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Das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland ist seit dem Jahr 2019 kaum gestiegen, während die Wirtschaft in vielen anderen Ländern der Europäischen Union deutlich expandierte (Abbildung 1). Da aktuell die Finanzierungsdefizite in vielen Ländern der Europäischen Union und insbesondere im Euroraum deutlich größer sind als die in Deutschland, stellt sich die Frage nach der Ausrichtung der Finanzpolitik. Ist die schwächere mittelfristige Entwicklung in Deutschland zumindest zum Teil Folge einer restriktiveren Finanzpolitik?

Abbildung 1
Veränderung des Bruttoinlandsprodukts zwischen 2019 und 2024
Veränderung des Bruttoinlandsprodukts zwischen 2019 und 2024

Preisbereinigt. Differenz in Prozent.

Quelle: AMECO, Berechnungen des IfW Kiel.

Als Referenzpunkt zur Abschätzung der mittelfristigen Entwicklung bzw. der mittelfristigen Ausrichtung der Finanzpolitik wird das Jahr 2019 gewählt, da damals die Ergebnisse der öffentlichen Haushalte wie auch die wirtschaftliche Situation nicht durch die Schocks der ­Corona-Pandemie und der Energiekrise beeinträchtigt waren. Für das Jahr 2024 wiederum dürften spezifische Maßnahmen in Reaktion auf diese beiden Krisen das Budget der Mitgliedsländer nicht mehr in erheblichem Umfang beeinflusst haben. Verwendet werden die jüngsten Zahlen der Europäischen Kommission (AMECO Datenbank).

Der Budgetsaldo hat sich in allen Mitgliedsländern außer Irland, Portugal, Spanien und Zypern im Jahr 2024 verglichen zum Jahr 2019 ausweislich der aktuellen Projektionen der EU-Kommission verschlechtert (Abbildung 2). Bemerkenswerterweise haben diese Länder in der Eurokrise in der einen oder anderen Form Hilfen der Rettungsschirme in Anspruch genommen. Diese Beobachtung lädt zu der Frage ein, ob die Erfahrung der Anpassungsprogramme die Gestaltung der Finanzpolitik entsprechend vorsichtiger gemacht hat oder ob die Wirkung der Anpassungsprogramme nachhaltig die öffentlichen Finanzen verbessert hat, die an dieser Stelle allerdings nicht ­weiterverfolgt wird.

Abbildung 2
Veränderung der Budgetsalden zwischen 2019 und 2024
Veränderung der Budgetsalden zwischen 2019 und 2024
Differenz in Prozentpunkten relativ zum Bruttoinlandsprodukt.
Quelle: AMECO, Berechnungen des IfW Kiel.

Der Budgetsaldo im Euroraum insgesamt weist im Jahr 2024 ein um 2,5 Prozentpunkte höheres Defizit auf als im Jahr 2019. Der Budgetsaldo Deutschlands hat sich sogar um 3,5 Prozentpunkte verschlechtert. Dieser stärkere Rückgang ist auch Ausdruck der derzeit schwächeren Konjunktur. Um dem Rechnung zu tragen, kann die Entwicklung des (um konjunkturelle Einflüsse bereinigten) strukturellen Primärsaldos in Betracht gezogen werden, der als ein Maß für die Ausrichtung der Finanzpolitik gilt. Hier zeigt sich für Deutschland ein etwas stärkerer Rückgang als für den Euroraum insgesamt. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass der übrige Euroraum insgesamt relativ zur Wirtschaftsleistung auch größere Transfers aus dem NextGenerationEU-Programm erhalten hat als Deutschland. Die Zahlungen der EU haben zu zusätzlichen Einnahmen geführt, die für sich genommen das Defizit mindern. Hätten die Budgets der anderen Euroraum-Länder eine Unterstützung der Europäischen Union erhalten, die den Zahlungen an Deutschland entsprochen hätte, wäre bei ansonsten gleichen Einnahmen und Ausgaben der Wert für die Differenz des strukturellen Primärsaldos zwischen den Jahren 2024 und 2019 in etwa identisch gewesen.

