohlstand in Gefahr: Für eine neue Strategie in der Energiepolitik, ifo Schnelldienst, 12.

BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie (2022), Lagebild im industriellen Mittelstand, BDI-Blitzumfrage – August/September 2022.

Deutsche Bundesbank (2017), Mark-ups of firms in selected European countries, Deutsche Bundesbank Monthly Report, Dezember, 53-67.

DIHK – Deutscher Industrie- und Handelskammertag (2022), AHK World Business Outlook Herbst.

Falck, O. (2019), Brauchen wir eine aktive europäische Industriepolitik?, ifo Schnelldienst, 10.

Falck, O., N. Czernich, C. Pfaffl, F. Ruthardt und A. Wölfl (2021), Benchmarking Digitalisierung in Deutschland, ifo Studie.

SVR – Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2022), Jahresgutachten 2022/23.

Zeit Online (2021), Der nächste Bildungsabsturz, https://www.zeit.de/2021/41/bildung-deutschland-pisa-studie-bildungspolitik-ludger-woessmann-forschung (2. Dezember 2022).

Title:Germany's Deindustrialisation: Justified Concern or German Angst?

Abstract:The shrinking of the German manufacturing sector due to the new energy crisis is currently a hotly debated topic. The aim of this article is to contribute to this emotional debate by providing evidence on recent developments in the German manufacturing sector. The analysis of relevant data concludes that this debate is fueled by infamous German angst rather than hard facts.

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© Der/die Autor:in 2022

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.1007/s10273-022-3341-y

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