Die Einnahmequoten in Deutschland sowie im Euroraum haben sich im Jahr 2024 gegenüber dem Jahr 2019 kaum verändert. Die Variation des Budgetsaldos korrespondiert somit vollständig mit dem Anstieg der Staatsausgabenquote (Abbildung 3). Dieser Anstieg ist nur zu einem geringen Teil auf höhere Zinszahlungen zurückzuführen. Zusammen mit dem Befund zum strukturellen Primärsaldo lässt sich somit festhalten, dass sowohl in Deutschland als auch im Euroraum insgesamt die Staatstätigkeit relativ zur Wirtschaftsleistung merklich ausgeweitet wurde. Dies lässt sich auch am deutlich gestiegenen Anteil des Staatskonsums am Bruttoinlandsprodukt feststellen. Nur in Dänemark und Zypern ist der Anteil gesunken. Mit Blick auf die Länder des Euroraums ist der Anteil nur in kleineren Ländern wie Estland, Finnland oder Slowenien stärker gestiegen als in Deutschland. Zu berücksichtigen ist bei den Ländern an der Ostflanke der Europäischen Union zudem, dass die Militärausgaben hier bereits deutlich erhöht wurden und ein Teil davon im Staatskonsum ausgewiesen wird. In Deutschland geht ein Großteil des Anstiegs des Staatskonsums hingegen auf Mehrausgaben in den Bereichen Gesundheit und Pflege zurück.

Abbildung 3
Veränderung der Staatsausgabenquote und des Staatskonsums zwischen 2019 und 2024
Veränderung der Staatsausgabenquote und des Staatskonsums zwischen 2019 und 2024

Differenz in Prozentpunkten relativ zum Bruttoinlandsprodukt.

Quelle: AMECO, Berechnungen des IfW Kiel.

In der Summe hat sich der Expansionsgrad der Finanzpolitik in Deutschland kaum anders als im übrigen Euroraum verändert. Zugleich ist die Rolle des Staates für die deutsche Wirtschaft und für die Wirtschaft im übrigen Euroraum größer geworden. Die Staatsquote ist auch bereinigt um konjunkturelle Effekte gestiegen, und der Staatskonsum nimmt einen größeren Teil der Produktion in Anspruch.

Der Umstand, dass sich mittelfristig die Ausrichtung der Finanzpolitik in Deutschland und im Euroraum insgesamt in etwa gleich verändert hat, ist ein Indiz dafür, dass die in Deutschland stärker ausgeprägte wirtschaftliche Schwäche nicht auf die Finanzpolitik zurückzuführen ist. Ferner zeigt die Veränderung, dass Deutschland einen Großteil seines fiskalischen Spielraums, der vor der Coronakrise bestand, bereits aufgebraucht hat. Eine weitere fiskalische Expansion ist nur noch zu Lasten steigender Stabilitätsrisiken möglich. Die aktuelle Ausrichtung der Finanzpolitik steht zudem im Konflikt mit den aktuellen Fiskalregeln auf europäischer Ebene. Eine derzeit im Gespräch befindliche Reform der Schuldenbremse wird die Finanzpolitik somit nicht davon befreien, bei steigenden Ausgaben bei der Verteidigung und weiterhin hohen Investitionsbedarfen, in anderen Bereichen zu konsolidieren.

Verschärfend kommt hinzu, dass die ersten Zahlen vom Statistischen Bundesamt zu den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen anzeigen, dass das Finanzierungsdefizit Deutschlands für das Jahr 2024 von der Europäischen Kommission jüngst, also bei der Prognose im Herbst 2024, eher unterschätzt wurde.

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© Der/die Autor:in 2025

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Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.2478/wd-2025-0056